A. Problem und Ziel
Die Strafvorschrift des § 219a Strafgesetzbuch (StGB), Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft, will verhindern, dass der Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit als etwas "Normales" dargestellt und kommerzialisiert wird. Echte oder als Information getarnte Werbung soll untersagt werden.
Der Strafrahmen des § 219a StGB beträgt Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe.
Die Sanktionierung des Anbietens auch von sachlichen Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen ist jedoch nicht mehr zeitgemäß. Das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche wurde 1933 in das Reichsstrafgesetzbuch eingeführt. Die Vorschrift des § 219a StGB widerspricht den heutigen Vorstellungen von Informationsfreiheit, Selbstbestimmung und freier Arztwahl. Schwangere sollen durch Informationen in die Lage versetzt werden, selbstständig zu entscheiden, wie und bei welcher Ärztin oder bei welchem Arzt sie einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen wollen. Zugleich dürfen Ärztinnen und Ärzte nicht dafür kriminalisiert und sanktioniert werden, dass sie ihrer Aufklärungspflicht gegenüber Patientinnen nachkommen.
Überdies ist nicht einzusehen, dass über Schwangerschaftsabbrüche, die unter den Voraussetzungen des §§ 218 ff. StGB straffrei sind, nicht auch rechtmäßig informiert werden darf.
Der vorhandene Schutz erscheint zudem ausreichend: Von dem Verbot unlauterer geschäftlicher Handlungen nach § 3 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) ist auch Werbung erfasst, die gegen die Menschenwürde verstößt. Überdies untersagt § 27 der (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte (MBO-Ä) Ärztinnen und Ärzten berufswidrige Werbung, das heißt insbesondere anpreisende, irreführende oder vergleichende Werbung; sachliche berufsbezogene Informationen sind jedoch gestattet.
§ 219a StGB ist daher entbehrlich und kann aufgehoben werden.
B. Lösung
§ 219a StGB soll aufgehoben werden.
C. Alternativen
Keine.
D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentliche Haushalte
Keine.
E. Sonstige Kosten
Das Gesetz führt zu keinen zusätzlichen Belastungen.
F. Bürokratiekosten
Keine.
Gesetzesantrag der Länder Berlin, Brandenburg, Hamburg, Thüringen
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Aufhebung von § 219a StGB (Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft)
Chef der Senatskanzlei Berlin Berlin, 12. Dezember 2017
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Regierenden Bürgermeister
Michael Müller
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierungen von Berlin, Brandenburg, Hamburg und Thüringen haben am 12. Dezember 2017 beschlossen, dem Bundesrat den als Anlage mit Begründung beigefügten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Aufhebung von § 219a StGB (Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft) mit dem Antrag zuzuleiten, seine Einbringung beim Deutschen Bundestag zu beschließen.
Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf die Tagesordnung der 963. Sitzung des Bundesrates am 15. Dezember 2017 zu setzen und sie anschließend den zuständigen Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Björn Böhning
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Aufhebung von § 219a StGB (Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft)
Vom ...
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Änderung des Strafgesetzbuches
Das Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 30. Oktober 2017 (BGBl. I S. 3618) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. In der Inhaltsübersicht wird die Angabe zu § 219a wie folgt gefasst:
" § 219a (weggefallen)".
2. § 219a wird aufgehoben.
3. In § 218b Absatz 2 Satz 1 wird die Angabe "219a oder" gestrichen.
Artikel 2
Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.
Begründung
A. Allgemeiner Teil
I. Zielsetzung und Notwendigkeit der Regelungen
Der Sechzehnte Abschnitt des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches enthält Straftaten gegen das Leben; in §§ 218 ff. StGB finden sich die Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch. Die seit dem 1. Oktober 1995 in dieser Form geltende Gesamtregelung wird ergänzt durch das Schwangerschaftskonfliktgesetz.
Die Strafvorschrift des § 219a StGB verbietet Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft sowie für Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind. Ein solches Werbeverbot wurde - zunächst als § 219 - zum 1. Juni 1933 in das Reichsstrafgesetzbuch eingeführt und im Folgenden grundsätzlich beibehalten, während sich die Regelungen zur Straffreiheit des Abbruches der Schwangerschaft grundlegend änderten.
Ausweislich der Gesetzesbegründung im Zuge einer Modifizierung der Vorschrift des § 219a StGB im Jahr 1974 soll verhindert werden, dass der Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit als etwas "Normales" dargestellt und kommerzialisiert wird. Echte oder als Information getarnte Werbung soll untersagt werden. (BT-Drucksache 7/1981, S. 17).
Die Sanktionierung des Anbietens auch von sachlichen Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen ist jedoch nicht mehr zeitgemäß.
Die Vorschrift des § 219a StGB widerspricht vielmehr den heutigen Vorstellungen von Informationsfreiheit, Selbstbestimmung und freier Arztwahl. Einerseits sollen Schwangere durch Informationen in die Lage versetzt werden, selbstständig zu entscheiden, wie und bei welcher Ärztin oder bei welchem Arzt sie einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen wollen. Andererseits dürfen Ärztinnen und Ärzte nicht dafür kriminalisiert und sanktioniert werden, dass sie ihrer Aufklärungspflicht gegenüber Patientinnen nachkommen. Außerdem hat sich das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit den Regelungen in den ärztlichen Berufsordnungen wiederholt gegen eine unzulässige Verkürzung der Berufsausübungsfreiheit von Ärztinnen und Ärzten gewendet; für interessengerechte und sachangemessene Information, die keinen Irrtum erregt, müsse im rechtlichen und geschäftlichen Verkehr Raum bleiben.
Überdies ist nicht einzusehen, dass über Schwangerschaftsabbrüche, die unter den Voraussetzungen der §§ 218 ff. StGB straffrei sind, nicht auch rechtmäßig informiert werden darf. Im Zusammenhang mit Verfassungsbeschwerden gegen zivilrechtliche Ansprüche auf Unterlassung der Verteilung von Flugblättern zum Stopp "rechtswidriger Abtreibungen" hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt:
"Wenn die Rechtsordnung Wege zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen durch Ärzte eröffnet, muss es dem Arzt auch ohne negative Folgen für ihn möglich sein, darauf hinzuweisen, dass Patientinnen seine Dienste in Anspruch nehmen können." (BVerfG, NJOZ 2008, 151, 156).
Der vorhandene Schutz erscheint zudem ausreichend: § 3 UWG verbietet als unlautere geschäftliche Handlung auch Werbung, die gegen die Menschenwürde verstößt. Überdies untersagt § 27 MBO-Ä Ärzten berufswidrige Werbung, das heißt insbesondere anpreisende, irreführende oder vergleichende Werbung.
Die praktische Bedeutung des § 219a StGB ist schließlich gering. Statistisch spielt die Vorschrift keine Rolle. Für den Zeitraum 2010 bis 2015 sind fünf rechtskräftig erledigte Strafverfahren zu § 219a StGB erfasst, davon kam es in zwei Fällen zu Verurteilungen.
Am 24. November 2017 verurteilte das Amtsgericht Gießen eine Allgemeinärztin wegen Verstoßes gegen § 219a StGB zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 150,00 Euro (insgesamt 6.000,00 Euro). Der Ärztin wurde vorgeworfen, auf ihrer Homepage darüber informiert zu haben, dass in ihrer Praxis Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt würden, und Informationen über Schwangerschaftsabbrüche über einen Link auf ihrer Homepage angeboten zu haben. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Die Anzahl der Strafanzeigen gegen Ärztinnen und Ärzte wegen des Vorwurfs der Werbung für Schwangerschaftsabbruch steigt jedoch: Ausweislich der Polizeilichen Kriminalstatistik schwankte bundesweit die Anzahl der Strafanzeigen in dem Zeitraum 2010 bis 2014 zwischen zwei und 14 Anzeigen jährlich, wohingegen 2015 bereits 27 und 2016 zuletzt 35 Anzeigen verzeichnet wurden.
II. Wesentlicher Inhalt des Entwurfs
§ 219a StGB soll aufgehoben werden.
III. Gesetzgebungskompetenz
Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes folgt aus Artikel 74 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Artikel 72 Grundgesetz.
IV. Vereinbarkeit mit dem Recht der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträgen, die die Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen hat
Der Entwurf ist mit dem Recht der Europäischen Union sowie mit den von der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträgen vereinbar.
V. Auswirkungen des Gesetzentwurfs
1. Geschlechtsspezifische Auswirkungen
Die Aufhebung des § 219a StGB hat positive gleichstellungspolitische Auswirkungen. Durch diese Rechtsänderung ist es dann für ungewollt schwangere Frauen möglich, sich neutral über das Angebot und die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen zu informieren und eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen.
2. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte
Keine.
3. Sonstige Kosten; Bürokratiekosten; Nachhaltigkeitsaspekte
Das Gesetz führt zu keinen sonstigen Kosten und Bürokratiekosten.
Der Entwurf berührt keine Aspekte einer nachhaltigen Entwicklung im Sinne der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie.
B. Besonderer Teil
Zu Artikel 1 (Änderung des Strafgesetzbuches)
Zu Nummer 1 (Inhaltsübersicht)
Es handelt sich um eine Anpassung der Inhaltsübersicht aufgrund der Aufhebung des § 219a StGB.
Zu Nummer 2 (§ 219a StGB)
§ 219a StGB, der die Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft regelt, wird aufgehoben. Das Anbieten sachlicher Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen durch Ärztinnen und Ärzte in der Öffentlichkeit soll ermöglicht werden. Dies dient der Informationsfreiheit, Selbstbestimmung und freien Arztwahl, da Schwangere durch Informationen in die Lage versetzt werden, selbstständig zu entscheiden, wie und bei welcher Ärztin oder bei welchem Arzt sie einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen wollen. Zugleich dürfen Ärztinnen und Ärzte nicht dafür kriminalisiert und sanktioniert werden, dass sie ihrer Aufklärungspflicht gegenüber Patientinnen nachkommen.
Die Aufhebung des § 219a StGB beseitigt zudem die Inkonsistenz der Strafbarkeit einer Werbung für das gesetzmäßige Handeln eines straffreien Schwangerschaftsabbruches unter den Bedingungen der §§ 218 ff. StGB.
Zu Nummer 3 (§ 218b StGB)
Es handelt sich um eine Folgeänderung aufgrund der Aufhebung des § 219a StGB.
Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)
Die Bestimmung regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.