4. Diese grundlegenden Defizite zeigen sich beispielsweise in Bezug auf die Bewertung verwaltungsrechtlicher Streitigkeiten. Für den Bundesrat sind insoweit die in den Schaubildern 4 bis 6 mitgeteilten Werte für die Dauer der Verfahren nicht nachvollziehbar. Das Schaubild 4 weist für Deutschland einen Wert von über 400 Tagen aus. Demgegenüber liegt nach dem Schaubild 5 die Verfahrensdauer für die zivil- und handelsrechtlichen Verfahren unter 200 Tagen und nach Schaubild 6 die Verfahrensdauer für die verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten (weit) unter 500 Tagen. Dass hiernach die Durchschnittszahl für alle Verfahren bei über 400 Tagen liegen soll, erschließt sich aufgrund des Verhältnisses von zivil- und handelsrechtlichen Verfahren zu den verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten nicht.
Das EU-Justizbarometer 2015 stützt sich auf die CEPEJ-Studie "Study on the functioning of judicial systems in the EU Member States". Die in dieser Studie auf den Seiten 72 fortfolgende mitgeteilten statistischen Angaben zu "Administrative law cases" lassen sich aber allein mit den unterschiedlichen Bevölkerungszahlen in den einzelnen Mitgliedstaaten der EU und mit dem unterschiedlichen Gebrauchmachen von bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten nicht plausibel erklären. Sie dürften vielmehr darauf zurückzuführen sein, dass ein konkreter Abgleich der Regelungsmaterien, die in den einzelnen Mitgliedstaaten als verwaltungsrechtliche Streitigkeiten erfasst werden, nicht in ausreichendem Maße stattgefunden hat. Damit begegnen die im EU-Justizbarometer 2015 zu den verwaltungsgerichtlichen Streitigkeiten mitgeteilten Daten grundsätzlichen Bedenken.
Ferner bezweifelt der Bundesrat die in Abschnitt 3.1.3 dargelegte Einschätzung der Kommission, dass die Zahl der anhängigen Verfahren verringert werden müsse, wenn sich die Verfahrensdauer verkürzen soll. Die bloße Anzahl (je 100 Einwohner) der bei Gericht anhängigen Verfahren ermöglicht isoliert betrachtet keine Aussage in Bezug auf die Verfahrensdauer oder die Qualität der Verfahrensbearbeitung. Ob mehr oder weniger verwaltungsrechtliche Streitigkeiten (je 100 Einwohner) bei Gericht anhängig sind, hängt maßgebend davon ab, welche Streitigkeiten überhaupt als verwaltungsrechtlich eingestuft werden und wie breit das Spektrum an Rechtsschutzmöglichkeiten ist, die ein Mitgliedstaat seinen Einwohnern eröffnet, um verwaltungsrechtliche Streitigkeiten anhängig zu machen. Dem eher unterdurchschnittlichen Abschneiden Deutschlands nach Schaubild 12 des EU-Justizbarometers 2015 misst der Bundesrat daher mit Blick auf eine etwaige Weiterentwicklung des deutschen Justizsystems keine relevante Bedeutung zu.
5. Grundsätzlich stimmt der Bundesrat der Kommission zu, dass die Fortbildungsmöglichkeiten von Richtern und Staatsanwälten Einfluss auf die dauerhafte Leistungsfähigkeit der Justizsysteme haben können.
Allerdings hat der Bundesrat Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Aussagekraft der Daten, die dem EU-Justizbarometer 2015 zugrunde liegen. Der für die Datenerhebung zur Fortbildung der Richter verwendete Fragebogen war in Teilen nicht eindeutig und interpretationsbedürftig. Dies führte bereits bei der Beantwortung im Verhältnis der deutschen Länder zu Unsicherheiten, die im Verhältnis zu den 25 teilnehmenden Mitgliedstaaten noch verstärkt worden sein dürften. Beispielhaft für eine auslegungsbedürftige Fragestellung war der Begriff des "Bezuges zum EU-Recht". Dabei wurde nicht hinreichend deutlich, welchen Umfang der Bezug zum EU-Recht aufweisen muss, um eine Veranstaltung darunter erfassen zu können. Es liegen Anzeichen dafür vor, dass die deutschen Landesjustizverwaltungen sehr zurückhaltend waren und nur solche Veranstaltungen gemeldet haben, bei denen im Schwerpunkt europarechtliche Bezüge behandelt wurden.
Darüber hinaus sind die erhobenen Daten nicht vergleichbar. So erscheint beispielsweise das Schaubild 37 nicht geeignet, einen nennenswerten Beitrag zum Qualitätsvergleich der Justizsysteme zu erbringen. Es enthält keinerlei Aussage zur Dauer, Teilnehmerzahl und Methodik der in einem Mitgliedstaat durchgeführten Fortbildungsveranstaltungen und lässt damit sämtliche Parameter außer Betracht, die für die Qualität einer Fortbildung relevant sind. Auf diese Weise erhält im Schaubild zum Beispiel eine halbtägige Fortbildungsmaßnahme mit 140 Teilnehmern und reinem Frontalvortrag den gleichen Stellenwert wie ein mehrtägiges interaktives Kleingruppenseminar.
Auch der Umfang der bereits in der Ausbildung vermittelten Kenntnisse der Richter und Staatsanwälte im Europarecht findet keine Berücksichtigung. Fortbildung baut jedoch auf Ausbildung auf. Je besser die Grundausbildung ist, desto weniger notwendig sind auf Grundlagenwissen bezogene Fortbildungsmaßnahmen. Insoweit setzt eine Vergleichbarkeit der Fortbildungsmaßnahmen zwingend voraus, bei der Datenerhebung die während der Ausbildung vermittelten Kenntnisse zu berücksichtigen. Eine Grundausbildung im Recht der EU, der Rechtsquellen, der Organe und Handlungsformen, der Grundfreiheiten sowie der Beziehungen zum nationalen Recht wird in Deutschland seit Jahrzehnten mit dem Pflichtfachstoff des Studiums und des anschließenden Vorbereitungsdienstes vermittelt, weshalb die Fortbildung im Europarecht in Deutschland weitgehend sehr spezifisch und fachbezogen stattfindet.