Der Bundesrat hat in seiner 950. Sitzung am 4. November 2016 beschlossen, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Zu Artikel 2 Nummer 1 (§ 104 Absatz 1 Satz 1 InsO)
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung um Prüfung, ob die Energiehandelsgeschäfte über Strom und Gas nach dem Wortlaut von § 104 InsO-E hinreichend klar in dessen Geltungsbereich fallen.
Begründung:
§ 104 InsO regelt, dass bestimmte langfristige Verträge im Falle der Insolvenz eines Vertragspartners kraft Gesetzes beendet werden und der Insolvenzverwalter damit kein Wahlrecht nach § 103 InsO hat, die weitere Erfüllung des Vertrages zu verlangen. Der Vertragsgegner erlangt unmittelbar nach der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens Klarheit darüber, dass er sich bei Bedarf durch den Abschluss eines Ersatzgeschäftes neu eindecken kann.
Energieversorgungsunternehmen sind darauf angewiesen, auf den Handelsmärkten Strom- und Gasmengen auf Termin (zum Beispiel für die Jahre 2017 und 2018) einzukaufen und zu verkaufen, um die Endkunden mit bereits fest abgesicherten Preisen beliefern zu können. Die Termingeschäfte dienen der Preissicherung. Genau wie der Finanzmarktbereich sind auch die Energieversorgungsunternehmen aus diesem Grund darauf angewiesen, dass der gesamte Rahmenvertrag und sämtliche Termin-Kauf- und Termin-Verkaufsgeschäfte im Falle der Insolvenz des Vertragspartners einheitlich und sofort beendet werden, um inhaltsgleiche neue Beschaffungsgeschäfte am Markt tätigen zu können.
Nach der Fassung von § 104 InsO-E ist es nicht frei von Zweifeln, dass die Energiegroßhandelsgeschäfte unter den Geltungsbereich des § 104 InsO-E fallen.
§ 104 Absatz 1 Satz 1 InsO-E beschränkt den Geltungsbereich auf Waren, die einen Markt- oder Börsenpreis haben. Auch wenn der Begriff Ware auf körperliche Gegenstände gerichtet ist, entspricht es der Rechtsprechung, dass auch Strom unter den Begriff der Ware fällt (BGH CR 2009, 455 Rn. 8). Allerdings handelte es sich bei den beiden vom BGH in Bezug genommen Entscheidungen des Reichsgerichtes RGZ 56, 403 [404 f.] und 67, 229 [232] um Sachverhalte, die jeweils die physikalischen Strom-Entnahmen an Endabnahmestellen betrafen. In der Entscheidung RGZ 56, 403 sah das Reichsgericht Strom als eine Menge von Sachen im Sinne des preußischen Stempelsteuergesetzes an, in der Entscheidung RGZ 67, 229 als Ware, die Gegenstand von Lieferverträgen sein könne. Angesichts der restriktiven Auslegung des § 104 InsO durch den BGH können Zweifel aufkommen, dass Termingeschäfte über Strom- und Gaslieferungen, die über Fahrpläne in Bilanzkreisen abgewickelt werden und damit reine Buchungsvorgänge darstellen, noch als Warenlieferungen oder Warentermingeschäfte im Sinne von § 104 InsO-E verstanden werden. In der Literatur wird dies teilweise angenommen ( so GrafSchlicker/Bornemann, InsO, 3. Auflage, § 104 Rn. 10 und Fußnote 38 für die Stromterminkontrakte ), teilweise werden solche Geschäfte aber auch als Kauf von Strombezugsrechten (Rechtskauf) angesehen.
Diese Energielieferungsverträge sollen zum notwendigen Schutz des Vertragsgegners in den Anwendungsbereich von § 104 InsO-E fallen (vgl. BR-Drucksache 548/16 (PDF) , Allgemeiner Teil der Begründung, II. 2. Buchstabe b, S. 8). Die Bundesregierung wird daher um Prüfung gebeten, ob der Wortlaut insoweit das Gewollte hinreichend klar zum Ausdruck bringt.
2. Zu Artikel 2 Nummer 1 (§ 104 Absatz 2 InsO)
Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren § 104 Absatz 2 InsO-E klarstellend dahingehend zu ergänzen, dass die bei Beendigung noch ausstehenden Leistungen, Lieferungen, Zahlungen sowie fälligen Zinsen in die Berechnung der Forderung wegen Nichterfüllung einbezogen werden.
Begründung:
Bisher ging die Praxis unstreitig davon aus, dass noch ausstehende Leistungen, Lieferungen, Zahlungen und fällige Zinsen in die Berechnung des einheitlichen Ausgleichsanspruchs wegen Nichterfüllung einzubeziehen sind. Denn aufgrund der Einbeziehung reflektiert die Nichterfüllungsforderung den tatsächlichen Marktwert der beendeten Positionen.
Aufgrund der Ausführungen des BGH im Urteil vom 9. Juni 2016 (Az: IX ZR 314/14) besteht die Möglichkeit, dass er diese Auffassung zukünftig nicht mehr teilen wird. Im dem dem Urteil zugrunde liegenden Fall war eine Entscheidung zwar entbehrlich. Der BGH hat aber bereits anklingen lassen, dass eine rahmenvertragliche Regelung, die Zinszahlungen schon ab Fälligkeit auch für die Ausgleichszahlung anordne, eine Abweichung von § 104 Absatz 2 und 3 InsO darstelle und deshalb unwirksam wäre.
Daher ist eine Klarstellung geboten, die passgenau auf die Systematik des § 104 InsO-E zugeschnitten ist. Diese erhöht die Rechtssicherheit nicht nur für die Marktteilnehmer aus dem Bereich der Kreditwirtschaft, sondern auch für die sonstigen Marktteilnehmer, zu denen neben Kapitalverwaltungsgesellschaften, Versicherungen, Industrie- und Energieunternehmen auch mittelständische Unternehmen und die öffentliche Hand gehören. Gleichzeitig muss sie sich begrifflich in die Insolvenzordnung einfügen.