Bundesministerium für Arbeit und Soziales Berlin, 28. Juni 2019
Parlamentarische Staatssekretärin
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Daniel Günther
Sehr geehrter Herr Bundesratspräsident,
der Bundesrat hat in seiner 958. Sitzung am 2. Juni 2017 zum Gesetz zur Verbesserung der Sachaufklärung in der Verwaltungsvollstreckung die Bundesregierung gebeten, den bestehenden Widerspruch zwischen den Datenerhebungsrechten des Gerichtsvollziehers nach den §§ 755 und 8021 der Zivilprozessordnung (ZPO) und den Übermittlungsbefugnissen der Stellen nach § 74a Absatz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) und der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 74a Absatz 2 SGB X durch die Streichung der Wertgrenze von 500 Euro aufzulösen.
Hintergrund der Wertgrenzen in § 74a Absatz 1 und Absatz 2 SGB X ist das in § 35 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch verankerte Sozialgeheimnis. Es konkretisiert das bereits verfassungsrechtlich geschützte Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz) und bildet das Gegengewicht dazu, dass die Sozialversicherung in der Regel eine Pflichtversicherung ist. Der Einzelne hat nicht die Wahl, ob seine Sozialdaten erhoben oder ohne seine Einwilligung auf sonstige Weise verarbeitet werden. Dies gilt insbesondere, wenn er auf existenzsichernde Leistungen (ALG II, Sozialhilfe) angewiesen ist. Einschränkungen dieses Schutzes bedürfen einer Rechtfertigung anhand einer Güterabwägung.
Nach nochmaliger Prüfung der Sach- und Rechtslage wird davonausgegangen, dass das Interesse des Schuldners an der Geheimhaltung seiner Sozialdaten gegenüber dem Interesse des Gläubigers an der Vollstreckung seiner Forderung nicht überwiegt. Zur Vollstreckung von Forderungen ist sogar der Freiheitsentzug gemäß § 802g ZPO zulässig. Da die Übermittlung der Kontaktdaten des Schuldners und seines Arbeitgebers sowie des Aufenthaltsorts des Schuldners, auch wenn es sich bei diesen Informationen um Sozialdaten handelt, verglichen mit einem Freiheitsentzug einen wesentlich schwächeren Grundrechtseingriff darstellt, ist die Streichung der Bagatellgrenzen in § 74a SGB X gerechtfertigt. Zumal eine Übermittlung nach § 74a Absatz 1 oder Absatz 2 SGB X weiterhin nur erfolgen kann, soweit kein Grund zu der Annahme besteht, dass dadurch schutzwürdige Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt werden. Mit der Änderung werden bestehende Wertungswidersprüche im Bereich der Zwangsvollstreckung beseitigt.
Vor diesem Hintergrund bestehen keine Bedenken gegen die Streichung der Bagatellgrenzen in § 74a Absatz 1 und Absatz 2 SGB X zur Durchsetzung von öffentlichrechtlichen Forderungen, die weniger als 500 Euro betragen, sowie zur Vollstreckung von Forderungen durch Gerichtsvollzieher. Die Bundesregierung wird, sobald wie möglich, eine entsprechende Gesetzesänderung in einem geeigneten Gesetzgebungsvorhaben vorschlagen.
Mit ausgezeichneter Hochachtung
Kerstin Griese
Siehe Drucksache 392/17(B)