976. Sitzung des Bundesrates am 12. April 2019
Der federführende Rechtsausschuss (R) und der Finanzausschuss (Fz) empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Zum Gesetzentwurf allgemein
2. Zu Artikel 1 Nummer 3 ( § 4 Absatz 3 VBVG)
In Artikel 1 Nummer 3 sind in § 4 Absatz 3 nach dem Wort "nutzbar" die Wörter "und notwendig" einzufügen.
Begründung:
Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit sollten die für die Aufgabenerfüllung erforderliche Qualifikation und die tatsächliche Qualifikation des mit der Aufgabenerfüllung befassten Personals in Kongruenz gebracht werden. Ansonsten kommt es im Hinblick auf die mit der höheren Qualifikation verbundene veränderte Vergütung zu nicht erforderlichen Kosten. Aus finanzieller Sicht muss sich eine Erstattung in Form einer höheren Vergütung am Maßstab der Erforderlichkeit und nicht alleine an der Nutzbarkeit messen lassen. Die unterschiedlichen Vergütungstabellen im Gesetzentwurf zeigen die erheblichen finanziellen Unterschiede, die sich aus einer veränderten Qualifikation des Betreuers oder der Betreuerin ergeben. So ergibt sich zum Beispiel zwischen den Nummern A 1.1 und C 1.1 eine Differenz von 123 Euro pro Fall.
3. Zu Artikel 1 Nummer 8, Anhang (Anlage zu § 4 Absatz 1 VBVG)
Der Bundesrat sieht sich auf der Grundlage des Gesetzentwurfs nicht in der Lage, die von der Bundesregierung zur Bemessung der Pauschalen getroffenen Erwägungen nachzuvollziehen. Er hält es für erforderlich, dass die Bundesregierung insbesondere den notwendigen zeitlichen Umfang für die Ausübung der Tätigkeiten, die unmittelbar mit der Betreuung verbunden sind, sowie das für die im Rahmen der Berufsbetreuung anfallenden einzelnen Tätigkeiten erforderliche Qualifikations- und Vergütungsniveau im Detail darstellt.
4. Zu Artikel 2 (§ 277 Absatz 3 Satz 2 FamFG)
In Artikel 2 ist in § 277 Absatz 3 Satz 2 die Angabe "4 Euro" durch die Angabe "3,50 Euro" zu ersetzen.
Begründung:
Die zusätzlich zu der Erhöhung der Vormündervergütung vorgesehene Erhöhung der Aufwandspauschale für Verfahrenspfleger entbehrt im beabsichtigten Umfang einer tragfähigen Begründung.
Die Erhöhung der Aufwandspauschale in § 277 Absatz 3 FamFG-E von 3,00 Euro auf 4,00 Euro ist - im Vergleich zur Betreuervergütungsanpassung - nicht systemgerecht und daher abzulehnen. Die Anhebung wird im Gesetzentwurf damit begründet, dass auch die pauschale Aufwandsentschädigung bei der Vergütung der Berufsbetreuerinnen und Berufsbetreuer zukünftig mit 4,03 Euro berücksichtigt werde. Unabhängig davon, dass in diesem Punkt bereits schon Bedenken gegen die Berechnung der Aufwandsentschädigung bei Berufsbetreuerinnen und Berufsbetreuern bestehen, überzeugt die schlichte Übernahme des Betrags von 4,00 Euro auf die pauschale Verfahrenspflegervergütung nicht.
Die Aufwandspauschale wurde - nach der Begründung des Gesetzentwurfs - "aufgrund der Feststellungen aus dem Jahr 2004 mit durchschnittlich 8,5 Prozent des ermittelten Stundensatzes angesetzt" (vergleiche BR-Drucksache 101/19 (PDF), Seite 14). Bei Verfahrenspflegerinnen und Verfahrenspflegern beträgt der Stundensatz in der Vergütungsstufe 3 nach dem Gesetzentwurf 39,00 Euro. Unter Zugrundelegung eines Prozentsatzes von 8,5 Prozent bei einem Stundensatz in Höhe von 39,00 Euro ergibt sich insoweit lediglich eine Aufwandspauschale in Höhe von 3,32 Euro. Die pauschale Aufwandsentschädigung in § 277 Absatz 3 Satz 2 FamFG-E müsste daher - aufgerundet - bei 3,50 Euro statt wie vorgesehen bei 4,00 Euro liegen. Die schlichte Übernahme des Wertes der Betreuervergütung verkennt den prozentualen Bezug von Stundensatz und Aufwandsentschädigung.
5. Zu Artikel 3 (Evaluierung)
Artikel 3 ist wie folgt zu fassen:
"Artikel 3
Evaluierung
Die durch dieses Gesetz geschaffenen Vorschriften sind insbesondere im Hinblick auf die Angemessenheit der im Anhang festgesetzten Fallpauschalen nach fünf Jahren seit dem ... [einsetzen: Datum des Inkrafttretens nach Artikel 4 dieses Gesetzes] zu evaluieren. Nach Abschluss der Evaluierung hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz einen Bericht über die Ergebnisse der Evaluierung zu veröffentlichen."
Begründung:
Der Gesetzentwurf sieht einen Evaluierungszeitraum von vier Jahren und eine Pflicht zur Veröffentlichung eines Berichts über die Ergebnisse der Evaluierung durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz bis zum 31. Dezember 2024 vor.
Es ist der Grundüberlegung des Gesetzesvorhabens zuzustimmen, dass die Vergütung so zu bemessen ist, dass sie klare Anreize für eine qualitativ gute Betreuung setzt und dass qualitätsbeeinträchtigenden Fehlanreizen möglichst entgegengewirkt werden muss. Ob aber die mit der Neuregelung verbundenen gesetzlichen Änderungen tatsächlich geeignet waren, diesen Bemessungsgrundsätzen gerecht zu werden, lässt sich erst einschätzen, wenn die Neuregelungen eine hinreichend lange Zeit in Kraft waren. Nach der jetzigen Ausgestaltung müsste jedoch bereits nach kurzer Zeit mit der vierjährigen Evaluierung begonnen werden, da der Evaluierungsbericht bereits zum 31. Dezember 2024 vorliegen muss.
Angesichts des beträchtlichen Volumens geht mit der Erhöhung zudem eine erhebliche Belastung der Landesjustizhaushalte einher, so dass es ein wesentliches Interesse der Landesjustizverwaltungen darstellt, nicht mit erneuten Nachforderungen befasst zu werden.
6. Zu Artikel 4 (Inkrafttreten)
Der Bundesrat ist der Auffassung, dass das Gesetz zum Beginn eines Jahres in Kraft treten sollte. Ein Inkrafttreten des Gesetzes kommt angesichts der notwendigen Anpassungszeit sowie der in den Ländern abgeschlossenen Haushaltsplanungen frühestens zum 1. Januar 2020 in Betracht.
7. Zur Begründung allgemein
Mit den vorgeschlagenen Änderungen im Vormünder- und Betreuervergü-tungsgesetz (VBVG) wie auch im Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) geht einher, dass die Länder für die Betreuervergütung erhebliche zusätzliche Haushaltsmittel zur Verfügung stellen. Die Länder sind gegenüber dem Steuerzahler verpflichtet, die aufgebrachten Haushaltsmittel im Interesse der Allgemeinheit mit Blick auf die Gesamtheit der Aufgaben nach belastbaren Grundlagen zu verteilen. Die profunde Diskussion um die Vergütungsanpassung war dafür wichtig und hilfreich. Der Bundesrat begrüßt es ausdrücklich, dass mit dem nun vorgelegten Gesetzentwurf die Berechnungsgrundlagen für die Betreuervergü-tung weiterentwickelt worden sind und der erforderlichen Qualitätssteuerung im Vergütungsrecht Rechnung getragen worden ist. Insoweit stellt insbesondere die vorgenommene Erhöhung des Zeitaufwands einen entscheidenden Schritt zu einer qualitätsbezogenen Vergütungsanpassung im Interesse von Betreuern und Betreuten dar. Allerdings findet nicht jede vorgeschlagene Einzelposition die uneingeschränkte Zustimmung der Länder.
So erscheinen insbesondere die vorgenommenen Aufschläge für Overhead-Kosten nicht in Gänze überzeugend. Durch den Overhead bzw. die Gemeinkosten sollen nach dem Gesetzentwurf Kosten für die Leitungsfunktion und weitere nicht näher bestimmbare Kosten im Rahmen der Aufgabenerfüllung nach § 1908f Absatz 1 Nummer 1 BGB, das heißt Kosten für die Aufsicht, Weiterbildung und Versicherung der Mitarbeiter, abgedeckt werden (vergleiche BR-Drucksache 101/19 (PDF), Seite 12 f.). Damit werden Kosten ausgeglichen, die aber auch nur dann entstehen, wenn ein Verein als Betreuungsverein im Sinne des § 1908f BGB anerkannt werden will. Es handelt sich damit nicht um Kosten, die unmittelbar der Führung von Betreuungen zugeordnet werden können, sondern um Kosten, die der von einem Betreuungsverein geleisteten Querschnittsarbeit zugeordnet werden muss. Die Berücksichtigung dieser Kosten verstößt damit gegen den Grundsatz, wonach bei der Berechnung der Refinanzierungskosten Aspekte der Querschnittsarbeit außer Acht bleiben (vergleiche BR-Drucksache 101/19 (PDF), Seite 11). In der unmittelbaren Betreuungsarbeit, die den Gegenstand der hiesigen Berechnung bildet, ist ein Aufschlag für Gemeinkosten nicht erforderlich. Betreuerinnen und Betreuer können Betreuungsaufgaben auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter delegieren. Dies führt dazu, dass bei ihnen Kapazitäten für die Übernahme weiterer Betreuungen - mit der Folge von Mehreinnahmen - frei werden.
Auch der vorgenommene Aufschlag auf die von der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt) empfohlenen Sachkosten erscheint nicht zwingend. Zwar entstehen bei Betreuern im Vergleich zu kommunalen Angestellten höhere Sachkosten. Hier sind insbesondere die Kosten für Dolmetscher zu nennen, die von Betreuerinnen und Betreuern aus ihrer Vergütung zu zahlen sind und die nach den Feststellungen der ISG in der rechtstatsächlichen Untersuchung zur "Qualität in der rechtlichen Betreuung" bei 1,29 Prozent aller Betreuten erforderlich waren (vergleiche ISG, Qualität, Seite 77). Da die Inanspruchnahme professioneller Dolmetscher die Qualität der gesetzlichen Betreuung erhöhen kann, sind diese Kosten im Rahmen der Berechnung des Refinanzierungsstundensatzes in einem im Durchschnitt angemessenen Umfang zu berücksichtigen, beispielsweise mit den Kosten, die für die gerichtliche Inanspruchnahme eines Dolmetschers auf der Grundlage der Vergütung nach dem Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz (JVEG) für 90 Minuten entstehen würden. Dies allein kann aber den insgesamt für Sachkosten und sonstige Auslagen zugrunde gelegten Rechnungsposten in Höhe von 14 278,15 Euro (7 810,00 Euro + 1 605 x 4,03 Euro) nicht rechtfertigen, der aus Sicht des Bundesrates großzügig bemessen ist.