A. Problem und Ziel
Die Verwaltungsgerichtbarkeit hat seit geraumer Zeit hohe Eingänge an Asylverfahren zu bewältigen. Während bei den Verwaltungsgerichten bundesweit im gesamten Jahr 2012 nur rund 30.000 Asylverfahren eingingen, waren es 2016 bereits 182.000. Den Höhepunkt erreichten die Eingangszahlen in der ersten Jahreshälfte 2017.
Zu diesem Zeitpunkt war der Gesamtwert des Vorjahres mit weiteren 202.000 Asylverfahren bereits überschritten. Mittlerweile hat sich bei den Verwaltungsgerichten ein Bestand von ungefähr 324.000 Asylverfahren angesammelt. Diese Anzahl von Verfahren ist mit gerichtsbezogenen Maßnahmen allein, z.B. der Schaffung zusätzlicher Richterstellen und/oder gerichtsinternen Umstrukturierungen wie der Gründung von reinen Asyl- oder Dublinkammern, nicht zu bewältigen. Vielmehr bedarf es der Beschleunigung des Asylverfahrens als solchem.
Dies soll durch die erweiterte Möglichkeit der Zulassung von Rechtsmitteln erreicht werden. Die obergerichtliche Klärung fallübergreifender Tatsachen- und Rechtsfragen ist dringend notwendig. Solche grundsätzlichen Fragen stellen sich regelmäßig in Asylverfahren. Deren Klärung ist den Verwaltungsgerichten aufgrund der aktuellen Fassung des Asylgesetzes jedoch kaum möglich. Das Asylgesetz sieht einen äußerst beschränkten Rechtsmittelzug vor. Anders als im allgemeinen Verwaltungsprozess kann das Verwaltungsgericht weder in Hauptsacheverfahren die Berufung noch in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Beschwerde zulassen. Dies hat zu einer nicht mehr hinnehmbaren Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung geführt. Gleichgelagerte Fälle werden unterschiedlich entschieden und sorgen für Rechtsunsicherheit. Dem hat die im Mai 2017 eingeführte Sprungrevision zumindest ein Stück weit, namentlich für die Klärung von Rechtsfragen, entgegengewirkt. Dies ist aber nicht ausreichend. Denn eine Klärung für generelle Tatsachenfragen, z.B. über die allgemeine Gefahrenlage in einem bestimmten Zielstaat, in den abgeschoben werden soll, ist nach wie vor nicht vorgesehen. Das Bundesverwaltungsgericht ist bei der Prüfung der Revision an die festgestellten Tatsachen des Verwaltungsgerichtes gebunden. Grundsätzlich bedeutende Tatsachenfragen kann das Bundesverwaltungsgericht hingegen in der Regel nicht klären.
Zudem fehlt es an einer Möglichkeit der Beschwerdezulassung in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes. Dies ist umso dringlicher, da die Dublin-Verfahren, die die Bestimmung des für das Asylverfahren zuständigen europäischen Staates betreffen, fast ausschließlich in diesen Eilverfahren entschieden werden. Hier wären obergerichtliche Leitentscheidungen, z.B. bei der Frage, ob in einem europäischen Staat systemische Mängel im Asylverfahren herrschen und somit die Überstellung in diesen Staat generell oder für bestimmte Personengruppen ausgeschlossen ist, besonders wichtig.
Ziel ist es, die Asylrechtsprechung einheitlicher, effektiver und schneller zu gestalten. Gerade in den Fällen, in denen letztlich die gleiche Rechts- und/oder Tatsachenfrage in einer Vielzahl von Verfahren zur Klärung ansteht, hat die erweiterte Möglichkeit der Zulassung von Rechtmitteln für die erste Instanz eine entlastende Wirkung. Eine Grundsatzentscheidung des zuständigen Oberverwaltungsgerichtes führt zudem zu Rechtssicherheit und im Ergebnis zu einer Beschleunigung der erstinstanzlichen Verfahren. Die erstinstanzliche Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte orientiert sich sehr stark an der Rechtsprechung des jeweiligen Oberverwaltungsgerichts. Eine obergerichtliche Klärung kann auch dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zur Orientierung dienen und so in der Zukunft Prozesse vermeiden.
B. Lösung
Der Gesetzentwurf sieht die Reformierung des Rechtsweges in Asylverfahren vor. Das Verwaltungsgericht lässt in Hauptsacheverfahren bei grundsätzlicher Bedeutung und Divergenz die Berufung nach § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG zu. In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes lässt es bei grundsätzlicher Bedeutung die Beschwerde nach § 80 Abs. 2 Satz 2 AsylG zu.
C. Alternativen
Keine.
D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte
Keine.
E. Sonstige Kosten
Die Zahl der Asylverfahren vor den Oberverwaltungsgerichten dürfte zunächst steigen. Da den Beteiligten die Rechtsmittel nur zustehen, wenn sie zugelassen wurden, dürfte eine erhebliche Verfahrenszunahme aber nicht zu erwarten sein. Zudem würden die Verwaltungsgerichte von den zu erwartenden Leitentscheidungen profitieren.
Gesetzesantrag der Länder Hamburg, Berlin, Brandenburg, Bremen
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Asylgesetzes zur Verfahrensbeschleunigung durch die erweiterte Möglichkeit der Zulassung von Rechtsmitteln
Der Präsident des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg Hamburg, 20. Februar 2018
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Regierenden Bürgermeister
Michael Müller
Sehr geehrter Herr Präsident,
der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg sowie die Landesregierungen von Berlin, Brandenburg und Bremen haben beschlossen, dem Bundesrat den als Anlage mit Begründung beigefügten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Asylgesetzes zur Verfahrensbeschleunigung durch die erweiterte Möglichkeit der Zulassung von Rechtsmitteln mit dem Antrag zuzuleiten, seine Einbringung beim Deutschen Bundestag zu beschließen.
Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf die Tagesordnung der 965. Sitzung des Bundesrates am 2. März 2018 zu setzen und sie anschließend den zuständigen Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Olaf Scholz
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Asylgesetzes zur Verfahrensbeschleunigung durch die erweiterte Möglichkeit der Zulassung von Rechtsmitteln
Vom ...
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Änderung des Asylgesetzes
Das Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2780) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. In der Inhaltsübersicht wird die Angabe zu § 80 wie folgt gefasst:
" § 80 Beschwerde".
2. § 78 wird wie folgt geändert:
- a) In Absatz 2 werden nach dem Wort "dem" die Wörter "Verwaltungsgericht oder dem" eingefügt.
- b) In Absatz 3 werden die Wörter "Die Berufung ist nur zuzulassen" durch die Wörter "Das Oberverwaltungsgericht lässt die Berufung zu" ersetzt.
- c) Absatz 4 wird durch die folgenden Absätze 4 bis 6 ersetzt:
- (4) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des Absatzes 3 Nummer 1 oder 2 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.
Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt. Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
- (5) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 4 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.
- (6) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils."
- d) Die bisherigen Absätze 5 bis 7 werden Absätze 7 bis 9.
3. § 80 wird wie folgt gefasst:
" § 80 Beschwerde
Artikel 2
Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.
Begründung
A. Allgemeines
I. Ausgangslage
Das Asylgesetz enthält besonderes Verwaltungsprozessrecht. Im Gegensatz zum allgemeinenen Verwaltungsprozessrecht, das in der VwGO geregelt ist, kennt es in Hauptsacheverfahren die Möglichkeit der Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht nicht. Bisher ist dies nur dem Oberverwaltungsgericht auf entsprechenden Antrag möglich (§ 78 AsylG). Eine Anfechtung von Eilentscheidungen der Verwaltungsgerichte ist generell ausgeschlossen (§ 80 AsylG). Diese beschränkten Rechtsmittelmöglichkeiten sollten ursprünglich der Verfahrensstraffung und -beschleunigung dienen. Seit dem deutlichen Anstieg der Asylverfahren im Jahr 2015 zeigt sich, dass die Rechtsmittelbeschränkung für die schnelle und effiziente Bewältigung einer solchen Vielzahl an Asylverfahren nicht der richtige Weg ist. Sie hat vielmehr das Gegenteil bewirkt. Denn es mangelt aufgrund der eingeschränkten Möglichkeit, obergerichtliche Rechtsprechung herbeizuführen, an Leitentscheidungen, an denen sich die Verwaltungsgerichte orientieren könnten. Dieser Mangel ist systembedingt. Dies gilt zunächst für den Ausschluss der Möglichkeit der Berufungszulassung durch das Verwaltungsgericht. Das Verwaltungsgericht hat als Eingangsinstanz im Vergleich zum Oberverwaltungsgericht die größere Sachnähe für die Bewertung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtsfrage sowie vorhandener Divergenz. Das Oberverwaltungsgericht kann sich erst bei einem entsprechenden Zulassungsantrag mit einem etwaigen Fall von grundsätzlicher Bedeutung oder vorhandener Divergenz auseinandersetzen. Zudem ist das Oberverwaltungsgericht für die Zulassung der Berufung von dem Vortrag des Berufungsklägers abhängig. Reicht dieser für das Vorliegen eines Berufungsgrundes nicht aus, kann das Oberverwaltungsgericht, selbst bei Vorliegen der Zulassungsgründe - grundsätzliche Bedeutung und Divergenz - nicht entscheiden (§ 78 Absatz 4 Satz 4 AsylG). Vergleichbares gilt für den Ausschluss der Beschwerdemöglichkeit in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Dort entscheidet das Verwaltungsgericht über die Vollziehbarkeit einer Abschiebungsanordnung in erster und zugleich letzter Instanz. Möglich ist nur der Weg vor das Bundesverfassungsgericht, der daher derzeit vermehrt beschritten wird. Das Bundesverfassungsgericht ist aber kein Superrevisionsgericht. Es entscheidet nur bei der Verletzung von Verfassungsrecht. Es kann daher grundsätzlich nicht für verwaltungsrechtliche Leitentscheidungen sorgen.
II. Inhalt des Entwurfs
Die neu gefassten Vorschriften erweitern die Möglichkeit der Zulassung von Rechtsmitteln im Asylgesetz. Hierdurch werden Leitentscheidungen ermöglicht, die die Bearbeitung der Asylverfahren insgesamt einheitlicher, effektiver und schneller machen. In Hauptsacheverfahren sollen die Verwaltungsgerichte bei grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und bei Divergenz, d.h. Abweichung von obergerichtlicher Rechtsprechung, die Berufung zum Oberverwaltungsgericht zulassen können (§ 78 AsylG). In Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes soll den Verwaltungsgerichten die Möglichkeit der Zulassung der Beschwerde bei grundsätzlicher Bedeutung (§ 80 AsylG) eingeräumt werden.
B. Zu den einzelnen Vorschriften
Zu Artikel 1 (Änderung des Asylgesetzes)
Zu Nummer 1 (Inhaltsübersicht)
Die Inhaltsübersicht des Asylgesetzes nimmt am Gesetzesrang teil. Dies hat zur Folge, dass sie durch den Gesetzgeber geändert werden muss, soweit sich - wie hier - Änderungen des Asylgesetzes auf die Inhaltsübersicht auswirken.
Zu Nummer 2 (§ 78 AsylG)
Zu Buchstabe a)
Die Änderung ermöglicht dem Verwaltungsgericht die grundsätzliche Möglichkeit der Zulassung der Berufung.
Zu Buchstabe b)
Die Änderung ist nötig, weil ansonsten sämtliche Berufungszulassungsgründe auch von dem Verwaltungsgericht zu berücksichtigen wären. Dies ist aber nicht gewollt. Die Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht soll sich wie im allgemeinen Verwaltungsprozessrecht allein auf die Gründe des Absatzes 3 Nummer 1 und 2 beschränken. Der Zulassungsgrund des Verfahrensmangels, Absatz 3 Nummer 3, passt nach Sinn und Zweck nicht auf eine Berufungszulassung durch das Verwaltungsgericht.
Zu Buchstabe c)
Die neu gefassten Absätze 4 und 5 regeln die Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht. Dabei entsprechen die Regelungen über die Berufungsgründe und das Berufungsverfahren den diesbezüglichen Vorschriften aus dem allgemeinen Verwaltungsprozessrecht, siehe § 124a Absätze 1 bis 3 VwGO. Der neu gefasste Absatz 6 entspricht bis auf der notwendigen Folgeänderung dem alten Absatz 4. Ein Antrag auf Zulassung der Berufung beim Oberverwaltungsgericht ist nunmehr nur noch zulässig, wenn die Berufung nicht von dem Verwaltungsgericht zugelassen wurde.
Zu Buchstaben d)
Es handelt sich um notwendige Folgeänderungen.
Zu Nummer 3 (§ 80 AsylG)
Die Neufassung des § 80 AsylG eröffnet die Möglichkeit der Zulassung der Beschwerde durch das Verwaltungsgericht in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Anders als im allgemeinen Verwaltungsprozessrecht soll die Beschwerdemöglichkeit aber nicht im Belieben des Antragstellers stehen. Denn in diesem Fall könnte die mit der Änderung verfolgte Beschleunigung des Asylverfahrens nicht erreicht werden. Die Beschwerde soll daher nur zulässig sein, wenn das Verwaltungsgericht diese aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen hat. Dies ist nur der Fall, wenn die Klärung dieser grundsätzlichen Frage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts relevant ist. Der neue § 80 Absatz 2 Satz 3 AsylG regelt zudem, dass auch bei materiellrechtlichen Fragen von grundsätzlicher Bedeutung die Beschwerde zuzulassen ist. Die Frist für die Einlegung der Beschwerde von zwei Wochen entspricht zwar der im allgemeinen Verwaltungssprozessrecht geltenden Beschwerdeeinlegungsfrist (§ 147 Absatz 1 Satz 1 VwGO). Die Frist für die Beschwerdebegründung ist gegenüber dem allgemeinen Verwaltungsprozessrecht jedoch verschärft. Hier gilt ebenfalls die Zweiwochenfrist und nicht wie im allgemeinen Verfahren die Monatsfrist des § 146 Absatz 4 Satz 1 VwGO. Die verkürzte Begründungsfrist folgt aus der besonderen Eilbedürftigkeit der asylrechtlichen Eilverfahren und sorgt für deren schnellstmögliche Erledigung. Der zusätzliche Zeitaufwand wird auf das Mindestmaß beschränkt. Im Übrigen ist zu erwarten, dass der zusätzliche Aufwand mehr als ausgeglichen wird. Denn viele Fälle werden sich infolge vermehrter Grundsatzentscheidungen schneller erledigen lassen. Der Anwendungsausschluss des § 148 Absatz 1 VwGO folgt daraus, dass die Beschwerde im Asylverfahren als Zulassungsbeschwerde ausgestaltet ist und nicht, wie im allgemeinen Verwaltungsprozess, unabhängig von einer Zulassung möglich ist. Die Anforderungen an die Beschwerdebegründung sind den diesbezüglichen Anforderungen des allgemeinen Verwaltungsprozessrechts (§ 146 Absatz 4 Satz 2 bis 6 VwGO) entnommen und lediglich im Detail folgerichtig angepasst.
Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)
Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes. Übergangsvorschriften sind nicht erforderlich.