Stellungnahme des Bundesrates
Entwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes

Der Bundesrat hat in seiner 884. Sitzung am 17. Juni 2011 beschlossen, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:*

1. Zu den Gesetzentwürfen allgemein

Der Bundesrat begrüßt, dass jetzt die Chance zu einem echten und dauerhaften Energiekonsens in Deutschland besteht, der der Notwendigkeit einer stabilen, sicheren, bezahlbaren und umweltfreundlichen Energieversorgung Rechnung trägt.

Durch verstärkte Anstrengungen zur Energieeinsparung und Steigerung der Energieeffizienz sowie durch eine Kombination aus Erneuerbaren Energien und hocheffizienten Kraftwerken müssen eine sichere Energieversorgung zu bezahlbaren Preisen, Klimaschutz, Ressourcenschonung und die nationale Wettbewerbsfähigkeit der Industrie und der mittelständischen Wirtschaft sichergestellt werden.

2. Zu Artikel 1 Nummer 1 Buchstabe d (§ 7 Absatz 1 e)

3. Zu Artikel 1 Nummer 1a - neu - und 1b - neu - (§ 7d und § 12a0 - neu -)

Artikel 1 ist wie folgt zu ändern:

Begründung:

Ausgehend von den Überprüfungen der Reaktorsicherheitskommission des Bundes sind auf der Grundlage von Wissenschaft und Technik die bundeseinheitlichen Sicherheitsstandards der Kernkraftwerke fortzuschreiben.

Ob § 7 eine Nachrüstungspflicht im Sinne einer dynamischen Risikovorsorge begründet, wird von Seiten der Kernkraftwerksbetreiber bestritten. Die Rechtsprechung hat dies bislang nicht entschieden. Durch die vorliegende Änderung des § 7d soll in diesem streitigen Punkte Rechtsklarheit geschaffen werden. Die geltende Vorschrift wird zu diesem Zwecke entscheidend verändert. In der gegenwärtigen Fassung bleiben die Betreiberpflichten unklar. Auch schließt die gegenwärtige Fassung nach ihrem Wortlaut und der Begründung den Schutz gegen terroristische Gefahren nur unzureichend ein. Des Weiteren beschränkt sie die Drittklagemöglichkeit in nicht vertretbarer Weise. Die den Betreiber treffenden Pflichten werden durch die Neufassung geklärt und die Möglichkeit einer Drittklage eröffnet.

Die Ereignisse in Japan bedeuten eine deutliche Änderung der Erkenntnisse zum Risikopotenzial. Die Verpflichtung der Betreiber, die technischen Vorrichtungen der Anlagen nach dem neuesten Stand von Wissenschaft und Technik an die sich ändernden Erkenntnisse zum Risikopotenzial anzupassen, wird mit dieser Vorschrift klargestellt. Beispielhaft sind dies Erkenntnisse zu neuen terroristischen Bedrohungen und Flugzeugabstürzen oder zu Wahrscheinlichkeiten und Auswirkungen von Naturgewalten wie Erdbeben und Überflutungen. Diese Geschehnisse sind nicht dem hinzunehmenden Restrisiko zuzuordnen. Gegenstand der Anpassungspflicht sind aber auch neue Erkenntnisse zur Betriebsgefahr. Die mit der Vorschrift begründete Verpflichtung zu Investitionen in die Ertüchtigung der Kernkraftwerke ist als inhaltliche Beschränkung des Eigentums nicht entschädigungspflichtig.

§ 12a0 ermächtigt die Bundesregierung zur Konkretisierung der nach § 7d den Anlagenbetreiber treffenden Nachweispflicht durch Rechtsverordnung. Die Konkretisierung hat unter Beteiligung der für die Reaktorsicherheit zuständigen Sachverständigengremien, insbesondere der Reaktorsicherheitskommission, zu erfolgen. Die Regelung benennt beispielhaft auf ein Kernkraftwerk einwirkende Gefahrenquellen, deren Risikopotenzial neu einzuschätzen ist und die deshalb in der Rechtsverordnung zu berücksichtigen sind.

4. Zu Artikel 1 Nummer 1a - neu - (§ 9a Absatz 4 - neu -)

In Artikel 1 ist nach Nummer 1 folgende Nummer 1a einzufügen:

'1a. Dem § 9a wird folgender Absatz 4 angefügt:

Begründung:

Das Dreizehnte Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes soll die gewerbliche

Erzeugung von Elektrizität in Anlage zur Spaltung von Kernbrennstoffen unumkehrbar beenden. Dies erfordert eine Regelung über die Tragung der Lasten aus dem Rückbau und der sicheren Entsorgung des radioaktiven Inventars. Diese trägt nach § 9a der Betreiber der Anlage. Für den Fall des Ausfalls des Betreibers ist über den nach Absatz 1a geforderten Entsorgungsvorsorgenachweis hinaus keine Regelung getroffen. Diese Regelungslücke wird durch den vorliegenden Absatz 4 ausgefüllt. Da die Verwendung der Kernenergie zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität im gesamtstaatlichen Interesse lag, entspricht die subsidiäre Verantwortung des Bundes der Billigkeit. Auf Grund der ursprünglichen Konzeption des Atomgesetzes als Fördergesetz im gesamtstaatlichen Interesse erfordert die Billigkeit auch die Tragung der Kosten für den Rückbau und die sichere Entsorgung der Forschungsreaktoren durch den Bund.

5. Zu Artikel 1 Nummer 2a - neu - (§ 57c - neu -)

In Artikel 1 ist nach Nummer 2 folgende Nummer 2a einzufügen:

'2a. Nach § 57b wird folgender § 57c eingefügt:

" § 57c Kostentragung beim Umgang mit Kernbrennstoffen aus Forschungsreaktoren

Der Bund trägt die Kosten für den Rückbau von deutschen Forschungsreaktoren sowie die Kosten für den Umgang mit Kernbrennstoffen aus deutschen Forschungsreaktoren ab dem Zeitpunkt der Beendigung der forschungsbedingten Nutzung der Kernbrennstoffe. Dies umfasst insbesondere die Kosten für Transport, Behandlung sowie Zwischen- bzw. Endlagerung der Kernbrennstoffe." '

Begründung:

Die Bundesregierung hat sich im Rahmen ihres Vorschlages zum schrittweisen Ausstieg aus der Stromerzeugung durch Kernkraftwerke bis Ende 2022 dazu bekannt, dass die Generationen, die die Kernenergie nutzen, sich auch um die anfallenden radioaktiven Abfälle sorgen müssen. In ein solches Konzept sind auch der Rückbau von Forschungsreaktoren und der Umgang mit den nicht gewerblich genutzten radioaktiven Kernbrennstoffen aus deutschen Forschungsreaktoren ab dem Zeitpunkt der Beendigung der zielgerichteten Nutzung der Kernbrennstoffe in diesen Forschungsreaktoren einzubeziehen. Diese Kernbrennstoffe müssen bei den Planungen zur Errichtung eines deutschen Endlagers berücksichtigt werden. Da die Länder insoweit keine eigenen Kompetenzen haben, ist es sachgerecht, dass der Bund diese Entsorgungskosten insgesamt übernimmt.

Zum Gesetzentwurf insgesamt

Begründung:

Für eine hohe öffentliche Akzeptanz der Energieversorgung sind die Transparenz der Entscheidungen von Parlament und Regierung sowie eine Beteiligung der gesellschaftlichen Gruppen an den Entscheidungen Voraussetzung. Hierfür sind Kreativität und neues Denken erforderlich, um die Chancen des Ausstiegs aus der Kernenergie in vollem Umfang zu nutzen.

Wie von der Ethikkommission vorgeschlagen, sollen zur Unterstützung der für die Energiewende erforderlichen Prozesse ein Nationales Forum Energiewende gebildet und ein parlamentarischer Beauftragter für die Energiewende eingesetzt werden.

Nationales Forum Energiewende

Das Nationale Forum Energiewende soll den öffentlichen Diskurs zur Energiewende organisieren, an dem sich alle Interessierten und Betroffenen beteiligen können. Hierzu dienen insbesondere öffentliche Veranstaltungen. Das Forum soll die Anregungen und Vorschläge der Bürgerinnen und Bürger aufgreifen und den politisch Verantwortlichen zuleiten. Das Forum soll den Austausch von Argumenten für die Energiewende ermöglichen, neue Vorschläge und Fragen sowie neue Lösungsansätze aufgreifen und zur Diskussion stellen.

Parlamentarischer Beauftragter für die Energiewende

Der Parlamentarische Beauftragte für die Energiewende soll das Monitoring und Controlling des Energieprogramms der Bundesregierung organisieren und kontrollieren. Er soll prüfen, ob die getroffenen Maßnahmen tatsächlich zu den gewünschten Zielen führen und die Beendigung der Nutzung der Atomkraftwerke in Deutschland mit allen flexiblen Möglichkeiten zur sicheren Energieversorgung überwachen. Die Meilensteine sollen mit Indikatoren, definierten Datenanforderungen und Verantwortlichkeiten für die Datenerfassung konkretisiert werden. Der Parlamentarische Beauftragte für die Energiewende soll mit den gleichen Rechten wie andere vom Deutschen Bundestag benannte Beauftragte eingesetzt werden. Der Parlamentarische Beauftragte für die Energiewende soll mindestens jedes Jahr oder in ihm zweckmäßig erscheinenden, kürzeren Zeiträumen einen Energiewende-Bericht vorlegen, der veröffentlicht wird. Er soll frühzeitig warnen, wenn zu befürchten ist, dass die Maßnahmen zur Energiewende nicht die gesetzten Ziele erreichen oder wenn der Eindruck entsteht, dass der Umbau der Energieversorgung nicht im erwarteten Umfang erreicht wird.

Begründung:

Die Neubewertung der zu unterstellenden Sicherheitsszenarien einschließlich des tolerierbaren Restrisikos muss neben den Leistungsreaktoren auch die anderen kerntechnischen Anlagen wie Urananreicherung, Brennelementefertigung, Zwischenläger etc. erfassen. Verständlicherweise ist dabei aus Prioritätsgründen je nach Risikopotenzial zeitlich gestuft vorzugehen, aber auf Grund des vorhandenen Gefahrenpotenzials ist ein "Stresstest" auch für diese Anlagen erforderlich.

Begründung:

Die Anlage in Gronau betreibt schon jetzt in erheblichem Umfang die Kernbrennstofferzeugung für ausländische Abnehmer. Nach Vollendung des Ausstiegs aus der Nutzung der Atomenergie in Deutschland werden die erheblichen Kapazitäten in Gronau für die Atomkraftnutzung im Ausland arbeiten. Die Unterstützung der Atomenergienutzung im Ausland bei gleichzeitigem Ausstieg aus der Atomenergienutzung im Inland aus dem Bewusstsein der Unverantwortbarkeit der Atomenergie ist politisch und moralisch widersprüchlich und nicht hinnehmbar. Ergänzend ist auf mit der Aufrechterhaltung des Brennstoffkreislaufs verbundene Gefahren, zum Beispiel durch Transporte, hinzuweisen.