Punkt 32 der 881. Sitzung des Bundesrates am 18. März 2011
Der Bundesrat möge beschließen:
Zum Gesetzentwurf insgesamt
Der Bundesrat bittet, im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zu prüfen, ob dem Landesgesetzgeber im Wege einer Länderöffnungsklausel gestattet werden kann, für bestimmte Konflikte das Beschreiten des Rechtswegs von einer vorherigen Inanspruchnahme einer außergerichtlichen Mediation oder eines anderen Verfahrens der außergerichtlichen Konfliktbeilegung abhängig zu machen.
Begründung:
Ein wesentliches Ziel des Gesetzentwurfes ist die Stärkung der außergerichtlichen Konfliktbeilegung, um die Streitkultur in Deutschland nachhaltig zu verbessern. Streitende Parteien sollen sich vor einer Inanspruchnahme der Gerichte zunächst selbst um eine eigenverantwortliche und einvernehmliche Lösung ihres Konflikts bemühen und hierbei die bestehenden Möglichkeiten wie z.B. das Angebot einer außergerichtlichen Mediation ausschöpfen. Obligatorisch ist die Inanspruchnahme einer außergerichtlichen Mediation vor Anrufung der Gerichte nach dem Gesetzentwurf aber bislang nicht, obwohl dadurch eine Entlastung der Gerichte und der Landeshaushalte erreicht werden könnte.
Bereits jetzt erlaubt § 15a EGZPO eine landesgesetzliche Regelung, wonach in bestimmten Verfahren die Erhebung der Klage erst zulässig ist, nachdem von einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle versucht worden ist, die Streitigkeit einvernehmlich beizulegen. Der Anwendungsbereich ist aber beschränkt auf vermögensrechtliche Streitigkeiten vor dem Amtsgericht bis 750 Euro, nachbarrechtliche Streitigkeiten, Ehrverletzungen und einzelne Streitigkeiten nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. Die Erfahrungen aus den Modellprojekten zur gerichtsinternen Mediation haben aber gezeigt, dass es über diesen Bereich hinaus eine Vielzahl von Verfahrensarten gibt, die für eine eigenverantwortliche, einvernehmliche Konfliktlösung besonders geeignet sind, z.B. in Zivilsachen bei gesellschaftsrechtlichen Auseinandersetzungen, Bau- und Architektensachen sowie Erb- und Familiensachen. In verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten gilt dies insbesondere für Verfahren, in denen zwei Behörden miteinander streiten, z.B. bei personalvertretungsrechtlichen Streitigkeiten, Organstreitigkeiten im Bereich juristischer Personen des öffentlichen Rechts oder Kostenerstattungsstreitigkeiten zwischen Verwaltungsträgern. Durch eine Länderöffnungsklausel entsprechend § 15a EGZPO könnten für solche Verfahrensarten Erfahrungen gesammelt werden, ob durch eine dem Gerichtsverfahren obligatorisch vorgeschaltete Mediation die angestrebte Förderung der Inanspruchnahme der außergerichtlichen Mediation und eine damit verbundene Entlastung der Gerichte und der Länderhaushalte erreicht werden kann (vgl. Greger, ZKM 2010, 120, 121).
Eine solche Regelung wird durch die Mediationsrichtlinie (Richtlinie 2008/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen, ABl. L 136 vom 24.5.2008, S. 3) ausdrücklich zugelassen (vgl. Artikel 5 Absatz 2). Auch nach den Artikeln 198, 213 der schweizerischen ZPO hat z.B. dem Gerichtsverfahren bis auf wenige Ausnahmen grundsätzlich eine Schlichtung oder Mediation vorauszugehen. Eine Länderöffnungsklausel entsprechend § 15a EGZPO ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, da außergerichtliche Streitbeilegungsverfahren "auch in einem Rechtsstaat grundsätzlich vorzugswürdig gegenüber einer richterlichen Streitentscheidung" sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Februar 2007 - 1 BvR 1351/01 -, NJW-RR 2007, 1073). Auch nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofes (Urteil vom 18. März 2010 - Rs. C-317/08 -) stehen die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität sowie der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes einer nationalen Regelung, die für solche Streitfälle die vorherige Durchführung eines außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahrens vorschreibt, grundsätzlich nicht entgegen. Die Einführung eines obligatorischen, außergerichtlichen Mediationsverfahrens ist daher verfassungsrechtlich zulässig und steht auch in Übereinstimmung mit europäischem Recht und der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Sie widerspricht auch nicht dem Prinzip der Freiwilligkeit, weil es jeder Partei freisteht, das Mediationsverfahren jederzeit wieder zu verlassen. Zudem werden in (gesetzlich) angeordneten und freiwilligen Mediationen ähnlich hohe Einigungsquoten erreicht (vgl. Marx, ZKM 2010, 132, 136). Es ist zu erwarten, dass eine Länderöffnungsklausel die Zahl der außergerichtlichen Mediationen deutlich erhöhen und damit den Bereich der außergerichtlichen Konfliktbeilegung insgesamt stärken wird.