854. Sitzung des Bundesrates am 13. Februar 2009
A.
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Agrarausschuss (A) und der Ausschuss für Kulturfragen (K) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
I. Zur Vorlage allgemein
II. Zu den Artikeln
- 11. Die Definitionen und Bezeichnungen sind zum Teil nicht ausreichend bestimmt oder fachlich unpräzise und sind deshalb zu überarbeiten. Beispielsweise sind die Begriffe "Fischlarven", "Praktiken, die für anerkannte Zwecke der Tierhaltung angewandt werden", "nicht invasive Verfahren" oder der "Artbegriff" nach Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe b und Anhang I eindeutig zu definieren.
- 12. Alle Regelungen sind im Hinblick auf die vorgesehenen Verwaltungs- und Kontrollverfahren darauf zu überprüfen, ob sie notwendig, auf Grund des zu erwartenden Aufwands bei ihrer Umsetzung gerechtfertigt, fachlich sinnvoll und aufeinander abgestimmt sind. (bei Annahme entfällt Ziffer 13)
- 13. Alle Regelungen, insbesondere auch zu den vorgesehenen Verwaltungs- und Kontrollverfahren sind darauf zu überprüfen, ob sie notwendig, auf Grund des zu erwartenden Aufwands bei ihrer Umsetzung gerechtfertigt, fachlich sinnvoll und aufeinander abgestimmt sind.
- 14. Dies gilt insbesondere hinsichtlich folgender Punkte:
- 15. - Der Geltungsbereich der Richtlinie ist eindeutig zu bestimmen. In Artikel 2 (Geltungsbereich) sind z.B. "Eingriffe zu Lehrzwecken" nicht genannt, in Artikel 5 (Zwecke der Verfahren) ist jedoch unter Nummer 6 die "Hochschul- oder Berufsbildung" aufgeführt.
- 16. - Die Einbeziehung von Larven sowie von embryonalen und fötalen Formen (Artikel 2) in den Geltungsbereich der Richtlinie sollte nochmals auf die Durchführbarkeit hin überprüft werden.
- 17. - Die Unterscheidung zwischen genehmigungspflichtigen und anzeigepflichtigen [Tierversuchen] bzw. {Eingriffen und Behandlungen} hat sich in der Bundesrepublik Deutschland bewährt und muss weiterhin [in Anlehnung an das deutsche Tierschutzgesetz] möglich sein.
- 18. Ein Großteil der gesetzlich vorgeschriebenen Tests wird über die Anzeigepflicht gehandhabt.
- 19. Der Anzeigepflicht sollten in Anlehnung an das deutsche Tierschutzgesetz weiterhin
- - gesetzlich vorgeschriebene Versuche,
- - Eingriffe und Behandlungen nach erprobten Verfahren (z.B. Diagnostik),
- - Eingriffe und Behandlungen zur Gewinnung von Stoffen,
- - Gewebe- oder sonstige Probeentnahmen,
- - Parasitenzyklushaltung in lebenden Tieren und
- - Eingriffe und Behandlungen zur Aus-, Fort- und Weiterbildung unterliegen.
- 20. Für das Töten von Wirbeltieren (Versuchstieren) zu wissenschaftlichen Zwecken ist ebenfalls eine Anzeigepflicht notwendig.
- 21. In diesen Fällen ist die Einbeziehung der vorgesehenen "Ethikkommissionen" in der Regel verzichtbar. Es bedarf jedoch auch hier in Entsprechung zu den Erwägungsgründen (37) und (38) einer ethischen Bewertung durch den Antragsteller und einer Prüfung durch die zuständige Behörde.
- 22. - Der Bundesrat erkennt das Bemühen der Kommission an, mit Artikel 15 ein Verfahren einzuführen, das den Schweregrad von Eingriffen und Behandlungen in den Mittelpunkt [der Prüfung] stellt.
- 23. Die Festlegung von Definitionen der Belastungskategorien ist jedoch so maßgeblich für die Wirkungen und Konsequenzen der Richtlinie, dass sie auch formal Teil des Beschlusses über die Richtlinie sein muss. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die sich daraus ergebenden Auswirkungen auf Zulässigkeit und Häufigkeit von biomedizinischen Versuchen, die für die Humanmedizin unerlässlich sind.
- 24. Der Bundesrat hält dies für einen möglichen Ansatz zur Weiterentwicklung des Tierschutzrechts, sieht jedoch noch Beratungsbedarf.
- 25. - Der Bundesrat begrüßt das Bemühen, die Anzahl der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere zu verringern. Das in Artikel 16 vorgesehene Absehen von einer erneuten Verwendung von Versuchstieren ist jedoch hinsichtlich der Geeignetheit zum Erreichen dieses Ziels zu überprüfen.
- 26. - Unabhängig von den im Richtlinienvorschlag genannten Ethikkommissionen der Einrichtungen (Artikel 25 und 26) und dem Nationalen Ausschuss für Tierschutz und -ethik (Artikel 47) ist eine bei den Genehmigungsbehörden angesiedelte, beratende Kommission analog zu § 15 Absatz 1 des deutschen Tierschutzgesetzes vorzusehen (Artikel 37).
- 27. - Die Vorgaben zu ethischen Bewertungen [(Häufigkeit und Inhalt)] und den hierfür zuständigen Gremien sind zu überarbeiten [und zu präzisieren]. Die [im deutschen Tierschutzgesetz ( § 15 TierSchG) vorgesehene] Einbeziehung von Ethikkommissionen bei der Genehmigungsbehörde in die Beurteilung von Eingriffen und Behandlungen hat sich in Deutschland über viele Jahre bewährt. Nicht nachvollziehbar ist, welche Aufgaben "lokalen Ethikkommissionen" in den Einrichtungen, insbesondere in Zucht- und Liefereinrichtungen übertragen werden sollen (Artikel 25 und 26). Die vorgeschlagenen Aufgaben im Rahmen der Tierhaltung bzw. im Zusammenhang mit der Durchführung von Eingriffen und Behandlungen liegen in der Verantwortung der für die Tierhaltung verantwortlichen Person bzw. des Versuchsleiters und des Tierschutzbeauftragten.
- 28. Die Einrichtung eines "nationalen Ausschusses für Tierschutz und -ethik" (Artikel 47) kann grundsätzlich sinnvoll sein; es ist jedoch festzulegen, welche (beratenden) Aufgaben dieser haben soll (wissenschaftliche Ausrichtung, z.B. qualifizierte Bewertung von Versuchsmethoden einschließlich Alternativmethoden zum Tierversuch, Unterstützung der lokalen Behörden insbesondere als Anlaufstelle für fachliche Fragen).
- 29. - Sachkundenachweise und personenbezogene Erlaubnisse (Artikel 20) sind grundsätzlich unbefristet, ggf. mit Beschränkung auf eine bestimmte Einrichtung und die Art der Tätigkeiten zu erteilen. Sie können bei Wegfall der Voraussetzungen oder bei Zuwiderhandlungen entzogen werden.
- 30. Die Sachkunde und Zuverlässigkeit sind anhand einer geeigneten beruflichen Qualifikation (Ausbildung/Tätigkeit) oder einer erfolgreich abgeschlossenen, geeigneten Fort-/Weiterbildung ohne ergänzende Bescheinigung durch die zuständige Behörde nachzuweisen. Die Voraussetzungen hierfür sind im Rahmen von Leitlinien im Ausschussverfahren gemäß Artikel 51 auszugestalten.
- In jeder Einrichtung, die Tierversuche durchführt (Verwendereinrichtung), und in Zuchteinrichtungen ist ein Tierschutzbeauftragter analog der Regelung im deutschen Tierschutzgesetz zu bestellen (Artikel 24). Für die Tätigkeit sind klare Vorgaben bezüglich der Rechte und Pflichten entsprechend § 8b des deutschen Tierschutzgesetzes zwingend geboten.
- 31. - Die Frequenz behördlicher Kontrollen in den Einrichtungen (Artikel 33) ist auf der Grundlage einer Risikobewertung [individuell] festzulegen.
- 32. Die Einrichtungen sollten dabei im Regelfall zweimal jährlich kontrolliert werden.
- 33. Über die Kontrolle einzelner Projekte ist ebenfalls risikoorientiert im Einzelfall zu entscheiden.
- 34. Darüber hinaus sieht der Bundesrat [neben den vorgesehenen Behördenaudits durch die Kommission] keine Notwendigkeit für staatenübergreifende zusätzliche Kontrollen.
- 36. Deshalb ist Artikel 33 Abs. 6 zu streichen.
- 37. - Die Zielrichtung für eine zusätzliche rückwirkende Projektbewertung (Artikel 38) ist nicht klar definiert, so dass nicht eindeutig festgelegt werden kann, welcher Zweck beabsichtigt ist und welcher praktische Nutzen daraus für den Tierschutz gezogen werden kann.
- 38. - Der Bundesrat spricht sich gegen die Veröffentlichung von Projektdaten gemäß Artikel 40 aus. Insbesondere bei der Forschung im Zusammenhang mit der Entwicklung neuartiger Produkte ist der Datenschutz zu beachten , [so dass Betriebsgeheimnisse geschützt werden], {und der Schutz der Wettbewerbsfreiheit sicherzustellen}. Der Bundesrat lehnt zudem den in diesem Zusammenhang zu erwartenden erheblichen administrativen Aufwand ab.
- 39. Detaillierte Informationen der Öffentlichkeit zu einzelnen Forschungszwecken und ggf. zu den Einrichtungen, in denen bestimmte Versuche durchgeführt werden, sind nach Auffassung des Bundesrates zur Umsetzung des Zwecks dieser Richtlinie nicht erforderlich. Die bereits bestehenden Statistiken bieten eine ausreichende Grundlage für die Information der Öffentlichkeit.
- 40. - Der Bundesrat ist der Auffassung, dass eine Festlegung von Bearbeitungsfristen [(Artikel 43)] auf EU-Ebene nicht erforderlich ist. Derartige Regelungen sollten den Mitgliedstaaten überlassen bleiben.
- 41. Sollte dies nicht durchsetzungsfähig sein, weist der Bundesrat darauf hin, dass im Hinblick auf das erforderliche Verwaltungsverfahren die Entscheidungsfristen für die Genehmigung von Tierversuchen mit maximal 30 bzw. in Ausnahmefällen 60 Tagen zu kurz sind und auf drei Monate festgelegt werden sollten. Nach den Erfahrungen in Deutschland ist eine qualifizierte Bearbeitung von Genehmigungsanträgen mit Beteiligung externer Sachverständiger (Ethikkommission) innerhalb von 30 bzw. 60 Tagen nicht möglich.
- 42. - Die Regelungen zu Primaten und anderen, artenschutzrechtlichen Beschränkungen unterliegenden Arten oder sonstigen, der Natur entnommenen Tieren sind [zu präzisieren], {zu straffen und zusammenzuführen (Artikel 7 bis 10, 27, 30, 31, 49 bis 51 sowie Anhang III)}.
- 43. Der diesbezügliche Regelungsbedarf in der Richtlinie sollte auch unter Berücksichtigung bestehender natur- und artenschutzrechtlicher Regelungen überprüft werden.
- 44. Für die Forschung zum Arterhalt sowie in besonders begründeten Fällen im Rahmen der Grundlagenforschung sollten - unter besonderer Berücksichtigung der Belange des Tierschutzes - Ausnahmen zugelassen werden.
- 45. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich bei den Beratungen zu dem Richtlinienvorschlag dafür einzusetzen, dass die Verwendung von Menschenaffen in Verfahren zukünftig nur noch zu Forschungszwecken erlaubt wird, die der Erhaltung dieser Arten oder den Menschenaffen selbst dienen.
Mit ihrer genetischen Nähe sind Menschenaffen die dem Menschen am ähnlichsten Tiere. Sie haben hochentwickelte kognitive Fähigkeiten, zeigen ein ausgeprägtes, komplexes Sozialverhalten und besitzen ein eigenständiges Bewusstsein.
Auf Grund ihrer hochentwickelten sozialen Fähigkeiten bestehen bei der Verwendung von Menschenaffen in Versuchen nicht nur ethische Fragen, sondern auch Probleme, den verhaltens- und umweltbedingten sowie den sozialen Bedürfnissen unter Laborbedingungen gerecht zu werden, so dass deren besonderer Schutz und das grundsätzliche Verbot ihrer Verwendung für Experimente gerechtfertigt sind.
Begründung (nur gegenüber dem Plenum):
Die genetische und kognitive Nähe zum Menschen hat dazu geführt, dass in den Mitgliedstaaten Großbritannien, Irland, Niederlande, Schweden und Österreich Versuche an Menschenaffen bereits gesetzlich verboten sind. Neuseeland hat den Menschenaffen Grundrechte eingeräumt, die ebenfalls Tierversuche zum Nutzen des Menschen verbieten.
In der EU wurden Menschenaffen zum letzten Mal im Jahr 1999 eingesetzt, in Deutschland wurden seit 1992 keine Tierversuche mit Menschenaffen mehr durchgeführt, ohne dass sich Auswirkungen auf die wissenschaftliche Forschung ergeben haben.
Im Bereich der HIV-Forschung oder bei der Malaria hat sich zudem gezeigt, dass Schimpansen ein ungeeignetes Modell zur Erforschung dieser Krankheiten beim Menschen darstellen.
III. Zu den Anhängen
IV. Zur Folgenabschätzung
- 49. Der Bundesrat stellt fest, dass durch die Vorgaben des Richtlinienvorschlags erhebliche Mehrkosten zu erwarten sind.
B.
- 50. Der Gesundheitsausschuss und der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.