A. Problem
Durch das 13. Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes vom 31. Juli 2011 (BGBl. I S. 1704) ist für mehrere Kernkraftwerke die Berechtigung zum Leistungsbetrieb mit Ablauf des 6. August 2011 erloschen. Die Anlagen müssen stillgelegt werden. Hierzu bedarf es atomrechtlicher Stilllegungsgenehmigungen. Diese müssen von den Betreibern der Kernkraftwerke beantragt werden.
Auch ein Jahr nach Inkrafttreten der vorgenannten Regelungen zur Beendigung des Leistungsbetriebs sind noch nicht für alle von einer endgültigen Betriebseinstellung unmittelbar betroffenen Anlagen die zur Durchführung entsprechender Stilllegungsgenehmigungsverfahren notwendigen Genehmigungsanträge gestellt worden. Das geltende Recht enthält keine expliziten Regelungen, in welchem Zeitrahmen Betreiber Stilllegungsanträge stellen und eine Stilllegung abwickeln müssen. Das geltende Recht räumt Betreibern hinsichtlich der Stilllegungsvarianten auch Wahlmöglichkeiten ein, die nicht mehr adäquat sind. Die Pflichten der Kernkraftwerksbetreiber zur Stilllegung von Anlagen sind nur unzureichend geregelt. Das Recht der Stilllegung kerntechnischer Anlagen bedarf ergänzender Konkretisierungen und Modifizierungen. Solche sind sowohl hinsichtlich der Stilllegungspflichten der Kernkraftwerksbetreiber als auch hinsichtlich der Durchsetzungsmöglichkeiten für die zuständigen Behörden erforderlich.
B. Lösung
Änderung des Atomgesetzes.
C. Alternativen
Keine.
D. Kosten
Durch die in dem Gesetz vorgesehene Konkretisierung der Stilllegungspflichten der Kernkraftwerksbetreiber werden Bund, Ländern und Gemeinden keine zusätzlichen Kosten entstehen. Relevante Auswirkungen auf die Einzelpreise und das Preisniveau, insbesondere auf das Verbraucherpreisniveau, sind nicht zu erwarten.
Gesetzesantrag des Landes Schleswig-Holstein
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes
Der Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein
Kiel, den 23. Oktober 2012
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Horst Seehofer
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierung Schleswig-Holstein hat beschlossen, dem Bundesrat den als Anlage mit Begründung beigefügten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes mit dem Antrag zuzuleiten, seine Einbringung beim Deutschen Bundestag gemäß Artikel 76 Absatz 1 Grundgesetz zu beschließen.
Ich bitte Sie, den Gesetzesantrag gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der 902. Sitzung des Bundesrates am 2. November 2012 aufzunehmen und anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Torsten Albig
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes
Vom ...
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Änderung des Atomgesetzes
Das Atomgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Juli 1985 (BGBl. I S. 1565), zuletzt geändert durch Artikel 5 Absatz 6 des Gesetzes vom 24. Februar 2012 (BGBl. I S. 212), wird wie folgt geändert:
1. § 7 Absatz 3 wird wie folgt geändert:
2. Nach § 7d wird folgender § 7e eingefügt:
" § 7e Pflichten des Genehmigungsinhabers im Rahmen der Stilllegung und behördliche Durchsetzungsbefugnisse
- (1) Der Inhaber einer Genehmigung nach § 7 Absatz 1 ist verpflichtet, nach Eintritt der Voraussetzungen des § 7 Absatz 1 a Satz 1 oder im Falle einer vorzeitigen endgültigen Betriebseinstellung unverzüglich die endgültige Stilllegung und den vollständigen Abbau sowie die Beseitigung der Anlage herbeizuführen.
- (2) Ein Antrag auf Erteilung einer Genehmigung nach § 7 Absatz 3 ist für die in § 7 Absatz 1a Satz 1 Nummer 1 genannten Anlagen spätestens drei Monate nach Inkrafttreten dieses Gesetzes zu stellen. Für die in § 7 Absatz 1a Satz 1 Nummer 2 bis 6 genannten Anlagen gilt dies mit einer Frist von zwei Jahren vor Ablauf der dort genannten Zeitpunkte. Im Falle einer vorzeitigen endgültigen Betriebseinstellung ist der Antrag unverzüglich nach einer Entscheidung zur vorzeitigen Stilllegung, spätestens jedoch drei Monate nach Vollzug einer solchen Entscheidung zu stellen. Der Genehmigungsantrag ist entsprechend den maßgeblichen Regelungen der Atomrechtlichen Verfahrensverordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Februar 1995 (BGBl. I S. 180), zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 9. Dezember 2006 (BGBl. I S. 2819), und den hierzu erfolgten Konkretisierungen im untergesetzlichen Regelwerk vorzulegen.
- (3) Die zuständige Behörde kann zur Sicherstellung der in Absätzen 1 und 2 genannten Pflichten Fristen setzen sowie Auflagen und Anordnungen erlassen. Atomaufsichtliche Befugnisse bleiben unberührt. Auf Antrag kann die zuständige Behörde der Vorlage von Detailplanungsunterlagen in einem zeitlich gestaffelten Rahmen zustimmen."
3. § 46 wird wie folgt geändert:
- a) Nach § 46 Absatz 1 Nummer 3 wird folgende Nummer 3a eingefügt:
"3a. einer vollziehbaren Auflage, Fristsetzung oder Anordnung nach § 7e Absatz 3 nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig nachkommt,"
- b) § 46 Absatz 2 wird wie folgt gefasst:
Nach den Worten "im Falle des Absatzes 1 Nummer 2d und 5 mit einer Geldbuße bis zu fünfhundert Euro" werden die Worte "und im Falle des Absatzes 1 Nummer 3a mit einer Geldbuße bis zu einer Million Euro" ergänzt.
Artikel 2
Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft.
Begründung:
A. Allgemeine Begründung
Mit dem Gesetzentwurf werden die Pflichten der Betreiber zur Stilllegung von Kernkraftwerken nach Erlöschen der Berechtigung zum Leistungsbetrieb oder nach endgültiger Betriebseinstellung präzisiert und modifiziert. Das Rechtsinstrumentarium der zuständigen Behörden zur Durchsetzung wird gestärkt. Und es wird ein neuer Ordnungswidrigkeitentatbestand eingeführt.
Die im vorliegenden Gesetzentwurf enthaltenen Regelungen betreffen die Erzeugung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken und unterfallen damit der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Artikel 73 Absatz 1 Nummer 14 des Grundgesetzes.
B. Im Einzelnen
1. Zu Artikel 1
Zu Nummer 1 a) - § 7 Absatz 3 Satz 1 -
Die bislang gültige Regelung des § 7 Absatz 3 Satz 1 sah vor, dass Betreiber hinsichtlich der Stilllegung ihrer Anlagen die Wahl hatten, eine Genehmigung zur Herbeiführung eines sicheren Einschlusses oder aber zum Abbau der Anlage oder von Anlagenteilen zu beantragen. Mit der Neuregelung wird die Variante "sicherer Einschluss" gestrichen. Die Stilllegung von Kernkraftwerken ist damit künftig nur noch auf dem Abbaupfad zulässig. Ein beantragter "sicherer Einschluss" kann nicht mehr genehmigt werden.
Dies entspricht dem politischen Willen, den Atomausstieg gezielt und geordnet umzusetzen. Ein Jahre oder Jahrzehnte andauernder "sicherer Einschluss" der Anlagen wäre hiermit nicht vereinbar.
Dass im Atomgesetz bislang beide Stilllegungsvarianten nebeneinander zugelassen waren, liegt u.a. darin begründet, dass bei Inkrafttreten der ursprünglichen Regelung die technischen Verfahren für die Dekontaminierung noch nicht so ausgereift waren und auch noch keine fundierten Erfahrungen mit fernbedienten Abbautechniken für radioaktiv hochbelastete Komponenten vorlagen. Die Möglichkeit, Radioaktivität zunächst im sicheren Einschluss Jahre abklingen zu lassen, wurde deshalb als dosisminimierende Variante angesehen. Seit den 70-er Jahren bis heute hat sich diese Ausgangslage allerdings deutlich verändert. Es liegen zwischenzeitlich umfangreiche Erfahrungen mit der Stilllegung und dem Abbau von Forschungs-, Versuchs-, aber auch kommerziellen Leistungsreaktoren vor. Die Abbautechniken sind sehr weit fortgeschritten, so dass sich auch aus radiologischen Gründen nicht mehr überzeugende Gesichtspunkte für die Beibehaltung der Variante "sicherer Einschluss" ergeben.
Daneben indizieren auch weitere sicherheitstechnische Aspekte, die Stilllegung von Kernkraftwerken auf den Abbaupfad zu beschränken. Verfahren zur Stilllegung und zum Abbau von Kernkraftwerken sind überaus komplex und können sich von Antragstellung bis zur Umsetzung 15 bis 20 Jahre und mehr hinziehen. Für die Stilllegung wird qualifiziertes, erfahrenes Personal benötigt, das neben einer hervorragenden fachlichen Qualifikation insbesondere auch über sehr tiefe, spezielle Anlagenkenntnisse verfügt. Es ist deshalb wichtig, eine Stilllegung mit vorhandenem Betriebspersonal und damit Erfahrungspotential zur konkreten kerntechnischen Anlage und Betriebsgeschichte durchführen zu können. Dieses stünde aber bei einem mehr- oder langjährigen "sicheren Einschluss" aller Voraussicht nach nicht oder nicht ausreichend zur Verfügung. Es wäre dann auch mit einem Verlust an Sicherheitskultur zu rechnen.
Mit der Neufassung wird deshalb die bislang mögliche Stilllegungsvariante des "sicheren Einschlusses" ausgeschlossen.
Zu Nummer 1 b) - § 7 Absatz 3 Satz 2 -
Die Regelung beinhaltet eine Präzisierung des in der Praxis kontrovers interpretierten Begriffs der Stilllegung. Mit der Legaldefinition wird klargestellt, das unter einer genehmigungsbedürftigen Stilllegung im Sinne des § 7 Absatz 3 Maßnahmen zur Erreichung des Stilllegungsziels nach endgültiger Betriebseinstellung oder Entfall der Berechtigung zum Leistungsbetrieb und zum Abbau der Anlage oder von Anlagenteilen zu verstehen sind, soweit sie nicht Gegenstand von einer zuvor erteilten Errichtungs- und/oder Betriebsgenehmigung nach § 7 Absatz 1 Satz 1 oder einer Anordnung nach § 19 Absatz 3 gewesen sind.
Zu Nummer 2 - § 7e Absätze 1 - 3 -
Mit der Regelung in Absatz 1 werden die Pflichten eines Genehmigungsinhabers einer Anlage nach § 7 zur Stilllegung konkretisiert und präzisiert. Zum einen werden Genehmigungsinhaber in zeitlicher Hinsicht verpflichtet, unverzüglich nach Eintritt der in § 7e Absatz 1 genannten Voraussetzungen die endgültige Stilllegung herbeizuführen. Zum anderen werden Betreiber mit der Regelung zum vollständigen Abbau und zur Beseitigung der Anlage verpflichtet. Die Anlage muss also bis zur "grünen Wiese" abgebaut und beseitigt werden.
In weiterer Konkretisierung werden in Absatz 2 Fristen festgelegt, binnen derer Anträge auf Erteilung einer Stilllegungsgenehmigung gestellt werden müssen. Mit den Regelungen wird das Ziel verfolgt, notwendige Genehmigungsverfahren gezielt, geordnet und zügig durchführen zu können. Die differenzierten zeitlichen Regelungen tragen den unterschiedlichen Zeitpunkten des Erlöschens einer Berechtigung zum Leistungsbetrieb oder einer sonstigen in Betracht kommenden endgültigen Betriebseinstellung Rechnung.
Für Anlagen, die durch die 13. Atomgesetznovelle mit Ablauf des 6. August 2011 die Berechtigung zum Leistungsbetrieb verloren haben, müssen entsprechende Anträge - soweit nicht bereits erfolgt - spätestens drei Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes vorgelegt werden. Für Anlagen, deren Berechtigungen zum Leistungsbetrieb nach § 7 Absatz 1a Satz 1 Nr. 2 bis 6 spätestens in den Jahren 2015, 2017, 2019, 2021 oder 2022 erlöschen, sind die Anträge spätestens zwei Jahre vor den genannten Zeitpunkten zu stellen. Im Falle einer vorzeitigen endgültigen Betriebseinstellung ist der Antrag unverzüglich nach einer entsprechenden Entscheidung, spätestens aber drei Monate nach Umsetzung bzw. Vollzug einer solchen Entscheidung zu stellen. Dies gilt sowohl für den Fall, dass eine endgültige Betriebseinstellung auf Grund einer unternehmerischen Entscheidung des Genehmigungsinhabers erfolgt als auch für den Fall, dass die endgültige Betriebseinstellung auf Grund einer bestandskräftigen Entscheidung der zuständigen Behörde erfolgt.
Mit Absatz 2 Satz 4 wird klargestellt, dass Genehmigungsanträge entsprechend den Regelungen der Atomrechtlichen Verfahrensverordnung (insbesondere §§ 2 ff., § 19b) und unter Berücksichtigung des einschlägigen untergesetzlichen Regelwerks mit qualifizierten, prüffähigen Genehmigungsunterlagen vorgelegt werden müssen. Detaillierte Aussagen dazu enthalten insbesondere der am 26. Juni 2009 vom Länderausschuss für Atomkernenergie verabschiedete "Leitfaden zur Stilllegung, zum sicheren Einschluss und zum Abbau von Anlagen oder Anlagenteilen nach § 7 des Atomgesetzes" (Bekanntmachung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vom 12. August 2009, BAnz 2009, Nr. 162a) sowie die Empfehlung der Entsorgungskommission des Bundes "Leitlinien zur Stilllegung kerntechnischer Anlagen" (Bekanntmachung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vom 11. November 2010, Nr. 187).
Mit Absatz 3 Satz 1 wird den zuständigen Behörden das notwendige Instrumentarium zur Verfügung gestellt, die Erfüllung der Betreiberpflichten durchzusetzen. Insbesondere kann danach die zuständige Behörde einem Betreiber verbindlich Fristen für den Beginn von Rück- und Abbaumaßnahmen setzen.
Absatz 3 Satz 3 trägt dem Umstand Rechnung, dass einem Antrag auf Erteilung einer Genehmigung nach § 7 Absatz 3 grundsätzlich sämtliche zur Prüfung der Zulassungsvoraussetzungen erforderlichen Unterlagen beizufügen sind und diese sehr umfangreich sein können. Insbesondere in den Fällen des § 7e Absatz 2 Sätze 1 und 3 (Drei-Monatsfrist) dürfte eine vollständige Vorlage nicht in allen Fällen möglich sein. Die zuständige Behörde kann deshalb insbesondere in solchen Fällen im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens auf Antrag die Frist zur Vorlage von Detailunterlagen angemessen verlängern und einer sukzessiven Vorlage von Teilunterlagen zustimmen.
Zu Nummer 3 - § 46 Absatz 1 Nummer 3a und § 46 Absatz 2 -
Die Regelungen sehen vor, dass der Verstoß eines Betreibers gegen eine vollziehbare Auflage, Fristsetzung oder Anordnung nach § 7e als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße bis zu einer Million Euro geahndet werden kann.
2. Zu Artikel 2
Die Bestimmung regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.