Der Bundesrat hat in seiner 882. Sitzung am 15. April 2011 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Unter Verweis auf die in seiner Entschließung zur Gestaltung des künftigen EU-Forschungsrahmenprogramms (BR-Drucksache 183/10 (PDF) ) formulierten Forderungen bittet der Bundesrat die Bundesregierung, bei ihren Verhandlungen in Brüssel die folgenden Positionen der Länder zu berücksichtigen.
- 2. Der Bundesrat begrüßt die Idee des "Gemeinsamen Strategierahmens" und die mit der vorliegenden Kommissionsmitteilung eingeleitete öffentliche Debatte über die wichtigsten Fragestellungen zur Gestaltung der künftigen EU-Forschungs- und Innovationsprogramme. Ein gemeinsamer strategischer Rahmen, der bisher eigenständige Programme und Instrumente, wie das Programm für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation (CIP) oder das Europäische Institut für Innovation und Technologie (EIT), integriert, wird grundsätzlich befürwortet. Ein gemeinsamer kohärenter Rahmen kann dazu beitragen, dass vorhandene Mittel effizienter und zielgerichteter eingesetzt werden. Auch die Zielrichtung auf die gesamte Innovationskette erscheint in Bezug auf Effektivität und Mehrwert positiv. Die Kopplung an die "Leitinitiative der Strategie Europa 2020 - Innovationsunion" (BR-Drucksache 616/10 (PDF) ), die ein strategisches und integriertes Konzept für Forschung und Innovation vorsieht, wird vom Bundesrat begrüßt. Es sollte die Vielfalt der Formen der Zusammenarbeit von Industrie und öffentlich getragener Forschung aber auf eine überschaubare Anzahl von Instrumenten zurückgeführt werden. Außerdem ist darauf zu achten, dass bei den Beteiligungsregeln der Technologieinitiativen und weiterer öffentlichprivater Partnerschaften auch für die Hochschulen und öffentlichen Forschungseinrichtungen attraktive Förderraten bestehen, die eine kostendeckende Teilnahme ermöglichen und sie bei den geistigen Eigentumsrechten gegenüber Unternehmen angemessen behandelt werden. Bei der Überlegung der Kommission, Komplementaritäten mit der Kohäsionsförderung aufzubauen, ist darauf zu achten, dass das Exzellenzkriterium nicht zugunsten von Kohäsionszielen aufgeweicht wird und alleinige Triebfeder der europäischen Forschungsförderung bleibt.
- 3. Der Bundesrat betont auch die Wichtigkeit des Exzellenzprinzips als Leitprinzip für die nächste Programmgeneration, um herausragende Forschungsergebnisse erzielen zu können, die für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Forschung und Wirtschaft von entscheidender Bedeutung sind.
- 4. Uneingeschränkt unterstützt wird die Ankündigung der Kommission, die europäische Forschungs- und Innovationsförderung substantiell zu vereinfachen. Der Bundesrat begrüßt insbesondere die beabsichtigte Vereinfachung der Regeln und verweist auf seine bereits ergangene Stellungnahme (BR-Drucksache 265/10(B) ). Einheitliche Beteiligungsregeln tragen zum Abbau der Bürokratie und damit zur Kostensenkung für die Antragsteller bei und können die Attraktivität des Europäischen Forschungsraums steigern. Gleichzeitig können hierdurch Verwaltungskosten eingespart werden.
- 5. Der Bundesrat begrüßt ferner eine Vereinfachung von bestehenden Finanzierungsinstrumenten.
- 6. Um die Vereinfachungsbemühungen nicht zu konterkarieren und um die Teilnahmebereitschaft zu wahren, sollte bei der Weiterentwicklung der EU-Forschungs- und Innovationsprogramme auf ein angemessenes Maß an Kontinuität geachtet werden. Wie bisher sollte die Projektförderung im Rahmen der auf dem Exzellenzprinzip basierenden, grenzüberschreitenden Kooperationsforschung das vorrangige Instrument der europäischen Forschungsförderung sein, bei der auch kleinere Projekte berücksichtigt werden, an denen sich vor allem Hochschulen und KMU beteiligen. Die im Spezifischen Programm "Kooperationen" geförderte Verbundforschung mit ihrer bisherigen Architektur der Teilnehmer von Hochschule, Forschung und Wirtschaft sollte ausgebaut werden und thematisch flexibel genug bleiben, um Herausforderungen und neue Ansätze aufgreifen zu können.
- 7. Der Bundesrat begrüßt die Anstrengungen der Kommission, den Wissenstransfer in Europa zu stärken. Unbestritten ist es zentrale Herausforderung der kommenden Förderperiode, Forschungsergebnisse besser als bisher in neue Produkte, Verfahren und Dienstleistungen umzusetzen. Hierfür muss es eine ausreichende Integration der drei Bereiche des Wissensdreiecks geben. Die Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen sind Träger von Forschung und Innovation und Ausbildungsstätten des wissenschaftlichen Nachwuchses. In den Ausführungen im Grünbuch ist jedoch nicht erkennbar, in welcher Weise Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen in dieser Funktion eingebunden werden sollen.
- 8. Der Bundesrat begrüßt die Absicht der Kommission, den Begriff der Innovation nicht nur auf technologische produkt- oder prozessorientierte Innovation einzuengen, sondern eine weite Definition des Innovationsbegriffs einschließlich sozialer und Öko-Innovation zugrunde zu legen. Dabei ist nicht außer Acht zu lassen, dass die Grundlagen- und Pionierforschung die Basis für die Entwicklung neuer Technologien darstellt. Die Grundlagenforschung als Teil einer langfristigen Strategie muss daher neben der direkt auf praktische Verwertbarkeit hin ausgerichteten angewandten Forschung einen angemessenen Platz in der europäischen Forschungsförderung erhalten.
- 9. Mit der Einrichtung des Europäischen Forschungsrats (ERC) im 7. Forschungsrahmenprogramm wurde erstmalig auf europäischer Ebene eine bedeutende Möglichkeit zur Förderung wissenschaftsgetriebener Forschung geschaffen. Die Arbeitsweise des ERC sollte weiter verbessert und seine Finanzausstattung aufgestockt werden.
- 10. Ein zentraler Punkt des Grünbuchs, der besonderer Beobachtung bedarf, ist das Ziel der Kommission, die europäischen Ressourcen effektiver zu nutzen. Die Gemeinsame Programmplanung, in der die Mitgliedstaaten in gemeinsam identifizierten, zentralen Forschungsbereichen auf freiwilliger Basis zusammenarbeiten, ist unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips ein sinnvolles Instrument für eine effiziente Nutzung der begrenzten öffentlichen Forschungsmittel in Europa. In der neuen Förderperiode der Forschungs- und Innovationsprogramme sollten die bisherigen Initiativen der gemeinsamen Programmplanung und Überlegungen der hochrangigen Gruppe (GPC-ERAC) jedoch uneingeschränkt Berücksichtigung finden. Außerdem muss die Verantwortung dafür, was in die Programmplanung einbezogen wird, maßgeblich in den Händen der Mitgliedstaaten bleiben (vgl. BR-Drucksache 521/08(B) ). Die Weiterentwicklung der Gemeinsamen Programmplanung darf jedoch nicht dazu führen, dass die Kommission ihre Zuständigkeit für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit überwiegend der Verantwortung der Mitgliedstaaten überträgt.
- 11. Bei der im Grünbuch vorgeschlagenen stärkeren Ausrichtung der Förderprogramme auf gesellschaftliche Herausforderungen sowie auf politische Ziele ist darauf zu achten, dass allzu starre Festlegungen vermieden und Forschungs- und Innovationsvorhaben auch ohne thematische Beschränkungen (Bottom-up-Ansatz) beantragt werden können. Zugleich sollten auch die Beiträge der Sozial-, Wirtschafts- und Geisteswissenschaften angemessen berücksichtigt werden.
- 12. Der Bundesrat teilt die Auffassung, dass KMU eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung neuartiger Produkte und Dienstleistungen spielen und rasch expandierende KMU das Potenzial zur Veränderung von Wirtschaftsstrukturen haben.
- 13. Die Weiterentwicklung adäquater Finanzierungsinstrumente auf EU-Ebene unter stärkerer Berücksichtigung insbesondere auch der Belange von KMU wird deshalb ausdrücklich begrüßt.
- 14. Die besonderen Anforderungen von KMU als Innovationstreiber sollten besondere Berücksichtigung finden, insbesondere durch die Verstärkung der Maßnahmen nach Artikel 185 AEUV sowie der weiteren Maßnahmen für KMU.
- 15. KMU sollten auch künftig in den EU-Förderprogrammen für Forschung und Innovation besonders berücksichtigt werden. Erfahrungen zeigen, dass Förderprogramme für KMU dann attraktiv sind, wenn es, wie vorgesehen, gelingt, die Verfahren einfacher und die Bearbeitungszeiten kürzer zu halten. Darüber hinaus sind aber auch Themenoffenheit, überschaubare Projektgrößen, mehrmals im Jahr stattfindende Ausschreibungen und hohe Erfolgsquoten für KMU wichtig (vgl. BR-Drucksache 183/10(B) ). Weiterhin sollten KMU häufiger die Koordinierungsfunktion in Projekten erreichen können und beim Projektmanagement stärker unterstützt werden. Für KMU-Verbände sollten die Förderbedingungen verbessert werden. Schließlich sollte über eine Zusammenführung der speziellen KMU-Maßnahmen sowie über eine Verstärkung von Maßnahmen nach Artikel 185 AEUV nachgedacht werden.
- 16. Für die Beschleunigung und Intensivierung von Transfer- und Innovationsprozessen sind regionale Clusterinitiativen und Netzwerke von großer Bedeutung. Diese sollten in der EU-Förderung künftig besonders berücksichtigt werden.
- 17. Die Länder betonen, dass das "Enterprise Europe Network" sich in hohem Maße bewährt und die Zusammenlegung der früheren "Euro Info Center" und der "Innovation Relay Center" die Leistungsfähigkeit des Netzwerks erhöht hat. Das Netzwerk sollte auch künftig die zentrale Anlaufstelle für KMU, aber auch für Forschungseinrichtungen und Hochschulen beim europäischen Wissens- und Technologietransfer, beim Zugang zu europäischen Märkten, bei der Suche von möglichen Kooperationspartnern und Kunden sowie beim Zugang zu den EU-Förderprogrammen sein. Die breite Aufstellung des Netzwerks sollte beibehalten werden.
- 18. Der Bundesrat unterstützt den Vorschlag, Finanzinstrumente zu nutzen, um die Vermarktung von Forschungsergebnissen, das Wachstum innovativer Unternehmen und Investitionen in Infrastrukturen zu fördern. Die Kommission sollte bei ihren Bemühungen in besonderem Maße die Finanzierung von neu gegründeten Unternehmen und den Bedarf von Start-ups im Hochtechnologie-Sektor in den Blick nehmen (vgl. BR-Drucksache 698/10(B) ).
- 19. In Bezug auf die Fazilität für Finanzierungen auf Risikoteilungsbasis (RSFF) verweist er auf seine Stellungnahme (BR-Drucksache 616/10(B) ). Die RSFF ist bisher nur für Großprojekte geeignet und sollte für innovative KMU und für Hochschulen nutzbar gemacht werden.
- 20. Die EU-Strukturfonds werden auch über die aktuelle Förderperiode hinaus für den finanziellen Gestaltungsrahmen bei der Entwicklung und Umsetzung der regionalen Innovationspolitik eine zentrale Bedeutung haben. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, sich für die grundsätzliche Beibehaltung der Strukturfonds-Förderung unter Beachtung der Ziele eines intelligenten, nachhaltigen und integrativen Wachstums auch für die kommende Förderperiode einzusetzen. Er verweist auf die gemeinsame Bund-Länder-Stellungnahme zum Fünften Bericht der Kommission über den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt.
- 21. Der Bundesrat weist darauf hin, dass über die künftige Finanzausstattung der Europäischen Forschungspolitik nur im Rahmen des nächsten Mehrjährigen Finanzrahmens entschieden werden kann.
- 22. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.