Der Bundesrat hat in seiner 993. Sitzung am 18. September 2020 beschlossen, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Zum Gesetzentwurf allgemein
- a) Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, inwieweit die vorgesehene Verbandsverantwortlichkeit und die bei Verbandstaten vorgesehenen Sanktionen für kleinere oder mittlere Unternehmen (KMU) verhältnismäßig ausgestaltet sind.
- b) Darüber hinaus bittet der Bundesrat um Prüfung, inwieweit bestimmte von der jetzigen Definition im Gesetzentwurf erfasste Verbandstaten für kleinere und mittlere Unternehmen ganz ausgenommen werden sollten.
- c) Der Bundesrat ist der Auffassung, dass an kleinere und mittlere Unternehmen schon aus Gründen der Bürokratievereinfachung deutlich weniger hohe Anforderungen an die Angemessenheit von Vorkehrungen zur Vermeidung von Verbandstaten gestellt werden dürfen. Aus Gründen der Rechtssicherheit sollten die unterschiedlichen Anforderungsniveaus im weiteren Gesetzgebungsverfahren deutlicher gefasst werden als dies bisher im Gesetzentwurf vorgesehen ist.
2. Zu Artikel 1 (§ 2 Absatz 1 Nummer 3 VerSanG)
In Artikel 1 sind in § 2 Absatz 1 Nummer 3 vor dem Wort "bereichert" die Wörter "zu Unrecht" einzufügen.
Begründung:
Der Sache nach beinhaltet der Gesetzentwurf in Artikel 1 § 2 Absatz 1 Nummer 3 VerSanG drei verschiedene Tatbestandsalternativen, die unterschiedliche Anknüpfungspunkte für die Verhängung der Sanktionen vorsehen. So liegt nach § 2 Absatz 1 Nummer 3 VerSanG eine Verbandstat zum einen vor bei einer Straftat, durch die Pflichten, die den Verband treffen, verletzt worden sind, aber auch bei einer Straftat, durch die der Verband (rechtswidrig) entweder bereichert worden ist oder bereichert werden sollte.
Der fragliche Passus ist klarstellend wie oben angeführt umzuformulieren. Dies entspricht der vom Gesetzentwurf verfolgten Systematik sowie dessen Begründung.
3. Zu Artikel 1 (§ 2 Absatz 2 Nummer 3 VerSanG)
Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob an die in Artikel 1 § 2 Absatz 2 Nummer 3 genannte Voraussetzung des Sitzes des Verbandes im Inland weitere Anforderungen zu stellen sind, um eine ausufernde Befassung deutscher Strafverfolgungsbehörden mit Auslandstaten zu verhindern.
Begründung:
Die Erweiterung des räumlichen Anwendungsbereichs auf Auslandstaten ist zu weitreichend. Zutreffend erfolgt zwar eine Erweiterung des Anwendungsbereiches, um bestehende Lücken bei der Erfassung von Auslandstaten zu schließen. So ist es derzeit möglich, sich der Verbandsverantwortlichkeit durch den gezielten Einsatz ausländischer Mitarbeiter zu entziehen. Dies liegt daran, dass die Verfolgung regelmäßig davon abhängt, dass der Verband im Ausland Leitungspersonen mit deutscher Staatsangehörigkeit einsetzt, auf deren Straftaten deutsches Strafrecht nach § 7 Absatz 2 Nummer 1 StGB Anwendung findet. Die Erweiterung des räumlichen Anwendungsbereichs auf Auslandstaten in der vorgeschlagenen Form dürfte jedoch im Zusammenspiel mit der Einführung des Verfolgungszwangs (Legalitätsprinzip) zu weitreichende Folgen haben. Sie könnte dazu führen, dass sich deutsche Strafverfolgungsbehörden wegen des Verfolgungszwangs in einem Umfang mit Auslandstaten befassen müssten, der mit den vorhandenen Ressourcen nicht ansatzweise zu bewältigen wäre. Deshalb ist zu prüfen, ob weitere Anforderungen an die Voraussetzungen des Sitzes des Verbandes in Deutschland zu regeln sind, wie zum Beispiel das Erfordernis eines wesentlichen Geschäftsbetriebs im Inland, oder als weitere Voraussetzung zumindest den Eintritt eines erheblichen Schadens im Inland.
4. Zu Artikel 1 (§ 3 Absatz 1 Nummer 2 VerSanG)
Artikel 1 § 3 Absatz 1 Nummer 2 ist wie folgt zu fassen:
"2. sonst in Wahrnehmung der Angelegenheiten des Verbandes eine Verbandstat begangen hat, wenn durch eine Leitungsperson des Verbandes vorsätzlich oder fahrlässig angemessene Vorkehrungen, wie insbesondere Organisation, Auswahl, Anleitung und Aufsicht, unterlassen worden sind, durch die die Verbandstat verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre."
Begründung:
Die vorgesehene Fassung des § 3 Absatz 1 Nummer 2 VerSanG lässt es ausreichen, wenn statt einer Leitungs- eine sonstige Person ("jemand") eine Verbandstat in Wahrnehmung der Angelegenheiten des Verbandes begangen hat. Zwar muss nach dem Gesetzeswortlaut zusätzlich hinzutreten, dass "Leitungspersonen" des Verbandes die durch die vorgenannte Person begangene Straftat durch angemessene Vorkehrungen zur Vermeidung von Verbandstaten wie insbesondere Organisation, Auswahl, Anleitung und Aufsicht hätten verhindern oder wesentlich erschweren können. Diesbezüglich wird aber nicht auf eine eigene Verantwortlichkeit der Leitungspersonen abgestellt. Denn es soll nach der zugehörigen Gesetzesbegründung ausreichend sein, dass das Unterlassen von Vorkehrungen (allein) objektiv pflichtwidrig erfolgt ist, ohne dass die Leitungspersonen die Aufsichtsmaßnahmen vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen haben müssen; für die Verbandsverantwortlichkeit wird hinsichtlich des Verschuldens vielmehr allein an die begangene Verbandstat der Nicht-Leitungsperson, welche volldeliktisch gehandelt haben muss, angeknüpft (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs, Seite 78).
Letzteres stellt einen wichtigen Unterschied zur derzeitigen Rechtslage im Ordnungswidrigkeitenrecht dar: Dort findet sich ein der Umschreibung des § 3 Absatz 1 Nummer 2 VerSanG inhaltlich entsprechender eigener Tatbestand der Aufsichtspflichtverletzung in Betrieben und Unternehmen in § 130 OWiG, der über die Regelung des § 30 OWiG auch zu einer Bebußung der Verbandsperson führen kann. Erforderlich ist hier jedoch stets, dass die in § 30 Absatz 1 Nummer 1 bis 5 OWiG beschriebene Leitungsperson tatsächlich eine Ordnungswidrigkeit (gemäß § 130 OWiG) "begangen" hat, was nach allgemeiner Ansicht voraussetzt, dass der Tatbestand volldeliktisch und folglich auch schuldhaft verwirklicht wurde (vgl. nur Rogall, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5 Aufl. 2018, § 30 Rn. 88 m.w. N.).
Die Anknüpfung - auch - an das schuldhafte Handeln gerade einer Leitungsperson des Verbandes dürfte verfassungsrechtlich mit Blick auf das Schuldprinzip auch geboten sein. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist anerkannt, dass das Schuldprinzip gleichfalls auf juristische Personen und rechtsfähige Personengesellschaften anzuwenden ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 1966 - 2 BvR 506/63 - und vom 4. Dezember 2006 - 1 BvR 1200/04 -, jeweils juris). Für die Wahrung dieses Prinzips hinsichtlich juristischer Verbände hat das Bundesverfassungsgericht in einem älteren Beschluss vom 25. Oktober 1966 - 2 BvR 506/63 -, juris Rn. 48, angenommen, dass diesbezüglich auf die Schuld der "für sie verantwortlich handelnden Person" abzustellen ist. Ob der Kreis dieser Personen auf die Organe eines Verbandes beschränkt sei oder darüber hinaus auf weitere Personen innerhalb der Organisation - etwa Prokuristen, Handlungsbevollmächtigte, leitende Angestellte - erstreckt werden könnte, hat es damals ausdrücklich offengelassen. Mittlerweile verweist das Gericht jedoch allgemein darauf, dass für juristische Personen das Verschulden der für sie verantwortlich handelnden Personen "im Sinne des § 31 BGB" maßgebend sei, während sie sich das Verschulden (sonstiger) Dritter grundsätzlich nicht zurechnen lassen müssten (vgl. Beschluss vom 4. Dezember 2006 - 1 BvR 1200/04 -, juris Rn. 11). Dieser Vorgabe wird der aktuelle Gesetzentwurf jedoch nicht gerecht, da danach jedermann, der dem Direktions- und Weisungsrecht der Leitungspersonen des Verbandes unterliegt, das Verschulden des Verbandes ausfüllen kann. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs muss es sich bei der sonstigen Person nicht einmal zwingend um einen Betriebsangehörigen handeln, sondern der Täter kann auch nur vorübergehend mit der Wahrnehmung von Angelegenheiten des Verbandes betraut worden sein (vgl. dort, Seite 77).
Vor dem vorgenannten Hintergrund ist § 3 Absatz 1 Nummer 2 VerSanG sachgerecht dahingehend abzuändern, dass das Unterlassen geeigneter Vorkehrungen durch die Leitungsperson nicht nur objektiv pflichtwidrig, sondern auch schuldhaft, d.h. vorsätzlich oder fahrlässig, erfolgt sein muss. Dass sich hierdurch für die Praxis unzumutbare Erschwernisse ergeben, welche die Verfolgung kriminellen Verbandsunrechts nachdrücklich hindern, ist nicht anzunehmen. So ist im Bereich des § 30 OWiG anerkannt, dass auch die Verhängung einer "anonymen Verbandsgeldbuße" möglich ist, wenn der Täter der konkreten Anknüpfungstat nicht festgestellt werden kann, aber jedenfalls feststeht, dass ein tauglicher Täter zumindest fahrlässig seine Aufsichtspflicht verletzt hat (vgl. Rogall, a.a.O., Rn. 121 m.w. N.). Entsprechendes dürfte auch für die Verhängung einer Verbandssanktion gelten.
5. Zu Artikel 1 (§ 3 Absatz 2, § 35, § 37 VerSanG)
Artikel 1 ist wie folgt zu ändern:
- a) § 3 Absatz 2 ist zu streichen.
- b) § 35 ist wie folgt zu fassen:
" § 35 Absehen von der Verfolgung
(1) Fällt die Verbandsverantwortlichkeit neben dem individuellen Verschulden nicht beträchtlich ins Gewicht, weil
- 1. der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit im Bereich individueller Verantwortung für die Verbandstat liegt,
- 2. der Verband personell oder wirtschaftlich weitgehend mit den Tätern der Verbandstat identisch ist und eine Sanktionierung des Verbandes neben der Ahndung der Täter der Verbandstat nicht erforderlich erscheint,
- 3. den Verband durch die Verbandstat Folgen getroffen haben, die so schwer sind, dass ein öffentliches Interesse die Verfolgung nicht gebietet,
- 4. der Verband kein Betriebsvermögen und keinen eigenen Geschäftsbetrieb aufweist und daher eine Sanktionierung nicht erforderlich erscheint,
kann die Verfolgungsbehörde von der Verfolgung des Verbandes nach pflichtgemäßen Ermessen absehen. Sie berücksichtigt dabei, ob der mit den Ermittlungen verbundene Aufwand in angemessenem Verhältnis zur Bedeutung der Sache oder zu der im Fall einer Verurteilung zu erwartenden Sanktion stünde, sowie die Folgen einer möglichen Sanktionierung für Dritte. Die Beschränkung ist aktenkundig zu machen.
(2) Von der Verfolgung des Verbandes sieht die Verfolgungsbehörde nicht ab, wenn die Verhängung einer Verbandssanktion wegen der Bedeutung und Schwere der Verbandstat oder wegen der Schwere oder des Ausmaßes des Unterlassens angemessener Vorkehrungen zur Vermeidung von Verbandstaten zur Einwirkung auf den Verband erforderlich ist. Dies ist in der Regel der Fall, wenn
- 1. die Verbandstat ein von einer Leitungsperson begangenes Verbrechen ist,
- 2. die Verbandstat mit einer im Mindestmaß erhöhten Freiheitsstrafe bedroht ist und an ihr mehrere Leitungspersonen des Verbandes beteiligt sind oder
- 3. ihr innerhalb der Frist des § 21 gleichartige Verbandstaten von Leitungspersonen des Verbandes vorausgegangen sind.
(3) Absatz 2 gilt, wenn nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, für die Wiederaufnahme eines nach Absatz 1 eingestellten Verfahrens entsprechend."
- c) § 37 ist wie folgt zu fassen:
" § 37 Einstellung nach Anklageerhebung
Ist die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens unter den Voraussetzungen des § 35 Absatz 1 mit Zustimmung der Verfolgungsbehörde und des Verbandes das Verfahren einstellen. Der Zustimmung des Verbandes bedarf es nicht, wenn die Hauptverhandlung aus den in § 40 angeführten Gründen nicht durchgeführt werden kann oder nach § 45 in Abwesenheit seiner Vertreter durchgeführt wird. Die Entscheidung ergeht durch Beschluss. Der Beschluss ist nicht anfechtbar."
Folgeänderungen:
Begründung:
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht für das geplante Verbandssanktionengesetz (VerSanG) die Geltung des Legalitätsprinzips vor. Das Legalitätsprinzip verpflichtet die Verfolgungsbehörde, jeden Sachverhalt von Amts wegen zu untersuchen, der zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Verbandstat erkennen lässt.
Der Gesetzentwurf geht dabei von einen unrealistisch niedrigen Mengengerüst aus. Ein erheblicher Teil möglicher Verfahren wegen der Verletzung "verbandsbezogener Pflichten" wird sich nicht auf gravierende Tatvorwürfe beziehen, sondern auf vergleichsweise banale Fahrlässigkeitsvorwürfe. In Frage kommen - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - Behandlungsfehlervorwürfe gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Krankenhaus, Verkehrsunfälle mit Personenschaden mit Bezug zum Taxi-, Logistik oder Speditionsgewerbe, Arbeitsunfälle aller Art, fahrlässige Brandstiftungen oder fahrlässige Umweltdelikte im Handwerk und die Verletzung von Verkehrssicherungspflichten in einem Betrieb oder einem Ladenlokal. Das Unternehmen ist dann zugleich Opfer des Fehlverhaltens der eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Als Folge der Einführung des Legalitätsprinzips und des sehr weiten Anwendungsbereichs des VerSanG müssten folglich in vielen Fällen Sanktionsverfahren gegen Verbände geführt werden, bei denen es kein anerkennenswertes Bedürfnis für ein Sanktionsverfahren gibt. Gleichzeitig werden damit unnötigerweise Ressourcen der Strafverfolgungsbehörden gebunden.
Die im Gesetzentwurf vorgesehenen Einstellungsmöglichkeiten nach den §§ 35 ff. VerSanG sind nicht ausreichend, um in diesen Fällen von der Durchführung eines Sanktionsverfahrens absehen zu können. Insbesondere § 35 Ver-SanG - Einstellung wegen Geringfügigkeit - ist nicht anwendbar, da dieser eine geringfügige Verbandstat voraussetzt. Ein Absehen vom Sanktionsverfahren muss aber auch dann möglich sein, wenn die Verbandstat selbst nicht geringfügig ist, die Verantwortlichkeit des Verbandes aber neben dem Individualverschulden nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder der Verband sonst für die Verbandstat keine eigenständige Bedeutung hat.
Letzteres ist insbesondere bei Ein-Personen-Kapitalgesellschaften, Familiengesellschaften oder kleinen Personengesellschaften, bei denen zwischen dem Täter der Verbandstat und dem Verband faktisch eine wirtschaftliche bzw. personelle Identität herrscht, gegeben. Vergleichbares gilt bei Briefkasten- oder Scheingesellschaften, die z.B. zur Verschleierung von Straftaten oder Vermögensflüssen einschaltet werden (etwa bei Umsatzsteuerkarussellen). Diese haben ohnehin kein Vermögen, so dass etwaige Sanktionen gegen sie nicht vollstreckbar wären und daher ins Leere liefen. Für die Durchführung eines Sanktionsverfahrens gibt es in diesen Fällen keinen legitimen Grund.
Praxisgerechte Alternativen zu einer zu strengen Bindung der Verfolgungsbehörde an das Legalitätsprinzip werden seit Jahren in anderen europäischen Ländern erfolgreich praktiziert.
Zu verweisen ist vornehmlich auf § 18 des Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes der Republik Österreich, das ein Absehen von der Verfolgung ermöglicht, wenn Ermittlungen mit einem beträchtlichen Aufwand verbunden wären, der offenkundig außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache oder zu den zu erwartenden Sanktionen stünde. Zugleich ist dieses Ermessen durch das Gesetz wirksam gebunden, wenn wegen einer vom Verband ausgehenden Gefahr der Begehung einer Tat mit schweren Folgen die Verfolgung geboten ist.
Im Einzelnen:
Zu Buchstabe a (§ 3 Absatz 2 VerSanG)
§ 3 Absatz 2 VerSanG sieht Regelbeispiele vor, in denen das Gericht einen "besonders schweren Fall" gegenüber dem Verband feststellen kann. Maßgeblich sind die Schwere der Anlasstat oder die Position der Leitungsperson im Verband, die "hochrangig" zu sein hat. Mangels Definition bleibt der Anwendungsbereich dieser Alternative insbesondere bei Kollegialorganen unklar.
Die Regelung steht in eklatantem Widerspruch zur ratio legis eines Sanktionenrechts gegen Verbände. Mit der Sanktionierung nicht nur der strafbar handelnden natürlichen Person, sondern auch des hinter ihr stehenden Verbandes reagiert die Rechtsordnung auf kriminogene Verbandsstrukturen und kollektive Werte und Ziele des Verbands, die sich prägend auf das Verhalten von Verbandsmitarbeitern auswirken (so auch die Begründung des Gesetzentwurfs, Seite 52). Die Schwere der Anlasstat ist dafür ebenso wenig ein zwingendes Indiz wie die Position des Individualtäters im Verband, wenn dieser mit krimineller Energie Kontrollmechanismen gezielt zum eigenen Vorteil - beispielsweise zum Erhalt von Kick-Back Zahlungen - umgeht. Vielmehr ist in diesen Fällen der Verband typischerweise zugleich Geschädigter einer Untreue.
Der Sinn der Regelung wird verständlich, wenn man die entscheidende Rechtsfolge in den Blick nimmt, die der Gesetzentwurf an das Vorliegen der Regelbeispiele knüpft: Liegen die Regelbeispiele vor, so ist nach § 35 Absatz 1 VerSanG ein Absehen von der Verfolgung wegen Geringfügigkeit nicht mehr möglich. Systematisch handelt es sich also nicht um einen materiellen Unrechtstatbestand, sondern um eine Vorschrift zur Bindung des Verfolgungsermessens, die deshalb auch in diesem Zusammenhang ihren Platz finden soll (vgl. dazu Buchstabe c).
Zu Buchstabe b (§ 35 VerSanG)
Der neu gefasste § 35 VerSanG bildet den Kern des Änderungsvorschlags des Bundesrates. Der Verfolgungsbehörde ist ein weitgehendes Opportunitätsermessen einzuräumen, das jedoch insoweit gebunden wird, als es bei schweren Anlasstaten, bei der Involvierung mehrerer Leitungspersonen und in Wiederholungsfällen ein Absehen von der Verfolgung grundsätzlich nicht mehr ermöglicht. Legitim und erforderlich ist die Sanktionierung des Verbandes nämlich insbesondere bei schwerer Wirtschaftskriminalität, um verbandsbezogenen ökonomischen Anreizen zur Begehung von Straftaten entgegenzuwirken.
Der Vorschlag trägt damit auch dem strukturellen Unterschied zwischen Unternehmensverantwortung und individueller Schuld Rechnung. Ein Verband bzw. ein Unternehmen wird sanktioniert, weil ihm Verantwortung für das schuldhafte Verhalten anderer zugeschrieben wird, weil der Verband profitiert hat, profitieren sollte oder weil Aufsichts- und Überwachungsmängel das individuelle Fehlverhalten erleichtert haben. Entsprechend trifft auch die Sanktion regelmäßig zugleich Unbeteiligte, die Gesellschafter, die Aktionäre und die übrige Belegschaft. Dieser Besonderheit ist im Gesetz Rechnung zu tragen.
Zur Sanktionsbemessung gegenüber Verbänden bedarf es zudem anspruchsvoller betriebswirtschaftliche Prüfungen. Im weiten Teilen des Nebenstrafrechts - zu denken ist beispielsweise an eine Vielzahl "kleinteiliger" Tatbestände im Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch - stünde dieser Aufwand in keinerlei angemessenem Verhältnis zur möglichen Sanktion. Gleichwohl müssten dafür bei den Staatsanwaltschaften in erheblichem Umfang Kapazitäten freigemacht werden, die dann nicht mehr für die Verfolgung potentieller Individualtäter zur Verfügung stünden, obgleich gegenüber Leitungspersonen in Wirtschaftsunternehmen eine abschreckende Wirkung in erster Linie von fühlbaren Individualsanktionen ausgeht.
Eine Dokumentationspflicht sichert die pflichtgemäße Ermessensausübung durch die Verfolgungsbehörde ab und dient der Transparenz.
Zu Buchstabe c (§ 37 VerSanG)
Der neu gefasste § 37 VerSanG regelt das gerichtliche Verfahren. Hat die Verfolgungsbehörde nach § 35 VerSanG wegen der Sanktionsbedürftigkeit des Verbands die Verfolgung einmal eingeleitet, ist eine Verfahrenseinstellung ohne ihre Zustimmung nicht mehr möglich.
6. Zu Artikel 1 (§ 5 Nummer 2 VerSanG)
In Artikel 1 ist § 5 Nummer 2 zu streichen.
Begründung:
Es ist nicht ersichtlich und der Gesetzentwurf bleibt auch eine Erklärung hierzu schuldig, weshalb die Immunität des Täters der Verbandstat zum Ausschluss von Verbandssanktionen führen soll. Bei der Immunität handelt es sich um ein persönlich wirkendes Verfolgungshindernis. Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Immunität sich zwar nicht auf Mittäter oder Teilnehmer an einer Tat, die trotz Immunität des Täters rechtswidrig und schuldhaft bleibt, auswirkt, wohl aber auf die Zulässigkeit der Verhängung einer Verbandssanktion gegen den Verband auswirken soll.
7. Zu Artikel 1 (§ 6 Satz 2 - neu - VerSanG)
In Artikel 1 ist dem § 6 folgender Satz anzufügen:
"Die Verbandssanktion darf in diesen Fällen den Wert des übernommenen Vermögens sowie die Höhe der gegenüber dem Rechtsvorgänger angemessenen Verbandssanktion nicht übersteigen."
Begründung:
§ 6 VerSanG bestimmt, dass neben demjenigen Verband, dessen Leitungsoder sonst tätigen Personen eine Verbandstat begangen haben, im Fall einer Gesamtrechtsnachfolge oder partiellen Gesamtrechtsnachfolge durch Aufspaltung nach § 123 Absatz 1 UmwG Verbandssanktionen auch gegen den oder die Rechtsnachfolger verhängt werden können. Diese Bestimmung entspricht inhaltlich dem bereits bestehenden § 30 Absatz 2a Satz 1 OWiG, der zum 30. Juni 2013 in Kraft getreten ist.
Nicht übernommen wurde hingegen § 30 Absatz 2a Satz 2 OWiG: Danach darf die Geldbuße in den Fällen der Rechtsnachfolge den Wert des übernommenen Vermögens sowie die Höhe der gegenüber dem Rechtsvorgänger angemessenen Geldbuße nicht übersteigen. Dies soll dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung tragen (vgl. BT-Drs. 17/11053, Seite 22) und ist eingedenk des Umstands, dass durch die fortgesetzte Sanktionierung des Rechtsnachfolgers lediglich die "Bestrafung" des ursprünglichen Rechtsträgers sichergestellt werden soll, sachlich auch geboten. Inhaltlich tritt zwar auch die Begründung des aktuellen Gesetzentwurfs für eine entsprechende Begrenzung der Nachfolgehaftung des § 6 VerSanG ein, wenn dort die Rede davon ist, dass die Geldsanktion die Höhe der gegenüber dem Rechtsvorgänger angemessenen Geldsanktion nicht übersteigen soll und auf dessen wirtschaftliche Verhältnisse vor Einleitung der Rechtsnachfolge abzustellen sei (Entwurfsbegründung, Seite 80). Diesbezüglich ist aber kein Grund ersichtlich, weswegen die danach auch von der Bundesregierung gewünschte und unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Übermaßverbots sinnvolle Begrenzung nicht ausdrücklich auch in den hiesigen gesetzlichen Regelungstext übernommen werden sollte. Es ist daher angezeigt, § 6 VerSanG entsprechend zu ergänzen.
8. Zu Artikel 1 (§ 14 VerSanG)
Artikel 1 § 14 ist zu streichen.
Als Folge ist in der Inhaltsübersicht die Angabe zu § 14 zu streichen.
Begründung:
§ 14 VerSanG regelt die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung des Verbandes: Danach kann das Gericht bei einer großen Zahl von Geschädigten neben der Verhängung einer Verbandssanktion nach § 8 VerSanG zur Information der durch die Verbandstat Geschädigten die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung des Verbandes anordnen. Art und Umfang der Bekanntmachung sind im Urteil zu bestimmen. Erfolgt die Bekanntmachung durch Veröffentlichung der Verurteilung im Internet, so ist die Bekanntmachung spätestens ein Jahr nach der Veröffentlichung zu entfernen.
Die Regelung ist zu streichen. Sie ist nicht erforderlich und auch nicht praktikabel. Vor allem aber kann mit ihr eine Prangerwirkung einhergehen, die kaum dosier- wie auch prognostizierbare Auswirkungen für den Verband und dessen Inhaber und Mitarbeiter hat und daher auch zu unangemessenen Folgen führen kann. Im Einzelnen:
Nach der Einzelbegründung zu § 14 VerSanG soll die Regelung explizit nicht dem Genugtuungsinteresse der Geschädigten dienen; eine "Prangerwirkung" soll die Bekanntmachung gerade nicht haben. Diese Bekundung ändert aber nichts daran, dass eine Bekanntmachung nach § 14 VerSanG für die Allgemeinheit und auch für das betroffene Unternehmen, insbesondere auch für einen Unternehmensinhaber, dessen Name Bestandteil der Firma ist, faktisch gleichwohl eine solche Wirkung haben kann und wird. Denn die Bekanntmachung steht im Kontext einer zumindest strafähnlichen Verurteilung des Verbandes, die an eine Verbandsverfehlung anknüpft. Sie lässt sich daher nicht von dem Tadel lösen, der mit der Verurteilung ausgedrückt wird. Eine staatlich angeordnete Bekanntmachung von Rechtsverstößen hat daher nach außen hin die Wirkung eines "naming and shaming". Mit ihr können sich für den Verband einschneidende Folgen verbinden.
Auch deutet die Regelung in § 18 Satz 2 VerSanG (Ausschluss der Anwendung von § 14 VerSanG bei Milderung nach § 17 Absatz 1 VerSanG) selbst darauf hin, dass die Entwurfsverfasser der öffentlichen Bekanntmachung doch Sanktionscharakter zuschreiben. So findet sich zum einen in der Einzelbegründung zu § 18 Satz 2 VerSanG folgender aussagekräftige Satz - Hervorhebung nicht im Original):
"Gleichzeitig ordnet Satz 2 an, dass bestimmte für den Verband besonders einschneidende Sanktionen ... ausgeschlossen sein sollen." Zum anderen spricht bereits die Regelung des § 18 Satz 2 VerSanG für sich gesehen gegen das proklamierte alleinige Ziel, Informationsinteressen zu befriedigen. Denn wenn das Ziel tatsächlich nicht in einer Prangerwirkung, sondern in der Information der betroffenen Verbraucher bestehen würde, würde der im Gesetzentwurf vorgesehene Ausschluss der Veröffentlichung gemäß § 18 VerSanG für den Fall, dass verbandsinterne Untersuchungen gemäß dem in § 17 VerSanG vorgesehenen Standard durchgeführt werden, keinen Sinn machen. Die Durchführung von verbandsinternen Untersuchungen nach Maßgabe von § 17 Ver-SanG hat nämlich keinerlei Auswirkung auf den Informationsbedarf auf Verbraucherseite. Hiervon geht auch der Gesetzentwurf offensichtlich nicht aus, der die vorgesehene Ausnahme lediglich allgemein damit begründet, dass die öffentliche Bekanntmachung nicht angemessen erscheine, soweit der Verband durch eine umfassende verbandsinterne Untersuchung selbst zur Aufklärung beigetragen habe. Dass der Gesetzentwurf allein aus diesem Grund trotz des gleichgelagerten Informationsbedürfnisses der Verbraucher in diesen Fällen von der öffentlichen Bekanntmachung zwingend absehen will, legt daher nahe, dass die von einer Veröffentlichung faktisch ausgehende Prangerwirkung durchaus gezielt als Abschreckung eingesetzt werden soll.
Davon abgesehen enthält das Recht der Vermögensabschöpfung bereits ein angemessenes System zur Information der Verletzten einer Straftat. So kann nach den § 111l Absatz 4, § 459i Absatz 1 Satz 2 der Strafprozessordnung die Mitteilung des Vermögensarrestes oder des Eintritts der Rechtskraft der Einziehungsordnung durch einmalige Bekanntmachung im Bundesanzeiger oder in anderer geeigneter Art und Weise veröffentlicht werden, wenn eine Mitteilung gegenüber jedem einzelnen Verletzten mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden wäre oder die Verletzten unbekannt bzw. unbekannten Aufenthalts sind. Dabei obliegt das Ermessen jeweils der Staatsanwaltschaft. Jedenfalls in den Fällen, in denen neben der Verbandssanktion eine Einziehung vorzunehmen sein wird, ist daher erheblich zu bezweifeln, dass neben diesem Informationssystem tatsächlich noch ein Bedürfnis nach einer durch das Gericht zu bestimmenden Veröffentlichung der Verurteilung besteht, das im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz die mit der Veröffentlichung verbundene Prangerwirkung zu rechtfertigen vermag. Andere Fälle, in denen eine Einziehung trotz bestehender Ersatzansprüche von Geschädigten der Straftat etwa deshalb ausscheidet, weil es an einer Bereicherung des Verbandes fehlt, dürften dagegen die Ausnahme darstellen. Auch dies spricht gegen ein relevantes Bedürfnis für die Vorschrift.
Anders als die in der Einzelbegründung genannten (bestehenden) Vorschriften zur Bekanntmachung in Spezialgesetzen nennt § 14 VerSanG auch kein materielles Kriterium, das die Veröffentlichung voraussetzt oder bei deren Vorliegen die Veröffentlichung ausgeschlossen ist.
Abgesehen davon bestehen auch gegen die Ausgestaltung der Regelung durchgreifende Bedenken. Das betrifft insbesondere die Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der "großen Zahl". Auch wenn die Einzelbegründung in diesem Zusammenhang darauf verweist, dass der Begriff im Strafgesetzbuch bereits an verschiedenen Stellen verwendet wird und er damit nach den Grundsätzen auszulegen sein wird, die die Rechtsprechung zu den einzelnen Straftatbeständen entwickelt hat, schafft dies weder für die Gerichte, die über die Veröffentlichung zu entscheiden haben, noch für die betroffenen Verbände mehr Rechtsklarheit. Darüber hinaus erscheint allein die Anzahl der Geschädigten kein tragfähiger Grund für die Veröffentlichung eines Urteils. Dass es tatsächlich der Veröffentlichung des Urteils bedarf, um Geschädigte zu informieren, ist angesichts der Geschwindigkeit der Informationsverbreitung in einer hochgradig vernetzten Gesellschaft wenig nachvollziehbar. Dass ein Geschädigter von einem Verband durch eine Straftat geschädigt wurde, gleichwohl keine Anzeige erstattet und sich auch sonst nicht darüber informiert, ob und in welcher Form er gegen diesen Verband vorgehen kann, dann ausgerechnet die Veröffentlichung des Urteils zur Kenntnis nimmt, ist schwer vorstellbar.
Schließlich erweist sich die Regelung auch aus anderen Gründen als nicht praktikabel.
Zu bedenken ist dabei Folgendes: Die Urteilsgründe werden bei Urteilsverkündung in aller Regel nicht vorliegen. Das Gericht soll aber bereits bei Urteilsverkündung im Tenor nähere Angaben zum Umfang der Bekanntmachung machen. Dabei hat es verschiedene Möglichkeiten: nur Urteilsformel, Urteilsgründe bzw. Auszug der Urteilsgründe. Zugleich soll das Gericht eine Vielzahl von Sachen bedenken: Zahl der Betroffenen, Art der Betroffenheit, Informationsinteresse der Geschädigten, anderweitige Informationsquellen, Leistungsfähigkeit des Verbands, Persönlichkeitsrechte der Leitungspersonen und "sonstiger involvierter Personen", Geschäfts-, Betriebs- und sonstige Geheimnisse etc. Angesichts dessen liegt es auf der Hand, dass es für das Gericht bereits bei Urteilsverkündung nur schwer möglich sein wird, den Umfang zu veröffentlichender, aber noch nicht niedergelegter Urteilsgründe zu bestimmen. Hinzu treten noch die - gesetzlich nicht näher eingegrenzten - Arten der Urteilsbekanntmachung, über die sich das Gericht Gedanken zu machen hat: Internet, Aushang bei Gericht oder an anderem Ort, Bundesanzeiger, Tageszeitung etc. Das Gericht wird hier durch die Vielzahl der Möglichkeiten schlichtweg überfordert. Das gilt umso mehr, wenn das Gericht die Begründung des Gesetzentwurfs zu Rate zieht und versucht, den dort aufgezeigten vielfältigen Aspekten Rechnung zu tragen.
Außerdem begegnet die in § 14 VerSanG vorgesehene Möglichkeit, zusätzlich zur Verhängung einer Verbandssanktion die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung des betreffenden Verbandes anzuordnen, rechtsstaatlichen Bedenken. Auch wenn die öffentliche Bekanntmachung nach der Gesetzesbegründung dazu dienen soll, die durch die Verbandstat Geschädigten zu informieren, lässt sich nicht von der Hand weisen, dass mit dieser Maßnahme stets eine gewisse Prangerwirkung einherginge - und damit auch eine öffentliche Bloßstellung der Gesellschafter und Beschäftigten des Unternehmens, die nach dem Gesetzentwurf an der konkreten Verbandstat gar keine Schuld treffen muss. Gerade Gesellschafter eines Familienunternehmens, das den Namen der Unternehmerfamilie trägt, könnten durch die öffentliche Bekanntmachung in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt werden. Erschwerend kommt hinzu, dass das Tatbestandsmerkmal der "großen Zahl von Geschädigten" zu unbestimmt ist und weitere Faktoren, die zur Abwägung der Verhältnismäßigkeit von Bedeutung sind, außer Acht lässt. Die Regelung steht zudem in keinem angemessenen Verhältnis zu ihrem Zweck, da dem mit ihr verfolgten Informationsinteresse gerade bei größeren Wirtschaftsstrafverfahren regelmäßig durch die Medienberichterstattung Genüge getan wird. In anderen, weniger publikumswirksamen Fällen reichen dagegen die bestehenden Mittel aus, um das Informationsbedürfnis der Geschädigten zu befriedigen, wie insbesondere die Möglichkeit der Gerichte, ihre Entscheidungen zu publizieren.
9. Zu Artikel 1 (§ 24 Absatz 1 VerSanG)
Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren den verfahrensrechtlichen Teil des Verbandssanktionengesetzes grundsätzlich mit dem Ziel zu überarbeiten, das Sanktionsverfahren effektiver und weniger missbrauchsanfällig auszugestalten und hierdurch insbesondere einer drohenden Überlastung der Justiz vorzubeugen.
Begründung:
Nach § 24 Absatz 1 VerSanG sollen auf das Sanktionsverfahren grundsätzlich die allgemeinen Vorschriften für das Strafverfahren entsprechende Anwendung finden, wobei unklar ist, welche Bestimmungen der Strafprozessordnung für ein Verbandsverfahren anwendbar sind und welche nicht passen.
Dies bedeutet, dass grundsätzlich der gesamte Verfahrensstoff in mündlicher, öffentlicher Hauptverhandlung unter Beteiligung von Schöffen zu erörtern ist. Dabei schafft der Gesetzentwurf in § 43 Absatz 2 VerSanG für den betroffenen Verband die vergleichsweise komfortable Lage, dass er sich während der gesamten Dauer der Hauptverhandlung durch einen bevollmächtigten Verteidiger vertreten lassen kann.
Bei dieser Ausgestaltung ist damit zu rechnen, dass die Verfahrensdauer Extreme, wie sie bereits jetzt in Fällen der Konfliktverteidigung in Wirtschaftsstrafverfahren bekannt sind, noch deutlich übertreffen könnte. Das Sonderopfer, das insbesondere Schöffen durch ihre Beteiligung am Sanktionsverfahren abverlangt wird, dürfte daher rasch übermäßig werden, etwa durch die Pflicht, monate- und auch jahrelang gegebenenfalls mehrmals pro Woche an Sitzungen teilzunehmen. Jedenfalls droht der Justiz gerade an wirtschaftsstarken Standorten, an denen viele Verbände ihren Sitz haben oder Zweigstellen unterhalten, durch das Erfordernis des Einsatzes von Ergänzungsrichtern und Ergänzungsschöffen die Überforderung.
Der verfahrensrechtliche Teil des VerSanG sollte daher grundlegend zu überdacht werden.
Die Argumente, die für die derzeitige Ausgestaltung des Strafverfahrens streiten, dessen Vorschriften nach § 24 Absatz 1 VerSanG im Grundsatz auch im Sanktionsverfahren anwendbar sein sollen, gelten für das Verbandssanktionsverfahren nicht ohne Weiteres.
Aufgrund der fehlenden höchstpersönlichen Betroffenheit dürfte es zulässig sein, wesentliche Verfahrenshandlungen, zum Beispiel die Erklärung zur Sache und das Stellen von Anträgen, aus der Hauptverhandlung auszulagern. Auch kann einem Verband ein sehr viel größeres Maß an Mitwirkungsobliegenheiten überantwortet werden, etwa durch Präklusions- und Fristenregeln. Zur Vermeidung einer wenig produktiven Bindung von Ressourcen durch Ergänzungsrichter sollte die Sukzession im laufenden Verfahren erleichtert werden. Auch ist an die Einrichtung besonders besetzter Spruchkörper zu denken. Soweit eine Beteiligung von ehrenamtlichen Richter unerlässlich erscheint, sollte - vergleichbar mit der Besetzung der Kammern für Handelssachen - eine spezifische Fachkenntnis vorausgesetzt werden.
10. Zu Artikel 1 (§ 24 Absatz 2 VerSanG)
In Artikel 1 ist § 24 Absatz 2 zu streichen.
Als Folge ist in Artikel 1 § 67 Satz 2 die Angabe "Absatz 1" zu streichen.
Begründung:
Der Ausschluss von einzelnen Ermittlungsbefugnissen in § 24 Absatz 2 VerSanG ist nicht sachgerecht.
Wenn den Verfolgungsbehörden unter Geltung des Legalitätsprinzips die Aufklärung des Sachverhalts auch im Hinblick auf etwaiges Verschulden von Leitungspersonen aufgegeben wird, müssen ihnen auch effektive Mittel zur Aufklärung des Sachverhalts an die Hand gegeben werden. Insbesondere wird eine Telefonüberwachung beispielsweise regelmäßig erforderlich sein, um die Kenntnis einer Leitungsperson von Verbandstaten nachweisen zu können. Denn in den schriftlichen Unterlagen des Verbandes, die der Beschlagnahme unterliegen, wie etwa Vorstandprotokollen, werden solche Sachverhalte erfahrungsgemäß regelmäßig nicht dokumentiert.
11. Zu Artikel 1 (§ 31 Absatz 3, § 33, § 46 Absatz 3, § 49 Absatz 2 Satz 3 VerSanG)
In Artikel 1 sind § 31 Absatz 3, § 33, § 46 Absatz 3 und § 49 Absatz 2 Satz 3 zu streichen.
Folgeänderung:
In Artikel 1 ist in der Inhaltsübersicht die Angabe zu § 33 zu streichen.
Begründung:
Die Regelungen sind zu streichen, da sie die Effektivität der Strafverfolgung nicht unerheblich beeinträchtigen würde.
Die Begründung des Gesetzentwurfs gesteht selbst zu, dass die Regelung verfassungsrechtlich nicht zwingend geboten ist.
Es ist aber schlichtweg nicht nachvollziehbar, warum im Extremfall die Aufklärung schwerster Verbrechen (im Strafverfahren wegen der Verbandstat oder auch wegen anderer Straftaten) nur deshalb erschwert werden soll, weil dem Vertreter des Verbandes ein Auskunftsverweigerungsrecht zustehen soll, nur weil dem Verband die Gefahr droht, für eine Verbandstat verantwortlich gemacht zu werden.
Ein Näheverhältnis des Vertreters zu dem von ihm vertretenen Verband, das auch nur ansatzweise den Näheverhältnissen, die nach § 52 Absatz 1 StPO zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigen, vergleichbar wäre, liegt jedenfalls ersichtlich nicht vor.
Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass die einem Verband drohenden (Geld-) Sanktionen in keinem Verhältnis zu dem verfassungsrechtlich abgesicherten Strafverfolgungsanspruch des Staates wegen schwerster Verbrechen steht.
Schließlich ist das Verhältnis der Vorschrift zu § 17 Absatz 1 Nummer 3 VerSanG gänzlich ungeklärt. Nicht geklärt ist insbesondere die praktisch sicher bedeutsame Frage, ob der Verband oder der von ihm beauftragte Dritte ununterbrochen und uneingeschränkt mit den Verfolgungsbehörden zusammenarbeitet, wenn der gesetzliche Vertreter des Verbandes von seinem Aussageverweigerungsrecht nach § 33 VerSanG Gebrauch macht.
12. Zu Artikel 1 (§ 38 Absatz 5 Satz 2 - neu - VerSanG)
In Artikel 1 ist dem § 38 Absatz 5 folgender Satz anzufügen:
" § 153c Absatz 1 der Strafprozessordnung ist auch dann anwendbar, wenn die Verbandstat im Ausland begangen wurde oder ein Fall des § 2 Absatz 2 vorliegt."
Begründung:
Da es bei bestimmten Staaten mangels funktionierender Rechtshilfe häufig unmöglich ist, Verbandsverfehlungen im Ausland aufzuklären, bedarf es einer Möglichkeit für die Staatsanwaltschaft, in diesen Fällen von vornherein von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Verband abzusehen.
Über § 38 Absatz 5 VerSanG in Verbindung mit § 153c Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Strafprozessordnung (StPO) können zwar Verfahren endgültig eingestellt werden, wenn die Tat im Ausland begangen wurde. Es ist aber zweifelhaft, was die "Tat" im Sinne des § 153c Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 StPO bei einer Verbandsverfehlung ist und ob § 153c Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 StPO auf alle
Fälle des § 2 Absatz 2 VerSanG in Verbindung mit § 3 Absatz 1 VerSanG anwendbar ist. Hat eine Leitungsperson des deutschen Verbands im Ausland eine Verbandstat begangen (§ 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit § 2 Absatz 2 VerSanG), dürfte § 153c Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 StPO ohne weiteres anwendbar sein, da sämtliche Tathandlungen ausschließlich im Ausland begangen wurden. Zweifelhaft ist die Anwendbarkeit von § 153c Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 StPO allerdings bei Auslandstaten von Mitarbeitern, da hier gegebenenfalls eine Aufsichtspflichtverletzung der Leitungspersonen im Inland vorliegt. Da inländische Aufsichtspflichtverletzungen aber nur aufgeklärt werden können, wenn die deutschen Strafverfolgungsbehörden vollumfängliche Kenntnis von der im Ausland begangenen Verbandstat haben, muss auch für die Fälle des § 3 Absatz 1 Nummer 2 in Verbindung mit § 2 Absatz 2 VerSanG eine Möglichkeit geschaffen werden, von der Einleitung oder Fortführung eines Sanktionsverfahrens gegen den Verband abzusehen, wenn die Ermittlungen zum Auslandssachverhalt erkennbar aussichtslos sind.
Über die Fälle des § 2 Absatz 2 VerSanG hinaus muss das Verfahren des Weiteren auch dann nach § 153c Absatz 1 StPO eingestellt werden können, wenn zwar auf die Auslandstat deutsches Strafrecht anwendbar ist, der Sachverhalt mangels funktionierender Rechtshilfe aber trotzdem nicht aufgeklärt werden kann. Das Verfahren gegen den Beschuldigten der Verbandstat selbst kann unter diesen Umständen nach § 153c Absatz 1 StPO eingestellt werden; dies muss konsequenterweise auch für das Sanktionsverfahren gegen den Verband gelten.
Die Regelung zur "Mitwirkung" des Verbandes nach § 38 Absatz 2 VerSanG ist dabei nicht zielführend, da unter Umständen gegen den Verband selbst im Ausland gar nicht ermittelt wird (weil der ausländische Staat zum Beispiel kein Unternehmenssanktionsrecht kennt). In diesen Fällen ist der Verband am Verfahren im Ausland nicht beteiligt und kann auch keine Informationen für die deutschen Verfolgungsbehörden beibringen.
§ 38 Absatz 1 bis 4 VerSanG soll lediglich einer doppelten Inanspruchnahme des Verbands entgegenwirken, steht aber nicht für Einstellungen wegen Aussichtslosigkeit der Auslandsermittlungen zur Verfügung.
13. Zu Artikel 1 (§ 39 Absatz 1 VerSanG)
In Artikel 1 sind in § 39 Absatz 1 nach den Wörtern "Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist" die Wörter "oder aufgrund von Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit Insolvenzreife eingetreten ist" einzufügen.
Begründung:
Eine Einstellung des Verfahrens muss auch dann möglich sein, wenn der Verband zwar faktisch insolvent ist, aus welchen Gründen auch immer aber kein Insolvenzantrag gestellt wurde, so dass weder die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens noch die Ablehnung eines solchen mangels Masse erfolgte. Bei insolvenzreifen Verbänden besteht kein Bedürfnis für eine Fortführung des Sanktionsverfahrens.
14. Zu Artikel 1 (§ 39 Absatz 3 VerSanG)
Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob und gegebenenfalls welche ergänzenden Regelungen oder Mitteilungspflichten geschaffen werden müssen, damit die Verfolgungsbehörde oder das Gericht im Falle des § 39 Absatz 3 VerSanG Kenntnis von der Einstellung oder Aufhebung des Insolvenzverfahrens erhält und damit in die Lage versetzt wird, nach Absehen von der Verfolgung bei Insolvenz des Verbandes das Sanktionsverfahren wiederaufzunehmen.
Begründung:
Ohne solche ergänzenden Regelungen wird den Verfolgungsbehörden oder dem Gericht der Umstand, dass das Insolvenzverfahren gegen den Verband eingestellt oder aufgehoben wurde, häufig nicht bekannt werden. Sie werden daher mangels Kenntnis dieses Umstandes häufig nicht in der Lage sein, über eine Wiederaufnahme des Sanktionsverfahrens nach § 39 Absatz 3 VerSanG zu entscheiden.
15. Zu Artikel 1 (§ 58 Satz 1 und 2 VerSanG)
Artikel 1 § 58 ist wie folgt zu ändern:
- a) In Satz 1 ist das Wort "Einem" durch die Wörter "Dem betroffenen" zu ersetzen.
- b) Satz 2 ist zu streichen.
Folgeänderung:
In Artikel 1 § 64 Absatz 1 Satz 2 ist die Angabe "Satz 1" zu streichen.
Begründung:
Es handelt sich um eine sprachliche Anpassung.
16. Zu Artikel 1 (VerSanG insgesamt)
Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob und gegebenenfalls welche Regelungen oder Maßnahmen bezüglich der Verwendung von im Rechtshilfeweg im Ermittlungsverfahren wegen der Verbandstat gewonnene Beweismittel für das Sanktionsverfahren geschaffen bzw. getroffen werden müssen.
Begründung:
Weder dem Gesetzentwurf noch seiner Begründung ist zu entnehmen, ob und welche Vorstellungen bezüglich der Verwendung von im Rechtshilfewege im Ermittlungsverfahren wegen der Verbandstat gewonnenen Beweismittel für das Sanktionsverfahren entwickelt worden sind.
Regelungen hierzu wären aber entweder im VerSanG oder andernorts zu erwarten, wenn Auslandstaten, auf die das deutsche Strafrecht nicht anwendbar ist, einer Verbandstat gleichstehen sollen. Diesbezügliche Ausführungen und Überlegungen sollten aber, um die praktische Handhabbarkeit der gesetzlichen Grundlagen zu gewährleisten, angestellt werden. So gilt das Gesetz über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen gemäß dessen § 1 Absatz 2 lediglich für strafrechtliche Angelegenheiten, zu denen auch Taten, die nach deutschem Recht als Ordnungswidrigkeit mit Geldbuße bedroht sind, sofern über deren Festsetzung ein auch für Strafsachen zuständiges Gericht entscheiden kann, zählen. Dass sich der Anwendungsbereich gegebenenfalls auch auf Verbandssanktionen im Sinne des Gesetzesentwurfs beziehen soll, wäre klarzustellen.
Einen ähnlich begrenzten Anwendungsbereich sehen auch die älteren einschlägigen multi- und bilateralen Rechtshilfeverträge vor. Lediglich Verträge, Richtlinien und Rahmenbeschlüsse neueren Datums und auf europäischer Ebene erweitern gelegentlich den Anwendungsbereich auf Verfahren, die sich auf Straftaten oder Zuwiderhandlungen beziehen, für die eine juristische Person zur Verantwortung gezogen oder bestraft werden kann (u.a.
Artikel 4 der Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen). Dies bedeutet jedoch, dass es in Ansehung eines gegebenenfalls gemachten Spezialitätsvorbehaltes problematisch werden kann, die für das parallel geführte Ermittlungsverfahren gegen die Leitungspersonen im Wege der internationalen Rechtshilfe erlangten Beweismittel auch für das Sanktionsverfahren zu verwenden.
17. Zu Artikel 15 Satz 1 (Inkrafttreten)
In Artikel 15 Satz 1 ist das Wort "zweiten" durch das Wort "dritten" zu ersetzen.
Begründung:
Artikel 15 Satz 1 des Gesetzentwurfs setzt die Übergangsfrist bis zum Inkrafttreten des Gesetzes auf zwei Jahre fest.
Dabei wird verkannt, dass bei einem Inkrafttreten bereits im Jahre 2023 die Unternehmen bereits jetzt damit beginnen müssten, auf rechtlich unsicherer Grundlage interne Compliance-Prozesse zu entwickeln und Organisationsprozesse anzupassen, um bei Inkrafttreten des Gesetzes nicht den Verstoß gegen Sanktionsregelungen zu riskieren.
Vor diesem Hintergrund erfolgt das Vorhaben zur Unzeit, weil die Maßnahmen von Bund und Ländern zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie konterkariert werden. Unternehmerische Tätigkeit und Existenzgründung könnten abgeschreckt werden, kleine und mittelständische Unternehmen würden genau in dieser kritischen Zeit weiteren erheblichen Belastungen ausgesetzt. Das Inkrafttreten ist daher um ein weiteres Jahr hinauszuschieben.