Der Regierende Bürgermeister von Berlin Berlin, 22. Juni 2010
An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Bürgermeister Jens Böhrnsen
Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen
Sehr geehrter Herr Präsident,
gemäß dem Beschluss des Senates von Berlin übermittle ich die als Anlage beigefügte
- Entschließung des Bundesrates zur Öffnung der Ehe für Personen gleichen Geschlechts
mit dem Antrag, dass der Bundesrat diese fassen möge.
Ich bitte, den Entschließungsantrag unter Wahrung der Rechte aus § 23 Absatz 3 in Verbindung mit § 15 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Bundesrates gemäß § 36 Absatz 2 GO BR auf die Tagesordnung der 873. Sitzung des Bundesrates am 9. Juli 2010 zu setzen und anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Wowereit
Entschließung des Bundesrates zur Öffnung der Ehe für Personen gleichen Geschlechts
Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Öffnung der Ehe für Personen gleichen Geschlechts beinhaltet.
Begründung
Der Erlass des Lebenspartnerschaftsgesetzes vom 16. Februar 2001 hat zwar zu einem deutlichen Abbau von Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare geführt. Ziel muss aber sein jegliche strukturelle Diskriminierung von Menschen auch aufgrund ihrer sexuellen Identität zu beenden.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 27. Mai 2008 (BVerfGE 121, 175) § 8 Abs. 1 Nr. 2 des Transsexuellengesetzes für verfassungswidrig erklärt. Dadurch wurde eine gesetzliche Möglichkeit der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche, bereits verheiratete Paare eröffnet, was auch im Hinblick auf den Schutz der Ehe als Lebensgemeinschaft von Mann und Frau nicht zu beanstanden sei. Das Erfordernis der Ehelosigkeit wurde daraufhin durch das Gesetz zur Änderung des Transsexuellengesetzes ersatzlos gestrichen.
Obwohl das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber ausdrücklich die Möglichkeit offen ließ dass mit einer transsexuellen Person als Ehe begründete Rechtsverhältnis zwar mit gleichen Rechten und Pflichten, aber unter einer anderen Bezeichnung weiterzuführen, hielt der Gesetzgeber diesen Punkt offensichtlich für unbedeutend. Zwar ist die Zahl der dadurch in Deutschland existierenden legalen gleichgeschlechtlichen Ehen verschwindend gering, allerdings hat der Gesetzgeber damit selbst gleichgeschlechtliche Ehen überhaupt zugelassen.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 07. Juli 2009 (1 BvR 1164/07) festgestellt, dass Ehe und eingetragene Lebenspartnerschaft bezogen auf die Hinterbliebenenversorgung vergleichbar sind. Beide Formen des Zusammenlebens sind auf Dauer angelegt und begründen gegenseitige Fürsorge- und Einstandspflichten. Zugleich hat das BVerfG der Theorie vom Abstandsgebot eine klare Absage erteilt. Aufgrund der Vergleichbarkeit beider Lebensformen, ist es verfassungsrechtlich nicht begründbar, allein aus dem besonderen Schutz der Ehe aus Artikel 6 Absatz 1 GG ein Benachteiligungsgebot von anderen Lebensformen abzuleiten.
Diese Ausführungen des BVerfG sind nicht auf die Hinterbliebenenversorgung beschränkt, sondern lassen sich auf alle Ungleichbehandlungen ausdehnen, bei denen Lebenspartner/ innen bezogen auf den geregelten Lebenssachverhalt mit Ehepartnern vergleichbar sind. Kriterium für die Vergleichbarkeit ist eben die wechselseitig übernommene Einstandspflicht.
Da sich beide Lebensformen lediglich durch die sexuelle Orientierung der in ihnen lebenden Menschen unterscheiden, gleichgeschlechtlichen Paaren der Zugang zur Ehe aber trotzdem verwehrt bleibt, stellt sich die Frage nach dem sachlichen Grund für diese Ungleichbehandlung.
In seinem Urteil vom 07. Juli 2009 stellt das BVerfG fest, dass bei Ungleichbehandlungen aufgrund der sexuellen Orientierung ein besonders strenger Rechtfertigungsmaßstab zu Grunde zu legen ist, da das Merkmal der sexuellen Orientierung mit den in Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 GG genannten Persönlichkeitsmerkmalen vergleichbar sei (Rn. 87) und dies auch der Rechtsentwicklung im Europarecht entspreche (Rn. 88).
Um eine Ungleichbehandlung aufgrund der sexuellen Orientierung zu rechtfertigen, bedarf es daher eines hinreichend gewichtigen Sachgrundes, wenn die Ehe und die eingetragene Lebenspartnerschaft in Bezug auf einen bestimmten Sachverhalt vergleichbar sind. Wirtschaftliche Aspekte und Kinderlosigkeit dürften mit dem Urteil jedenfalls keine hinreichend gewichtigen Gründe mehr für eine Privilegierung der Ehe sein.
Auch in der Gesellschaft hat sich ein grundlegender Wandel des traditionellen Ehe- und Familienverständnisses vollzogen. Zwar waren im Jahr 2008 377.055 Eheschließungen zu verzeichnen denen standen aber 191.948 Ehescheidungen gegenüber (vgl. Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2010, Krack-Roberg "Ehescheidungen 2008"). Daneben sind viele und vielfältige neue Familienformen, wie Patchworkfamilien, entstanden. Nach wie vor wachsen Jugendliche zwar am häufigsten in traditionellen Familienformen auf: 2008 zogen Ehepaare immer noch 75% (2,6 Millionen) der Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren groß. Immer mehr Jugendliche in Deutschland wachsen aber in alternativen Familienformen auf. Im Gegensatz zu Ehepaaren mit Kindern werden hierunter nichteheliche und gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften mit Kindern sowie allein erziehende Mütter oder Väter mit ihren Kindern gezählt. Wie das Statistische Bundesamt mitteilt, lebten im Jahr 2008 rund 842 000 (25%) der insgesamt 3,4 Millionen Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren bei Alleinerziehenden oder Lebensgemeinschaften. Gerade in den letzten Jahren ist eine deutliche Steigerung der Zahl sogenannter Regenbogenfamilien zu beobachten. Nicht zuletzt, weil sich immer mehr gleichgeschlechtliche Paare mit dem Ziel verpartnern, Kinder in eheähnlichen Familienstrukturen aufwachsen zu lassen.
Daneben ist der Begriff "verpartnert" keineswegs geläufig, vielmehr gibt es in der Bevölkerung lediglich den Begriff "verheiratet", der sich sowohl auf gleichgeschlechtliche als auch verschiedengeschlechtliche Paare bezieht. Auch gibt es für Personen in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft oftmals nicht die Möglichkeit, den Familienstand "verpartnert" z.B. in Formularen anzugeben. Diese praktischen Schwierigkeiten lassen sich durch eine Öffnung der Ehe für Personen gleichen Geschlechts ausräumen.
Auch ein internationaler Vergleich zeigt, dass viele Rechtsordnungen mit der Ehe heute nicht mehr die Vorstellung der Zweigeschlechtlichkeit verbinden. So wurde in den Niederlanden, in Belgien, Kanada, Spanien, Südafrika, Norwegen, Schweden und Portugal die Zivilehe für Personen gleichen Geschlechts eingeführt. Auch die bundesdeutsche Gesellschaft kann durch die Öffnung der Ehe, die ein weiterer Ausdruck der Verankerung von Vielfalt und Selbstbestimmung in deutschen Rechtsnormen wäre, nur gewinnen.