Siehe Drucksache 733/11(B)
Europäische Kommission
Brüssel, den 16.7.2012
C(2012) 4782 final
Herrn Horst Seehofer
Präsident des Bundesrates
Leipziger Straße 3 - 4
D-10117 Berlin
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Kommission dankt dem Bundesrat für seine Stellungnahme zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen (,CRD IV", KOM (2011) 452 endg.).
Die Krise hat vor Augen geführt, wie eng die Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten miteinander verflochten sind. Die EU ist ein gemeinsamer Wirtschaftsraum - was in einem Land geschieht, kann Auswirkungen auf alle Länder haben. Es wäre daher unrealistisch anzunehmen, dass ein unilaterales Vorgehen in diesem Umfeld für Sicherheit sorgen könne. Ein einheitliches Regelwerk würde hingegen gewährleisten, dass aufsichtsrechtliche Sicherheitsvorschriften in der gesamten EU und nicht nur in einzelnen Mitgliedstaaten angewendet werden.
Erhöht ein Mitgliedstaat die Kapitalanforderungen für inländische Institute, so können Institute aus anderen Mitgliedstaaten, die ihrerseits geringere Anforderungen zu erfüllen haben, ihre Dienstleistungen mit einem Wettbewerbsvorteil anbieten (es sei denn, andere Mitgliedstaaten ziehen nach und erhöhen ebenfalls die Kapitalanforderungen). Eine solche Situation kann außerdem zu Aufsichtsarbitrage führen: Institute, die höhere Eigenkapitalanforderungen zu erfüllen haben, können sich in einem anderen Mitgliedstaat niederlassen und ihre Dienstleistungen im ursprünglichen Mitgliedstaat über eine Zweigniederlassung anbieten.
Ein einheitliches Regelwerk kann darüber hinaus sicherstellen, dass die Finanzlage der Institute transparenter und für Aufsichtsbehörden, Besitzer von Einlagen und Anleger auf EU-Ebene vergleichbarer wird. Die Finanzkrise hat gezeigt, dass intransparente Vorschriften in einigen Mitgliedstaaten eine Hauptursache der finanziellen Instabilität waren. Durch fehlende Transparenz wird nicht nur eine wirksame Aufsicht verhindert, sondern auch das Vertrauen der Märkte und Anleger beeinträchtigt.
Im europäischen Finanzsystem spielen Großbanken allerdings eine besondere Rolle und die Krise hat verdeutlicht, dass ein Ausfall solcher Banken für das ganze System ein erhebliches Risiko darstellt. Im Baseler Ausschuss wurde daher die Einführung eines Kapitalpuffers für systemrelevante Großbanken bis 2016 vereinbart. Kleine und mittlere Banken sind angesichts ihrer begrenzten Systemrelevanz davon nicht betroffen.
Im Hinblick auf die Definition von Eigenkapital gelten sowohl gemäß Basel IH als auch nach CRD IV für " Gegenseitigkeitsgesellschaften, Genossenschaftsbanken und Sparkassen" besondere Kriterien. Im CRD-IV-Paket wird die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) aufgefordert, Kriterien festzulegen, die dafür sorgen sollen, dass die maßgeblichen Regelungen fair und einheitlich angewendet werden. Dies steht im Einklang mit der Funktion technischer Standards - entweder wird diese Aufgabe von der EBA übernommen oder die Kriterien müssen in der Verordnung selbst enthalten sein. Da die Verordnung direkt anwendbar ist, müssen die gesetzlichen Anforderungen eindeutig sein. Bei der Umsetzung der Baseler Grundsätze und Kriterien hat sich die Kommission bei der Frage, wie die Vorschriften in einschlägigen Fällen anzuwenden sind, weitgehend von den von der EBA in diesem Bereich erzielten Fortschritten leiten lassen. Die Kommission ist der Auffassung, dass sie ein ausgewogenes Ergebnis vorgelegt hat, während ein abstrakterer Ansatz nicht zielführend gewesen wäre.
Im Einklang mit Basel III hat die Kommission die Verschuldungsquote als Instrument der Säule 2 vorgeschlagen. Es wird angestrebt, das Instrument in eine verbindliche Anforderung der Säule 1 umzuwandeln. Diese Absicht ist in der Begründung und in den Erwägungsgründen der Verordnung belegt. Da die Verschuldungsquote ein für die EU (und in der vorgesehenen Form auch ein weltweit) neues Instrument darstellt, hat die Kommission ein sorgsames Vorgehen vorgeschlagen, das vor einer Entscheidung über die verbindliche Einführung des Instruments eine gründliche Überprüfung und eine Testphase vorsieht.
Im Vorschlag der Kommission wird die EBA beauftragt, einen Bericht über die Wirksamkeit und die Auswirkungen der Verschuldungsquote zu erstellen und der Kommission bis 2016 vorzulegen. Ausgehend von diesem EBA-Bericht wird die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat bis zum 31. Dezember 2016 über die Auswirkungen und Wirksamkeit der Verschuldungsquote berichten und "gegebenenfalls" 2018 einen Legislativvorschlag zur Einführung einer Verschuldungsquote vorlegen (Artikel 482 Absatz 1). Dies bedeutet, dass erst Ende 2016 eine endgültige Entscheidung über das Instrument auf der Grundlage ausreichender Daten und Erfahrungen getroffen werden kann..
Im Hinblick auf die Konditionen für Kredite an KMU weist die Kommission darauf hin, dass das übergeordnete Ziel der Reform eine höhere Finanzstabilität ist. KMU profitieren im Besonderen von erhöhter finanzieller Stabilität, da sie in Krisenzeiten in aller Regel als erste und in stärkerem Ausmaß betroffen sind. Eine politische Kernfrage ist allerdings, ob die KMU einen unverhältnismäßig hohen Anteil der Kosten für die größere Krisenfestigkeit tragen müssen. Die von der Kommission durchgeführte Folgenabschätzung hat gezeigt, dass dies nicht der Fall ist: nach dieser Untersuchung werden KMU durch höhere Kapital- und Liquiditätsanforderungen nicht unverhältnismäßig belastet. Nichtsdestotrotz wird diese wichtige Frage während der laufenden Verhandlungen über den Vorschlag eine wichtige Rolle spielen.
Im Rahmen des übergeordneten Ziels von CRD IV, die finanzielle Stabilität zu erhöhen, hat sich die Kommission dazu verpflichtet, eine über die bestehende Begünstigung hinausgehende weitere besondere Behandlung von Forderungen an KMU zu prüfen. Dies erfordert jedoch eine solide Datengrundlage. Die Kommission hat die EBA daher ersucht, die notwendigen Informationen vorzulegen.
Im Einklang mit der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen Bankenaufsichtsbehörde ist die EBA befugt, verbindliche technische Standards auszuarbeiten. Sie sollen für eine konsequente Harmonisierung von Finanzdienstleistungen in der Europäischen Union und einen angemessenen Schutz der Einleger, Anleger und Verbraucher in den Mitgliedstaaten sorgen. Sobald diese technischen Standards von der Kommission angenommen worden sind, finden sie auf alle in der Europäischen Union zugelassenen Institute Anwendung, unabhängig von der Art, dem Umfang und der Komplexität ihrer Tätigkeiten. Etwaige Unterschiede bei der Anwendung der technischen Standards zwischen den Mitgliedstaaten könnten zu einer Verlagerung der Risiken von Mitgliedstaaten mit strengeren Anforderungen auf Mitgliedstaaten mit weniger strengen Anforderungen führen und somit das einheitliche Regelwerk aushöhlen.
Hinsichtlich der Befugnisse der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde möchte die Kommission daran erinnern, dass die technischen Standards der EBA nur dann in Kraft treten, wenn sie von der Kommission angenommen wurden. Darüber hinaus implizieren die technischen Standards keine strategischen oder politischen Entscheidungen; ihr Inhalt ist rein technischer Natur und durch die vom Europäischen Parlament und vom Rat angenommenen Rechtsakte strikt begrenzt. Überdies wurden der Kommission die Befugnisse zur Annahme der technischen Standards nur für einen begrenzten Zeitraum übertragen und können jederzeit vom Europäischen Parlament und vom Rat widerrufen werden. Schließlich können das Europäische Parlament oder der Rat gegen die technischen Standards selbst Einwände erheben.
Im Hinblick auf den kurzfristigen Liquiditätspuffer (Liquidity Coverage Ratio, LCR) hat die Kommission mit dem Ziel, den vorgesehenen Beobachtungszeitraum bestmöglich nutzen zu können, vorgeschlagen, die endgültige Annahme durch einen delegierten Rechtsakt herbeizuführen. Die Annahme durch das ordentliche Gesetzgebungsverfahren würde deutlich weniger Zeit für die Analyse des neuen Instruments belassen und somit möglicherweise die Einhaltung der international vereinbarten Frist gefährden. Die Vorschläge der Kommission ermöglichen die Berücksichtigung von gedeckten Schuldverschreibungen und Unternehmensanleihen im LCR-Puffer. Die Kommission ist jedoch der Auffassung, dass ungesicherte Bankschulden nicht aufgenommen werden dürfen, da die Banken auf diese Weise ihre Puffer ohne Kreditvergabe an die Realwirtschaft aufstocken könnten. Der Bundesrat weist zu Recht darauf hin, dass die tatsächliche Marktliquidität eines Vermögenswerts der entscheidende Faktor ist. Die Kommission hat daher vorgeschlagen, dass die EBA zur Vorbereitung einer rechtlich bindenden Regelung über die Möglichkeit; verschiedene Vermögenswerte in den Puffer aufzunehmen, zunächst deren Marktliquidität bewertet.
Die Kommission hat eine Form der obligatorischen Berichterstattung über stabile Finanzierung vorgeschlagen, jedoch keine Mindestberichtspflichten. Sie erwägt erst dann Mindestberichtspflichten vorzuschlagen, wenn Kenntnisse darüber vorliegen, wie derartige Vorschriften in Anbetracht der Vielfalt der Kreditinstitute in Europa und der Notwendigkeit zur Gewährleistung der kontinuierlichen Verfügbarkeit von befristeten Krediten an die Realwirtschaft angemessen ausgestaltet werden können.
Ich hoffe, dass diese Erläuterungen zu einer Klärung der in der Stellungnahme angesprochenen Fragen des Bundesrats beitragen konnten, und freue mich auf die Fortsetzung unseres politischen Dialogs über dieses wichtige Thema.
Mit freundlichen Grüßen