Bundesministerium für Bildung und Forschung Berlin, den 30. Juli 2008
An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ersten Bürgermeister
Ole von Beust
Sehr geehrter Herr Präsident,
das Bundeskabinett hat in seiner 114. Sitzung am 30. Juli 2008 o. g. Initiative beschlossen.
Zu Ihrer Unterrichtung leite ich Ihnen das entsprechende Eckpunktepapier zu.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Annette Schavan
Eckpunkte der Initiative "Wissenschaftsfreiheitsgesetz"
Das deutsche Wissenschaftssystem braucht mehr Selbständigkeit, mehr Spielräume und mehr eigene Verantwortung, um die Attraktivität Deutschlands im internationalen Wettbewerb der Wissenschaftssysteme und Innovationsstandorte zu steigern. Die deutschen Wissenschaftseinrichtungen müssen in die Lage versetzt werden, noch flexibler als bisher auf die Herausforderungen des zunehmend schärferen internationalen Wettbewerbs um die besten Köpfe und die attraktivsten Forschungsbedingungen zu reagieren. Die Mobilität von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist heute größer als je zuvor. Leistungsträger suchen weltweit nach den besten Bedingungen für ihre Arbeit und für ihre weitere wissenschaftliche Entwicklung. Sie entscheiden wesentlich über den Erfolg, die Attraktivität und Innovationskraft der Forschungseinrichtung. Der Wettlauf um die Entwicklung und Umsetzung erfolgreicher Innovationen in verwertbare Produkte und Patente wird immer schneller und härter. Einzelkämpfer haben hier kaum noch eine Chance;
Kooperationen, Verbünde und Allianzen bestimmen das Bild einer immer stärker internationalisierten Forschung.
Die außeruniversitäre Forschung hat durch meist organisationsspezifische Reformen in den vergangenen Jahren mehr Flexibilität erhalten. Die bestehenden Regelungen sind allerdings nicht mehr ausreichend um zukünftig im internationalen Wettbewerb zu bestehen. Durch die Rückführung der haushaltsrechtlichen Detailsteuerung und die Einräumung größerer Handlungsspielräume kann den Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen eine flexiblere Anpassung an Wettbewerbsbedingungen ermöglicht werden. Daher hat die Bundesregierung auf ihrer Kabinettklausur im vergangenen Sommer in Meseberg beschlossen, attraktivere Rahmenbedingungen für die Wissenschaft, u. a. durch mehr Flexibilität, zu erreichen und Eckpunkte für ein Wissenschaftsfreiheitsgesetz zu erarbeiten.
Die Bundesregierung hat sich darauf verständigt, dass die neuen Rahmenbedingungen für die Wissenschaft zunächst nicht in ein spezifisches Gesetz einfließen sollen. Durch eine kurzfristige Anpassung der Haushalts- und Förder-Regelwerke können zeitnah konkrete Verbesserungen erreicht werden. Möglichst alle Maßnahmen sollen schon mit dem Haushaltsjahr 2009 wirksam werden. Dies erfordert zum Teil das Tätigwerden des Haushaltsgesetzgebers. Zugleich eröffnet diese Vorgehensweise die Möglichkeit einer Erprobung der getroffenen Maßnahmen, bevor eine Festlegung über die endgültige Umsetzung in Form eines Gesetzes getroffen wird.
Im Fokus der Initiative stehen die großen außeruniversitären Forschungseinrichtungen wie Fraunhofer-Gesellschaft, Max-Planck-Gesellschaft, Helmholtz-Zentren, die Einrichtungen der Blauen Liste und als größte Forschungsfördereinrichtung die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Auch bei Ressortforschungseinrichtungen, die in hohem Maße eigene Forschung und Entwicklung betreiben, muss wissenschaftsspezifischen Belangen in besonderer Weise Rechnung getragen werden. Deshalb sind die angestrebten Reformen der Rahmenbedingungen auch für diese Einrichtungen von wesentlicher Bedeutung. Die Einbeziehung der Ressortforschungseinrichtungen wird ressort- und einrichtungsspezifisch zu prüfen sein. Diese Prüfung erfolgt zeitnah im Rahmen der Umsetzung des Beschlusses der Bundesregierung "Konzept einer modernen Ressortforschung" vom 11. Dezember 2007. Die Ergebnisse sollen spätestens im Haushaltsentwurf 2010 Berücksichtigung finden.
Der Bund appelliert an die Länder sicherzustellen, dass die durch den Bund eingeführten Flexibilisierungen auch dem jeweiligen Landesrecht unterliegenden Wissenschaftseinrichtungen, insbesondere den Einrichtungen der Blauen Liste, zugute kommen.
Die Bundesregierung hält zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der von der Bundesrepublik Deutschland institutionell geförderten außeruniversitären Forschungseinrichtungen und der Deutschen Forschungsgemeinschaft das folgende Maßnahmenpaket für erforderlich:
- 1. Globalhaushalte für die Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen einführen Der Prozess der Flexibilisierung haushaltsrechtlicher Rahmenbedingungen der Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen wird konsequent weitergeführt mit dem Ziel der Entwicklung von Globalhaushalten am Ende des Prozesses. Diese Maßnahmen führen zu einer Steigerung der Eigenverantwortung der Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen und damit zu einem wirtschaftlicheren und forschungsadäquateren Einsatz der Mittel. Damit wird zugleich die Grundlage für eine moderne aufgaben- und ergebnisbezogene Steuerung der Forschungseinrichtungen geschaffen, die von einem wissenschaftsadäquaten Controlling begleitet werden muss. Im einzelnen sind hier folgende Flexibilisierungsmaßnahmen geboten, die bereits im Haushaltsgesetz 2009 Berücksichtigung finden sollten:
Einräumung zunächst substantiell erhöhter Quoten zur Selbstbewirtschaftung mit Blick auf das Ziel der vollständigen Realisierung der Überjährigkeit der Haushalte.
Abschaffung bisher bestehender Genehmigungsvorbehalte des Bundesministeriums der Finanzen.
Wesentliche Erweiterung der bestehenden Deckungsfähigkeiten zwischen Personal-, Sach- und Investitionsmitteln in einem ersten Schritt.
Abschaffung der Stellenpläne im Bundeshaushalt für die Max-Planck-Gesellschaft, die Helmholtz-Zentren, die Fraunhofer-Gesellschaft und das Wissenschaftszentrum Berlin im Rahmen eines Pilotprojekts.
- 2. Die besten Köpfe für die deutsche Wissenschaft gewinnen und halten Die Forschungseinrichtungen werden in die Lage versetzt, exzellenten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auch im internationalen Vergleich noch attraktivere Konditionen zu bieten. Dies erhöht die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im internationalen Wettbewerb um die besten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Zur Umsetzung sind folgende Maßnahmen geboten:
Schrittweise Aufgabe des Vergaberahmens; zunächst Vereinbarung von Kontingenten, innerhalb derer der Vergaberahmen nicht mehr gilt. Über die jeweiligen Umsetzungsschritte wird nach jeweils drei Jahren berichtet.
Abschaffung von Zustimmungserfordernissen in den W-Grundsätzen.
Gemeinsame Weiterentwicklung der Anstellungskonditionen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zur Stärkung der internationalen Konkurrenzfähigkeit der Forschungseinrichtungen.
- 3. Die Vernetzung mit Wissenschaft und Wirtschaft fördern Kooperationen, Verbünde und Allianzen bestimmen das Bild einer immer stärker internationalisierten Forschung. Für die Eingehung von Beteiligungen an Unternehmen und Forschungseinrichtungen sowie bei der Gründung von Tochtergesellschaften im In- und Ausland braucht die Wissenschaft schnelle Handlungsfähigkeit. Mit diesem Ziel werden die Genehmigungsverfahren erheblich gestrafft.
- 4. Wissenschaftsadäquates Bauen vereinfachen Exzellente Wissenschaft erfordert auch exzellente Infrastruktur. Dazu gehört, Neu- und Umbauten der Wissenschaftseinrichtungen in zügigen und forschungsadäquaten Verfahren zu realisieren. Die Wissenschaftseinrichtungen sollen in Zukunft mehr Verantwortung für ihre Bauverfahren übernehmen. Für die Fraunhofer-Gesellschaft und die Helmholtz-Zentren wird im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ein vereinfachtes Bauverfahren in Anlehnung an das für die Max-Planck-Gesellschaft geltende Verfahren geschaffen.
- 5. Schnelle und effiziente Beschaffung von Waren und Dienstleistungen ermöglichen Die Forschungseinrichtungen nehmen in vielfältiger Weise am Geschäftsverkehr teil, um den Forschern die bestmögliche Ausstattung zu sichern. Hier muss schnelles, flexibles und wirtschaftliches Handeln ermöglicht werden. Ziel ist ein wissenschaftsfreundliches Vergabeverfahren, das die Einrichtungen von administrativen Hemmnissen befreit. Die Bundesregierung setzt sich im Rahmen der anstehenden Neufassung der VOL/ A für die Aufnahme einer Regelung für den Bereich unterhalb des EU-Schwellenwertes ein, die die freie Wahl der Vergabeart für alle Liefer- und Dienstleistungen, die nur zum Zwecke von Forschung und Entwicklung beschafft werden, ermöglicht.