Der Bundesrat hat in seiner 946. Sitzung am 17. Juni 2016 beschlossen, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Zu Artikel 1 (§ 4 NpSG)
Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren die in § 4 NpSG enthaltenen Strafvorschriften - insbesondere hinsichtlich der Strafrahmen - am Betäubungsmittelgesetz auszurichten und insoweit auf eine Anlehnung an die Straftatbestäns Arzneimittelgesetzes zu verzichten. Insbesondere erscheint eine Harmonisierung der Qualifikationstatbestände angezeigt.
Begründung:
Das geplante Gesetz dient der Bekämpfung der Verbreitung von neuen psychoaktiven Stoffen (NpS). Der Konsum von NpS ist mit häufig unkalkulierbaren und schwerwiegenden - teilweise sogar letalen - Gefahren verbunden (vgl. Einzelbegründung zu § 4 NpSG, Seite 18). In der Einzelbegründung zu § 4 NpSG, Seite 18 wird weiter ausgeführt, dass gerade die Weiterverbreitung von NpS eine Gefährdung fremder Rechtsgüter bewirke. Damit ist das geplante Gesetz seiner Grundkonzeption nach am ehesten mit dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) vergleichbar, welches zum Ziel hat, die medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen und zugleich den Missbrauch von Betäubungsmitteln sowie das Entstehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit soweit wie möglich auszuschließen (Weber, Kommentar zum BtMG, 4. Auflage 2013, § 1, Rn. 1). Zweck des Arzneimittelgesetzes (AMG) ist dagegen ausschließlich, im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung für die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln, insbesondere für die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Arzneimittel, zu sorgen ( § 1 AMG).
Die Notwendigkeit der Schaffung eines eigenständigen Gesetzes zur Bekämpfung der Verbreitung von NpS ergab sich insbesondere durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 10. Juli 2014 (verbundene Rechtssachen C-358/13 und C-181/14), demzufolge NpS in der Regel nicht unter den Arzneimittelbegriff der europäischen Arzneimittelrichtlinie 2001/83/EG fallen, die in der Bundesrepublik Deutschland durch das AMG umgesetzt wird. Bis dahin wurden NpS, deren Wirkstoffe nicht in den Anlagen zum BtMG erfasst waren und aufgrund des sogenannten Positivlistenprinzips nicht dem BtMG unterfielen, in der gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Praxis häufig als Straftaten nach §§ 95, 96 AMG eingestuft. Der EuGH führt in der oben genannten Entscheidung insbesondere aus, dass Stoffe, deren Wirkungen sich auf eine schlichte Beeinflussung der physiologischen Funktionen beschränken, ohne dass sie geeignet wären, der menschlichen Gesundheit unmittelbar oder mittelbar zuträglich zu sein, und die nur konsumiert werden, um einen Rauschzustand hervorzurufen und die dabei gesundheitsschädlich sind, nicht von der Arzneimittelrichtlinie erfasst werden und daher nicht unter den Begriff des Arzneimittels gefasst werden können.
Daraus ergibt sich, dass NpS gerade nicht mit Arzneimitteln vergleichbar sind, da bei diesen, wie in der Regel bei Betäubungsmitteln, nicht die Förderung der menschlichen Gesundheit, sondern das Hervorrufen eines Rauschzustands im Vordergrund steht und sie darüber hinaus auch gesundheitsschädlich sind. Der Markt für sogenannte "Legal Highs" boomt auch geraswegen, weil sie aus Konsumentensicht einen validen Ersatz für Betäubungsmittel darstellen und ihnen derzeit gesetzlich noch nicht hinreichend beizukommen ist.
Dennoch orientiert sich die Strafvorschrift des § 4 NpSG offensichtlich an den Normen der §§ 95, 96 AMG. Dies gilt insbesondere für den Strafrahmen des Grundtatbestands des § 4 Absatz 1 NpSG, der ebenso wie § 95 Absatz 1 AMG eine Höchststrafe von drei Jahren Freiheitsstrafe vorsieht. Auch die Qualifikationstatbestäns § 4 Absatz 3 Nummer 2 Buchstabe a und b NpSG entsprechen in Wortlaut und Strafrahmen dem § 95 Absatz 3 Nummer 1 Buchstabe a und b AMG (wobei es sich dort aber um Regelbeispiele eines besonders schweren Falles handelt).
Aus den oben genannten Gründen wäre es jedoch sinnvoller, sich bei den Strafvorschriften des § 4 NpSG an der Konzeption der §§ 29 ff. BtMG zu orientieren:
Insbesondere wäre eine Anpassung des Grundstrafrahmens an denjenigen des § 29 Absatz 1 BtMG (bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe) angezeigt. Der Strafrahmen orientiert sich derzeit erkennbar an der Regelung in § 95 AMG. Es gilt jedoch zu berücksichtigen, dass Stoffe, die in eine der Anlagen des BtMG aufgenommen werden, sofort eine Strafbewehrung von Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bedingen. Beim Vertrieb (im weiteren Sinne verstanden) ebenso gefährlicher Stoffe, bei denen der Gesetzgeber letztlich nur deshalb hinterherhinkt, weil er auf Anpassungen der chemischen Formeln durch den Täterkreis nicht rechtzeitig reagieren kann, dann aber nur mit einer Strafandrohung von maximal drei Jahren zu agieren, erscheint insoweit nicht plausibel.
Entschließt sich der Gesetzgeber nach der Entscheidung des EuGH dazu, ein neues Gesetz zu implementieren und nicht eine Lösung im BtMG zu suchen, dann sollte er sich gleichwohl vom BtMG leiten lassen. Sonst drohen auch Wertungswidersprüche. Im Betäubungsmittelrecht wäre der Strafrahmen bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe bereits bei dem bloßen Erwerb oder Besitz von "weichen Drogen" zum Eigenkonsum eröffnet. Derjenige, der aber gleich schädliche oder sogar noch deutlich schädlichere Substanzen in Umlauf bringt und damit (potenziell) Dritte schädigt, wäre demgegenüber privilegiert.
Ebenso sollte der Qualifikationstatbestand der Abgabe, Verabreichung oder Verbrauchsüberlassung an Minderjährige (§ 4 Absatz 3 Nummer 1 Buchstabe b NpSG) mit einem Strafrahmen von einem Jahr bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe an den des § 29a Absatz 1 Nummer 1 BtMG (Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr) angepasst werden.
Der bandenmäßige Handel mit NpS (§ 4 Absatz 3 Nummer 1 Buchstabe a NpSG) sollte, wie in § 30 Absatz 1 Nummer 1 BtMG, mit einer Mindestfreiheitsstrafe von zwei Jahren geahndet werden. Darüber hinaus erscheint es angezeigt, auch eine dem § 30 Absatz 1 Nummern 2 und 3 BtMG vergleichbare Regelung mit einer entsprechenden Mindestfreiheitsstrafe von zwei Jahren vorzusehen. Der Jugendschutz gebietet es, Personen, die sich gerade darauf fokussieren, NpS gewerbsmäßig an Minderjährige abzugeben, einer höheren Strafe zuzuführen. Ebenso besteht die Möglichkeit, dass NpS nicht nur die Gefahr des Todes oder eine schwere Schädigung an Körper oder Gesundheit bewirken, sondern gegebenenfalls auch (leichtfertig) den Tod verursachen. Auch in diesem Fall erscheint eine gesteigerte Strafandrohung, wie im BtMG, gerechtfertigt.
Außerdem sollte erwogen werden, auch im NpSG dem § 30a Absatz 2 BtMG vergleichbare Qualifikationstatbestände für das Bestimmen Minderjähriger zum Handel sowie für das Handeltreiben mit Waffen mit einer Mindestfreiheitsstrafe von fünf Jahren vorzusehen.
2. Zu Artikel 1 (§ 4
In Artikel 1 ist nach § 4 folgender § 4a einzufügen:
" § 4a Strafmilderung oder Absehen von Strafe
Das Gericht kann die Strafe nach § 49 Absatz 1 des Strafgesetzbuches mildern oder, wenn der Täter keine Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verwirkt hat, von Strafe absehen, wenn der Täter
- 1. durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens wesentlich dazu beigetragen hat, dass eine Straftat nach § 4, die mit seiner Tat im Zusammenhang steht, aufgedeckt werden konnte, oder
- 2. freiwillig sein Wissen so rechtzeitig einer Dienststelle offenbart, dass eine Straftat nach § 4 Absatz 3, die mit seiner Tat im Zusammenhang steht und von deren Planung er weiß, noch verhindert werden kann.
War der Täter an der Tat beteiligt, muss sich sein Beitrag zur Aufklärung nach Satz 1 Nummer 1 über den eigenen Tatbeitrag hinaus erstrecken. § 46b Absatz 2 und 3 des Strafgesetzbuches gilt entsprechend."
Begründung:
Neue psychoaktive Stoffe (NpS) sind - wie auch der Europäische Gerichtshof in seiner Grundsatzentscheidung vom 10. Juli 2014 (verbundene Rechtssachen C-358/13 und C-181/14) klargestellt hat - nicht mit Arzneimitteln vergleichbar. Wie in der Regel bei Betäubungsmitteln, steht bei diesen in erster Linie nicht die Förderung der menschlichen Gesundheit, sondern das Hervorrufen eines Rauschzustands im Vordergrund. Darüber hinaus sind die meisten der Stoffe zugleich gesundheitsschädlich. Der Markt für sogenannte "Legal Highs" boomt auch geraswegen, weil sie aus Konsumentensicht einen validen Ersatz für Betäubungsmittel darstellen und ihnen derzeit gesetzlich noch nicht hinreichend beizukommen ist.
Der Gesetzgeber beabsichtigt daher mit dem vorliegenden Gesetzentwurf auch zu Recht, aus Gründen des Gesundheitsschutzes die Verbreitung von NpS zu bekämpfen, nachdem deren Konsum mit häufig unkalkulierbaren und schwerwiegenden, einschließlich letalen, Gefahren verbunden ist (vgl. auch Allgemeiner Teil der Begründung zum Gesetzentwurf, Seite 12).
Aufgrund der deutlichen Regelungsnähe zum Betäubungsmittelstrafrecht erscheint es angezeigt, die dortige spezifische Kronzeugenregelung auch in das geplante Gesetz aufzunehmen. Dass § 31 BtMG im Rahmen der Bekämpfung der Betäubungsmittelkriminalität von Bedeutung ist (vgl. auch Patzak, Kommentar zum BtMG, 8. Auflage 2016, § 31, Rn. 9 ff. mit weiteren Nachweisen), hat der Gesetzgeber dadurch anerkannt, dass er trotz der Einführung des § 46b StGB an § 31 BtMG festgehalten hat (vgl. BT-Drucksache 016/6268, Seite 15).
Nachdem das NpSG diejenigen Verkehrskreise mit Strafe bedrohen will, die NpS in Umlauf bringen, der Vertrieb derartiger Produkte aber mittlerweile nicht mehr über die klassische Betäubungsmittelszene, sondern auch über das Internet oder Darknet sowie den Postversand erfolgt, erscheint es angezeigt, wie im Regelungsbereich des BtMG, einen Anreiz zur Aufklärungshilfe zu setzen. Der Anwendungsbereich des § 46b StGB ist aufgrund der dort genannten Voraussetzungen (das Vorliegen von Katalogtaten im Sinne von § 100a StPO) insoweit zu eng. Es besteht vielmehr ein Bedürfnis, auf allen Handelsebenen (also auch beim Kleindealer) einen Anreiz zur freiwilligen Offenbarung des eigenen Wissens zu schaffen, damit die abgeschotteten Strukturen aufgebrochen werden können.