Unterrichtung durch die Bundesregierung
Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften zur effizienteren Vollstreckung von Urteilen in der Europäischen Union: Vorläufige Kontenpfändung KOM (2006) 618 endg.; Ratsdok. 14583/06

Übermittelt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie am 06. November 2006 gemäß § 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union (BGBl. I 1993 S. 313 ff.).

Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat die Vorlage am 24. Oktober 2006 dem Bundesrat zugeleitet.

Die Vorlage ist von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften am 24. Oktober 2006 dem Generalsekretär/Hohen Vertreter des Rates der Europäischen Union übermittelt worden.


Hinweis: vgl.
Drucksache 071/98 = AE-Nr. 980162 und
Drucksache 543/99 = AE-Nr. 992595

Grünbuch zur effizienteren Vollstreckung von Urteilen in der Europäischen Union: Vorläufige Kontenpfändung

Mit diesem Grünbuch soll eine umfassende Konsultation zu der Frage eingeleitet werden, wie die Vollstreckung von Geldforderungen in Europa verbessert werden kann. Das Grünbuch beschreibt die Probleme, wie sie sich zurzeit stellen, und schlägt als mögliche Lösung die Einführung einer EU-Regelung für die vorläufige Pfändung von Bankguthaben vor.

Beiträge zu diesem Grünbuch können bis zum 31. März 2007 an folgende Anschrift gerichtet werden:


Europäische Kommission
Generaldirektion Justiz, Freiheit und Sicherheit
Referat C1 - Ziviljustiz
B - 1049 Brüssel
Fax: +32-2/299 64 57
E-Mail: jlscoopjudcivil@cec.eu.int

Die Kommission bittet darum, ausdrücklich darauf hinzuweisen, wenn ein Beitrag nicht auf der Website der Kommission veröffentlicht werden soll.

Die Kommission plant eine öffentliche Anhörung zu dem im Grünbuch behandelten Thema.

Alle Konsultationsteilnehmer werden dazu eingeladen.

1. Einführung

1.1. Probleme aufgrund der derzeitigen Rechtslage

Das Vollstreckungsrecht wird häufig als Achillesferse des europäischen Zivilrechtsraums bezeichnet. Zwar gibt es auf EU-Ebene Vorschriften für die gerichtliche Zuständigkeit, die Anerkennung und die Erklärung der Vollstreckbarkeit von Urteilen sowie Verfahren für die gerichtliche Zusammenarbeit in Zivilsachen, aber zur Vollstreckung als solcher liegt noch kein Legislativvorschlag vor. Bislang gilt für die Vollstreckung eines Urteils, das in einem anderen Mitgliedstaat für vollstreckbar erklärt worden ist, ausschließlich einzelstaatliches Recht.

Durch die unterschiedlichen Vollstreckungsvorschriften der Mitgliedstaaten wird die Eintreibung von Schulden über die Landesgrenzen hinaus ganz erheblich erschwert.

Gläubiger, die in einem anderen Mitgliedstaat einen Vollstreckungstitel durchsetzen wollen, sind mit unterschiedlichen Rechtssystemen, Verfahrensvorschriften und Sprachbarrieren konfrontiert die das Vollstreckungsverfahren verteuern und hinauszögern. In der Praxis wird ein Gläubiger, der eine Geldforderung in Europa eintreiben will, normalerweise versuchen, eine vorläufige Kontenpfändung1 zu erwirken, d. h. das Bankguthaben seines Schuldners sperren zu lassen. Solche Verfahren gibt es in den meisten Mitgliedstaaten und können, wenn sie effizient sind, eine wirkungsvolle Waffe gegen zahlungsunwillige oder böswillige Schuldner sein.

Schuldner können Guthaben heute jedoch quasi augenblicklich von Konten, die ihren Gläubigern bekannt sind, auf andere Konten im selben oder in einem anderen Mitgliedstaat transferieren ohne dass ihre Gläubiger in der Lage wären, diese Gelder ebenso schnell zu blockieren. Nach den geltenden EG-Vorschriften ist es nicht möglich, eine überall in der Europäischen Union vollstreckbare vorläufige Kontenpfändung zu erwirken. Auch mit der Verordnung (EG) Nr. 044/2001 (Brüssel I)2 ist nicht gewährleistet, dass eine auf Sicherung gerichtete Maßnahme wie die in einem einseitigen Verfahren erwirkte Sperrung von Bankkonten in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem diese Maßnahme ergangen ist, anerkannt und vollstreckt wird3.

Dass die Eintreibung von Schulden in einem anderen Mitgliedstaat große Schwierigkeiten bereitet hatte die Kommission bereits in ihrer Mitteilung aus dem Jahr 1998 "Wege zu einer effizienteren Erwirkung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in der Europäischen Union4 festgestellt. Angesichts der komplexen Problematik und der unterschiedlichen Rechtslage in den Mitgliedstaaten schlug die Kommission vor, die Überlegungen zunächst auf die Pfändung von Bankguthaben zu begrenzen5. Zwei Jahre später wurde die Kommission im Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen dazu aufgerufen die Beschlagnahme von Bankguthaben zu verbessern6. 2002 gab die Kommission eine Studie in Auftrag, in der untersucht werden sollte, wie gerichtliche Entscheidungen innerhalb der Europäischen Union effizienter vollstreckt werden können (Study on making more efficient the enforcement of judicial decisions within the European Union" - nur in englischer Sprache). Untersucht wurde die Rechtslage in den damals 15 Mitgliedstaaten, und es wurden mehrere Maßnahmen zur Verbesserung der Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in der Europäischen Union vorgeschlagen, darunter die Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels zur Pfändung von Bankguthaben, eines europäischen Sicherungsbeschlusses sowie eine Reihe von Maßnahmen, um die Vermögenslage des Schuldners transparenter zu machen7. Letztere werden in einem separaten Grünbuch behandelt das 2007 erscheinen wird.

Die Probleme, die sich bei der Eintreibung von Forderungen in einem anderen Mitgliedstaat stellen können den freien Verkehr von Zahlungsaufträgen innerhalb der Europäischen Union behindern und den Binnenmarkt in seiner Funktionsweise beeinträchtigen. Zu spät oder gar nicht geleistete Zahlungen gefährden die Interessen der Unternehmen wie die der Verbraucher. Auch die unterschiedliche Effizienz, mit der Schulden innerhalb der Europäischen Union eingetrieben werden, droht den Wettbewerb zwischen Unternehmen zu verzerren je nachdem, ob sie in einem Mitgliedstaat mit einem effizienten oder weniger effizienten Vollstreckungssystem tätig sind. Es muss daher geprüft werden, ob hier nicht ein Vorgehen auf europäischer Ebene ratsam ist.

2. Lösungsvorschlag: Eine europäische Regelung für die vorläufige Pfändung von Bankguthaben

Eine mögliche Lösung wäre die Einführung eines europäischen Pfändungsbeschlusses, mit dem ein Gläubiger verhindern könnte, dass das Guthaben seines Schuldners, das sich auf einem oder mehreren Bankkonten innerhalb der Europäischen Union befindet, abgehoben oder transferiert wird. Auf diese Weise könnte er die Sicherstellung eines ihm geschuldeten oder von ihm geforderten Geldbetrags veranlassen8. Ein solcher Beschluss hätte nur eine sichernde Wirkung, d. h. das Bankguthaben des Schuldners würde gesperrt, aber nicht an den Gläubiger herausgegeben. Das Verfahren zur Erwirkung des Beschlusses müsste bestimmten Anforderungen genügen und u. a. einen angemessen Schuldnerschutz gewährleisten. Ein in einem Mitgliedstaat ergangener Pfändungsbeschluss würde überall in der Europäischen Union anerkannt und vollstreckt, ohne dass es hierzu einer Vollstreckbarerklärung bedürfte.

Diese Regelung könnte im Wege eines neuen, eigenständigen europäischen Verfahrens eingeführt werden, das zusätzlich zu den bereits im einzelstaatlichen Recht vorhandenen Maßnahmen zur Verfügung stünde, oder durch Angleichung der einschlägigen mitgliedstaatlichen Vorschriften im Wege einer Richtlinie. Im letzteren Fall wären Zusatzbestimmungen erforderlich, um sicherzustellen, dass ein in einem Mitgliedstaat ergangener Beschluss überall in der Europäischen Union anerkannt und vollstreckt wird.

Ob in diesem Bereich Regelungsbedarf besteht, wird eine Folgenabschätzung zeigen, in der untersucht wird, wie groß die Probleme sind, die sich bei der Eintreibung von Forderungen im Ausland stellen, und wie effizient andere Lösungswege gegenüber einer europäischen Regelung sind. Die in diesem Grünbuch formulierten Vorschläge greifen dem Ergebnis der Folgenabschätzung keinesfalls vor.

3. Verfahren zur Erwirkung eines Pfändungsbeschlusses

3.1. Antragsvoraussetzungen

Fraglich ist, zu welchem Zeitpunkt dem Gläubiger die Möglichkeit gegeben werden sollte, einen europäischen Pfändungsbeschluss zu beantragen. Es gibt vier Möglichkeiten, wann der Gläubiger einen solchen auf die Sicherung seiner Rechte gerichteten Beschluss beantragen könnte:

Fraglich ist auch, ob dem Gläubiger ein Höchstmaß an Flexibilität eingeräumt werden sollte, so dass er jederzeit im Verfahren einen Pfändungsbeschluss beantragen kann. Zu bedenken ist dabei dass die Interessen des Schuldners angemessen geschützt werden müssen, insbesondere bei der Beantragung einstweiliger Maßnahmen vor dem Hauptverfahren. Ein europäischer Pfändungsbeschluss wäre mit den auf europäischer Ebene im Bereich des Zivilrechts bereits vorhandenen Rechtsinstrumenten vereinbar und würde sie ergänzen.

3.2. Voraussetzungen für einen Pfändungsbeschluss

Das Gericht könnte die vorläufige Kontenpfändung in einem summarischen Verfahren auf Antrag des Gläubigers, den er mithilfe eines in allen EU-Amtssprachen verfügbaren Formulars gestellt hat, beschließen. Der Gläubiger müsste zuvor die tatsächlichen Voraussetzungen seines Anspruchs gegenüber dem Gericht glaubhaft machen ("Fumus boni iuris"). Als Beweis für das Bestehen des Anspruchs dürfte ein vollstreckbarer Titel - ein Gerichtsbeschluss oder eine Urkunde - ausreichen. Ein Gläubiger, der eine vorläufige Kontenpfändung begehrt, noch bevor er über einen Vollstreckungstitel verfügt, müsste Beweise für das Bestehen seiner Forderung beibringen.

Als nächstes müsste der Gläubiger nachweisen, dass Eile geboten ist, d. h. dass die Vollstreckung seiner Forderung konkret gefährdet ist, wenn die Pfändung nicht bewilligt wird ("Gefahr im Verzug"). Aufgrund der Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten muss sorgfältig geprüft werden, was diese Voraussetzung genau beinhaltet, da die Interessen des Gläubigers und die des Schuldners angemessen gegeneinander abgewogen werden müssen.

Zu guter Letzt sollte das Gericht vom Gläubiger auch eine Sicherheitsleistung verlangen können um den Schuldner vor Verlust oder Schaden zu schützen für den Fall, dass die auf Sicherung gerichtete Maßnahme im Hauptverfahren nicht aufrechterhalten wird. Hier stellt sich die Frage, ob die Höhe der Sicherheitsleistung dem Gericht überlassen werden sollte oder ob sie gesetzlich festzulegen ist und ob es möglich ist, eine Sicherheitsleistung vorzuschreiben ohne das Schadenersatzrecht anzugleichen, wonach der Gläubiger für Schäden haftet, die dem Schuldner u. U. aus der missbräuchlichen Verwendung des Pfändungsbeschlusses entstehen, falls es dem Gläubiger letztlich nicht gelingt, seinen Anspruch zu begründen.

3.3. Vorladung des Schuldners

In Übereinstimmung mit der derzeitigen Praxis in einigen Mitgliedstaaten könnte auf eine Vorladung des Schuldners oder die Zustellung des Pfändungsbeschlusses vor seiner Vollstreckung verzichtet werden, um so den "Überraschungseffekt" der Maßnahme zu erhalten. Andernfalls liefe der Gläubiger Gefahr, dass die Konten in der Zwischenzeit geleert würden und er das Nachsehen hätte. Der Pfändungsbeschluss würde dem Schuldner also zeitgleich mit der Vollstreckung zugestellt, und er hätte erst dann die Möglichkeit, gegen die Vollstreckung Widerspruch zu erheben.

3.4. Erforderliche Kontoangaben

Hier stellt sich die Frage, welche Art von Angaben der Gläubiger zu den Konten des Schuldners beibringen muss und in welchem Umfang. Selbstverständlich ist der Name des Schuldners genau anzugeben, aber welche Einzelheiten zu den Bankkonten anzugeben sind, ist schwieriger zu entscheiden. Besonders umstritten ist die Frage, ob der Gläubiger die genauen Kontonummern anzugeben hat. In einigen Mitgliedstaaten ist dies nicht erforderlich, und häufig wird es für den Gläubiger auch gar nicht möglich sein, die Kontonummern in Erfahrung zu bringen, so dass die präzise Angabe der Kontonummern nicht verlangt werden sollte. Dessen ungeachtet sollten die Angaben des Gläubigers so präzise sein, dass die Bank die Identität des betreffenden Kunden feststellen kann, damit es nicht zu einer irrtümlichen Sperrung von Konten anderer Kunden kommt. Zu überlegen ist, ob es ausreichen würde, zusätzlich zum vollständigen Namen des Schuldners die Angaben zu der Zweigstelle der Bank zu verlangen, bei der sich das bzw. die Konten befinden.

3.5. Zuständigkeitsfragen

Da in den meisten Mitgliedstaaten auf Sicherung gerichtete Maßnahmen von dem Gericht angeordnet werden, das für das Verfahren in der Hauptsache zuständig ist, sollte in einer EU-Regelung für solche Maßnahmen das Gericht zuständig sein, das nach dem einschlägigen Gemeinschaftsrecht auch für die Entscheidung in der Hauptsache zuständig ist.

Abgesehen von dem Gericht, das für die Entscheidung in der Hauptsache zuständig ist, könnte eine vorläufige Kontenpfändung auch von einem Gericht im Wohnsitzmitgliedstaat des Schuldners angeordnet werden (falls der Schuldner in einem anderen Mitgliedstaat wohnt) und/oder von einem Gericht in einem anderen Mitgliedstaat, in dem sich Bankkonten des Schuldners befinden, gegen die sich die Pfändung richtet.

Da sich der Gläubiger nach der gegenwärtigen Rechtslage an den Mitgliedstaat wenden muss, in dem sich das Konto befindet, und das Ziel der EU-Regelung gerade darin besteht, die Situation für den Gläubiger zu vereinfachen, spricht einiges dafür, dem Gläubiger die Möglichkeit zu geben, zwischen den verschiedenen vorgenannten Gerichtsständen zu wählen.

4. Höhe und Grenzen einer vorläufigen Kontenpfändung nach europäischem Recht

4.1. Höhe des zu sichernden Betrags

Eine Begrenzung der vorläufigen Kontenpfändung auf einen bestimmten Betrag statt der Sperrung des gesamten Bankguthabens des Schuldners würde nicht nur vor Missbrauch schützen sondern entspräche auch dem Verhältnismäßigkeitsprinzip. Dieser Betrag sollte sich an der vom Gläubiger geforderten Geldsumme orientieren (einschließlich Zinsen und Kosten).

Zu prüfen wäre, inwieweit sonstige Beträge, insbesondere künftige Zinsen sowie Aufwendungen des Gläubigers für die Beantragung und Vollstreckung der Pfändung (Kosten der Rechtsanwälte, Vollstreckungsbeamten und Bank(en)), durch die vorläufige Kontenpfändung abgedeckt werden sollten.

4.2. Bankkosten

Durch die Vollstreckung einer vorläufigen Kontenpfändung und die Kontrolle der Beträge, die einem Schuldner gutgeschrieben werden, entstehen den Banken gewisse Kosten. Es stellt sich die Frage, ob Banken Kontenpfändungen als öffentlichen Auftrag vollstrecken und die dabei entstehenden Kosten als Betriebsaufwendungen verbuchen sollten. Mitunter sind Banken selbst auch Gläubiger oder haben Gläubiger als Kunden, so dass sie auch ein Interesse daran haben, dass Forderungen erfolgreich eingetrieben werden. Sollten die Banken also eine Vergütung dafür erhalten, dass sie bei einer Kontenpfändung tätig werden, und wenn ja, sollte die Höhe dieser Vergütung auf nationaler oder europäischer Ebene begrenzt werden? Zu überlegen ist auch, ob der Gläubiger der Bank bereits vor Vollstreckung der Kontenpfändung ein Entgelt für ihr Tätigwerden zu zahlen hat, oder ob die Bank den Betrag vom gesperrten Bankguthaben einbehält.

4.3. Vorläufige Pfändung bei mehreren Konten, bei Gemeinschaftskonten und bei Treuhandkonten

Wenn der Gläubiger mehrere Konten in einem oder in mehreren Mitgliedstaaten gleichzeitig sperren lassen will, weil das Guthaben auf einem Konto allein u. U. nicht ausreicht, um die Forderung zu befriedigen, stellt sich die Frage, ob und wie das auf den einzelnen Konten gesperrte Guthaben in der Höhe begrenzt werden kann, um zu verhindern, dass Guthaben in doppelter oder dreifacher Höhe des eigentlich geschuldeten Betrags blockiert werden. Ein ähnliches Problem stellt sich bereits in Ländern, in denen ein am Geschäftssitz der Bank zugestellter Pfändungsbeschluss dazu führt, dass alle bei den Zweigstellen der Bank geführten Konten des Schuldners gepfändet werden. Eine Lösungsmöglichkeit könnte darin bestehen, den geschuldeten Betrag auf ein separates Konto zu überweisen und die übrigen gesperrten Konten wieder freizugeben. Dabei wäre zu überlegen, wie dies bei Konten zu handhaben wäre die bei verschiedenen Banken geführt werden oder die sich in verschiedenen Mitgliedstaaten befinden.

Problematisch ist auch die Pfändung von Gemeinschaftskonten, d. h. Konten, die auf den Namen beider Ehegatten lauten, und von Treuhandkonten, bei denen das Guthaben wirtschaftlich nicht dem Kontoinhaber zusteht, sondern dem Schuldner.

4.4. Pfändungsfreigrenze

Das Guthaben des Schuldners darf nicht in voller Höhe seiner Verfügungsgewalt entzogen werden. Um ihm und seiner Familie ein Leben in Würde zu ermöglichen, muss ihm der für seinen Unterhalt und für den Unterhalt seiner Familie notwendige Betrag belassen werden. Es stellt sich daher die Frage, zu welchem Zeitpunkt die Höhe dieses Betrags festgesetzt werden sollte und von wem (dem Richter, der die Pfändung anordnet, der Vollstreckungsbehörde oder der Bank, bei der das Konto geführt wird? Sollte dies von Amts wegen entschieden werden oder nur auf Antrag des Schuldners? Zu klären ist auch, wie dieser Betrag festzusetzen und zu berechnen ist - nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem die Pfändung angeordnet wurde, nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem sich das Guthaben befindet, oder nach einer auf EU-Ebene harmonisierten Regelung, bei der die Beträge beispielsweise durch Bindung an einen Index oder durch eine allgemeine Regel zu bestimmen wären.

5. Wirkungen der vorläufigen Kontenpfändung

5.1. Vollstreckung

Ist eine vorläufige Kontenpfändung von einem mitgliedstaatlichen Gericht angeordnet worden stellt sich die Frage, wie sie zu vollstrecken ist. Da rasches Handeln geboten ist und es sich um eine auf Sicherung gerichtete Maßnahme handelt, sollte ein Pfändungsbeschluss unmittelbar in der gesamten Europäischen Union gelten, ohne dass es eines Zwischenverfahrens (z.B. einer Vollstreckbarerklärung) in dem Vollstreckungsmitgliedstaat bedarf.

Zu klären ist, auf welchem Wege der Beschluss der kontoführenden Bank zugestellt wird.

Dabei ist das Interesse des Gläubigers an einer raschen Zustellung gegen das Interesse des Schuldners und der Bank an einer Minimierung ungerechtfertigter Eingriffe abzuwägen. Für die Zustellung von Schriftstücken in andere Mitgliedstaaten ist die Verordnung (EG) Nr. 1348/20009 maßgebend, wonach das Gericht einen Pfändungsbeschluss direkt auf dem Postweg zustellen lassen kann. Auf diese Weise ist bereits eine relativ rasche Zustellung gerichtlicher Entscheidungen möglich. Zu überlegen wäre, ob solche Entscheidungen nicht auch elektronisch übermittelt werden könnten, um die Zustellung zu beschleunigen. Da es hier darum geht, bei der Sperrung von Bankguthaben effizienter vorzugehen, wird vorgeschlagen dass die Zustellung des diesbezüglichen Gerichtsbeschlusses vom Gericht bis zu der betreffenden kontoführenden Bank vollständig oder zumindest teilweise elektronisch erfolgen sollte. Zu prüfen ist, wie während des Zustellungsvorgangs für hinreichende Sicherheit gesorgt werden kann und ob eine elektronische Signatur ausreicht, um die Identität und Zuständigkeit des Gerichts, das den Beschluss erlassen hat, zu bestätigen und die Richtigkeit der übermittelten Daten zu garantieren.

Festzulegen ist auch, innerhalb welcher Frist die Bank dem Beschluss nachzukommen hat, d. h. ob das Guthaben sofort oder innerhalb einer bestimmten Frist nach Eingang des Beschlusses zu sperren ist, und wie Kontovorgänge zu behandeln sind, die eingeleitet wurden, bevor der Pfändungsbeschluss rechtswirksam zugestellt wurde.

Die Banken sollten verpflichtet werden, die zuständige Vollstreckungsbehörde davon in Kenntnis zu setzen, ob durch den Pfändungsbeschluss Guthaben des Schuldners gesperrt worden sind. Diese Information sollte idealerweise elektronisch mitgeteilt werden. In diesem Zusammenhang ist zu überlegen, wie für einen ausreichenden Schutz der Daten und des Bankgeheimnisses gesorgt werden kann.

5.2. Schuldnerschutz

Sobald die Pfändung vollstreckt ist, muss dem Schuldner mitgeteilt werden, dass sein Konto gesperrt wurde, und er muss Gelegenheit erhalten, der Pfändung zu widersprechen oder die Höhe des gesperrten Betrags nach unten korrigieren zu lassen. Zu prüfen ist, wer den Schuldner unterrichtet. Es wird vorgeschlagen, dass das Gericht oder die Vollstreckungsbehörde den Schuldner förmlich von der vorläufigen Kontenpfändung in Kenntnis setzt. Darüber hinaus steht zu erwarten, dass die Bank im Rahmen ihrer Geschäftsbeziehung zum Kunden den Schuldner nach Vollstreckung der Pfändung unverzüglich informieren wird.

Selbstredend muss der Schuldner das Recht haben, die vorläufige Kontenpfändung anzufechten. Fraglich ist, welche Behörde hierfür zuständig sein soll: das Gericht, das den Pfändungsbeschluss erlassen hat, oder das Gericht am Ort der kontoführenden Bank. Zu klären ist auch, ob die Ablehnungsgründe (z.B. Tilgung oder Verjährung der Forderung) europaweit angeglichen werden müssen, um die Effizienz der geplanten Regelung zu gewährleisten. Es wird vorgeschlagen, die Zulässigkeit der Ablehnungsgründe danach zu differenzieren ob die vorläufige Kontenpfändung auf der Grundlage eines bestehenden Vollstreckungstitels oder unabhängig davon angeordnet wurde. Vorgeschlagen wird ferner, dass die Pfändung, sofern sie vor Beginn des Verfahrens in der Hauptsache angeordnet wurde, nicht aufrechterhalten wird, wenn der Gläubiger nicht innerhalb einer bestimmten Frist (z.B. eines Monats) die Einleitung des Hauptverfahrens beantragt.

Zu guter Letzt stellt sich auch die Frage, in welchem Umfang der Gläubiger haften sollte, wenn sich die vorläufige Kontenpfändung als unbegründet erweist, und ob seine Haftung auf EU-Ebene harmonisiert oder auf einzelstaatlicher Ebene geregelt werden sollte.

5.3. Rangfolge der Gläubiger

Gibt es mehrere Gläubiger, die konkurrierende Ansprüche gegen den Schuldner geltend machen stellt sich die Frage, in welcher Reihenfolge diese Gläubiger außerhalb eines Insolvenzverfahrens zu befriedigen sind. Während einige Mitgliedstaaten dem Gläubiger Vorrang einräumen, der als erster die Zustellung des Pfändungsbeschlusses an die Bank veranlasst hat, gehen andere ähnlich wie bei der Vermögensverteilung im Insolvenzverfahren nach dem Gruppenprinzip vor. Es muss deshalb geklärt werden, ob die Rangfolge der Gläubiger auf EU-Ebene einheitlich zu regeln ist oder ob das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats maßgebend sein soll. Eine ähnliche Frage stellt sich bei der Rangfolge einer Sicherstellungsanordnung im Straf- oder Verwaltungsverfahren.

5.4. "Umwandlung" des Pfändungsbeschlusses in einen Vollstreckungstitel

Ein Gläubiger, der im Wege der vorläufigen Kontenpfändung die Sperrung der Konten seines Schuldners veranlasst hat, kann im Hauptverfahren u. U. einen Vollstreckungstitel erwirken, der in dem Mitgliedstaat, in dem sich die Konten des Schuldners befinden, entweder durch eine Vollstreckbarerklärung nach der Verordnung (EG) Nr. 044/2001 oder durch eine Bestätigung des Vollstreckungstitels auf der Grundlage der neuen EU-Verfahren für geringfügige oder unbestrittene Forderungen wirksam ist. In der Regel wird der Gläubiger das beschlagnahmte Guthaben auf sein eigenes Konto überweisen lassen oder auf andere Weise in den Besitz des Geldes kommen wollen. Hier ist zu klären, wie aus einer vorläufigen Kontenpfändung eine Vollstreckungsmaßnahme wird, die den Transfer des beschlagnahmten Guthabens an den Gläubiger bewirken kann.