922. Sitzung des Bundesrates am 23. Mai 2014
A
Der federführende Ausschuss für Städtebau, Wohnungswesen und Raumordnung (Wo), der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (U) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat lehnt den vorliegenden Gesetzentwurf ab.
Begründung:
- 2. Der Bundesrat sieht die in dem Gesetzentwurf vorgesehene Einführung einer Länderöffnungsklausel zur Vorgabe von Mindestabständen zwischen Windenergieanlagen und zulässigen Nutzungen als überflüssig und im Hinblick auf die notwendige Umsetzung der Energiewende als kontraproduktiv an.
Bereits das geltende Recht gibt den Ländern und insbesondere den Kommunen die Möglichkeit, im Rahmen der Bauleitplanung ausreichende Abstände zu anderen baurechtlich zulässigen Nutzungen, insbesondere zur Wohnbebauung, festzulegen.
Für die Einführung einer Regelung, die es den Ländern ermöglicht, das Greifen des Privilegierungstatbestandes nach § 35 Absatz 1 Nummer 5 Baugesetzbuch von der Einhaltung von Mindestabständen abhängig zu machen, besteht kein Bedarf. Vielmehr würde die Einführung einer entsprechenden Länderöffnungsklausel dazu führen, dass die Privilegierung der Windenergie ausgehöhlt bzw. unterlaufen werden könnte. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass angesichts der Siedlungsdichte in der Bundesrepublik Deutschland Abstandsregelungen die zentrale "Stellschraube" für die Entscheidung sind, wieviel Raum für die Windenergienutzung zur Verfügung steht. Entsprechend hoch festgesetzte Mindestabstände könnten den notwendigen Ausbau der Windenergienutzung unmöglich machen oder zumindest stark einschränken.
Die Energiewende ist eine gesamtstaatliche Aufgabe, die von allen Ländern gemeinsam bewältigt werden muss. Dazu sind auch möglichst einheitliche Rahmenbedingungen erforderlich.
- 3. Aus fachlichen Gesichtspunkten besteht kein Bedürfnis für eine solche Länderöffnungsklausel:
- - Bereits nach geltendem Recht ist über bauplanungsrechtliche und immissionsschutzrechtliche Regelungen gewährleistet, dass angemessene Abstände zur Wohnbebauung auch bei der Errichtung von Windenergieanlagen eingehalten werden müssen.
- - Hinzu kommt, dass die Gemeinden im Rahmen ihrer Planungshoheit bei der Ausweisung von Konzentrationszonen für Windenergie in ihren Flächennutzungsplänen über die sich aus dem Immissionsschutzrecht und dem Gebot der Rücksichtnahme ergebenden Abstände hinaus größere Vorsorgeabstände im Sinne des vorbeugenden Immissionsschutzes zwischen Windenergieanlagen und schutzbedürftigen Einrichtungen festlegen können; es besteht also bereits über die kommunale Bauleitplanung eine Art "Öffnungsklausel".
Der Gesetzentwurf verlagert im Übrigen Folgeprobleme auf die Ebene der Länder und enthält keinerlei Übergangsregelungen, beispielsweise zum Verhältnis zwischen durch Landesgesetz eingeführten Mindestabständen zu bereits bestehenden Windenergiestandorten. Derzeit ist nicht auszuschließen, dass ein Entschädigungsanspruch gemäß §§ 39 ff. BauGB bei Aufhebung oder Reduzierung eines Vorranggebietes mit Eignungswirkung oder einer Konzentrationszone im Flächennutzungsplan besteht ("Wegplanung" von Standorten). Ein entsprechendes Verfahren ist beim Bundesverwaltungsgericht anhängig.
* Bei Annahme von Ziffer 2 und Ziffer 3 werden die Begründungen redaktionell zusammengefasst.
- 4. Hilfsempfehlung zu Ziffer 1
Zum Gesetzentwurf insgesamt
- a) Für die im Jahr 2011 beschlossene Energiewende ist ein kontinuierlicher und bundesweiter Ausbau der erneuerbaren Energien unerlässlich. Diese sind zudem unverzichtbarer Bestandteil des Industriestandorts Deutschland. Deutschland ist bei regenerativen Energiesystemen Technologieführer, insbesondere in der Windenergiebranche. Es hat sich ein Industrie- und Wirtschaftszweig entwickelt, der mit weit über 300 000 Arbeitsplätzen zur positiven konjunkturellen Entwicklung beiträgt.
- b) Der Bundesrat weist darauf hin, dass die Energiewende eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, die bundeseinheitlicher Regelungen bedarf, um eine Rechtszersplitterung zu vermeiden. Dies gilt umso mehr, als die Energiewende auch innerhalb Europas kein isolierter Prozess, sondern ein in die europäische Politik eingebettetes Projekt ist. Dass Deutschland diese Herausforderung als Ganzes und kontinuierlich angeht, ist auch eine Frage der Zuverlässigkeit deutscher Energiepolitik. Für die weitere Entwicklung der Energiewende bleibt ein über die vorgelegten Gesetzentwürfe zum Erneuerbare-Energien-Gesetz und zum Baugesetzbuch hinausgehendes, umfassendes und kohärentes Konzept unerlässlich.
- c) Der fortgeschrittene Stand der erneuerbaren Energien in Deutschland beruht nicht nur auf einer kontinuierlichen Förderpolitik, sondern auch auf einem den Ausbau ermöglichenden und steuernden Planungs- und Genehmigungsrecht. Dazu gehören die Zuordnung der Windenergienutzung zum bauplanungsrechtlichen Außenbereich und die Ausbausteuerung durch Regionen und Kommunen in Raumordnung und Flächennutzungsplanung.
- d) Der Bundesrat betont, dass Länderöffnungsklauseln grundsätzlich ein bewährtes Instrument sind, landesspezifische Regelungen zu treffen. Auch bei der Umsetzung der Energiewende gibt es landesspezifische Regelungsbedarfe. Allerdings dürfen diese die Energiewende nicht konterkarieren. Vor diesem Hintergrund ist der vorgelegte Entwurf einer Länderöffnungsklausel zu weit gefasst.
- e) Der Bundesrat spricht sich dafür aus, dass eine Einschränkung der Privilegierung von Vorhaben im Außenbereich nicht als isolierte Einschränkung bei Windenergieanlagen in Ungleichbehandlung gegenüber anderen privilegierten Anlagen erfolgen darf. Eine fachliche Begründung für eine Schlechterstellung von Windenergieanlagen gegenüber anderen immissionsschutzrechtlich zu genehmigenden Anlagen und gegenüber anderen dem Außenbereich zugeordneten Anlagen mit ungleich größerem Risikopotenzial wie kerntechnischen Anlagen ist nicht erkennbar und auch nicht nachzuvollziehen.
- f) Der Bundesrat lehnt daher die Länderöffnungsklausel in der vorliegenden Form ab. Da diese keine inhaltlichen Vorgaben oder Maßstäbe beinhaltet, wird die Verlagerung des Aufwands der fachlichen Ermittlung und Begründung geeigneter Abstände von der bislang im Rahmen der kommunalen Planungshoheit maßgeblichen kommunalen Ebene auf die Landesebene angeregt. Wenn infolge der Länderöffnungsklausel in vergleichbaren Lebenssachverhalten und Planungssituationen je nach Land stark unterschiedliche Regelungen greifen und der Windenergieausbau damit vollumfänglich zur Disposition der Landesgesetzgebung gestellt wird, wäre dies der Akzeptanz des Windenergieausbaus abträglich. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, dass sie auf die Einheit der Rechtsordnung achtet und außerhalb des Baugesetzbuches Maßnahmen zur Steigerung der Akzeptanz des Windenergieausbaus ergreift.
- g) Darüber hinaus stellt der Bundesrat fest, dass die vorgeschlagene Fassung keine Übergangsregelung für laufende Planverfahren beinhaltet. Damit verlagert die Bundesregierung jegliches Risiko einer Nutzung der Länderöffnungsklausel auf die Länder, da keinerlei Vorsorge gegen Planungsschäden und damit einhergehende Schadensersatzforderungen getroffen werden. Der Bundesrat befürchtet, dass die Länderöffnungsklausel nicht nur den bundesweiten Ausbau der Windenergie und dessen Akzeptanz in Frage stellt, sondern auch erhebliche Rechtsunsicherheit bewirkt. Dies dürfte zu vielfältigen Rechtsstreitigkeiten zwischen betroffenen Kommunen und Ländern führen.
- h) Die von der Bundesregierung vorgeschlagene Fassung beinhaltet eine weitere Erhöhung der Komplexität des Planungsrechts. Bereits jetzt beklagen viele Kommunen den bei der Windenergieplanung erreichten Komplexitätsgrad. Vor diesem Hintergrund bittet der Bundesrat die Bundesregierung, gemeinsam mit den Ländern Maßnahmen zur Steigerung der Planungssicherheit bei der Umsetzung der Energiewende auch unter dem Aspekt besserer Hilfestellung gegenüber den Kommunen für rechtssichere Planungen zu ergreifen.
B
- 5. Der Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfiehlt dem Bundesrat, gegen den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes keine Einwendungen zu erheben.