21. Die Zielsetzung der Richtlinie 2005/36/EG ist mit den Grundprinzipien der vorsorgenden Rechtspflege, wie sie in der Mehrzahl der Mitgliedstaaten verankert sind, nicht vereinbar.
Die Richtlinie 2005/36/EG dient der Verwirklichung des Binnenmarkts und insbesondere der Gewährleistung der mit dem Binnenmarkt verbundenen Grundfreiheiten für die Berufstätigen. Die Einbeziehung der Notare in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/36/EG würde die Kompetenz der Mitgliedstaaten berühren, den Notaren die Funktion eines Rechtspflegeorgans zuzuweisen, das nicht nach den Regeln des Marktes tätig ist.
Die Kompetenz für die Errichtung und Ausgestaltung eines Systems der vorsorgenden Rechtspflege liegt bei den Mitgliedstaaten. Hiervon umfasst ist auch die Kompetenz der Mitgliedstaaten, innerhalb eines solchen Systems den Notaren die Funktion eines Rechtspflegeorgans zuzuweisen. Ein Rechtspflegeorgan kann seine Aufgaben aber nicht nur nach Regeln des Marktes ausüben, sondern muss besonderen Amtspflichten unterworfen sein. Auch der Zugang zu dem Beruf des Notars kann sich nicht nach den Regeln des Marktes, sondern muss sich nach dem verfassungsrechtlich geschützten Recht auf gleichen Zugang zum Amt vollziehen.
27. Der Bundesrat teilt die Auffassung der Kommission, dass die Vorschriften für die Niederlassung von Notaren auf die Besonderheiten dieses Berufs genau zugeschnitten sein müssen. Der Richtlinienvorschlag der Kommission trägt diesem Erfordernis jedoch nur unzureichend Rechnung.
Die dem Notar obliegenden Aufgaben und Befugnisse erfordern, dass der Berufsträger über besondere notarspezifische Kenntnisse, Erfahrungen und persönliche Eigenschaften verfügt, die über die allgemeine juristische Qualifikation hinausgehen. Diese notarspezifische Qualifikation beschränkt sich nicht auf die genaue Kenntnis des gesamten - überwiegend einzelstaatlichen - Rechts, sondern verlangt darüber hinaus, dass der Bewerber mit der notariellen Berufspraxis hinreichend vertraut ist.
In Deutschland bestimmt das einzelstaatliche Recht daher, dass zur hauptberuflichen Amtsausübung als Notar in der Regel nur bestellt werden soll, wer einen dreijährigen Anwärterdienst geleistet hat. Im Bereich des Anwaltsnotariats wird die erforderliche notarspezifische Qualifikation insbesondere dadurch gewährleistet, dass die Bestellung zum Notar unter anderem das Bestehen der notariellen Fachprüfung, eine mindestens fünfjährige Tätigkeit als Rechtsanwalt und den Nachweis darüber voraussetzt, dass der Bewerber mit der notariellen Berufspraxis hinreichend vertraut ist, wobei dieser Nachweis in der Regel dadurch erbracht werden soll, dass der Bewerber eine Praxisausbildung bei einem Notar durchläuft.
Nach der Richtlinie 2005/36/EG kann der Aufnahmemitgliedstaat bei Berufen, deren Ausübung eine genaue Kenntnis des einzelstaatlichen Rechts erfordert und bei denen Beratung und/oder Beistand in Bezug auf das einzelstaatliche Recht ein wesentlicher Bestandteil der Berufsausübung ist, als Ausgleichsmaßnahme entweder einen Anpassungslehrgang oder eine Eignungsprüfung vorschreiben. Diese Regelung, die bei der von der Kommission vorgeschlagenen Ausweitung des Anwendungsbereichs der Richtlinie 2005/36/EG auch auf den Notarberuf Anwendung finden würde, gewährleistet die notarspezifische Qualifikation für eine Berufsausübung im Aufnahmemitgliedstaat nicht in ausreichendem Maße, da der Aufnahmemitgliedstaat einen Anpassungslehrgang oder eine Eignungsprüfung lediglich alternativ vorschreiben kann. Da die notarspezifische Qualifikation jedoch theoretische und berufspraktische Elemente beinhaltet, ist es erforderlich, dass der Aufnahmemitgliedstaat für den Beruf des Notars einen Anpassungslehrgang und eine Eignungsprüfung auch kumulativ als Ausgleichsmaßnahme vorschreiben kann.
Die theoretische Eignungsprüfung stellt sicher, dass der Bewerber wie ein Inländer umfassende Kenntnisse des gesamten Rechts hat; der praktische Anpassungslehrgang dient der Vermittlung und Vertiefung notarspezifischer Rechtskenntnisse und der Sicherstellung der persönlichen Eignung für die Tätigkeit als unabhängiger, unparteilicher Amtsträger.