Der Bundesrat hat in seiner 875. Sitzung am 15. Oktober 2010 beschlossen, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Zum Gesetzentwurf allgemein
- a) Der Bundesrat erkennt die Bemühungen der Bundesregierung zur Haushaltskonsolidierung an.
Begründung:
Solide öffentliche Finanzen sind Voraussetzung für die Handlungsfähigkeit des Staates. Angesichts der Schulden der öffentlichen Haushalte sind Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung unabdingbar. Sparmaßnahmen dürfen gleichwohl die Wachstumspotentiale nicht zerstören und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen nicht bedrohen.
- b) Der Gesetzentwurf geht davon aus, dass das Haushaltbegleitgesetz 2011 für die kommunale Ebene zu einer Haushaltsentlastung in 2011 in Höhe von 45 Mio. Euro, in 2012 und 2013 in Höhe von 47 Mio. Euro und in 2014 in Höhe von 37 Mio. € führen wird. Die Betrachtung der finanziellen Auswirkungen für die kommunalen Haushalte klammert indes wesentliche Aspekte aus.
Der in Artikel 18 des Gesetzentwurfs vorgesehene Wegfall der Versicherungspflicht der Bezieher von Arbeitslosengeld II in der gesetzlichen Rentenversicherung wird zu einer Verschiebung von finanziellen Lasten vom Bund auf die Kommunen durch einen Anstieg der Aufwendungen im Bereich der Grundsicherung im Alter führen. Durch den Wegfall der Heizkostenkomponente im Wohngeldgesetz (Artikel 21 des Gesetzentwurfs) müssen die Kommunen mit zusätzlichen Aufwendungen bei den Kosten für Unterkunft und Heizung im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitssuchende rechnen. Die sich hieraus ergebenden Mehrbelastungen werden im Gesetzentwurf zwar angesprochen, jedoch zahlenmäßig nicht quantifiziert.
Die Berechnung der finanziellen Auswirkungen für die kommunalen Haushalte ist damit in wesentlichen Punkten unvollständig. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung deshalb auf, im weiteren Gesetzgebungsverfahren vollständige und valide Angaben zu den tatsächlichen finanziellen Auswirkungen auf die kommunale Ebene zu machen.
- c) Der Bundesrat erkennt an, dass die im Rahmen des Haushaltsbegleitgesetzes 2011 vorgesehenen Änderungen bei der Energie- und Strombesteuerung des Produzierenden Gewerbes Beiträge zur Konsolidierung des Bundeshaushalts und zur Vermeidung steuerlicher Missbrauchstatbestände leisten sollen.
- d) Der Bundesrat weist darauf hin, dass die steuerlichen Mehrbelastungen die ohnehin schon hohen Lasten der Wirtschaft aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz und dem EU-weiten Emissionshandel nochmals verschärfen würden. Bereits heute sind die Energiekosten von Industrie und Handwerk in Deutschland im europäischen Vergleich zu hoch.
- e) In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass sich die deutsche Wirtschaft in der Klimaschutzvereinbarung mit der Bundesregierung vom 9. November 2000 verpflichtet hat, ihre spezifischen klimaschädlichen Emissionen von 1990 bis 2012 um 35 Prozent zu senken.
Diese freiwillige Selbstverpflichtung wird von der Wirtschaft eingehalten. Im Gegenzug hat die Bundesregierung zugesagt, sich dafür einzusetzen, dass der teilnehmenden Wirtschaft auch bei der Fortentwicklung der Ökologischen Steuerreform im internationalen Vergleich keine Wettbewerbsnachteile entstehen.
- f) Darüber hinaus bittet der Bundesrat, die beabsichtigte Einschränkung der Steuerermäßigungen für das Energie-Contracting noch einmal zu überprüfen. Die steuerliche Begünstigung sollte weiterhin möglich sein, wenn Energiedienstleistungen zu signifikanten Verbesserungen der Energieeffizienz führen und Energiedienstleistungsunternehmen bestimmte Kriterien hinsichtlich Investition, Erhöhung der Energieeffizienz und Übernahme von Risiken erfüllen.
- g) Der Bundesrat bedauert, dass die Bundesregierung von der noch im Koalitionsvertrag vorgesehenen steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung für diese Legislaturperiode Abstand nehmen will. Im Zusammenhang mit den beispielsweise in der so genannten Koch-Steinbrück-Liste vorgeschlagenen - Gegenfinanzierungsmöglichkeiten bittet der Bundesrat um Prüfung, ob nicht zumindest ein Einstieg in die steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung möglich ist etwa für kleine und mittlere Unternehmen.
2. Zu Artikel 1 (§ 5 Nummer 4 LuftVStG)
In Artikel 1 ist § 5 Nummer 4 wie folgt zu fassen:
"4. Abflüge von Fluggästen auf Flugstrecken zu und von einer inländischen Insel bis zu einer Entfernung von 100 km zwischen Start- und Zielort (Luftlinie);"
Begründung:
Für die Daseinsvorsorge der Inselbewohner ist die auf die medizinische Versorgung und die hoheitliche Aufgabenwahrnehmung beschränkte Steuerbefreiung unzureichend. Zum Beispiel muss auch der Bereich der technischen Versorgung mit berücksichtigt werden.
Denn in diesem Bereich werden Leistungen auch von Personen erbracht, die für diesen Zweck den Flugverkehr nutzen (müssen), aber ihren Hauptwohnsitz nicht auf den Inseln haben. Die Besteuerung auch dieser Flüge muss daher entfallen.
Die Besteuerung der kurzen Inselflüge führt insgesamt zu einer unverhältnismäßigen Verteuerung des Flugpreises. Die Flugzeit beträgt nur fünf Minuten. Das Ticket für die einfache Flugstrecke z.B. die im Inselflugverkehr besonders häufig frequentierte Flugstrecke Norddeich - Juist erhöht sich aber von derzeit 38 Euro um mehr als 25 Prozent auf 47,52 Euro. In der Folge ist mit einem Rückgang der Passagierzahlen zu rechnen. Auch der touristische Flugverkehr ist aber Grundvoraussetzung für eine ausreichende Inselversorgung, da die Gästeflüge der Mitbeförderung von Versorgungsgütern, Dienstleistern, Fachkräften etc. dienen. Im Jahr 2009 fanden durch niedersächsische Unternehmen etwa 120 000 Beförderungen zu und von den inländischen Nordseeinseln statt, mit einem überwiegenden Anteil an Freizeit- und Urlaubsgästen.
Der zu erwartende deutliche Rückgang der Passagierzahlen lässt erhebliche negative Folgen für die betroffenen Unternehmen erwarten, die zwangsläufig zu einer Einschränkung des Flugbetriebs bis hin zur Einstellung einzelner Strecken führen müssen. Der wirtschaftliche Betrieb der erforderlichen Infrastruktur wäre nicht mehr sichergestellt. Damit ist der für die Daseinsvorsorge der Inseln unverzichtbare regelmäßige, ganzjährige Flugbetrieb gefährdet.
Die vorgeschlagene Herausnahme des inländischen Inselflugverkehrs für Entfernungen bis 100 km aus der Steuererhebung hat finanziell nur unbedeutende Auswirkungen, sie liegt bei 120 000 Beförderungen pro Jahr bezogen auf die angestrebten Mehreinnahmen von einer Mrd. Euro im Bereich von einem Promille.
3. Zu Artikel 6 (EnergieStG) und zu Artikel 7 (StromStG) allgemein
- a) Die von der Bundesregierung beschlossene Rückführung der steuerrechtlichen Sonderregelungen für das Produzierende Gewerbe darf nicht dazu führen, dass die energieintensive Industrie und der Mittelstand in Deutschland Wettbewerbsnachteile erleiden. Die notwendige Konsolidierung des Bundeshaushalts kann nur gelingen, wenn die Wachstumspotenziale der Wirtschaft nicht gefährdet werden.
- b) Deshalb erachtet es der Bundesrat für notwendig, dass einzelne Sparmaßnahmen nicht die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen beeinträchtigen. Mit einer Verteuerung der Produktion in Deutschland ist die Gefahr verbunden, dass Unternehmen Betriebsstätten in Länder mit geringeren Energiekosten und niedrigeren Umweltstandards verlagern. Dies würde Arbeitsplätze in Deutschland gefährden und gleichzeitig global zu höheren Schadstoffemissionen führen.
Begründung:
Zu Buchstabe b:
Deutschland ist ein Industrieland. Die Unternehmen des Produzierenden Gewerbes tragen wesentlich zu Wohlstand und Wachstum bei. Die breit aufgestellte Industrie mit ihren umfassenden Wertschöpfungsketten hat einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet, dass Deutschland die Wirtschaftskrise vergleichsweise glimpflich überstanden hat.
Eine Voraussetzung der Stärke der Industrie ist ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit. Diese darf nicht durch hohe Energiepreise gefährdet werden. Die Reduzierung der Ausnahmeregelungen bei der so genannten Strom- und Energiesteuer geht über den Abbau von Mitnahmeeffekten hinaus. Die Erhöhung der Sockelbeträge, die Kürzung der Entlastungsbeträge sowie die Einschränkungen beim Spitzenausgleich erhöhen die Energiekosten für die Unternehmen zum Teil erheblich. Dies schwächt die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen und verringert die Wachstumsaussichten der deutschen Wirtschaft. Standortverlagerungen insbesondere der energieintensiven Grundstoffindustrie ins Ausland drohen. Diese würden die langen Wertschöpfungsketten zerstören und damit eine strukturelle Stärke des Standorts Deutschland und Arbeitsplätze gefährden. Standortverlagerungen in Länder mit billigerer Energie und geringeren Effizienzstandards bergen zudem die Gefahr, die globalen CO₂-Emissionen zu erhöhen.
- c) Vor diesem Hintergrund bittet der Bundesrat im weiteren Verfahren um Prüfung, ob die Belastungseffekte für die Wirtschaft durch eine Anpassung der zentralen Änderungen im Energie- und Stromsteuergesetz - Aufstockung der Sockelbeträge, Anhebung der ermäßigten Energie- und Stromsteuersätze für das Produzierende Gewerbe und Reduzierung des Spitzenausgleichs entschärft werden können.
4. Zu Artikel 7 (StromStG) und Artikel 8 (StromStV)
Der Bundesrat fordert im Interesse der betroffenen Unternehmen die Bundesregierung auf, zur Sicherstellung einer kontinuierlichen Steuervergütung zeitnah die Stromsteuer-Durchführungsverordnung anzupassen.
Begründung:
Mit Aufhebung von § 9 Absatz 3 des Stromsteuergesetzes geht eine Vielzahl von Verweisen in der Stromsteuer-Durchführungsverordnung ins Leere. Dies beschränkt sich nicht allein auf § 17. Damit es nicht zu Nachteilen für die betroffenen Unternehmen kommt, ist eine zeitnahe Anpassung unabdingbar.
5. Zu Artikel 13 Nummer 1 und 2 (§ 2 Absatz 1 Satz 2,
Absatz 2 Satz 2, Absatz 7 Satz 1 und 2 und § 10 Absatz 5 BEEG)
Der Bundesrat hält es für besonders dringlich, dass das Inkrafttreten der Änderungen zum Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz im Interesse der Eltern und der mit dem Vollzug befassten Länder mit einer Stichtagsregelung für Neufälle verbunden wird.
Der Bundesrat fordert, im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens eine Übergangsregelung durch die Aufnahme einer Stichtagsregelung, abhängig von dem Geburtstag des Kindes, zu schaffen, die den Eingriff in laufende Fälle vermeidet. Dadurch würde den Belangen der Vollzugsstellen und der Akzeptanz der anstehenden Rechtsänderungen bei den betroffenen Eltern Rechnung getragen und gewährleistet, dass das Elterngeld weiterhin als eine erfolgreiche, bürgernahe Familienleistung in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird.
Begründung:
Sollte ein unmittelbares Inkrafttreten zum 1. Januar 2011 erfolgen, müssten dementsprechend die betroffenen Fälle mit hohem Aufwand ermittelt und Änderungsbescheide erlassen werden. In einer Vielzahl von Fällen wird es zu Überzahlungen und entsprechenden Rückforderungen kommen. Mit einer großen Anzahl von Widerspruchsfällen, ggf. anschließenden Klageverfahren sowie mit erheblichem Unverständnis für die komplexe Konstellation in der Öffentlichkeit ist zu rechnen.
6. Zu Artikel 13 Nummer 1 Buchstabe c Doppelbuchstabe bb (§ 2 Absatz 7 Satz 2 BEEG)
In Artikel 13 Nummer 1 Buchstabe c Doppelbuchstabe bb sind in § 2 Absatz 7 Satz 2 die Wörter "oder pauschal besteuerte" zu streichen.
Begründung:
Die mit dem Gesetzentwurf beabsichtigten Maßnahmen zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes werden dem Grundsatz sozialer Ausgewogenheit nicht gerecht.
Die Nichtberücksichtigung von pauschal besteuerten Einnahmen bei der Berechnung des Elterngeldes benachteiligt Erwerbstätige mit geringen Einkommen. Dies ist nicht nur sozialpolitisch verfehlt, sondern zugleich gleichstellungspolitisch bedenklich. Betroffen wären von dieser Regelung vor allem Frauen, da sie überproportional häufig geringfügig beschäftigt sind.
Aus der Begründung des Gesetzentwurfes erschließt sich nicht, aus welchen Gründen den im Niedriglohnbereich Beschäftigten die "Anerkennung der Erziehungsleistung" zukünftig verwehrt werden soll.