A. Problem und Ziel
- Über § 4 Abs. 3 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) erwirbt ein in Deutschland geborenes Kind ausländischer Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht hat. Unter denselben Voraussetzungen bestand nach der Übergangsregelung in § 40b StAG für ausländische Kinder, die am 1. Januar 2000 rechtmäßig ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und das zehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, ein Einbürgerungsanspruch, der bis zum 31. Dezember 2000 geltend gemacht werden musste.
- Der automatische Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit bzw. die besondere Form der Einbürgerung sind verbunden mit der Verpflichtung nach § 29 StAG, sich nach Vollendung der Volljährigkeit zwischen der deutschen und der ausländischen Staatsangehörigkeit zu entscheiden.
- Die Optionspflicht und die daraus folgenden komplizierten Regelungen waren schon bei ihrer Einführung rechtlich und rechtspolitisch umstritten. Am 10. Dezember 2007 waren sie Gegenstand einer Anhörung im Innenausschuss des Deutschen Bundestages (Protokoll Nr. 016/54 ). Mehrheitlich waren die dort angehörten Sachverständigen der Auffassung, dass die gefundene Regelung unzweckmäßig und aus integrationspolitischer Sicht eher schädlich ist.
- Die ganz überwiegende Zahl der Optionspflichtigen ist in Deutschland verwurzelt und wird dauerhaft Teil der deutschen Gesellschaft bleiben. Es ist daher integrationspolitisch nicht sinnvoll, den Fortbestand ihrer deutschen Staatsangehörigkeit in Frage zu stellen. Der Entscheidungszwang wird der Lebenssituation der mit mehreren Staatsangehörigkeiten aufgewachsenen jungen Erwachsenen nicht gerecht und kann zu schwerwiegenden Konflikten innerhalb der betroffenen Migrantenfamilien führen. Die Durchführung des Optionsverfahrens ist mit praktischen Schwierigkeiten verbunden und verursacht einen erheblichen Verwaltungsaufwand. Der Nutzen, den die Optionsregelung im Hinblick auf das Ziel der Vermeidung von Mehrstaatigkeit hat, steht zu diesen Nachteilen in keinem Verhältnis.
B. Lösung
- Es wird die Aufhebung der in § 29 StAG geregelten Optionspflicht vorgeschlagen. Damit haben alle in Deutschland geborenen bzw. eingebürgerten Kinder, die unter § 4 Abs. 3 bzw. § 40b StAG fallen, auf Dauer die Möglichkeit, die deutsche Staatsangehörigkeit neben ihren ausländischen Staatsangehörigkeiten beizubehalten.
C. Alternativen Keine.
Folgende Regelungsmöglichkeiten stellen keine Alternative zu der vorgeschlagenen Lösung dar:
- a) Aufhebung von § 29 StAG und von § 4 Abs. 3 StAG mit Wirkung für die Zukunft, so dass diejenigen Kinder, die die deutsche Staatsangehörigkeit erworben haben, eine doppelte Staatsangehörigkeit behalten, künftig aber keine Kinder mehr eine doppelte Staatsangehörigkeit nach § 4 Abs. 3 StAG erwerben.
Diese Lösung würde die mit der Optionspflicht verbundenen Probleme beseitigen, aber um den Preis des Wegfalls der aus integrationspolitischen Gründen vom Gesetzgeber eingeführten iussoli-Regelung, die für sich genommen sinnvoll ist.
- b) Ersetzung des Wahlrechts nach § 29 StAG durch folgende einfachere Regelung:
Die Kinder, die nach § 4 Abs. 3 StAG die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben, verlieren diese automatisch mit Vollendung des 18. Lebensjahres, es sei denn, sie weisen bis zu diesem Zeitpunkt den Verlust der ausländischen Staatsangehörigkeit nach. Gleichzeitig müsste man den volljährig Gewordenen einen Einbürgerungsanspruch zubilligen, dessen einzige Voraussetzung der Nachweis der Aufgabe der ausländischen Staatsangehörigkeit ist bzw. der Unzumutbarkeit, diese aufzugeben. Dann würden die Volljährigen wie Einbürgerungsbewerber behandelt, aber alle sonstigen Einbürgerungsvoraussetzungen, wie Straflosigkeit, Sicherung des Lebensunterhalts und Ähnliches, würden im Hinblick auf die Geburt in der Bundesrepublik Deutschland entfallen.
Im Verhältnis zum Optionsmodell hätte diese Regelung den Vorteil, dass mit Vollendung des 18. Lebensjahres klare Verhältnisse eintreten und gleichzeitig die volljährig Gewordenen ihre deutsche Staatsangehörigkeit sofort wieder ohne weitere Bedingungen außer der Ausbürgerung aus der zweiten Staatsangehörigkeit erwerben können.
Die Regelung hat jedoch den Nachteil, dass in vielen Fällen ein Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit eintreten wird, zumal einige Länder ihre Staatsangehörigen nicht oder erst nach Eintritt der Volljährigkeit aus der Staatsangehörigkeit entlassen. Wegen der teilweise längeren Dauer des Verfahrens der Entlassung aus der ausländischen Staatsbürgerschaft besteht vielfach auch nicht die Möglichkeit einer sofortigen Wiedereinbürgerung. Die Betroffenen während der Dauer des Entlassungsverfahrens von der Wahrnehmung der staatsbürgerschaftlichen Rechte auszuschließen, wäre integrationspolitisch kontraproduktiv. Im Übrigen wäre auch diese Regelung mit Verwaltungsaufwand und der Schwierigkeit verbunden, dass die bestehenden ausländischen Staatsangehörigkeiten festgestellt werden müssten. Auch wären die soziologischen Bedenken gegen einen Entscheidungszwang der jungen Erwachsenen nicht ausgeräumt.
D. Finanzielle Auswirkungen
- Durch den Wegfall des Optionsverfahrens werden Mehraufwendungen der Verwaltung in nicht bezifferbarer Höhe eingespart.
E. Sonstige Kosten
Gesetzesantrag des Landes Berlin
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes
Der Regierende Bürgermeister von Berlin Berlin, den 1. September 2008
An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ersten Bürgermeister
Ole von Beust
Sehr geehrter Herr Präsident,
der Senat von Berlin hat beschlossen, den in der Anlage beigefügten
- Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes
beim Bundesrat einzubringen.
Ich bitte Sie, den Antrag gemäß § 36 Abs. 2 in Verbindung mit § 23 Abs. 3 und § 15 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der Sitzung des Bundesrates am 19. September 2008 aufzunehmen.
Mit freundlichen
Grüßen Klaus Wowereit
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes
Vom ...
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes
Das Staatsangehörigkeitsgesetz in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 102-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 5 des Gesetzes vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970), wird wie folgt geändert:
- 1. §§ 29 und 34 werden aufgehoben.
- 2. § 38 Abs. 2 Satz 4 wird wie folgt gefasst:
- "Die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens der deutschen Staatsangehörigkeit nach § 30 Abs. 1 Satz 3 ist gebührenfrei."
Artikel 2
Inkrafttreten
- Das Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.
Begründung:
A) Allgemeine Begründung
Nach § 4 Abs. 3 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) erwirbt ein in Deutschland geborenes Kind ausländischer Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht im Inland hat. Unter denselben Voraussetzungen bestand nach der Übergangsregelung in § 40b StAG für ausländische Kinder, die am 1. Januar 2000 rechtmäßig ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und das zehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, ein Einbürgerungsanspruch, der bis zum 31. Dezember 2000 geltend gemacht werden musste.
Der automatische Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit bzw. die besondere Form der Einbürgerung sind verbunden mit der Verpflichtung nach § 29 StAG, sich nach Vollendung der Volljährigkeit zwischen der deutschen und der ausländischen Staatsangehörigkeit zu entscheiden. Wer die deutsche Staatsangehörigkeit beibehalten will, ist verpflichtet, die Aufgabe oder den Verlust der ausländischen Staatsangehörigkeit nachzuweisen. Wird der Nachweis nicht bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres geführt, so geht die deutsche Staatsangehörigkeit verloren, es sei denn, dass der Deutsche vorher auf Antrag die schriftliche Genehmigung der zuständigen Behörde zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit (Beibehaltungsgenehmigung) erhalten hat.
Die Optionsregelung war Ergebnis eines politischen Kompromisses aufgrund von Vorbehalten gegen eine dauerhafte Zulassung einer infolge des iussoli-Erwerbs eintretenden Mehrstaatigkeit.
Aus verfassungsrechtlicher und völkerrechtlicher Sicht gibt es keinen zwingenden Grund, den iussoli-Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch im Inland geborene Kinder von Eltern ohne deutsche Staatsangehörigkeit, die gewisse Integrationsvoraussetzungen aufweisen, mit einer Optionspflicht zu verknüpfen.
Bereits bei der Einfügung zum 1. Januar 2000 ist die Frage aufgeworfen worden, "ob die Zielsetzung der Regelung, die Mehrstaatigkeit zu vermeiden, den administrativen Aufwand und die damit zwangsläufig verbundenen Unsicherheiten über den Status deutscher iussoli-Staatsangehöriger letztlich rechtfertigt". Am 10. Dezember 2007 fand zu der Optionspflicht und den daraus folgenden komplizierten Regelungen eine Anhörung im Innenausschuss des Deutschen Bundestages statt. Mehrheitlich waren die dort angehörten Sachverständigen der Auffassung, dass die gefundene Regelung unzweckmäßig und zur Klärung von Staatsangehörigkeitsfragen eher schädlich ist.
Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Anhörung wird die Optionsregelung aus folgenden Gründen aufgehoben:
Die Entstehung von Mehrstaatigkeit lässt sich ohnehin nicht gänzlich verhindern. Vielmehr nimmt die Verbreitung von Mehrstaatigkeit durch die Möglichkeit des Erwerbs unterschiedlicher Staatsangehörigkeiten durch Abstammung und die Vielzahl sonstiger Fallkonstellationen, in denen das Gesetz Mehrstaatigkeit zulässt (z.B. bei Besitz der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der EU oder Unzumutbarkeit der Entlassung aus der ausländischen Staatsangehörigkeit) beständig zu. Es hat sich gezeigt, dass die damit verbundenen Zweifels- und Abgrenzungsfragen lösbar sind. Mit der Optionspflicht werden die mit mehrfacher Staatsangehörigkeit verbundenen Probleme nicht grundlegend beseitigt und auch nicht nennenswert vermindert. Es ist davon auszugehen, dass in einer nicht unbeträchtlichen Anzahl von Fällen nach Abschluss des aufwändigen Optionsverfahrens die deutsche Staatsangehörigkeit neben den ausländischen Staatsangehörigkeiten bestehen bleibt, weil die Vorraussetzungen für die Erteilung einer Beibehaltungsgenehmigung vorliegen.
Es besteht auch kein Anlass für die Annahme, dass die dauerhafte Hinnahme von Mehrstaatigkeit die gesellschaftliche Integration der Betreffenden beeinträchtigen würde. Unabhängig von ihrer ausländischen Staatsangehörigkeit ist für sie Deutschland der Staat des dauernden Aufenthalts und regelmäßig auch der Staat der sozialen Heimat. Vorhandene Integrationsprobleme beruhen nicht auf einer neben der deutschen Staatsangehörigkeit bestehenden ausländischen Staatsangehörigkeit, sondern eher auf Faktoren wie der sozialen und wirtschaftlichen Lage und dem Bildungsniveau.
B) Einzelbegründung
Zu Artikel 1 Nr. 1:
Die Optionsregelung in § 29 StAG wird aufgehoben. Damit haben alle in Deutschland geborenen bzw. eingebürgerten Kinder, die unter § 4 Abs. 3 bzw. § 40b StAG fallen, auf Dauer die Möglichkeit, die deutsche Staatsangehörigkeit neben ihren ausländischen Staatsangehörigkeiten beizubehalten. Mit dem Wegfall des Optionsverfahrens können auch die in § 34 StAG speziell für dieses Verfahren vorgesehenen Regelungen zur Übermittlung von Daten entfallen.
Zu Artikel 1 Nr. 2:
Die Gebührenregelung in § 38 Abs. 2 Satz 4 StAG wird im Hinblick auf die dort enthaltenen Verweisungen auf § 29 Abs. 4 und 6 StAG angepasst.