a) Der Gesetzentwurf basiert auf der Unterscheidung zwischen "InlandAusland-Fernmeldeaufklärung" und "Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung" (nur für die Erstere gelten die Restriktionen des Artikel 10 Gesetzes) und gestaltet die gesetzlichen Anforderungen und das Kontrollregime allein für die "Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung", die vom Inland aus erfolgt (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs, Seite 27).
Diese Ausgangsprämisse erscheint als noch vom analogen Zeitalter geprägt und in Anbetracht der heute eingesetzten Techniken der Massenüberwachung daher in Bezug auf ihre Praktikabilität fragwürdig. Denn den vom Bundeskanzleramt nach § 6 Absatz 1 Satz 2 BNDG-E durch Anordnung zu bestimmenden Telekommunikationsnetzen, aus denen die Datenerhebungen erfolgen dürfen, ist nicht anzusehen, ob sie nur dem "Inland-Inland-", dem "Inland-Ausland-" oder auch dem "Ausland-AuslandFernmeldeverkehr" dienen. Entsprechend heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs auf Seite 29 f.:
"Für eine Anordnung einer Maßnahme im Rahmen der Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung kommen nur solche Telekommunikationsnetze in Betracht, die auch ausländische Telekommunikation - also Telekommunikation von Ausländern im Ausland - führen, [...] Dass über ein Telekommunikationsnetz auch nationale Verkehre geführt werden, steht einer Anordnung nach § 6 BNDG-E nicht entgegen". Bezeichnend ist insoweit auch die Begründung zu § 6 Absatz 4 BNDG-E (Seite 32), wonach die Erhebung von sonstigen personenbezogenen Daten (also solche, die nicht Artikel 10 GG unterfallen) von deutschen Staatsangehörigen, inländischen juristischen Personen oder sich im Bundesgebiet aufhaltenden Personen mit Mitteln der Ausland-AuslandFernmeldeaufklärung nicht ausgeschlossen sein soll.
Dessen ungeachtet setzt sich der Gesetzentwurf nicht mit der räumlichen Reichweite des Artikels 10 Absatz 1 GG und seiner Bindungswirkung im Rahmen einer "Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung" auseinander. Eine verfassungsrechtliche Prüfung, ob die im Gesetzentwurf getroffene rechtliche Unterscheidung und die daran anknüpfende Unterscheidung der gesetzlichen Anforderungen je nach Ort der Datenerhebung (Inland oder Ausland) und Betroffenheit bestimmter Personengruppen (deutsche Staatsangehörige, Unionsbürger oder EU-Ausländer) mit Artikel 10 Absatz 1 GG vereinbar ist, scheint jedoch geboten.
Artikel 10 Absatz 1 GG ist ein sogenanntes 'Jedermann-Grundrecht' und schützt Inländer wie Ausländer gleichermaßen vor Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis durch die deutsche Staatsgewalt. Dennoch beachtet der Gesetzentwurf das Zitiergebot des Artikel 19 Absatz 1 Satz 2 GG nicht. Es kann nicht unterstellt werden, dass die Bundesregierung dies schlicht vergessen hat, denn auch der Gesetzentwurf nebst Begründung äußert sich zu Artikel 10 Absatz 1 GG nicht. Es dürfte vielmehr so sein, dass Artikel 10 Absatz 1 GG nach Auffassung der Bundesregierung keine Auslandsgeltung zukommt und deshalb für die hier geregelte Materie keine Relevanz entfaltet, unabhängig davon, ob die Datenerhebung vom Inland oder vom Ausland aus erfolgt (vgl. Löffelmann in recht+politik, Ausgabe 8/2016 vom 23. August 2016, Seite 1). Gegen diese Auffassung wiederum sprechen gewichtige verfassungsrechtliche Bedenken.
Eine eindeutige verfassungsgerichtliche Positionierung existiert, soweit ersichtlich, noch nicht. In seinem Urteil vom 14. Juli 1999 zum Artikel 10-Gesetz ließ das BVerfG ausdrücklich offen, ob Artikel 10 Absatz 1 GG auch für ausländische Kommunikationsteilnehmer im Ausland gilt (BVerfGE 100, 313, 364; in juris Rn. 178). Teilweise wird dieser Stand der Rechtsprechung dahin fortentwickelt, dass die Grundrechte bei reinen Auslandssachverhalten grundsätzlich keine Wirkung entfalten (Löffelmann in recht+politik, Ausgabe 6/2015 vom 22. Juni 2015, Seite 4).
Die SPD-Bundestagsfraktion vertrat in ihrem Eckpunktepapier "Rechtsstaat wahren - Sicherheit gewährleisten!" vom 16. Juni 2015 demgegenüber die Auffassung:
"das Fernmeldegeheimnis endet nicht an Deutschlands Grenzen"; vielmehr greife die Fernmeldeaufklärung durch den BND auch dann in das Grundrecht der Telekommunikationsfreiheit ein, wenn nur Ausländer im Ausland betroffen sind. Dies ergebe sich aus einer konsequenten Weiterentwicklung der Verfassungsgerichtsrechtsprechung und aus der unmittelbaren Verpflichtung aller staatlichen Stellen aus Artikel 1 Absatz 3 GG, die Grundrechte zu achten. Allerdings sei zu beachten, dass die Geltung eines Grundrechts nicht auf der ganzen Welt gleich intensiv sei. Die Nationalität der Kommunizierenden, der Ort der Erfassung der Kommunikation und der Ort ihrer Verarbeitung, Speicherung und Nutzung seien im Rahmen einer Abwägung mit den legitimen Sicherheitsinteressen zu beachten.
Artikel 10 GG dürfe deshalb in Abwägung mit den zu schützenden hochrangigen Rechtsgütern nicht eindimensional als auch im Ausland geltendes subjektives Abwehrrecht missverstanden werden. Er entfalte über Artikel 1 Absatz 3 GG nur einen objektivrechtlichen Schutzauftrag (http://www.spdfraktion.de/system/files/documents/2015-06-16-spdeckpunkte_reform_strafmar-endfassung.pdf ).
Dem wird aus wissenschaftlicher Sicht entgegengehalten, dass eine abgeschwächte Grundrechtsgeltung in Fällen mit Auslandsbezug im Grundgesetz keinen Rückhalt finde; Artikel 10 GG sei weder auf deutsche Staatsangehörige noch auf die Tätigkeit auf deutschem Staatsgebiet beschränkt; auch völkerrechtliche Regelungen beschränkten die grundrechtlichen Vorgaben nicht (Payandeh, DVBl. 2016, 1073, 1074 ff. m. w. N.).
Eine weitergehende Schutzwirkung war zuvor bereits von Verfassungsrechtsexperten vor dem NSU-Untersuchungsausschuss am 22. Mai 2014 formuliert worden. Danach binde Artikel 10 Absatz 1 GG den BND zunächst dann, wenn er die Kommunikation von Ausländern im Ausland vom Inland aus überwacht, indem er Daten aus terrestrischen leitungsgebundenen Netzen deutscher Provider ausleitet oder von der Empfangsanlage in Bad Aibling aus von einem Satelliten abfängt und dann weiterverarbeitet (die sogenannte "Weltraumtheorie" des BND dürfte als widerlegt gelten, vgl. nur Durner in Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Artikel 10 Rn. 64 m. w. N., insbes. auf BVerfGE 100, 313, 363 f., in juris Rn. 178 und Leitsatz 2: hinreichender Gebietskontakt bei Erfassung und Aufzeichnung des Telekommunikationsverkehrs mit Hilfe der auf deutschem Boden stationierten Empfangsanlagen und anschließender Auswertung). Eine Bindung bestehe nach Auffassung der Experten und nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung aber auch dann, wenn der BND die Überwachung selbst im Ausland betreibt, weil der räumliche Schutzumfang des Fernmeldegeheimnisses nicht auf das Inland begrenzt sei, solange die im Ausland stattfindende Kommunikation durch Erfassung und Auswertung im Inland hinreichend mit inländischem staatlichen Handeln verknüpft sei. Anknüpfungspunkt für die Bindungswirkung der Grundrechte sei weder der (zufällige) Aufenthaltsort des Grundrechtsträgers oder die (zufällige) Nutzung bestimmter Telekommunikationsnetze noch der Ort des Handelns deutscher Staatsgewalt, sondern entsprechend Artikel 1 Absatz 3 GG das Handeln der deutschen Staatsgewalt als solcher und ihre Auswirkungen auf den Grundrechtsträger. Die Bindung ende erst dann, wenn ein Vorgang in seinem wesentlichen Verlauf von einem fremden Staat nach seinem Willen gestaltet werde (vgl. Stellungnahme von H. -J. Papier für den 1. Untersuchungsausschuss des 18. Bundestages zum Beweisbeschluss SV-2 von Mai 2016; im Ergebnis ebenso die Stellungnahmen von W. Hoffmann-Riem und M. Bäcker, zu finden unter www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse18/ua/1untersuchungsausschuss/-/280848 ).
Jedenfalls in Bezug auf die Erfassung und Auswertung mit Hilfe der auf deutschem Boden stationierten Empfangsanlagen bejaht das BVerfG wegen der Verknüpfung der Kommunikation im Ausland mit staatlichem Handeln im Inland eine Bindung staatlicher Gewalt an Artikel 10 GG selbst dann, wenn man dafür einen hinreichenden territorialen Bezug voraussetzen wollte (BVerfGE 100, 313, 363 f., in juris Rn. 178 und Leitsatz 2). Zur Gewährleistung eines lückenlosen Grundrechtsschutzes jedenfalls in ihrer Abwehrfunktion soll deshalb grundsätzlich jeder der deutschen Staatsgewalt zurechenbare Eingriff in den sachlichen Schutzbereich des Artikels 10 GG an dessen Maßstäben zu messen sein (Durner in Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Artikel 10 Rn. 65 m. w. N.).
Sollte die erforderliche verfassungsrechtliche Prüfung danach eine Grundrechtsbindung des BND im Bereich der "Ausland-AuslandFernmeldeaufklärung" ergeben, könnte die dem Gesetzentwurf zu entnehmende Differenzierung keinen Bestand haben (nach Löffelmann in recht+politik, Ausgabe 8/2016 vom 23. August 2016, Seite 4 stünde vielmehr das gesamte Regelungskonzept in Frage). Es bedürfte einer formellgesetzlichen Ermächtigung, die insbesondere den Geboten der Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit genügt und für alle potenziell betroffenen Personengruppen gleichlautende Anforderungen sowie angemessene und hinreichend wirksame Schutz- und Kontrollmechanismen formuliert.