Der Bundesrat hat in seiner 920. Sitzung am 14. März 2014 die aus der Anlage ersichtliche Entschließung gefasst.
Anlage
Entschließung des Bundesrates zum Verlust von Kulturgut in der NS-Zeit
Der systematische Entzug von Eigentum, darunter Kulturgüter in großer Zahl bei jüdischen Bürgerinnen und Bürgern, war integraler Bestandteil der Shoah. Angesichts der Einzigartigkeit der Shoah, in deren Verlauf über sechs Millionen Juden in Europa ermordet wurden, haben die Opfer und ihre Rechtsnachfolgerinnen und Rechtsnachfolger Anspruch auf eine Rechtslage, die die nachstehend formulierten Aspekte berücksichtigt und aus denen sich Handlungsbedarf ergibt.
Vor dem aktuellen Hintergrund des so genannten "Schwabinger Kunstfundes", wird die geltende Rechtslage in der öffentlichen Wahrnehmung weiterhin als Perpetuierung des NS-Unrechts empfunden, weil sie im Ergebnis dazu führen kann, dass entzogenes Kulturgut NS-Opfern bzw. ihren Erbinnen und Erben nicht zurückgegeben werden muss. Eine Initiative des Freistaates Bayern aufgreifend, die rechtliche Position von NS-Opfern und ihren Erben zu verbessern, fasst der Bundesrat nachstehende Entschließung.
- 1. Der Bundesrat bekräftigt erneut die "Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes insbesondere aus jüdischem Besitz" (vgl. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 9. Dezember 1999). Er unterstreicht den in der Erklärung formulierten Willen, Kulturgüter, die als NS-verfolgungsbedingt entzogen identifiziert und bestimmten Geschädigten zugeordnet werden können, nach individueller Prüfung den legitimierten früheren Eigentümerinnen und Eigentümern bzw. deren Erbinnen und Erben zurückzugeben.
- 2. Der Bundesrat bekräftigt außerdem seine Entschließung vom 9. November 2001 - BR-Drucksache 819/01(B) -, mit der er zum Ausdruck gebracht hat, dass die allgemein für alle beweglichen Sachen geltenden Verjährungsregelungen zu unangemessenen Ergebnissen führen können, insbesondere soweit NS-verfolgungsbedingt entzogene und kriegsbedingt verlagerte Kulturgüter davon betroffen sind. Der Gesetzentwurf des Freistaates Bayern (BR-Drucksache 2/14) ist in diese Überlegungen einzubeziehen.
- 3. Der Bundesrat stellt fest, dass die allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen der Bundesrepublik Deutschland insbesondere bei Kulturgütern, die als eine der Maßnahmen der Entrechtung den jüdischen Opfern während des Nationalsozialismus entzogen wurden, zu schwer nachvollziehbaren Ergebnissen führen können.
- 4. Der Bundesrat fordert vor diesem Hintergrund die Bundesregierung auf zu prüfen, in welcher Weise die geltenden Regelungen gegebenenfalls einer Änderung bedürfen oder anderweitige Regelungen nötig sind. Dabei sind nach Ansicht des Bundesrates insbesondere folgende Aspekte zu berücksichtigen:
- a) die Anforderungen an den guten Glauben beim Erwerb des Kulturgutes,
- b) das Fehlen von Nachweisen, weil diese auf Grund von Verfolgung, Kriegseinwirkungen und Kriegsfolgen untergegangen sind,
- c) die nach geltender Rechtslage bestehende Möglichkeit, abhanden gekommenes Kulturgut in einer öffentlichen Auktion gutgläubig zu erwerben oder unter bestimmten Voraussetzungen zu ersitzen und
- d) das Verhältnis zu geltenden Regelungen zur Entschädigung und Rückerstattung.
- 5. Diese Prüfung sollte nach Ansicht des Bundesrates dem Umstand Rechnung tragen, dass durch die besonderen historischen Zeitumstände Nachweise nicht oder nicht vollständig vorgelegt werden können (vgl. Ziffer 4 der "Grundsätze der Washingtoner Konferenz in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden" vom 3. Dezember 1998). Ferner sollte diese Prüfung berücksichtigen, dass verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter, als "entartet" eingezogene Kunstwerke und kriegsbedingt verlagerte Kulturgüter unterschiedliche Kategorien darstellen, die mit Blick auf die jeweilige Sachund Rechtslage einer differenzierten Betrachtung bedürfen. Diese Prüfung sollte zudem die Erfahrung berücksichtigen, dass Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges Kulturgut aus öffentlichen Sammlungen, das wegen der Kriegsereignisse an geschütztem Ort untergebracht war und dort nicht wieder aufgefunden wurde, auf den deutschen Markt gebracht wurde.
- 6. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, die eigentumsrechtlichen Folgen des "Gesetzes über die Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst" vom 31. Mai 1938 und einen sich eventuell daraus ergebenden Handlungsbedarf zu prüfen.