Übermittelt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie am 12. März 2008 gemäß § 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 12. März 1993 (BGBl. I S. 313), zuletzt geändert durch das Föderalismusreform-Begleitgesetz vom 5. September 2006 (BGBl. I S. 2098).
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat die Vorlage am 6. März 2008 dem Bundesrat zugeleitet.
Die Vorlage ist von der Kommission am 6. März 2008 dem Generalsekretär/Hohen Vertreter des Rates der Europäischen Union übermittelt worden.
Hinweis: vgl.
Drucksache 071/98 = AE-Nr. 980162 und
Drucksache 754/06 (PDF) = AE-Nr. 061642
Grünbuch
Effiziente Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in der Europäischen Union: Transparenz des Schuldnervermögens
Auf der Grundlage dieses Grünbuchs soll eine umfassende Konsultation zu der Frage eingeleitet werden, wie die Transparenz des Schuldnervermögens in der Europäischen Union verbessert werden kann. Das Grünbuch beschreibt die Probleme, wie sie sich zurzeit stellen, und schlägt Lösungsmöglichkeiten vor.
Beiträge zu diesem Grünbuch können bis zum 30. September 2008 an folgende Anschrift gerichtet werden:
Europäische Kommission
Generaldirektion Justiz, Freiheit und Sicherheit
Referat C1 - Ziviljustiz
B - 1049 Brüssel
Fax: (+32-2) 299 64 57
E-Mail: JLS-coopjudcivil@ec.europa.eu
Die eingegangenen Beiträge werden mit Namensangabe im Internet veröffentlicht, es sei denn durch die Veröffentlichung werden berechtigte Interessen der Person, die den Beitrag eingesandt hat, verletzt. In diesem Fall kann der Beitrag anonym veröffentlicht werden.
Andernfalls wird der Beitrag nicht veröffentlicht und inhaltlich bei den weiteren Arbeiten nicht berücksichtigt. Die Beiträge werden auf der Website der Kommission veröffentlicht und sind entweder über das Konsultationsportal "Ihre Stimme in Europa"" zugänglich oder über die damit verlinkte Konsultationsseite der GD JLS.
Die Kommission wird zu den im Grünbuch behandelten Themen gegebenenfalls eine öffentliche Anhörung veranstalten.
I. Einführung: Probleme aufgrund der derzeitigen Rechtslage
Die Probleme, die sich bei der Eintreibung von Forderungen in einem anderen Mitgliedstaat stellen können den freien Verkehr von Mahnbescheiden innerhalb der Europäischen Union behindern und den Binnenmarkt in seiner Funktionsweise beeinträchtigen. Zu spät oder gar nicht geleistete Zahlungen gefährden die Interessen der Unternehmen wie die der Verbraucher. Erschwert wird die Forderungseintreibung, wenn dem Gläubiger und den Vollstreckungsbehörden nichts über den Aufenthaltsort des Schuldners oder dessen Vermögen bekannt ist.
Dass die Eintreibung von Schulden in einem anderen Mitgliedstaat große Schwierigkeiten bereitet hatte die Kommission bereits in ihrer Mitteilung aus dem Jahr 1998 "Wege zu einer effizienteren Erwirkung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in der Europäischen Union"1 festgestellt. Zwei Jahre später hieß es im Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung: "Die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen innerhalb der Europäischen Union könnte nämlich erleichtert werden wenn die Möglichkeit bestünde, die finanzielle Situation eines Schuldners exakt zu ermitteln. Daher könnten Maßnahmen ergriffen werden, die die genaue Feststellung der Vermögenswerte eines Schuldners im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten gestatten"2. In einer im Auftrag der Kommission 2004 erstellten Studie über die effizientere Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen innerhalb der Europäischen Union ("Study on making more efficient the enforcement of judicial decisions within the European Union"3) wurde die Rechtslage in 15 Mitgliedstaaten analysiert und eine Reihe von Verbesserungsmaßnahmen vorgeschlagen. Über das Europäische Justizielle Netz für Zivil- und Handelssachen erging an die seither beigetretenen 12 neuen Mitgliedstaaten die Bitte, Informationen über die Rechtslage in ihren Ländern beizusteuern. Die Antworten sind in dieses Grünbuch eingeflossen. Am 24. Oktober 2006 hatte die Europäische Kommission ein Grünbuch mit dem Titel "Effizientere Vollstreckung von Urteilen in der Europäischen Union: Vorläufige Kontenpfändung"4 angenommen. Dieses Grünbuch konzentrierte sich auf eine spezielle Maßnahme zur Verbesserung der Vollstreckung von Geldforderungen, nämlich auf die vorläufige Kontenpfändung, mit der ein Gläubiger die Sicherstellung eines ihm geschuldeten oder von ihm geforderten Geldbetrags dadurch veranlassen kann, dass der Schuldner daran gehindert wird, sein Guthaben, das sich auf einem oder mehreren Bankkonten innerhalb der Europäischen Union befindet, abzuheben oder zu transferieren. Das vorliegende Grünbuch zielt demgegenüber allgemein auf eine Verbesserung der Vermögenstransparenz ab, die durch Registerauskünfte oder die Offenbarungsversicherung des Schuldners gewährleistet wird.
Vollstreckungsverfahren beginnen häufig mit der Suche nach der Anschrift des Schuldners und/oder nach Angaben über seine Vermögensverhältnisse. Die Transparenz des Schuldnervermögens wird derzeit auf nationaler Ebene mithilfe von Informationen aus unterschiedlichen Quellen, insbesondere Registerauskünften und der Offenbarungsversicherung des Schuldners, gewährleistet. In ihren Grundzügen ähneln sich die einzelstaatlichen Regelungen, doch bestehen erhebliche Unterschiede, was die Voraussetzungen und Verfahren für die Erlangung der Auskünfte, den Inhalt der Auskünfte und die Leistungsfähigkeit der Systeme insgesamt anbelangt5.
Ein Vergleich lässt zwei verschiedene Vorgehensweisen bei der Erlangung von Auskünften erkennen6.
- - Im ersten Fall werden die Auskünfte vom Schuldner selbst erteilt in Form einer Offenlegung seines gesamten Vermögens7. Manche Mitgliedstaaten8 beschränken die Offenlegung allerdings auf die Auskünfte, die zur Befriedigung der Forderung notwendig sind.
- - Im zweiten Fall können spezielle Datensammlungen abgefragt werden9. Dies gilt insbesondere für Mitgliedstaaten, in denen der Schuldner nicht zur Offenlegung seines Vermögens verpflichtet ist. Register bilden dort die Hauptinformationsquelle. Der Zugang zu den Registern und anderen Informationsquellen wird bei diesem System anders gehandhabt.
Dies gilt auch für die Ermittlungs- und Aufklärungsbefugnisse.
Die Eintreibung von Schulden in einem anderen Mitgliedstaat wird durch die Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Rechtssystemen und der unzureichenden Kenntnis der Gläubiger von der Informationsstruktur in anderen Mitgliedstaaten erschwert. Die den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten zugrunde liegenden Strukturen ähneln sich jedoch in gewisser Weise, so dass auf ihrer Grundlage eine Annäherung möglich wäre10. Maßnahmen auf europäischer Ebene könnten darauf abzielen, die Transparenz des Schuldnervermögens und das Auskunftsrecht der Gläubiger zu verbessern, ohne in den Schutz der Privatsphäre des Schuldners einzugreifen. Das Recht auf Schutz der Privatsphäre, das durch die Datenschutzrichtlinie 95/46/EG11 gewährleistet ist, bildet das Gegengewicht zu dem Recht des Gläubigers auf wirksame Vollstreckung.
Im Mittelpunkt dieses Grünbuchs steht die Verbesserung der Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen. Dies bedeutet, dass weder Fragen der (materiellrechtlichen) Vollstreckungsgrenzen noch die Rolle privater oder halbstaatlicher Stellen im Vollstreckungsprozess erörtert werden.
- Frage 1: Sehen Sie auf Gemeinschaftsebene Handlungsbedarf, um die Vermögensverhältnisse von Schuldnern transparenter zu machen? Meinen Sie, dass dem Spannungsverhältnis zwischen Zwangsvollstreckung und Schuldnerschutz oder der Rolle nichtstaatlicher Stellen bei der Zwangsvollstreckung besondere Aufmerksamkeit zu widmen ist? Wenn ja, welche Aspekte sind Ihrer Ansicht nach von Bedeutung?
II. Lösungsmöglichkeiten
Auskünfte über das Vermögen des Schuldners können aus verschiedenen Quellen stammen, insbesondere aus Registern und vom Schuldner selbst. Es wird daher vorgeschlagen, statt einer einzigen Maßnahme ein Bündel von Maßnahmen ins Auge zu fassen, mit denen sichergestellt werden könnte, dass der Gläubiger innerhalb einer angemessenen Frist zuverlässige Auskünfte über das Vermögen seines Schuldners erhält. In diesem Grünbuch werden folgende Maßnahmen in Erwägung gezogen:
- - Erstellung eines Handbuchs zum Zwangsvollstreckungsrecht und zur Zwangsvollstreckungspraxis der Mitgliedstaaten
- - Erweiterung der Register und Verbesserung des Registerzugangs
- - Informationsaustausch zwischen Vollstreckungsbehörden
- - Maßnahmen in Verbindung mit der Offenbarungsversicherung des Schuldners.
1. Erstellung eines Handbuchs zum Zwangsvollstreckungsrecht und zur Zwangsvollstreckungspraxis der Mitgliedstaaten
Über die unterschiedlichen Vollstreckungssysteme in den 27 Mitgliedstaaten ist nur wenig bekannt12. Als Hilfsmittel für die Praxis könnte ein Handbuch zu den Vollstreckungssystemen der Mitgliedstaaten erstellt werden. Darin könnten alle Informationsquellen in einem Mitgliedstaat aufgeführt werden, die Angaben zum Vermögen einer Person enthalten, sowie bei Zugangsbeschränkung die Anschriften der zugangsberechtigten Personen, die damit verbundenen Kosten und andere relevante Einzelheiten. Das Handbuch könnte auf der Website des Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen veröffentlicht werden13.
- Frage 2: Inwieweit würde ein Handbuch, das umfassend über die Vollstreckungssysteme der Mitgliedstaaten informiert, Ihrer Meinung nach hilfreich sein?
2. Erweiterung der Register und Verbesserung des Registerzugangs
a) Handelsregister
Hauptinformationsquellen sind öffentliche Register, von denen das Handelsregister das wichtigste ist.
Die Vorschriften für Handelsregister sind teilweise durch die Erste Gesellschaftsrechtsrichtlinie des Rates von 1968 ("Publizitätsrichtlinie")14 und die Elfte Gesellschaftsrechtsrichtlinie des Rates von 1989 ("Zweigniederlassungsrichtlinie")15 angeglichen worden. Nach Artikel 2 Absatz 1 der Publizitätsrichtlinie sind die Gesellschaften zur Offenlegung bestimmter Urkunden und Angaben verpflichtet16. Artikel 2 Absatz 1
Buchstabe a der Zweigniederlassungsrichtlinie schreibt vor, dass die Anschrift der Zweigniederlassung offen zu legen ist. Die Unternehmensregister der Mitgliedstaaten enthalten ausführliche Angaben zu den registrierten Unternehmen (Rechtsform, Gründungszeitpunkt, Gesellschaftskapital, Wirtschaftssektor, Gesellschaftsorgane und Vertretungsbefugnisse, mitunter auch Zahl der Beschäftigten)17. Diese Angaben werden häufig elektronisch in Zentralregistern erfasst, auf die online zugegriffen werden kann18.
Die beiden Richtlinien zielen somit im weiteren Sinne auf die Herstellung von Transparenz im Unternehmensumfeld ab, was auch Vollstreckungsverfahren einschließt. Eine vollständige Vereinheitlichung der Handelsregister wird dadurch allerdings nicht bewirkt. Die Richtlinien gelten nur für bestimmte Unternehmensformen, nicht aber für Einzelpersonen und Unternehmenspartnerschaften19. Den Mitgliedstaaten steht es frei, lokale oder zentrale Handels- oder Unternehmensregister einzurichten: Während es im Vereinigten Königreich drei Zentralregister gibt, die sämtliche unternehmensrelevante Informationen enthalten, gibt es in Deutschland über 400 Register, die von Registergerichten verwaltet werden. Auch ist die Zuverlässigkeit der Angaben in den Handelsregistern nicht immer in gleichem Maße gewährleistet: In manchen Mitgliedstaaten20 werden die Angaben vor der Registrierung nicht überprüft21. Mitunter sind die Angaben auch veraltet, weil in einigen Mitgliedstaaten Unternehmen, die Änderungen ihrer Unternehmenssituation nicht melden, nicht in geeigneter Weise zur Rechenschaft gezogen werden22.
Darüber hinaus ist die elektronische Datenverarbeitung oder der Online-Zugang zu Handelsregistern in der Publizitätsrichtlinie nicht vorgesehen. Auf seiner Tagung vom 12./13. Juni 2007 hatte der Rat in seinen Schlussfolgerungen festgehalten, dass "die Beratungen auf dem Gebiet der E-Justiz mit dem Ziel der Verwirklichung einer technischen Plattform auf europäischer Ebene fortgeführt werden sollten; diese Plattform soll im Justizbereich Zugang zu den bestehenden oder künftigen elektronischen Systemen" schaffen.
Die künftigen Arbeiten sollten sich prioritär auf die Schaffung der Voraussetzungen für die Vernetzung der Insolvenzregister und der Handels- und Unternehmensregister konzentrieren.
- Frage 3: Sollten Handelsregister mehr Angaben enthalten und sollte der Zugang zu diesen Registern erleichtert werden? Wenn ja, in welcher Form und in welchem Umfang?
b) Melderegister
Ein Gläubiger, der die Adresse eines nicht gewerblich tätigen Schuldners sucht, steht unter Umständen vor noch größeren Problemen. In den meisten Mitgliedstaaten23 sind die Anschriften aller Einwohner im Melderegister verzeichnet. Diese Register werden jedoch auf sehr unterschiedliche Weise geführt. In manchen Mitgliedstaaten24 werden sie bei den Kommunalverwaltungen geführt, so dass der Gläubiger alle Melderegister im ganzen Land abfragen müsste, was unmöglich wäre. Zentralregister sind für den Gläubiger oft nicht zugänglich25. Gläubiger, die die Adresse eines Schuldners suchen, bei dem es sich um eine natürliche Person handelt, sehen sich deshalb mit ernsten Schwierigkeiten konfrontiert.
Zudem haben die Vollstreckungsbehörden nicht in allen Mitgliedstaaten Zugang zu den Registern. Die Einrichtung von Melderegistern in Mitgliedstaaten, die diese Art der Erfassung nicht kennen, könnte deren Rechtstraditionen zuwiderlaufen. Private Stellen für Registerauskünfte aus anderen Mitgliedstaaten befinden sich erst im Aufbau. Jede
Gemeinschaftsmaßnahme müsste überdies den Datenschutzvorschriften sowie dem Schutz der Privatsphäre des Schuldners Rechnung tragen.
- Frage 4: Sollte der Zugang zu den vorhandenen Melderegistern erleichtert werden? Wenn ja, wie?
c) Sozialversicherungs- und Steuerregister
Sozialversicherungs- und Steuerregister enthalten häufig Informationen über den Schuldner, z.B. seine Anschrift, Angaben zum Arbeitgeber oder zu Bankverbindungen. Der Zugang zu solchen Informationen kann die Vollstreckung einer Geldforderung erheblich erleichtern. In den Mitgliedstaaten, die eine Offenbarungsversicherung des Schuldners nicht kennen, sind die Vollstreckungsorgane zur Abfrage solcher staatlich geführten Register nach vermögensrelevanten Informationen befugt26. Der direkte Zugang der Vollstreckungsorgane zu nicht-öffentlichen Registern beschränkt sich hingegen nicht auf die Länder, die eine Vermögensoffenbarung des Schuldners nicht vorsehen. Die modernen Vollstreckungsordnungen gestatten im Gegenteil befugten Stellen den Zugang zu nichtöffentlichen Dateien. In Österreich27 und Spanien können die Gerichte Angaben zur Beschäftigungssituation des Schuldners aus den Sozialversicherungsregistern anfordern. In Portugal müssen die Gerichtsvollzieher erst die Genehmigung des Vollstreckungsgerichts einholen bevor sie Zugang zum Register erhalten. In Spanien und Schweden können die Vollstreckungsbehörden auch die Steuerregister direkt abfragen. In Slowenien können die Steuerbehörden Angaben zu einem bestimmten Steuerpflichtigen an andere staatliche Stellen, Behörden der kommunalen Selbstverwaltung und Amtsträger, die in Ausübung der ihnen gesetzlich übertragenen hoheitlichen Gewalt tätig werden, weitergeben. In Estland können Gerichtsvollzieher seit 2008 das Krankenversicherungs-, Sozialversicherungs- und das Wertpapierregister abfragen. In diesen Ländern hat sich die Effizienz der Vollstreckungsverfahren erheblich verbessert. Zudem werden Schulden gegenüber Privaten und Schulden gegenüber der öffentlichen Hand (zumindest bis zu einem gewissen Grad) gleichbehandelt. Das schwedische System, das den Vollstreckungsbehörden Zugang zum Sozialversicherungs- und Steuerregister gewährt, bietet dem Gläubiger bessere Informationsquellen als die Vermögensoffenbarung des Schuldners, da bei einer Registerabfrage die Kooperationsbereitschaft des Schuldners keine Rolle spielt. Mit einer Registerabfrage ist die Chance größer, dass rasch auf korrekte Angaben zugegriffen werden kann. Für den Gläubiger könnte dies ein effizientes Instrument sein, um an Informationen über seinen Schuldner zu gelangen, die er auf andere Weise nicht erhalten könnte.
Eine Registerabfrage könnte allerdings mit dem Datenschutz und dem Sozialversicherungs- und Steuergeheimnis in Konflikt geraten, insbesondere wenn es sich um sensible Daten handelt. Beim Zugang zu diesen Daten sollte daher den besonderen rechtlichen Voraussetzungen für die Verarbeitung sensibler Daten, die von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich sein können, Rechnung getragen werden.
- Frage 5: Sollten Vollstreckungsbehörden besseren Zugang zu den Sozialversicherungs- und Steuerregistern erhalten? Wenn ja, in welcher Form und in welchem Umfang?
3. Informationsaustausch zwischen Vollstreckungsbehörden
a) Derzeitiger Stand
Vollstreckungsbehörden haben derzeit keinen direkten Zugriff auf (nicht-öffentliche) Register anderer Mitgliedstaaten, die deren Vollstreckungsorganen offen stehen. Soweit Vollstreckungsorgane überhaupt Zugang zu diesen Registern haben, beschränkt sich dieser Zugang auf die eigenen Stellen. Es gibt derzeit keine internationale Regelung für den Informationsaustausch zwischen Vollstreckungsorganen aus verschiedenen Ländern28.
Das Kooperationsdefizit zwischen den Vollstreckungsbehörden und Vollstreckungsbeauftragten in Zivilsachen steht in deutlichem Widerspruch zu der engen Zusammenarbeit der Steuerbehörden in der Europäischen Union. Die Richtlinie 76/308/EWG über die Beitreibung von Forderungen aus dem Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft29 sieht einen direkten Informationsaustausch zwischen den nationalen Behörden vor. In den Anwendungsbereich dieser Richtlinie wurden inzwischen auch bestimmte Steuerforderungen aufgenommen30. In Artikel 4 der Richtlinie heißt es: "Auf Antrag der ersuchenden Behörde erteilt die ersuchte Behörde dieser alle Auskünfte, die ihr bei der Beitreibung einer Forderung von Nutzen sind." Die Anträge werden inzwischen elektronisch übermittelt31. Die ersuchte Behörde ist nicht verpflichtet, Auskünfte zu erteilen, mit denen ein Handels-, Gewerbe- oder Berufsgeheimnis preisgegeben würde oder deren Mitteilung die Sicherheit oder die öffentliche Ordnung des betreffenden Staates verletzen würde32.
b) Lösungsmöglichkeiten
Solange es keine Register auf europäischer Ebene gibt, könnte eine Option darin bestehen, die Zusammenarbeit zwischen den nationalen Vollstreckungsbehörden auszubauen und einen direkten Informationsaustausch einzurichten. Die Vollstreckungsbehörden eines Mitgliedstaats könnten dann die zuständigen Stellen in einem anderen Mitgliedstaat um Amtshilfe bitten. Die geltende Gemeinschaftsregelung für die Amtshilfe in Steuersachen könnte hier als Muster dienen.
Zu prüfen wäre auch, inwieweit das Binnenmarktinformationssystem (BIS) für den Informationsaustausch zwischen den mitgliedstaatlichen Vollstreckungsbehörden genutzt werden könnte. Das BIS wurde als elektronisches System für den Informationsaustausch zwischen den mitgliedstaatlichen Verwaltungen in allen Amtssprachen entwickelt und kann potenziell auf der Grundlage beliebiger Gemeinschaftsvorschriften eingesetzt werden.
Demzufolge könnten in einer EG-Regelung die Vollstreckungsbehörden der Mitgliedstaaten aufgelistet werden, die zur Abfrage von Registern anderer Mitgliedstaaten befugt sind. Für die Beantwortung von Auskunftsersuchen könnten Fristen festgesetzt werden, und es könnten in allen Amtssprachen standardisierte Anfrage- und Antwortformulare erstellt werden. Die Daten könnten weitgehend elektronisch übermittelt werden.
Wird diese Option weiterverfolgt, müsste überlegt werden, wie die beträchtlichen Unterschiede bei den Informationsmöglichkeiten der Vollstreckungsstellen überwunden werden können. In einigen Mitgliedstaaten33 unterstehen die Vollstreckungsorgane nicht der Verwaltung des Staates und haben in ihrem eigenen Mitgliedstaat keinen Zugang zu staatlich geführten Registern. Es ist ihnen deshalb nicht möglich, den Vollstreckungsbehörden anderer Mitgliedstaaten Registerauskünfte zu übermitteln.
Darüber hinaus muss bei Amtshilfeverfahren auch der Datenschutz beachtet werden.
- Frage 6: Sollte der Informationsaustausch zwischen Vollstreckungsbehörden verbessert werden? Wenn ja, wie?
4. Offenbarungsversicherung des Schuldners
a) Derzeitiger Stand
In vielen Mitgliedstaaten34 dürfen die Vollstreckungsorgane den Schuldner direkt zu seinen Vermögensverhältnissen befragen. In manchen Mitgliedstaaten erfolgt die Vermögensoffenbarung vor dem Vollstreckungsgericht. Der Schuldner wird zu einer Anhörung geladen und dort vom Richter (oder seinem Mitarbeiter) befragt35. Der Gläubiger kann ebenfalls Fragen stellen36. Auch eine kontradiktorische Befragung ist möglich, bei der der Schuldner für sein Vermögen einen Urkundsbeweis beibringen muss37. In anderen Mitgliedstaaten beschränkt sich die Vermögensoffenbarung hingegen auf das Ausfüllen eines Formulars38. In diesen Mitgliedstaaten hat die Erklärung des Schuldners keine Beweiskraft, sondern wird eher als Teil der Sachaufklärung der Vollstreckungsorgane angesehen.
Es gibt zwei verschiedene Arten der Vermögensoffenbarung: in dem einen Fall legt der Schuldner in seiner Erklärung sein gesamtes Vermögen offen, im anderen Fall ist die Offenbarungspflicht des Schuldners auf die Vermögenswerte beschränkt, die zur Befriedigung der Forderung ausreichen.
Die Voraussetzungen für die Erwirkung einer Vermögensoffenbarung sind in beiden Fällen ähnlich. In allen Mitgliedstaaten ist es der Gläubiger, der die Vermögensoffenbarung verlangt.
In der Regel erfolgt die Vermögensoffenbarung erst dann, wenn die Pfändung erfolglos war oder wenn eine Pfändung voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. In modernen Vollstreckungsordnungen muss der Schuldner seine Erklärung zu Beginn des Verfahrens abgeben damit die Vollstreckungsorgane frühzeitig über die notwendigen Informationen verfügen39. Ein fruchtloser Pfändungsversuch ist daher in diesem Fall keine Voraussetzung für die Vermögensoffenbarung.
Die Hauptschwierigkeit besteht bei der Offenbarungsversicherung darin, dass sie der Schuldner persönlich abgeben muss. Lehnt der Schuldner die Offenlegung seines Vermögens ab können die Vollstreckungsorgane (mit Unterstützung der Polizei) körperliche Gewalt anwenden und den Schuldner in Haft nehmen40. In Portugal können unkooperative Schuldner mit einer Geldstrafe belegt werden. In vielen anderen Mitgliedstaaten kann auch Haftstrafe bis zu einem oder sogar bis zu zwei Jahren angeordnet werden41. Die Abgabe einer unrichtigen oder falschen Erklärung ist strafbar42. In manchen Mitgliedstaaten muss die Erklärung daher in Form einer eidesstattlichen Versicherung abgegeben werden43.
Nicht alle Mitgliedstaaten kennen eine Offenbarungsversicherung44. Dies lässt sich damit erklären dass die Vermögensoffenbarung des Schuldners einer Vollstreckung gegen die Person gleichkommt und Freiheitsentzug zur Folge haben kann. Ein weiterer Grund besteht in der Rechtsnatur der Erklärung, die als Teil der Beweisaufnahme angesehen werden kann, insbesondere dann, wenn die Erklärung in einer Verhandlung vor dem Vollstreckungsgericht abgegeben wird. Da die Vollstreckungsorgane in den meisten Mitgliedstaaten mit römischer Rechtstradition klar vom Gerichtswesen getrennt sind, kann diese Art der Beweisaufnahme als mit dem Vollstreckungssystem unvereinbar angesehen werden. In anderen Mitgliedstaaten kann die Offenbarungsversicherung hingegen auch vom Gerichtsvollzieher oder einem anderen Vollstreckungsorgan abgenommen werden. Zudem ist die Verpflichtung des Schuldners zur Offenlegung seines Vermögens in Insolvenz- und ähnlichen Verfahren allgemein anerkannt45.
b) Lösungsmöglichkeiten
Wenn Maßnahmen auf Gemeinschaftsebene, die bei der Offenbarungsversicherung des Schuldners ansetzen, als nützlich und notwendig angesehen werden, um das Schuldnervermögen transparenter zu machen, wären folgende Optionen zu prüfen:
Eine Möglichkeit wäre eine gemeinschaftsweite Regelung, die die Mitgliedstaaten verpflichtet ein Verfahren für die Vermögensoffenbarung des Schuldners einzuführen, ihnen aber die Ausgestaltung dieses Verfahrens überlässt. Die Storme-Gruppe, die sich mit der Angleichung des Zivilprozessrechts in Europa befasst, hat ein Muster für eine solche Regelung ausgearbeitet46.
Mit einer solchen "Mindestharmonisierung" wären allerdings diverse Nachteile verbunden:
Die Unterschiede zwischen den nationalen Rechtssystemen würden weiter bestehen, eine Vermögensoffenbarung auf einem einheitlichen Formular wäre nicht möglich, und bei einem Verstoß gegen die Offenbarungspflicht wären die Sanktionen nach wie vor sehr uneinheitlich.
Bei der Einführung einer Offenbarungspflicht für den Schuldner müsste dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Rechnung getragen werden, d. h. es dürfen keine Angaben gefordert werden, die für den Zweck der Vermögensoffenbarung nicht erforderlich sind. Ist der Schuldner von Anfang an zur Offenlegung seines gesamten Vermögens verpflichtet, ist der Eingriff in seine Privatsphäre größer, als wenn er die erforderlichen Angaben nur dann machen müsste, wenn bestimmte Voraussetzungen gegeben sind.
c) Einführung einer europäischen Vermögenserklärung
Eine andere Option wäre die Einführung einer "europäischen Vermögenserklärung", die den Schuldner zur Offenlegung seines gesamten Vermögens, über das er im europäischen Rechtsraum verfügt, verpflichten würde. Die Transparenz des Schuldnervermögens sollte nicht durch das Territorialitätsprinzip beschränkt werden, das gemeinhin für Vollstreckungsverfahren in den Mitgliedstaaten gilt, denn im europäischen Rechtsraum, in dem der freie Verkehr gerichtlicher Entscheidungen gewährleistet ist, kann im Prinzip in das gesamte Schuldnervermögen vollstreckt werden47.
Die Erklärung könnte auf einem Standardformular abgegeben werden, das in allen EU-Amtssprachen erhältlich ist. Die Voraussetzungen für die Abgabe der Erklärung, der Inhalt der Erklärung und Sanktionen könnten durch Mindestvorschriften (oder gar durch eine einheitliche Gesamtregelung) geregelt werden. Gläubiger erhielten so innerhalb des europäischen Rechtsraums gleichen Zugang zu Vermögensinformationen, während für Schuldner einheitliche Schutzbestimmungen gälten. Gleichzeitig bestünde für die Gläubiger weniger Anlass, die Vollstreckung in dem Mitgliedstaat mit den besten Schuldnerinformationen zu betreiben.
Da nicht in die Organisation der Vollstreckungsorgane der Mitgliedstaaten eingegriffen werden sollte, könnte jeder Mitgliedstaat eine Stelle oder Behörde für die Entgegennahme der Erklärung bestimmen. Die Vermögensoffenbarung würde gegenüber dem Gläubiger oder der nach dem Recht der Mitgliedstaaten zuständigen Stelle (z.B. Gerichtsvollzieher, Vollstreckungsbehörde oder Vollstreckungsgericht) erfolgen.
Der Schuldner sollte die Offenbarungserklärung durch Angebot einer Zahlung oder Angabe von für die Vollstreckung ausreichenden Vermögenswerten abwenden können. Auch das Angebot einer Ratenzahlung, die durch eine Bankbürgschaft oder ähnliche Sicherheit gedeckt ist sollte den Schuldner von der Offenbarungspflicht befreien.
Der Schuldner sollte seine Erklärung auf einem Formblatt abgeben können. Soweit möglich, sollte dies durch einfaches Ankreuzen von Kästchen geschehen (z.B. Angabe, ob Vermögen einer bestimmten Kategorie vorhanden ist). Auf der Website des Europäischen Gerichtsatlas für Zivilsachen könnte auch ein Formular für eine Online-Erklärung bereitgestellt werden48.
Schließlich könnten bei Nichtbeachtung der Offenbarungspflicht Sanktionen vorgesehen werden. In Frage käme ein Zwangsgeld oder Zwangshaft. Gibt der Schuldner eine falsche Erklärung ab, könnte er strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden. Um den Schuldner nicht über Gebühr zu belasten, könnte auf die Veröffentlichung der Offenbarungsversicherung in einem öffentlichen Verzeichnis ("Schuldnerverzeichnis") verzichtet werden.
- Frage 7: Sollte Ihrer Meinung nach eine europäische Vermögenserklärung eingeführt werden?
- Frage 8: Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen sollte die Abgabe einer solchen Erklärung verlangt werden können? Sollten unzutreffende Aussagen in der Erklärung geahndet werden? Wenn ja, wie?
- Frage 9: Welches Maß an Rechtsangleichung halten Sie bei der europäischen Vermögenserklärung für angemessen? Wie sollte die europäische Vermögenserklärung inhaltlich aussehen?
5. Sonstige Maßnahmen
Zur Erhöhung der Transparenz des Schuldnervermögens wären unter Umständen weitere Maßnahmen denkbar.
- Frage 10: Welche anderen Maßnahmen könnten Ihrer Ansicht nach auf EU-Ebene ergriffen werden, um die Transparenz des Schuldnervermögens zu erhöhen?