9. Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, gegen jeden illegal aufhältigen Drittstaatangehörigen eine Rückführungsentscheidung zusätzlich zu einer Abschiebungsanordnung zu erlassen (Absatz 1 und 3), ist kontraproduktiv. Der Vorschlag versteht unter "Rückführungsentscheidung" die behördliche oder richterliche Entscheidung, mit der der illegale Aufenthalt eines Drittstaatangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt wird (Artikel 3 Buchstabe d). Eine solche Feststellung ist jedoch im Regelfall nicht erforderlich, da sich die Tatsache des illegalen Aufenthalts und die Ausreisepflicht bereits unmittelbar aus dem Gesetz ergibt, nämlich dann, wenn der Ausländer den erforderlichen Titel nicht oder nicht mehr besitzt (vgl. § 50 Abs. 1 AufenthG). Der Titelverlust wiederum ist gesetzliche Folge eines bestimmten Ereignisses wie Ablauf der Geltungsdauer, Eintritt einer auflösenden Bedingung oder insbesondere Aufhebung des Titels und Ausweisung (vgl. § 51 Abs. 1 AufenthG). Die wiederholende Feststellung gesetzlicher Folgen ist unnötig, verkompliziert das Verfahren, provoziert weitere Rechtsschutzmöglichkeiten und führt damit zu Verfahrensverzögerungen.
Auch die Pflicht zur angemessenen Fristsetzung im Hinblick auf die freiwillige Ausreise (Absatz 2) begegnet erheblichen Bedenken. Grundsätzlich hat ein illegal aufhältiger Ausländer das Land unverzüglich zu verlassen (vgl. § 50 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Zur angemessenen Behandlung des Einzelfalls genügt es, wenn die Möglichkeit der Fristsetzung besteht.
In diesem Zusammenhang ist auch nicht nachvollziehbar, dass der Richtlinienvorschlag von der Fristsetzung nur absehen will, wenn "Fluchtgefahr" besteht, und nur in diesem Fall Überwachungsmaßnahmen vorsieht: bei Gefahren für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit können Überwachungsmaßnahmen ebenfalls veranlasst sein. Weiter ist es widersprüchlich, wenn einerseits bei "Fluchtgefahr" die Ausreise ohne Fristsetzung, also offenbar unverzüglich zu erfolgen hat, andererseits aber Überwachungsmaßnahmen auferlegt werden können, die wiederum von einem fortdauernden Aufenthalt ausgehen. Zudem muss bezweifelt werden, ob bei einem fortdauernden Aufenthalt die genannten Überwachungsmaßnahmen beispielsweise ein Untertauchen des Ausländers effektiv verhindern können.
Nach Absatz 4 darf in Fällen, in denen die Mitgliedstaaten Grundrechte beachten müssen, die sich insbesondere aus der EMRK ergeben, wie die Rechte auf Nichtzurückweisung, Bildung und Erhalt der Einheit der Familie, keine Rückführungsentscheidung erlassen werden bzw. ist eine solche zurückzunehmen. In der Folge würde dies Rückführungen in nicht akzeptabler Weise erschweren, zumal diese Grundrechte regelmäßig bereits bei der Entscheidung über die Beendigung des Aufenthalts bzw. die Erteilung eines Titels berücksichtigt werden.
Für die in Absatz 5 erwähnte Möglichkeit der Mitgliedstaaten, jederzeit Aufenthaltstitel an illegal aufhältige Drittstaatangehörige zu erteilen, besteht in einer Rückführungsrichtlinie keine Notwendigkeit. Da solche "Legalisierungen" jedoch im Hinblick auf die Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatangehörigen erhebliche Auswirkungen auch auf die übrigen Mitgliedstaaten haben können, sollten zumindest insoweit Informationspflichten gefordert werden, etwa im Verfahren zur gegenseitigen Information über asyl- und einwanderungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten (s. Vorschlag der Kommission vom 10. Oktober 2005 über eine entsprechende Entscheidung des Rates, KOM (2005) 480 endg., Ratsdok. 13215/05 (BR-Drucksache 765/05 (PDF) )).
Absatz 7 widerspricht dem Grundsatz, dass Rechtsmittel gegen die Ablehnung eines Antrags auf Verlängerung des Aufenthaltstitels keine aufschiebende Wirkung haben (vgl. § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Es besteht keine Veranlassung, bei illegal aufhältigen Drittstaatangehörigen zwingend von Rückführungsmaßnahmen nur im Hinblick darauf abzusehen, dass sie nunmehr Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels stellen.