Europäische Kommission
Brüssel, den 7.5.2012
C(2012) 2674 final
Herrn Prof. Dr. Horst Seehofer
Bundesratspräsident
Leipziger Straße 3 - 4
D-10117 Berlin
Sehr geehrter Herr Bundesratspräsident,
die Kommission dankt dem Bundesrat für seine Unterstützung des Kommissionsvorschlags zur Finanztransaktionssteuer ( KOM (2011) 594 endg.) und bittet, die verspätete Antwort zu entschuldigen.
Die Rechtsgrundlage für diesen Vorschlag ist der Artikel 113 AEUV, der die Harmonisierung der Rechtsvorschriften über die indirekten Steuern bezweckt, soweit letztere für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes und die Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen erforderlich ist. Der Vorschlag geht nicht über das hinaus, was zur Verwirklichung dieses Ziels notwendig ist. So enthält er nur die grundlegenden Maßnahmen, die für die Vermeidung einer Störung des Binnenmarktes und insbesondere von durch Doppel- oder Nichtbesteuerung verursachten Wettbewerbsverzerrungen notwendig sind. Aus dem gleichen Grund hat die Kommission wie im Bereich der indirekten Steuern üblich, Mindestsätze vorgeschlagen. Mit erheblichen Steuersatzunterschieden zwischen den Mitgliedstaaten ist angesichts der Art der steuerpflichtigen Transaktionen nicht zu rechnen: zu hohe oder erheblich divergierende Sätze würden massive Marktreaktionen oder Standortwechsel innerhalb der EU zur Folge haben.
Zu den übrigen vom Bundesrat angesprochenen Punkten möchte die Kommission wie folgt Stellung nehmen:
- - Alle miteinander vergleichbaren Finanzinstrumente sollen besteuert werden, um Verzerrungen zu vermeiden. Was die Bemessungsgrundlage und die Steuersätze anbelangt, so hat die Kommission zwischen Transaktionen im Zusammenhang mit Derivaten und anderen steuerpflichtigen Transaktionen unterschieden. Beide Transaktionsformen weisen unterschiedliche Wesensmerkmale auf und werden auf eine Besteuerung unterschiedlich reagieren. Zudem hat die Kommission im Interesse einer direkten und unmittelbaren Anwendung der Steuer die Besteuerung der Derivate zum Nennwert vorgeschlagen, was zu einer deutlich höheren tatsächlichen Steuerlast im Vergleich zu anderen Finanzinstrumenten führen könnte, wenn dieser Umstand nicht durch niedrigere Steuersätze korrigiert würde.
- - Die Kommission hat sich bei der Bestimmung, welche Finanzinstrumente und -institute unter den Vorschlag fallen sollen, so weit wie möglich an bestehende einschlägige (Regulierungs)Vorschriften angelehnt. Allerdings verfolgen Rechtsvorschriften, die der Regulierung dienen, andere Ziele als Steuervorschriften, so dass einige zusätzliche Begriffsbestimmungen (z.B. zu Finanzinstituten) erforderlich waren. Der Anwendungsbereich der vorgeschlagenen harmonisierten Steuer muss so umfassend wie möglich sein, um Verzerrungen zu vermeiden. Der Vorschlag konzentriert sich auf die Festlegung einer einheitlichen Struktur für die Steuer und einheitlicher Vorschriften für das Entstehen des Steueranspruchs, damit die Regelung auf EU-Ebene funktioniert. Damit lässt der Vorschlag den Mitgliedstaaten einen ausreichenden Spielraum bei der Festlegung der Einzelheiten u.a. in Bezug auf die Zahlung der Steuer und die Durchsetzung der Steuerpflicht. Die wichtigsten Pflichten der Mitgliedstaaten sind allerdings in der vorgeschlagenen Richtlinie selbst festgelegt. Der Vorschlag enthält auch einige spezifische Vorschriften, die gewährleisten sollen, dass die Finanztransaktionssteuer von den steuerpflichtigen Finanzinstituten unabhängig davon, ob sie im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats niedergelassen sind oder nicht, tatsächlich gezahlt wird. Dazu zählt insbesondere die gesamtschuldnerische Haftung für die Entrichtung der Steuer (Artikel 9 Absatz 3 des Kommissionsvorschlags). Außerdem wären die Mitgliedstaaten angehalten, nötigenfalls die verfügbaren Instrumente der Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden zu nutzen.
- - Dem Vorschlag zufolge beruht das Besteuerungsrecht der Mitgliedstaaten auf dem Ansässigkeitsprinzip, da dieser Grundsatz in Bezug auf die Besteuerung ausgewogener erscheint als die Alternativlösungen. Die vorgesehene Systematik der Steuer hat zur Folge, dass die Steuer an beiden Enden der Transaktion fällig wird, wenn an beiden Enden der Transaktion ein (mutmaßlich) in der EU ansässiges Finanzinstitut beteiligt ist. Sie wird nur an einer Seite fällig, wenn nur ein solches Finanzinstitut beteiligt ist.
- - Eine Doppelbesteuerung aufgrund der kumulativen Anwendung der harmonisierten Finanztransaktionssteuer und von Drittlandssteuern müsste auch im Interesse einer stärker weltumspannenden Anwendung dieser Steuer in den entsprechenden Gremien und Übereinkommen behandelt werden.
- - Es gilt als weitgehend unumstritten, dass eine moderne (indirekte) Steuer breit angelegt sein und nur wenige Ausnahmen zulassen sollte, um niedrige Steuersätze zu ermöglichen. Dieser Ansatz führt ferner zu mehr Steuerneutralität und vermeidet Wettbewerbsverzerrungen und eine Umgehung der Steuer. Das gilt wegen der großen Bandbreite der auf den betreffenden Märkten vertretenen "Finanz-"Institute und der großen Zahl von - vielfach untereinander substituierbaren - Instrumenten besonders für die Finanztransaktionssteuer. Ausnahmen sollten daher auf ein Minimum beschränkt werden. In dem Vorschlag sind sie deshalb lediglich bei (potenziellen) Konflikten mit Regulierungszielen (z.B. zentrale Clearing-Institute sind ausgenommen), wegen des besonderen Rechtsstatus von Einrichtungen der Union (z.B. Europäische Investitionsbank) oder anderen internationalen Einrichtungen oder zum Schutz der Geldpolitik (Transaktionen mit der Europäischen Zentralbank und Zentralbanken der Mitgliedstaaten sind ausgenommen) vorgesehen. Außerdem gibt es gute Gründe, Primärmarkttransaktionen grundsätzlich von den harmonisierten Regeln auszunehmen, um die Aufnahme von Kapital durch die Ausgabe von Anteilen und Anleihen nicht zu beeinträchtigen. Zudem sollte die harmonisierte Finanztransaktionssteuer die Geldaufnahme der öffentlichen Hand nicht anders behandeln als die Geldaufnahme Privater. Deshalb bleiben Primärmarkttransaktionen in Verbindung mit Anleihen unabhängig davon, ob sie der Finanzierung öffentlicher oder privater Emittenten dienen, vom Anwendungsbereich der vorgeschlagenen Steuer ausgenommen. Sämtliche Sekundärmarkttransaktionen werden hingegen grundsätzlich von der Steuer erfasst.
Die Kommission hofft, dass diese Erläuterungen zu einer Klärung der in der Stellungnahme aufgeworfenen Punkte beitragen, und sieht der Fortsetzung des politischen Dialogs mit dem Bundesrat erwartungsvoll entgegen.
Mit freundlichen Grüßen
MaroS Seycovic
Vizepräsident
Siehe Drucksache 588/11(B)