Der Bundesrat hat in seiner 980. Sitzung am 20. September 2019 beschlossen, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Zu Artikel 1 Nummer 1 Buchstabe b ( § 176 Absatz 6 StGB)
Artikel 1 Nummer 1 Buchstabe b ist wie folgt zu fassen:
"b) In Absatz 6 werden die Wörter "Absatz 4 Nr. 3 und 4 und" gestrichen."
Begründung:
Bislang ist der Versuch des sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 StGB in den Fällen des Absatzes 4 Nummer 3 und 4 nicht strafbar (vergleiche § 176 Absatz 6 StGB). Nach dem Gesetzentwurf soll durch die Änderung des § 176 Absatz 6 StGB(nur) im Hinblick auf das Cybergrooming (§ 176 Absatz 4 Nummer 3 StGB) eine Versuchsstrafbarkeit für die Konstellationen des untauglichen Versuchs eingeführt werden, in denen der Täter irrig annimmt, auf ein Kind einzuwirken. Die hiermit beabsichtigte Verbesserung des Schutzes von Kindern im Internet und einer Stärkung der Strafverfolgung pädophiler, Kindern nachstellender Täter ist nachdrücklich zu begrüßen und zu unterstützen.
Zur Erreichung der vorgenannten Ziele geht der Gesetzentwurf jedoch nicht weit genug.
Über § 176 Absatz 6 Satz 3 StGB-E hinausgehend ist es zunächst geboten, den Versuch des Cybergroomings (§ 176 Absatz 4 Nummer 3 StGB) generell unter Strafe zu stellen. Im Interesse eines effektiven Kinderschutzes überzeugt es nicht, nur jene Versuchskonstellationen unter Strafe zu stellen, in denen bei der Tat auf Opferseite kein Kind beteiligt war, nicht jedoch auch solche Sachverhalte, in denen der Täter zu einem Einwirkungsversuch gegenüber einem Kind ansetzt, dieser Versuch das Kind aber - insbesondere aus technischen Gründen - nicht erreicht. Insgesamt erscheint es wertungswidersprüchlich, eine Versuchsstrafbarkeit ausschließlich für den Sonderfall des untauglichen Versuchs an einem untauglichen "Objekt" zu schaffen, während der taugliche Versuch - auch derjenige gegenüber einem tauglichen Tatopfer - nicht strafbar bleibt.
Darüber hinausgehend ist es angezeigt, die Versuchsstrafbarkeit auch auf die Fälle des § 176 Absatz 4 Nummer 4 StGB zu erstrecken. Mit Blick auf die gleichgelagerten Schutzinteressen und den vergleichbaren Unrechtsgehalt der Tat erweist es sich als sachgerecht, insoweit entsprechend zu verfahren, zumal eine trennscharfe Abgrenzung der in § 176 Absatz 4 Nummer 3 StGB und des § 176 Absatz 4 Nummer 4 StGB geregelten Phänomene in der Praxis oft nicht möglich ist und das in § 176 Absatz 4 Nummer 3 StGB statuierte Absichtserfordernis Nachweisschwierigkeiten bereiten kann. Insbesondere treten auch bei § 176 Absatz 4 Nummer 4 StGB strafwürdige Fälle auf, die mangels Versuchsstrafbarkeit bislang nicht als Fall des sexuellen Missbrauchs geahndet werden können. Das betrifft insbesondere die Fälle, in denen der Täter irrig annimmt, auf ein Kind einzuwirken.
Zu denken ist an die Zugänglichmachung pornografischer Inhalte an sich als Kinder ausgebende Ermittlungspersonen, ferner an Fälle, in denen die Eltern für ihre Kinder einen inkriminierenden Chat übernommen haben oder in denen auf dem Computer des Täters entsprechende Chataufzeichnungen festgestellt werden, die sich nicht ermittelbaren Personen zuordnen lassen. In all diesen Fällen scheidet eine tatbestandliche Einwirkungshandlung aus, da hierzu ein Kind den pornografischen Inhalt tatsächlich sinnlich wahrgenommen haben muss. In solchen Fällen liegt lediglich eine Versuchskonstellation vor, die aber nach bisheriger Fassung des § 176 Absatz 6 StGB und auch nach der im Gesetzentwurf vorgesehenen Neuregelung straflos ist. Derartige Fälle können auch nicht sämtlich über § 184 Absatz 1 Nummer 1 bzw. Nummer 6 StGB (angemessen) erfasst werden. Zudem verbindet sich mit letztgenannter Vorschrift ein wesentlich geringerer Unrechtsgehalt, was sich auch in dem deutlich niedrigeren Strafrahmen niederschlägt.
Eine unangemessene Vorverlagerung der Strafbarkeit ist mit der hier vorgesehenen Einführung einer (allgemeinen) Versuchsstrafbarkeit für Fälle nach § 176 Absatz 4 Nummer 3 und 4 StGB nicht verbunden. Eine solche Regelung erweitert den Bereich strafbaren Verhaltens zeitlich und sachlich nur in eng begrenztem Umfang (vergleiche § 22 StGB). Angesichts der überragenden Bedeutung des Schutzes einer ungestörten Entwicklung von Kindern erweist sich eine solche (moderate) Ausdehnung insgesamt auch als verhältnismäßig.
2. Zu Artikel 1 Nummer 2a - neu - (§ 184b Absatz 5 Satz 2 - neu - StGB)
Nach Artikel 1 Nummer 2 ist folgende Nummer 2a einzufügen:
"2a. Dem § 184b Absatz 5 wird folgender Satz angefügt:
"Absatz 1 Nummer 1 und 4 gelten nicht für dienstliche Handlungen im Rahmen von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und für die Erfüllung von Aufgaben, die sich aus Vereinbarungen mit Strafverfolgungsbehörden ergeben, soweit sie sich jeweils auf Schriften beziehen, die lediglich ein fiktives oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergeben." '
Begründung:
Die mit dem Gesetzentwurf beabsichtigte Verbesserung des Schutzes von Kindern vor sexueller Ausbeutung erfordert eine gesetzliche Regelung der sogenannten Keuschheitsprobe beim Einsatz Verdeckter Ermittler bei strafrechtlichen Ermittlungsverfahren im Bereich der Kinderpornografie.
Eine besonders große Herausforderung für die Strafverfolgungsbehörden im Bereich Kindesmissbrauch stellen Täter dar, die schwerste Straftaten zum Nachteil schutzloser Opfer im Schutze der Anonymität des Internets begehen. Es finden insbesondere Verbrechen zum Nachteil von Kindern statt, die in Bild und Ton festgehalten werden. In verborgenen Foren wird dieses kinderpornografische Material an einen Kreis von "interessierten Mitgliedern" verteilt. Derartige Benutzerforen funktionieren dabei wie eine Art Tauschbörse, bei der diejenigen, die neu in den Kreis aufgenommen werden wollen oder dabei bleiben wollen, sich als vertrauenswürdig beweisen müssen. Dazu müssen sie ihrerseits kinderpornografische Schriften, also zum Beispiel Bilder und Videos, im Forum hochladen und sich damit wegen Verbreitung kinderpornografischer Schriften nach § 184b StGB strafbar machen (sogenannte Keuschheitsprobe). Gerade neu hergestelltes kinderpornografisches Material steht im Mittelpunkt des Interesses. In vielen Fällen liegt deshalb auf der Hand, dass hinter den Bild- und Videoaufnahmen anhaltende Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs stehen, deren Unterbindung primäres Ziel weiterer polizeilicher und staatsanwaltschaftlicher Bemühungen sein muss.
Nach heutiger Rechtslage dürfen die in den Foren eingeschleusten Verdeckten Ermittler in Deutschland keine sogenannten Keuschheitsproben ablegen, weil sie - als Teil der staatlichen Strafverfolgung - keine Straftaten begehen dürfen. Dies gilt auch dann, wenn dies ausschließlich der Festigung ihrer Tarnung oder weiterführenden Ermittlungszwecken dient. Denn es gilt der rechtsstaatliche Grundsatz, dass die staatlichen Ermittlungsbehörden Taten aufklären und nicht selbst begehen sollen. Unbestritten ist dieser Grundsatz von großer Bedeutung in einem wehrhaften Rechtsstaat, weil er maßgeblich zum Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Strafverfolgungsorgane wie Polizei und Staatsanwaltschaft beiträgt. Gerät er in Konflikt mit zum Beispiel verfassungsrechtlichen Schutzpflichten des Staates zugunsten von Leib und Leben, bedarf es aber einer behutsamen Abwägung durch den Gesetzgeber.
Als Lösung kommt die gesetzlich eng begrenzte Zulassung von Keuschheitsproben für Verdeckte Ermittler in Betracht. Begrenzt auf den Kriminalitätsbereich Kinderpornografie und sexueller Missbrauch von Kindern sowie ausschließlich unter Verwendung von fiktionalen Darstellungen von Kinderpornografie, also rein mittels Computertechnologie erstellter, aber täuschend echt aussehender Abbildungen, die nicht ohne weitere technische Hilfsmittel enttarnt werden können.
Eine derart eng umgrenzte Befugnis für Keuschheitsproben kann dazu wirksam beitragen, schwerste Straftaten im Bereich des sexuellen Missbrauchs von Kindern aufzuklären und auch zu verhindern. Denn das wesentliche, wenn nicht sogar in manchen Fällen einzige Ermittlungsinstrument bei der Bekämpfung von Kinderpornografie im Internet und dem oft dahinter stehenden realen sexuellen Missbrauch ist der Einsatz Verdeckter Ermittler, die sich möglichst lange auf einschlägigen Foren und Boards mit dem Ziel bewegen, Ermittlungsansätze zu generieren, welche die Identifizierung von Tätern und Opfern ermöglichen.
Bei der vorgeschlagenen Beschränkung auf rein mittels Computertechnologie erstellten Abbildungen ist die Betroffenheit von Rechtsgütern Dritter ausgeschlossen, da es sich um Bild- bzw. Videoaufnahmen handelt, die künstlich erzeugt werden.
Daher sollte zugunsten einer effektiven Strafverfolgung und zugleich Verhinderung schwerster Straftaten eine eng begrenzte, gesetzliche Befugnis für Verdeckte Ermittler (für den Anwendungsbereich Kinderpornografie sowie mit der Beschränkung auf rein mittels Computertechnologie erstellter Abbildungen) geschaffen werden.
Die Generalstaatsanwältinnen und Generalstaatsanwälte der Länder haben bereits im Mai 2018 ausdrücklich festgestellt, dass der Einsatz Verdeckter Ermittler ein besonders erfolgversprechendes Ermittlungswerkzeug bei der Bekämpfung der Verbreitung von Kinderpornografie im Darknet ist und erfolgreiche Ermittlungen in diesem Umfeld wiederum eine wesentliche Voraussetzung für die Aufdeckung und Unterbindung laufender Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern seien.
Im Anschluss an ihre Beschlüsse vom 17. November 2016 sowie ihren Beschluss auf der Herbstkonferenz vom 9. November 2017 haben sich die Justizministerinnen und Justizminister auf ihrer Frühlingskonferenz 2018 mit den rechtlichen Rahmenbedingungen beim Einsatz Verdeckter Ermittler bei strafrechtlichen Ermittlungsverfahren im Bereich Kinderpornographie, insbesondere im Darknet, auseinandergesetzt. Sie haben in ihrem Beschluss die Erfahrungen der Praxis zur Kenntnis genommen, nach denen das Hochladen und damit das tatbestandsmäßige Verbreiten von kinderpornographischen Schriften in verdeckten Netzwerken häufig das einzige Mittel ist, um den für Ermittlungen erforderlichen Zugang zu entsprechenden Foren zu erhalten. Die Minister stellten ferner in ihrem Beschluss fest, dass die Verwendung computergenerierten Materials eine wirksame und zugleich Individualrechtsgüter schonende Methode sein kann, um im Bereich der Kinderpornographie Täter zu ermitteln.
In dem Abschlussbericht der von der Justizministerkonferenz eingesetzten Länder-Arbeits-Gruppe "Digitale Agenda für das Straf- und Strafprozessrecht", der in der Herbstkonferenz 2018 als Bestandsaufnahme der sich aus der technischen Entwicklung für die Strafverfolgungspraxis ergebenden Anforderungen und als Beitrag zur rechtspolitischen Diskussion zur Kenntnis genommen wurde, wurde ebenfalls die gesetzliche Zulassung der sogenannten Keuschheitsprobe befürwortet.