Der Bundesrat hat in seiner 892. Sitzung am 10. Februar 2012 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt den vorliegenden Verordnungsvorschlag und damit die Absicht der Kommission, durch diesen die Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 über Ratingagenturen angesichts nach wie vor festzustellender Schwächen im Ratingwesen zu überarbeiten. In der Finanz- und Staatsschuldenkrise ist deutlich geworden, dass die bisherige Regulierung der Ratingagenturen wesentliche Unvollkommenheiten und Lücken aufweist. Er unterstützt die mit dem Verordnungsvorschlag verfolgten Zielsetzungen, der mechanistischen Verwendung externer Ratings entgegenzuwirken und die entsprechende Abhängigkeit der Marktteilnehmer zu reduzieren, die Wettbewerbsbedingungen auf dem Ratingmarkt und die Ratingqualität zu verbessern, die - durch potenzielle Interessenkonflikte gefährdete - Unabhängigkeit der Ratingagenturen zu stärken, solide Ratingmethoden und -verfahren zu fördern, die Grundlagen für eine zivilrechtliche Haftung der Ratingagenturen zu schaffen und die Transparenz von Länderratings zu verbessern. Angesichts der bedeutenden Rolle der Ratingagenturen für die Finanzmärkte sind die vorgesehenen Ergänzungen deshalb wichtige und notwendige Elemente im Gesamtsystem des Aufsichtsrechts und weitere Schritte hin zu einer effektiveren staatlichen Aufsicht der Tätigkeit von Ratingagenturen.
- 2. Funktionsfähigkeit und Stabilität des gesamten Finanzsystems werden gestärkt, wenn die Finanzmarktakteure ihre Urteile über die Kreditfähigkeit von Unternehmen und Staaten auf eine breitere Basis stellen. Der Bundesrat unterstützt deshalb das Bestreben der Kommission, über den vorliegenden Vorschlag hinaus in weiteren Gesetzgebungsverfahren die Bedeutung alternativer Bewertungsverfahren zu stärken und den Umfang der Bezugnahmen auf Ratings im Aufsichtsrecht deutlich zu reduzieren.
Der Bundesrat erinnert in diesem Zusammenhang an seine Forderung an die Bundesregierung, die Anbindung aufsichtsrechtlicher Regelungen an Ratings so zu überarbeiten, dass die prozyklischen, spekulationsfördernden und tendenziell systemgefährdenden automatischen Wirkungen von Herabstufungen erheblich verringert werden.
- 3. Der Bundesrat betont die Bedeutung, die der Stärkung des Wettbewerbs auf dem Ratingmarkt zukommt. Er sieht angesichts der derzeit feststellbaren Konzentration am Ratingmarkt die dringende Notwendigkeit, den Wettbewerb am Ratingmarkt nachhaltig zu beleben.
Der Wettbewerb ist durch Regulierung zu fördern; Wettbewerb schafft Transparenz und Qualität. Verstärkter Wettbewerb kann das Risiko von Falschratings vermindern.
Die vorgesehenen Regelungen zum regelmäßigen Agenturwechsel und zur Stärkung der Transparenz und Vergleichbarkeit von Ratings sind dabei erste wichtige Schritte. Die Rahmenbedingungen für eine unabhängige, privatwirtschaftlich finanzierte europäische Ratingstiftung, wie sie das Europäische Parlament gefordert hat, haben sich damit spürbar verbessert.
Die Erhöhung der Wettbewerbsintensität durch den Eintritt neuer Wettbewerber erscheint als ein richtiger Ansatz. Ein auf Intensivierung des Wettbewerbs ausgerichteter Regulierungsrahmen könnte die Chance erhöhen, dass sich neue Wettbewerber - etwa die zurzeit diskutierte europäische Ratingstiftung - bei entsprechender Leistung am Markt etablieren.
- 4. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass eine handlungsfähige Aufsicht, die über wirksame Sanktionsinstrumente verfügt, zur Durchsetzung der im Ratingsektor geltenden Regularien und zur Gewährleistung der Qualität von Ratings unabdingbar ist. Aufsichtsfreie Räume darf es nicht geben. Eine wesentliche
Funktion der Aufsicht sollte es sein, fehlerhafte Ratings zu verhindern. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, im Zuge der Beratungen in den Gremien der EU prüfen zu lassen, ob in der Verordnung Sanktionsbefugnisse der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) im Hinblick auf nachweisbar fehlerhafte Ratings vorgesehen werden sollten.
- 5. Der Bundesrat begrüßt, dass mit dem Verordnungsvorschlag die Unabhängigkeit der Ratingagenturen gestärkt und Interessenkonflikten entgegengewirkt werden soll.
Angesichts der Bedeutung der Ratingurteile für Investoren ist es besonders wichtig, Interessenkonflikte, die Bewertungen beeinflussen könnten, möglichst weitgehend zu minimieren.
Jede Regulierung muss darauf ausgerichtet sein, möglichst lückenlos auszuschließen, dass Interessenkonflikte die Ratingqualität beeinträchtigen.
Der Bundesrat begrüßt es deshalb, dass der Verordnungsvorschlag Regelungen vorsieht, die den Einfluss von Auftraggebern und Eigentümern der Agenturen reduzieren sollen.
Von sogenannten Nebendienstleistungen können Risiken in Bezug auf die Unabhängigkeit von Ratingagenturen ausgehen. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, gegenüber der Kommission darauf hinzuwirken, dass die Zulässigkeit von Nebendienstleistungen unter diesem Aspekt überprüft wird. Des Weiteren sollte geprüft werden, ob für Prüfer von Ratingagenturen ein zeitlich befristetes Verbot für einen Arbeitsplatzwechsel zu solchen Unternehmen einzuführen ist, die sie zuvor mit einem Rating bewertet haben.
- 6. Der Bundesrat erachtet den vorgesehenen regelmäßigen Wechsel der bewertenden Agenturen als geeignet und sinnvoll, um Interessenkonflikte zu entschärfen. Allerdings muss eine möglichst hohe Konsistenz der Rating-Historie gewahrt bleiben, da europäischen Emittenten ansonsten im globalen Wettbewerb um Investoren Nachteile drohen. Der Wechsel der Agentur darf nicht allein aufgrund unterschiedlicher Methoden zu einer Ratingänderung führen. Bei der Ausarbeitung der technischen Kriterien für die Überprüfung der Ratingmethoden durch die ESMA sollte dieser Gesichtspunkt deshalb eine besondere Rolle spielen. Daneben muss Praktiken von Agenturen entgegengetreten werden, bei der Bewertung von Unternehmen derivative Sicherheiten deshalb unberücksichtigt zu lassen, weil sie lediglich über Ratings anderer Agenturen verfügen.
- 7. Im Übrigen könnten europäische Ratingagenturen besser geeignet sein, den europäischen Markt und seine Charakteristika einzuschätzen und zu bewerten, als es die bisher den Markt beherrschenden Ratingagenturen können.
Der Bundesrat begrüßt in diesem Zusammenhang die Ankündigung der Kommission, zu beobachten, inwieweit neue private Anbieter auf dem Ratingmarkt künftig für mehr Vielfalt sorgen. Der Bundesrat begrüßt ebenfalls die Ankündigung der Kommission, zu prüfen, ob und in welchem Ausmaß Mittel der Union genutzt werden könnten, um die Schaffung von Netzen kleiner Ratingagenturen zu fördern, damit diese ihre Ressourcen bündeln und Größenvorteile erzielen können.
- 8. Der Bundesrat erachtet besondere Regelungen für Länderratings als sachgerecht und angemessen. Kürzere Ratingzyklen und die schärferen Transparenzvorschriften sind geeignet, die Qualität der Ratings zu verbessern. Die Gefahr unnötiger Zusatzbelastungen der öffentlichen Haushalte durch unangemessene Ratingurteile wird hierdurch reduziert.
- 9. Er begrüßt es, dass Ratingagenturen für vorsätzliche und grob fahrlässige Verstöße gegen die Verordnung gegenüber den betroffenen Emittenten, Investoren und Kreditnehmern zivilrechtlich haftbar gemacht werden sollen.
- 10. Der Bundesrat ist grundsätzlich der Auffassung, dass die Wirksamkeit der Regulierung des Ratingsektors angesichts seines globalen Charakters im Rahmen internationaler - über die europäische Ebene hinausgehender - Abstimmung und Koordinierung erhöht werden kann. Eine solche Herangehensweise erscheint geboten, um international gleiche Rahmen- und Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten, Regulierungsarbitrage zu vermeiden und offene Märkte aufrecht zu erhalten. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, gegenüber der Kommission darauf zu dringen, verstärkt auf eine internationale Abstimmung der Regulierung des Ratingsektors hinzuwirken.