- 'I. Allgemeines Bereits im Jahr 2003 hat der Bundesrat (BR-Drucksache 595/03 (PDF) - Beschluss -) einem Entschließungsantrag zugestimmt, nach dem zum einen ein zentrales Register für Zirkusbetriebe geschaffen und zum anderen ein Haltungsverbot für Affen, Elefanten und Großbären ausgesprochen werden sollte. Während das Zirkuszentralregister inzwischen eingeführt ist, wurde das Verbot zur Haltung bestimmter wildlebender Tierarten von der Bundesregierung nicht ausgesprochen.
Mit der zentralen Erfassung aller Wanderzirkusse ist zwar nun eine wirkungsvolle länderübergreifende Überwachung möglich geworden, aber für bestimmte Tierarten ist eine artgerechte Haltung in diesen Betrieben systemimmanent nicht möglich. Auf der Vollzugsebene lässt sich diese Problematik nicht lösen.
- II. Zur Verfassungsmäßigkeit eines Verbotes bestimmter Wildtiere und im Hinblick auf die Dienstleistungsfreiheit der EU
Das Verbot der Haltung bestimmter Tiere stellt einen Eingriff in die Berufsfreiheit der betroffenen Personen dar, der aber als geringgradig zu beurteilen ist.
Es geht hier allein um eine marginale Berufsausübungsbeschränkung, nicht etwa um einen Eingriff in die Berufswahl (weder objektiv noch subjektiv).
Die Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit wird für verhältnismäßig erachtet. Der Tierschutz ist mit der Aufnahme als Staatsziel in Artikel 20a GG als überragend wichtiges Gemeinschaftsgut einzuordnen.
Das Verbot zur Haltung der genannten Arten ist zum einen geeignet, den Tierschutz zu fördern und zum anderen auch erforderlich, da ein gleich wirksames, weniger stark die Berufsausübung einschränkendes Mittel nicht vorhanden ist. Die Erforderlichkeit unterstellt, ist das Verbot somit verhältnismäßig im engeren Sinne. Eine Abwägung zwischen der Schwere des damit verbundenen Grundrechtseingriffs und dem zu schützenden Rechtsgut "Tierschutz" ergibt, dass das Verbot eine angemessene und auch zumutbare Belastung für den Zirkusunternehmer darstellt.
Zirkusunternehmen bestehen in aller Regel aus einer Vielzahl von Präsentationsnummern. Das Verbot der Haltung einiger weniger (nämlich 6 Tierarten) betrifft nur einen äußerst geringen Teil des beruflichen Tuns angesichts der Vielfalt der Tierarten, die noch gehalten werden können.
Für die eigenständigen Engagementnummern könnte ein Verbot der Haltung dieser Tierarten einem Berufsverbot gleichkommen. Dagegen spricht allerdings, dass das Verbot zum einen lediglich einige wenige Arten umfasst und dass zum anderen viele der klassischen Tierlehrer eben nicht nur solche Tiere trainieren, für die künftig die Haltung verboten wird (siehe Veröffentlichung des Berufsverbandes der Tierlehrer e. V - http://www.tierlehrerverband.de/ sowie diverse Ausgaben der Circus Zeitung). Andere Berufe haben sich im Laufe der Zeit auch wandeln und auf gesellschaftliche Veränderungen einstellen müssen. Es bleibt darüber hinaus für die betroffenen Tierlehrer möglich, entweder in festen Ortseinrichtungen mit den entsprechenden Tierarten aufzutreten oder bspw. als Tiertrainer weiterhin für Film- und Fernsehproduktionen tätig zu sein - zumal es sich bei der Tätigkeit des Elefanten- oder Affendompteurs nicht um einen jeweils eigenständigen Beruf handelt. Ein Verbot bestimmter Tierarten betrifft daher auch bei den Tierlehrern "nur" die Berufsausübungsfreiheit und nicht die Berufswahl und ist somit verhältnismäßig.
Sofern die Berufsausübungsregelung zulässig ist, dürfte grundsätzlich auch die Eigentumsbeschränkung zulässig sein und damit der Eingriff in Artikel 14 Absatz 1 GG ebenfalls verfassungsmäßig sein.
Die Dienstleistungsfreiheit zählt zu den Grundfreiheiten der EU und darf durch das Recht der Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht beschränkt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH ist dies jedoch ausnahmsweise zulässig, wenn die folgenden vier Voraussetzungen erfüllt sind:
- a) Nichtdiskriminierung - im vorliegenden Falle besteht kein Unterschied zwischen inländischen und ausländischen Unternehmen.
- b) Gemeinschaftsrechtlich legitimes Ziel - das Verbot dient dem Tierschutz, der schon seit 1999 im Gemeinschaftsrecht (TierSchProtokoll zum Vertrag von Amsterdam) verankert ist und auch Eingang in den EU-Reform-Vertrag fand. Dieser beinhaltet den Schutz der Tiere als "fühlende Wesen" in dem Wortlaut, wie er für die gemeinsame Verfassung vorgesehen war. Damit handelt es sich um ein verfassungskonformes Ziel.
- c) Eignung zur Erreichung des angestrebten Zieles - das Verbot ist zweifelsfrei geeignet, den Tierschutz zu fördern und besser zu gewährleisten. Zudem führt es zu einer Verwaltungsvereinfachung.
- d) Erforderlichkeit für die Erreichung des angestrebten Zieles - erforderlich ist eine Maßnahme, wenn es kein milderes Mittel gibt.
Mildere Mittel, wie die des Vollzugs im Einzelfall und die Einführung des Zirkusregisters haben bisher keine ausreichende Wirkung entfaltet. Darüber hinaus haben Wildtiere eine geringere Anpassungsfähigkeit als domestizierte Tiere an eine restriktive Haltung. Sie stellen zweifelsfrei damit noch höhere Anforderungen an eine verhaltensgerechte Betreuung, Unterbringung und Pflege. Die Haltung der o.g. Wildtiere im Zirkus ist mit einer Reihe von Belastungen verbunden, die einen angemessenen Schutz der Tiere in solchen Einrichtungen faktisch unmöglich machen.
Im Einzelnen sind zu nennen Transport, Unterbringung und Dressur. Diese Gründe sind systemimmanent, liegen in der Natur des Zirkus selbst und können auch durch strengere Anforderungen an die Haltung der Tiere nicht verändert werden. Selbst eine behördliche Bewilligungspflicht kann deshalb den Schutz dieser Tiere nicht gewährleisten. Das Verbot ist aus diesen Gründen erforderlich.
Ein Verbot bestimmter Wildtierarten im Zirkus ist somit auf Grund der sorgfältigen Abwägung und Nennung nur einiger weniger Tierarten verfassungs- und EU-rechtskonform.
Andere Länder sind diesen Schritt längst gegangen. Mittlerweile gibt es in 13 Ländern der EU ein vollständiges Verbot der Haltung von Wildtieren im Zirkus oder starke Einschränkungen. Die EU gesteht ihren Mitgliedstaaten ausdrücklich das Recht zu, den Bereich der Haltung von Wildtieren im Zirkus eigenständig zu regeln. Auch weltweit sind schon viele Staaten diesen Weg eines Verbotes gegangen.
Auch bleibt der Zirkus als Kulturgut erhalten. Die Herausnahme einiger weniger exotischer Tierarten, die nicht mehr mitgeführt werden dürfen, ändert daran nichts. Darüber hinaus haben auch andere Kulturgüter bzw. Kulturerben, in denen Tiere Verwendung fanden, in den vergangenen Jahren eine Wandlung erfahren. Beispiele sind die Abschaffung der traditionellen Fuchsjagd in England und Schottland oder die Beendigung des Stierkampfes in Katalonien.
- III. Zur Frage der art- und verhaltensgerechten Haltung bestimmter Tierarten im Zirkus
Zurzeit können grundsätzlich alle Wildtierarten in Zirkussen gehalten werden.
Spezielle ausführende Rechtsvorschriften für die Tierhaltung im Zirkus gibt es nicht. Die einschlägigen Leitlinien entsprechen nicht dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis und dienen zudem lediglich der Orientierung. Sie sind nicht rechtsverbindlich und gehen darüber hinaus von einer wissenschaftlich nicht belegten und inzwischen überkommenen Hypothese aus. Diese besagt, dass Wildtiere die Reduktion ihres Lebensraumes auf ein Minimum und das Nichterfüllen ganzer Verhaltenskreise dadurch kompensieren könnten, dass sie nicht selbstbestimmte Dressurleistungen in der Manege zeigen. Wie die aus 2009 stammenden "Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten" auch belegen, ist nicht selbstbestimmte Arbeit nicht einmal ausreichend, um den Verhaltenskreis "Bewegung" angemessen zu erfüllen bzw. zu berücksichtigen.
Es gibt in Deutschland etwa zehn größere Zirkusse, einige mittlere und in der Überzahl kleine und Kleinstzirkusse, die teilweise nur regional reisen sowie 250 Unternehmen, die den reisenden Zirkusbetrieben zugeordnet werden können.
Die Erfahrung zeigt, dass die bestehenden Regelungen zum Schutz von Tieren bei einigen Wildtierarten nicht greifen, weil eine art- und verhaltensgerechte Unterbringung unter den besonderen Bedingungen eines reisenden Zirkusunternehmens praktisch nicht möglich ist. Oft können die betroffenen Tiere auch nicht weggenommen und anderweitig untergebracht werden, da Auffangmöglichkeiten nicht immer und ausreichend vorhanden sind. Deshalb muss dringend verhindert werden, dass weiterhin Tiere dieser Arten in Zirkusbetriebe gelangen können. Dabei darf nicht übersehen werden, dass sich weggenommene und anderweitig untergebrachte Tiere, anders als oft angenommen, in sachkundig geleiteten Haltungen fast immer resozialisieren lassen.
Bei einigen Tierarten, nämlich insbesondere bei Affen (nicht menschliche Primaten), Bären, Elefanten, Giraffen, Nilpferden und Nashörnern, können die Verhaltensansprüche der Arten in einem reisenden Zirkus schon im Grundsatz nicht erfüllt werden, denn:
- - Sie sind - wenn auch manchmal gezähmt - sicherlich nicht domestiziert und stellen daher besonders hohe Ansprüche an ihre Unterbringung, Ernährung, Pflege und an die Sachkunde des Halters (so sind sämtliche Elefanten in deutschen Zirkussen bis auf eine Ausnahme in der Freiheit geboren und nachweislich Wildfänge). - Sie verbringen einen Großteil ihres Lebens in engen Transportwagen (auf Fahrten bis zu 50 Mal pro Jahr plus Auf- und Abbauzeit - dabei stehen die Tiere nachweislich bis zu 20 Stunden im Transportfahrzeug). Die Zeit für freie, selbstbestimmte Bewegung und anderes artgemäßes Verhalten ist auch dadurch unverhältnismäßig stark beschränkt.
- - Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 6. Juli 1999 zur Hennenhaltungsverordnung von 1987 dürfen "artgemäße Bedürfnisse" nicht unangemessen zurückgedrängt werden. Dazu zählt insbesondere auch das Sozialverhalten. Dieses ist gerade bei Elefanten und nicht menschlichen Primaten von besonderer Bedeutung und Komplexität. Bei Bären ist Winterruhe von grundlegender Bedeutung.
- - Es ist wissenschaftlich belegt, dass regelmäßige und zum Teil lange Transporte zwar einen gewissen Gewöhnungseffekt bei den Tieren haben, aber dass dies immer noch zu regelmäßigen Belastungen durch Stress führt. - Gleiches gilt in hohem Maße für die Einzelhaltung von Tieren, die in freier Wildbahn gesellig in Rudeln oder in (Familien-) Gruppen leben (z.B. Elefanten), bzw. bei der Gemeinschaftshaltung von Einzelgängern, die auf engstem Raum zusammengepfercht werden (z.B. Bären).
- - Die eigentlich notwendige Einrichtung von ausreichend großen, ausbruchsicheren und artgerecht ausgestatteten Gehegen kollidiert mit der Notwendigkeit zur fortwährenden Mobilität (bis zu 50 Reisetage pro Jahr).
- - Ferner sind vermehrte Zwischenfälle mit den genannten Tierarten und Ausbrüche von Zirkustieren augenfällig, die auch die Bevölkerung immer wieder gefährden.
- - Die wenigsten Zirkusbetriebe verfügen über geeignete, beheizbare Winterquartiere, die auch bei schlechter Witterung eine artgerechte Haltung kälteempfindlicher Wildtierarten ermöglichen. Dagegen nehmen die sogenannten "Weihnachtszirkusse", die zu einem Durchspielen in der kalten Jahreszeit führen, ständig zu. Insofern entsprechen viele Zirkusse nicht mehr dem herkömmlichen Bild, das wenigstens in den kalten Monaten eine stationäre Tierhaltung zulässt.
- - Viele Zirkusbetriebe sind wirtschaftlich nicht in der Lage, die finanziellen Mittel für erforderliche Anschaffungen (auch zur Erhaltung des Sicherheitsstandards), Unterhalts- und (Spezial-) Tierarztkosten aufzubringen. Auch verfügt bislang kein einziger ständig reisender Zirkus über eine Unterbringungsmöglichkeit für seine alten und nicht mehr reisefähigen Tiere aller mitgeführten Arten. Stattdessen bedient man sich zunehmend ehrenamtlich geführter Auffangstationen, um Tiere, wenn sie wirtschaftlich uninteressant geworden sind, unterzubringen.
- - Der Beruf des/der Tierlehrers/-lehrerin ist kein Ausbildungsberuf und unterliegt keinerlei Fortbildungsvorgaben. Zudem sind die Pfleger der Zirkustiere, nicht vergleichbar mit solchen in zoologischen Einrichtungen, in der Regel keine gelernten Tierpfleger.
- - Diese Lebenssituation führt insbesondere bei den hier aufgeführten Tierarten zu Leiden, die sich oft in Verhaltensstörungen (z.B. Elefanten, Affen), Kümmern (z.B. bei Elefanten) und Erkrankungen (z.B. zeigten Bären bei tierärztlichen Untersuchungen anlässlich ihrer Übereignung an Auffangstationen gravierende Erkrankungen, die im Reisebetrieb offensichtlich weder erkannt noch behandelt worden waren) zeigen. Auffallend sind auch die häufigen Todesfälle (z.B. bei jungen Giraffen).
Eine besondere Problematik stellt die Handaufzucht von nicht menschlichen Primaten dar. Ohne sie ist ein Vorführen im Zirkus nicht möglich.
Sie führt aber, insbesondere bei Menschenaffen, zu lebenslangem Leiden durch diese Fehlprägung, da die Tiere wichtige innerartliche Kommunikationsmöglichkeiten nicht lernen. Die Resozialisierung solcher Tiere ist, wie die Dokumentationen der einschlägigen Auffangstationen eindrucksvoll belegen, zwar erfolgreich möglich, aber nur noch mit einem enormen Aufwand und großer Sachkunde.
Auf der Vollzugsebene ist die Problematik nicht lösbar. Die Verweigerung einer Erlaubnis nach § 11 des Tierschutzgesetzes ist nur im Einzelfall anwendbar, aber zur generellen Regelung von Missständen nicht geeignet. Ebenso wenig lassen sich bei bestimmten Tierarten grundlegende Verbesserungen der Tierhaltung über Verfügungen nach § 16 des Tierschutzgesetzes praktisch durchsetzen. Und auch die Wegnahme und anderweitige Unterbringung von Tieren ist oft problematisch. Geeignete Auffangstationen übernehmen die Tiere zu Recht oft nur dann, wenn gleichzeitig ein Wiederauffüllen der Plätze verhindert wird.
Um der Problematik wirkungsvoll begegnen zu können, muss daher verhindert werden, dass die Tierarten, die absehbar gefährdet sind, weiter in Zirkussen gehalten werden.
Die ersten Erfahrungen mit dem Zirkusregister haben gezeigt, dass es systemimmanent bedingt trotz der zentralen Erfassung aller Wanderzirkusse nicht zu spürbaren Verbesserungen in den Tierhaltungen der genannten Arten gekommen ist.'