A. Problem und Ziel
In der gerichtlichen Praxis hat sich der Einsatz von Videokonferenztechnik bisher nur zum Teil durchgesetzt. Dies beruht zum einen auf der vereinzelt noch fehlenden technischen Ausstattung der Gerichte, Justizbehörden und Anwaltskanzleien, überwiegend aber auch an der Anknüpfung der Verfahrensordnungen an das Einverständnis der Beteiligten zum Einsatz von Videokonferenztechnik.
Die Vorteile der verstärkten Nutzung des Einsatzes von Videokonferenztechnik im gerichtlichen Verfahren liegen jedoch auf der Hand: Durch die Bereitstellung und Nutzbarmachung dieser Technik durch die Justizverwaltung wird den Verfahrensbeteiligten in geeigneten Fällen die Gelegenheit geboten im gerichtlichen Verfahren ohne Reisetätigkeit durch die seitens der Justizverwaltung bereitgestellten Videokonferenzanlagen an gesetzlich vorgeschriebenen Anhörungen teilzunehmen. Der geringere zeitliche Aufwand für alle Beteiligten erleichtert die Terminierung von Anhörungen und trägt damit zu einer Verfahrensbeschleunigung und einer Erhöhung der Wirtschaftlichkeit bei.
Insbesondere fiele für die Justizverwaltung der Transport der in den Vollzugsanstalten inhaftierten Verurteilten zum gerichtlichen Anhörungstermin weg. Dies führt nicht nur dazu, dass Justizvollzugsbeamte und Gerichtswachtmeister weniger belastet werden, sondern führt zudem zu einem Wegfall des Sicherheitsrisikos, welches mit jedem Transport von Inhaftierten verbunden ist.
B. Lösung
Der Gesetzentwurf erweitert konsequent die Möglichkeiten der Nutzung von Videokonferenztechnik im Rahmen der gerichtlichen Anhörung von Verurteilten innerhalb der Strafvollstreckung, ohne das aus dem verfassungsrechtlich verbürgten Freiheitsgrundrecht und dem Gebot effektiven Rechtsschutzes ( Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes) folgende Recht des Verurteilten auf eine Anhörung, bei der sich der Richter ein möglichst umfassendes Bild von der zu beurteilenden Person verschafft, zu beeinträchtigen.
In der Strafvollstreckung bestimmt § 454 Absatz 2 Satz 4 StPO, dass die Anhörung des Sachverständigen unter Verzicht auf dessen persönliche Anhörung erfolgen kann. Für die in § 453 Absatz 1 Satz 3 und § 454 Absatz 1 Satz 4 StPO vorgesehene Anhörung des Verurteilten gilt dies, wenn der Verurteilte dem nach Belehrung nicht widerspricht.
Nach geltendem Recht ist ein Verurteilter vor einer gerichtlichen Entscheidung, die sich auf den Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung oder auf eine Aussetzung des Restes der noch zu verbüßenden Freiheitsstrafe zur Bewährung bezieht, durch das Gericht grundsätzlich mündlich anzuhören (§ 453 Absatz 1 Satz 4 und § 454 Absatz 1 Satz 3 StPO). Der Einsatz von Videokonferenztechnik ist im Gesetz für diesen Fall nicht geregelt und daher bislang allenfalls mit Zustimmung des Verurteilten möglich.
Bei diesen Anhörungen spielt der Aspekt der zeitlichen Verfügbarkeit für die zügige Abwicklung des Verfahrens und des wirtschaftlichen Einsatzes prozessualer Beteiligter eine erhebliche Rolle. Durch eingesparte Reisekosten und reduzierte Zeitaufwände werden die Verfahren insgesamt kostengünstiger werden.
Dem steht jedoch derzeit insbesondere entgegen, dass nur die wenigsten betroffenen Verurteilten einer Anhörung im Wege der Videokonferenz zustimmen. Dies resultiert insbesondere daraus, dass im Falle einer Abfrage keine Rückmeldung seitens der Verurteilten erfolgt. Das bloße Schweigen eines Verurteilten kann bislang nicht als Einverständnis gewertet werden. Um den Einsatz der Videokonferenztechnik umfangreicher zu nutzen, besteht daher gesetzgeberischer Handlungsbedarf.
Der Gesetzentwurf richtet die Strafprozessordnung daher umfassend auf die qualitativ hochwertigen technischen Möglichkeiten der Gegenwart aus und stellt zugleich normativ die Weichen für die Zukunft. Der verstärkte Einsatz von Videokonferenztechnik stellt ein Serviceangebot im Sinne einer zukunftsorientierten Justiz dar. Der Wirkungsgrad des Gesetzes, das auf die Gestaltung der Zukunft gerichtet ist, hängt dabei direktproportional vom Steigen des Ausstattungsgrades und der Akzeptanz der zeitgleichen Bild- und Tonübertragung in der forensischen Praxis ab.
Der Gesetzentwurf ist auch direkt gegenwartsorientiert, da sich gerade durch die COVID-19-Pandemie im Justizalltag die Notwendigkeit verstärkt hat, in geeigneten Fällen zur Eindämmung der Pandemie von direkten persönlichen Kontakten Abstand zu nehmen. Die in Pilotprojekten und Einzelfällen in diesem Feld bereits erprobte Nutzung von Videokonferenztechnik wäre auch in diesem Fall ein probates Mittel, um infektionsträchtige persönliche Kontakte zu vermeiden.
Letztlich wird auch in anderen Bereichen der Strafvollstreckung, namentlich nach § 115 Absatz 1a des Strafvollzugsgesetzes (StVollzG) die Anhörung unter Verzicht auf die persönliche Anwesenheit des Gefangenen ermöglicht.
C. Alternativen
Beibehaltung des gegenwärtigen Rechtszustandes unter Verzicht auf die zu erzielenden Optimierungspotentiale.
D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte
Der Kostenaufwand für die Umsetzung der geplanten Gesetzesänderung dürfte davon abhängen, in wie weit in den Gerichten und Justizvollzugsanstalten bereits eine Videokonferenztechnik vorgehalten wird, die den Anforderungen an eine sichere, datenschutzkonforme, stabile und einfach zu bedienende Kommunikation genügt. Auch muss die Videokonferenztechnik in den Justizvollzugseinrichtungen an einem für die Verteidigung zugänglichen Ort zum Einsatz kommen. Je nachdem ob bereits eine geeignete Videokonferenztechnik vorhanden ist, weil dies in der Vergangenheit, insbesondere im gerichtlichen Bereich, schon Voraussetzung für die Vernehmungen nach den §§ 58b, 233 Absatz 2, § 247a Absatz 1 StPO und für die Übertragungen aus dem oder in das Ausland nach dem IRG war, dürften Beschaffungsmaßnahmen und organisatorische Aufwände für die Ausstattung der Gerichte und Vollzugsanstalten von Bundesland zu Bundesland variieren. Die dadurch entstehenden Kosten würden jedoch perspektivisch dadurch ausgeglichen, dass Kosten für Transporte eingespart würden.
E. Sonstige Kosten
Keine.
F. Bürokratiekosten
Keine.
Gesetzentwurf des Bundesrates
Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung - Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen Verfahren bei der Anhörung von Verurteilten nach §§ 453 Absatz 1 Satz 4 und 454 Absatz 1 Satz 3, Absatz 2 Satz 3 StPOStPO
Der Bundesrat hat in seiner 992. Sitzung am 3. Juli 2020 beschlossen, den beigefügten Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 1 des Grundgesetzes beim Deutschen Bundestag einzubringen
Anlage
Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung - Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen Verfahren bei der Anhörung von Verurteilten nach §§ 453 Absatz 1 Satz 4 und 454 Absatz 1 Satz 3, Absatz 2 Satz 3 StPOStPO
Vom ...
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
Die Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), die zuletzt durch ... geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. § 453 wird wie folgt geändert:
- a) In Absatz 1 Satz 3 wird die Angabe " § 454 Absatz 2 Satz 4" durch die Angabe " § 454 Absatz 2 Satz 5" ersetzt.
- b) Nach Absatz 1 wird folgender Absatz 2 eingefügt:
(2) Das Gericht kann anordnen, dass die mündliche Anhörung des Verurteilten zeitgleich in Bild und Ton an den Ort, an dem sich der Verurteilte aufhält, und in das Sitzungszimmer übertragen wird. Die Anhörung im Wege der Übertragung in Bild und Ton ist unzulässig, wenn der Verurteilte ihr widerspricht. Das Gericht weist ihn zuvor auf die Möglichkeit eines solchen Verfahrens und des Widerspruchs hin und gibt ihm Gelegenheit, sich zu äußern.
- c) Der bisherige Absatz 2 wird Absatz 3.
2. § 454 wird wie folgt geändert:
- a) In Absatz 1 wird nach Satz 3 folgender Satz eingefügt:
" § 453 Absatz 2 gilt entsprechend."
- b) In Absatz 2 wird nach Satz 3 folgender Satz eingefügt:
"Das Gericht kann anordnen, dass die Anhörung des Sachverständigen unter Verzicht auf dessen persönliche Anwesenheit zugleich in Bild und Ton an die Orte, an denen sich der Verurteilte und die übrigen Verfahrensbeteiligten aufhalten, und in das Sitzungszimmer übertragen wird."
Artikel 2
Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.
Begründung
A. Allgemeiner Teil
Der Einsatz von Videokonferenztechnik in gerichtlichen Verfahren findet seinen Ausgangspunkt im strafprozessualen Zeugenschutz.
§ 247a StPO wurde im Jahr 1998 eingeführt (Gesetz vom 30. April 1998, BGBl. I S. 820 - Zeugenschutzgesetz). Im Jahr 2004 wurde die Zulässigkeit des Videoeinsatzes im Strafprozess auf den wichtigen Gedanken der Vermeidung des Beweismittelverlustes ausgedehnt: Die zeitgleiche Bild- und Tonübertragung vom Vernehmungsort in das Sitzungszimmer wird auch für den Fall zugelassen,
- - dass ein Zeuge, Sachverständiger oder Mitbeschuldigter für längere oder ungewisse Zeit nicht in der gerichtlichen Hauptverhandlung vernommen werden kann,
- - dass einem Zeugen oder Sachverständigen wegen großer Entfernung das Erscheinen in der Hauptverhandlung nicht zugemutet werden kann sowie
- - generell für den Fall des Einverständnisses von Staatsanwalt, Verteidiger und Angeklagtem (§ 247a in Verbindung mit § 251 Absatz 2 StPO, eingefügt durch das Gesetz vom 24. Juni 2004, BGBl. I. S. 1354 - Opferrechtsreformgesetz - und Gesetz vom 24. August 2004, BGBl. I S. 2198 - Justizmodernisierungsgesetz).
Auch in anderen Rechtsgebieten fand der Grundgedanke einverständlicher Vereinbarung der Videotechnik für zeitgleiche Bild- und Tonübertragungen Anklang, so zum Beispiel in der durch das Zivilprozessreformgesetz vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1887, geändert durch das Gesetz vom 22. März 2005, BGBl. I. S. 837) geschaffenen Vorschrift des § 128a Zivilprozessordnung, wonach das Gericht den Parteien, ihren Bevollmächtigten und Beiständen auf Antrag oder von Amts wegen gestatten kann, sich während der mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Die Verhandlung wird dabei zugleich in Bild und Ton an diesen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen.
An dieser Stelle ist anzumerken, dass der Bundesrat bereits in den Jahren 2007 und 2010 den Entwurf eines Gesetzes zur Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Verfahren (vgl. BR-Drucksachen 643/07(B) und 902/09(B) ) beim Deutschen Bundestag eingebracht hat. Der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages hatte zwar die Einführung der Videokonferenztechnik für zahlreiche andere in dem Gesetzentwurf genannte Bereiche befürwortet, sie jedoch für die Anhörung inhaftierter Verurteilter nach § 453 Absatz 1 Satz 3, § 454 Absatz 1 Satz 3 StPO abgelehnt. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass eine Anhörung im Wege der Videokonferenz den unmittelbaren persönlichen Eindruck von dem Verurteilten nicht ersetzen könne.
Es ist weiterhin zutreffend, dass die StPO eine verpflichtende mündliche Anhörung gerade in den Fällen vorsieht, in denen es um das Freiheitsgrundrecht geht und das Gericht eine schwierige Prognoseentscheidung zu treffen hat. Es muss die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten des Verurteilten im Vollzug, seine Lebensverhältnisse sowie die Wirkungen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind, im Wege einer "prognostischen Gesamtwürdigung" umfassend abwägen.
Es ist nicht auszuschließen, dass die Videokonferenztechnik bei Menschen, die der Technik gegenüber nicht aufgeschlossenen oder misstrauisch sind, Ängste auslösen oder Hemmungen verursachen kann. Auch wenn mit der Zunahme von "digital natives" diese Bedenken an Gewicht verlieren, können sich doch im Einzelfall Einbußen in der Kommunikation ergeben, entweder psychologisch durch die Situation des "Redens gegen eine Wand" ohne ein real existierendes menschliches Gegenüber oder qualitativ durch Einbußen bei der Übertragung von Bild- und Tonsignalen.
Aus dem verfassungsrechtlich verbürgten Freiheitsgrundrecht und dem Gebot effektiven Rechtsschutzes ( Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes) folgt deshalb ein Anspruch des Verurteilten auf eine Anhörung, bei der sich der Richter ein möglichst umfassendes Bild von der zu beurteilenden Person verschafft. Dem Verurteilten darf nicht die Möglichkeit genommen werden, sich persönlich vor dem Gericht zu "präsentieren", d.h. sich positiv darzustellen und einen etwaigen negativen Eindruck hinsichtlich seiner Person, der sich aus den Berichten der Justizvollzugsanstalt ergeben mag, zu revidieren. Primär arbeitsökonomischen oder fiskalischen Interessen gegenüber muss das Freiheitsgrundrecht grundsätzlich nicht zurücktreten (vergleiche OLG Frankfurt, NStZ-RR 2006, 357, beckonline).
Dem Grundrechtsschutz wird ausreichend dadurch Rechnung getragen, dass der Verurteilte einer vom Gericht intendierten Videoanhörung widersprechen kann. Denn eine Videoanhörung kann für den Verurteilten auch Vorteile haben, weil ihm nicht nur der Gefangenentransport erspart bleibt, sondern auch die stigmatisierende Wirkung einer Fesselung, die unbewusst in die vom Gericht zu treffende Prognoseentscheidung eingehen kann (vergleiche dazu Esser, NStZ 2003, 464, beckonline).
Aufgrund der fortgeschrittenen technischen Möglichkeiten bei einer Anhörung im Wege der Videokonferenz handelt es sich bei modernen Videokonferenzen inzwischen nämlich um eine Anhörung, die aufgrund ihrer technischen Möglichkeiten den persönlichen Eindruck im erforderlich erscheinenden Umfang grundsätzlich ermöglichen. In der forensischen Praxis wird die Videokonferenz zudem gerade aktuell aufgrund der COVID-19-Pandemie in nahezu allen justiziellen in Bereichen eingesetzt. Mit Zustimmung der Betroffenen erfolgt dies auch bei gesetzlich vorgeschriebenen Anhörungen.
Aus heutiger Sicht sprechen jedoch noch weitere tragende Argumente für die vorgeschlagene Regelung:
- a) Der Einsatz von Videokonferenztechnik im Rahmen der Anhörungen von in Strafhaft inhaftierten Verurteilten wurde bereits forensisch auf freiwilliger Basis erfolgreich erprobt. Er wurde z.B. beim Landgericht Hannover bereits pilotiert. In denjenigen Fällen, in denen die Verurteilten der jeweiligen Anhörung im Wege der Videokonferenz zugestimmt hatten, wurden die damit gemachten Erfahrungen von gerichtlicher Seite ausnahmslos positiv bewertet.
- b) Der Einsatz von Videokonferenztechnik kommt in der aktuellen Pandemie nicht nur in der Politik, in der privaten Wirtschaft und anderen Bereichen, sondern auch vermehrt im justiziellen Bereich zum Einsatz, weshalb bei der neuerlichen Gesetzesinitiative der technischen Entwicklung und den erlangten positiven Erfahrungswerten Rechnung zu tragen ist.
- c) Auch im Rahmen der internationalen Rechtshilfe kommt die Vernehmung im Wege der Videokonferenz längst erfolgreich im Rahmen der Beweisgewinnung zum Einsatz. Durch den vermehrten Einsatz wurden auch in der Vergangenheit aufgetretene Schwierigkeiten technischer und organisatorischer Art weiter minimiert. Zum Beispiel erlaubt § 247a Absatz 1 Satz 1 StPO in Verbindung mit § 251 Absatz 2 StPO die audiovisuelle Vernehmung im Ausland befindlicher Zeugen während laufender Hauptverhandlung mittels zeitgleicher Bild- und Tonübertragung. Über die Verweisungsvorschrift des § 77 IRG auf die deutsche Strafprozessordnung kann auch ein ausländischer Staat unterstützt werden und Vernehmungen können in Deutschland, soweit dies in dem jeweiligen Einzelfall gesetzlich zulässig ist, durchgeführt werden.
- d) § 247a StPO ermöglicht zudem die Vernehmung von Zeugen im Wege der Videokonferenz, wenn die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen besteht, wenn er in Gegenwart der in der Hauptverhandlung Anwesenden vernommen wird.
§ 58b StPO ermöglicht ebenso die Vernehmung eines Zeugen außerhalb der Hauptverhandlung im Wege der Videokonferenz, ohne dass dies des Einverständnisses der Verfahrensbeteiligten bedürfte und ohne dass eine Anfechtungsmöglichkeit gegeben ist.
Der unmittelbare persönliche Eindruck von Zeugen in den vorgenannten Fällen ist gegenüber dem Eindruck aus der Anhörung von in Strafhaft inhaftierten Verurteilten vor einer Entscheidung über eine Reststrafenaussetzung zur Bewährung nicht weniger wichtig. Gerade der persönliche Eindruck von einem Zeugen, dessen Aussage von erheblichem Einfluss für die spätere gerichtliche Entscheidung sein kann, ist von herausragender Bedeutung. Wenn dieser Eindruck nach der gesetzgeberischen Wertung auch im Wege der Videokonferenz erlangt werden kann, muss dies für rechtskräftig verurteilte Straftäter, die der Justiz überdies schon bekannt sind, erst recht gelten.
- e) § 233 Absatz 2 Satz 3 StPO ermöglicht zudem die Vernehmung eines Angeklagten im Wege der Videokonferenz in der Weise, dass die Vernehmung in das Sitzungszimmer übertragen wird. Wieso der unmittelbare persönliche Eindruck eines Angeklagten, für den überdies die Unschuldsvermutung gilt, weniger bedeutend sein soll, als der eines rechtskräftig verurteilten Straftäters, ist an dieser Stelle nicht ersichtlich.
- f) Nicht zuletzt ist zu berücksichtigen, dass nach verbreiteter derzeitiger Verfahrenspraxis die Vorführung eines in Strafhaft inhaftierten Verurteilten durch die betreffende Justizvollzugsanstalt bei Gericht erforderlich ist. Dies erfordert regelmäßig einen erheblichen organisatorischen, technischen und personellen Aufwand für die Justizvollzugsbeamten der JVA und führt zu einer Belastung des Wachtmeisterdienstes bei den jeweiligen Gerichten. Zudem birgt jeder Transport ein potentielles Sicherheitsrisiko in sich. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den Inhaftierten häufig um Personen handelt, die wegen schwerer Kapital- oder Gewaltdelikte verurteilt worden sind. In Einzelfällen führt dies sogar dazu, dass Einzeltransporte mit bewaffnetem Personal zu organisieren sind. Insoweit sind durchaus Fälle bekannt, in welchen die Verurteilten in der JVA zur Anhörung aufgesucht worden sind, weil das Transportrisiko als zu hoch eingeschätzt wurde.
- g) Die aktuelle COVID-19-Pandemie zeigt überdies, dass derartige Ereignisse zu jeder Zeit und unerwartet auftreten können. In diesen Fällen besteht das dringende tatsächliche Bedürfnis alltägliche Dienstgeschäfte auf ein Mindestmaß an persönlichen Kontakten zu beschränken, da eine solche Beschränkung geeignet ist, eine Ausbreitung der Pandemie zu verhindern oder zu minimieren.
B. Besonderer Teil
Zu Artikel 1 (Änderung der StPO)
Zu Nummer 1
Zu Buchstabe a (§ 453 Absatz 1 Satz 3 StPO)
Es handelt sich um eine redaktionelle Folgeänderung.
Nach Artikel 1 Nummer 2 Buchstabe b wird aufgrund der Einfügung eines neuen Satzes 3 in § 454 Absatz 2 StPO der bisherige § 454 Absatz 2 Satz 4 StPO nunmehr zu § 454 Absatz 2 Satz 5 StPO. Daher ist der in § 453 Absatz 1 Satz 3 StPO enthaltene Verweis redaktionell anzupassen.
Zu Buchstabe b (§ 453 Absatz 2 - neu - StPO)
Für nachträgliche Entscheidungen, die sich auf eine Strafaussetzung zur Bewährung oder eine Verwarnung mit Strafvorbehalt beziehen, sieht das Gesetz lediglich rechtliches Gehör, nicht aber die Form vor, in der es gewährt werden kann. Der neue Absatz 2 des § 453 StPO erweitert die Handlungsmöglichkeiten des Gerichts auf die Anordnung einer Anhörung im Wege der zeitgleichen Bild- und Tonübertragung, wenn der Verurteilte dem nach Belehrung nicht widerspricht. Dies gilt auch für die vorgesehenen Soll-Anhörungen für den Fall des drohenden Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung.
Zu Buchstabe c (§ 453 Absatz 3 StPO)
Folgeänderung aufgrund der Änderung in Buchstabe b.
Zu Nummer 2
Zu Buchstabe a (§ 454 Absatz 1 Satz 4 - neu -)
Der neue Satz 4 des Absatzes 1 eröffnet die Möglichkeit der Anordnung der Anhörung im Wege der zeitgleichen Bild- und Tonübertragung unter Verzicht auf eine Vorführung auch in den höchst praxisrelevanten Fällen der Reststrafenaussetzung zur Bewährung. Dies ist vor allem in den Fällen der beabsichtigten Ablehnung einer Reststrafenaussetzung eine erhebliche Verfahrenserleichterung für die Strafvollstreckungskammern und eine wichtige, sicherheits- und aufwandsrelevante Vereinfachung für die Vollzugsanstalten und die Justizwachtmeister. Die Anordnung steht im Ermessen des Gerichts, das den Verurteilten zuvor auf die Möglichkeit eines solchen Verfahrens und das Widerspruchsrecht hinweisen muss. Letztlich schafft dies nicht nur die volle Anordnungsfähigkeit des Gerichts, sondern eröffnet zugleich den Landesjustizverwaltungen nicht zu unterschätzende Einsparungspotenziale.
Zu Buchstabe b (§ 454 Absatz 2 Satz 4 - neu - StPO)
Die Ergänzung des Absatzes 2 ermöglicht es in diesen Verfahren, auch die Einbeziehung eines Sachverständigen im Wege der Bild- und Tonübertragung vorzunehmen.
Insoweit bedarf es eines Widerspruchsrechts nicht, denn der Sachverständige hat den Verurteilten bereits im persönlichen Kontakt exploriert, bei komplexen Fragestellungen und einem bislang unbekannten Probanden meist sogar über mehrere Termine (vergleiche Empfehlung der interdisziplinären Arbeitsgruppe für Mindestanforderungen an Prognosegutachten, NStZ 2006, 537, beckonline). Die mündliche Anhörung dient nicht mehr der Überzeugungsbildung des Sachverständigen, sondern der Wahrung des rechtlichen Gehörs vor der Verwertung des Gutachtens durch das Gericht (vergleiche BVerfG, NJW 1964, 293, beckonline.). Es muss dem Verurteilten möglich sein, tatsächliche Behauptungen gegebenenfalls zu widerlegen oder zu entkräften. Dem Verurteilten und seinem Verteidiger ist deshalb vom Gericht zu ermöglichen, das Gutachten sowie die diesem zugrundeliegende Methodik zu diskutieren, es in Frage zu stellen und zu den Ausführungen Stellung zu nehmen (vergleiche Esser, NStZ 2003, 464, beckonline). Dies ist auch im Wege einer Videokonferenz möglich.
Zu Artikel 2 (Inkrafttreten):
Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes. Übergangsvorschriften sind nicht erforderlich.