Der Bundesrat hat in seiner 840. Sitzung am 20. Dezember 2007 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt den im Vergleich zu den Zwischenberichten 2004 und 2006 moderateren Ansatz der Kommission im Hinblick auf die Würdigung der Ergebnisse der EU-Bildungskooperation im Rahmen des Arbeitsprogramms "Bildung und Ausbildung 2010" für den Zwischenbericht 2008. Der Bundesrat teilt die Ansicht der Kommission, dass im Berichtszeitraum beträchtliche Ergebnisse erzielt wurden, und stimmt dem Hinweis der Kommission zu, dass sich die Auswirkungen von Reformen im Bildungsbereich erst allmählich abzeichnen und sich daher einer kurzfristigen Überprüfung in Form eines Datenvergleichs entziehen.
- 2. Der Bundesrat begrüßt nachdrücklich den durch die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Rahmen des Arbeitsprogramms entstehenden europäischen Mehrwert, der in Gestalt eines vertieften Informations- und Erfahrungsaustauschs unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips sowie der Beachtung der eng gefassten Gemeinschaftskompetenzen im Bildungsbereich eine wichtige Impulsfunktion für die Gestaltung der Bildungspolitiken der Länder in der Bundesrepublik Deutschland bieten kann. In diesem Zusammenhang unterstreicht der Bundesrat die Bedeutung der im Rahmen des Arbeitsprogramms durchgeführten Peerlearning-Maßnahmen. Der Bundesrat sieht jedoch - anders als die Kommission - nicht das Arbeitsprogramm selbst als geeigneten Rahmen für die Bewältigung von Herausforderungen an, da aus Sicht des Bundesrates die abschließende Willensbildung in Form einer politischen Reaktion auf bestehende Herausforderungen ausschließlich der nationalen Ebene, in Deutschland in der überwiegenden Anzahl der Bildungsbereiche, den Ländern vorbehalten ist.
- 3. Der Bundesrat betrachtet die deutsche Beteiligung am Arbeitsprogramm nach wie vor als freiwilligen Prozess, der sich allein schon auf Grund der Bestimmungen von Artikel 149 und 150 EGV jedweder Vorgabe von europäischer Ebene entzieht (vgl. BR-Drucksache 830/05(B) ). Die von der Kommission an verschiedenen Stellen des Zwischenberichtsentwurfs eingeforderte Umsetzung des Arbeitsprogramms in Form einer Art verbindlicher Übertragung von einzelnen Aspekten in die Politikgestaltung auf nationaler Ebene unter Annahme diesbezüglicher nationaler Zielvorgaben lehnt der Bundesrat daher ab. Dies betrifft insbesondere die von der Kommission als Benchmarks bezeichneten europäischen Durchschnittsbezugswerte, die gemäß den Ratsschlussfolgerungen vom 5. Mai 2003 gerade keine Festlegung einzelstaatlicher Ziele enthalten und keine Entscheidungen vorgeben, die von den jeweiligen Regierungen getroffen werden müssten (vgl. BR-Drucksache 870/02(Beschluss) ). Der Bundesrat betont, dass auch die auf europäischer Ebene in zunehmendem Maße herausgestellte Bedeutung des Bildungsbereichs innerhalb der Lissabon-Strategie diesen Grundsatz nicht in Frage stellen kann.
- 4. Der Bundesrat stellt im Hinblick auf die Würdigung einzelner Ergebnisse im Bereich der europäischen Durchschnittsbezugswerte durch die Kommission Mängel fest:
- - Vor dem Hintergrund, dass die PISA-Studie in dreijährigen Intervallen durchgeführt wird, die gegenwärtig aktuellsten zur Verfügung stehenden Daten aus dem Jahr 2003 bereits für den Zwischenbericht 2006 ausgewertet worden sind und zum Zeitpunkt der Vorlage des Kommissionsentwurfs für den Zwischenbericht 2008 kein neues Datenmaterial im Hinblick auf die Leseleistungen europäischer Schüler vorlag, das die Feststellung einer Entwicklung im Bereich der Leseleistungen von Schülern erlaubt hätte, ist die Klage der Kommission, dass sich der Anteil der Schüler mit schlechten Leseleistungen nicht verbessert habe, nicht nachvollziehbar.
- - Der Bundesrat bekräftigt seine Ablehnung der von der Kommission unterstellten positiven Korrelation zwischen der Höhe der Investitionen in die allgemeine und berufliche Bildung und der Effizienz der Bildungssysteme (siehe auch BR-Drucksache 141/07(B) ) und weist zum wiederholten Male darauf hin, dass die Höhe der Gesamtinvestitionen innerhalb eines Bildungssystems keine Rückschlüsse auf dessen Qualität zulässt.
- - Der Bundesrat nimmt die Verschlechterung der Werte für den europäischen Durchschnittsbezugswert zur Beteiligung der 25- bis 64-Jährigen am lebenslangen Lernen zur Kenntnis, verweist jedoch bezüglich der von der Kommission geführten Klage hinsichtlich der "allgemein schon niedrigen Teilnahmequote für die Gesamtbevölkerung" auf seine Ausführungen zur Gestaltung dieses europäischen Durchschnittsbezugswertes, die zwangsläufig zu einem indikatorinduzierten niedrigen Wert führen muss (vgl. BR-Drucksache 830/05(B) ).
- 5. Der Bundesrat weist darauf hin, dass durch den qualitätsorientierten und bedarfsgerechten Ausbau der Kindertagesbetreuung wichtige Schritte zur Anhebung des Qualifikationsniveaus umgesetzt werden.
Er unterstützt die Auffassung der Kommission ausdrücklich, dass das Erlernen der Landessprache die Integration erleichtert sowie mehr Chancengleichheit und eine bessere Nutzung des Potentials von Migrantinnen und Migranten ermöglicht.
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung sicherzustellen, dass die verschiedenen Initiativen der Länder in dem Fortschrittsbericht angemessen berücksichtigt werden.
- 6. Der Bundesrat bekräftigt seine grundsätzliche Ablehnung von Einschätzungen und Wertungen der Kommission, welche die Struktur und die Organisation der Bildungssysteme betreffen, und betont, dass die Bildungssysteme der Länder in der Bundesrepublik Deutschland ein Hauptaugenmerk auf die bestmögliche Förderung aller jungen Menschen entsprechend deren Neigungen, Fähigkeiten und Begabungen richten (vgl. BR-Drucksache 687/06(B) ).
- 7. Der Bundesrat begrüßt die an die Mitgliedstaaten gerichtete Aufforderung der Kommission, in eine Diskussion über die Fortführung des Arbeitsprogramms "Bildung und Ausbildung 2010" einzutreten, und stellt fest, dass die Kommission zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf konkrete diesbezügliche Vorschläge verzichtet. Der Bundesrat betrachtet die unter Nummer 4.3. der Kommissionsmitteilung gemachten Vorschläge zu einer effizienteren Durchführung des Arbeitsprogramms, die sich aus Sicht der Kommission offenbar vor allem auf eine noch umfassendere Anwendung der offenen Methode der Koordinierung im Bildungsbereich stützen sollte, als Einstieg in diese Debatte und bekräftigt seine grundsätzlichen Bedenken in Bezug auf die Anwendung der offenen Methode der Koordinierung in Bereichen, in denen die Gemeinschaft lediglich über sehr eng gefasste Kompetenzen verfügt (vgl. zuletzt hierzu auch BR-Drucksache 325/07(B) ).
- 8. In diesem Zusammenhang weist der Bundesrat daher darauf hin, dass die im Beschluss des Arbeitsprogramms vom 14. Juni 2002 grundsätzlich ermöglichte Durchführung von Peerreview-Verfahren wie die Organisation der bisherigen Teilnahme der Mitgliedstaaten an Peerlearning-Maßnahmen auf Freiwilligkeit beruhen muss. Vor dem Hintergrund des durch eine Beteiligung an Peerreview-Verfahren anfallenden hohen Verwaltungsaufwands sowie auf Grund der Tatsache, dass Peer reviews bereits auf OECD-Ebene stattfinden, zieht der Bundesrat die Notwendigkeit der Durchführung von Peer reviews im Rahmen des Arbeitsprogramms "Bildung und Ausbildung 2010" bzw. des Nachfolgeprogramms jedoch in Zweifel.
- 9. Im Hinblick auf die von der Kommission angekündigte "Weiterentwicklung der Indikatoren und Benchmarks gemäß den Schlussfolgerungen des Rates vom Mai 2007" bekräftigt der Bundesrat seine Stellungnahme zu dieser Thematik (BR-Drucksache 141/07(B) ) und fordert die strikte Beachtung der Ratsschlussfolgerungen durch die Kommission, vor allem in Bezug auf die Beschränkung der Arbeiten auf einige präzise genannte Bereiche. Der Bundesrat stellt in diesem Zusammenhang fest, dass die Mitgliedstaaten der Kommission in den Ratsschlussfolgerungen weder ein Mandat zum Vorschlag neuer, in den Ratsschlussfolgerungen nicht enthaltener Indikatoren, noch zum Vorschlag der Schaffung neuer europäischer Durchschnittsbezugswerte (benchmarks) erteilt haben. Der Bundesrat betont, dass die von der Kommission in ihrer diesbezüglichen Kommissionsmitteilung (KOM (2007) 61 endg.) geforderten Indikatoren für den schulischen Bereich nicht die Zustimmung der Mitgliedstaaten gefunden haben und daher nicht erneut von Kommissionsseite zur Komplettierung des im Mai 2007 angenommenen kohärenten Rahmens für Indikatoren und europäische Durchschnittsbezugswerte (Benchmarks) vorgeschlagen werden können.
- 10. Der Bundesrat stimmt der Ansicht der Kommission zu, dass eine Verbesserung der Schnittstellen mit anderen relevanten Politikbereichen auf europäischer Ebene wünschenswert sei, erteilt jedoch der von der Kommission stark unterstützten Initiative des portugiesischen Ratsvorsitzes zur Aufwertung der sogenannten High Level Group der Generaldirektoren der Mitgliedstaaten im Bildungsbereich in ein formelles Ratsgremium, dessen Aktivitäten in Konkurrenz zur Tätigkeit des EU-Bildungsausschusses stehen müssten, eine klare Absage.
- 11. Der Bundesrat stellt fest, dass die ganz überwiegende Zahl der vorgeschlagenen Maßnahmen innerstaatlich in die Zuständigkeit der Länder (Schulbereich, Organisationshoheit für das Bildungssystem, Bildungshaushalte) fällt, und bittet die Bundesregierung daher, die Stellungnahme gemäß § 5 Abs. 2 EUZBLG maßgeblich zu berücksichtigen.