COM (2018) 272 final
Der Bundesrat hat in seiner 970. Sitzung am 21. September 2018 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat nimmt zustimmend zur Kenntnis, dass der Kommission die Förderung des Sprachenlernens, der Mehrsprachigkeit und der sprachlichen Vielfalt in Europa grundsätzlich ein großes Anliegen ist. Der Bundesrat begrüßt daher ausdrücklich das Anliegen der Kommission, den Fremdsprachenerwerb in der EU zu fördern. Dies gilt insbesondere für den Ausbau der Lernmobilitäten im Rahmen des laufenden Programms Erasmus+ sowie seines Nachfolgeprogramms. Gerade mit einer verstärkten Förderung des Austausches von Lernenden bereits während der Schule und in der Berufsausbildung kann die Fremdsprachenkompetenz besonders wirksam gefördert werden. Der Bundesrat regt deshalb dringend an, im Rahmen des Programms Erasmus ab 2021 die Förderung der Lernmobilität an Schulen spürbar auszubauen und vor allem auch benachteiligte Schülergruppen stärker als bislang davon profitieren zu lassen.
- 2. Er betont, dass Sprache die Grundlage für die kognitive und soziale Persönlichkeitsentwicklung insbesondere junger Menschen sowie ihre Fähigkeit zu sinnhafter Weltaneignung bildet und sich die Vorteile multilingualer Kompetenzen positiv auf sämtliche Aspekte des Lebens und die gesamte Persönlichkeitsentwicklung auswirken. Eine verengte Sichtweise, die primär aus beschäftigungspolitischen Erwägungen heraus auf die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit, das heißt der Arbeitnehmermobilität innerhalb der EU, abzielt, würde nach Ansicht des Bundesrates der Bedeutung dieses Politikfeldes nicht gerecht werden.
- 3. Er unterstützt das Ziel, Studienaufenthalte im Ausland für Lehramtsstudierende, Lehrkräfte sowie Ausbilderinnen und Ausbilder und die Lernmobilität im Rahmen des Studiums von Fremdsprachenlehrkräften zu fördern. Nach Ansicht des Bundesrates sollte die konkrete Umsetzung jedoch den Mitgliedstaaten überlassen bleiben. Bereits jetzt existieren in Deutschland ein Programm des Pädagogischen Austauschdienstes zum internationalen Austausch von Fremdsprachenassistenzkräften, ein bilaterales Hospitations- und Austauschprogramm und viele weitere bewährte Formate der Sprachförderung. Diese gute Praxis soll fortgeführt werden.
- 4. Der Bundesrat weist darauf hin, dass Vorgaben der EU zum Erlernen von Fremdsprachen und zur entsprechenden Gestaltung der Lehrpläne in die Zuständigkeit der Länder eingreifen. Die Entwicklung von allgemeingültigen Leitlinien stellt eine insofern unzulässige Vorgabe dar. Vielmehr muss es jedem Mitgliedstaat überlassen bleiben, ob und wie das Unterrichten von Sprachen und die Bewertung von Sprachkenntnissen mit dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen verknüpft werden können und welche neuen Formen des Lernens und Unterstützungskonzepte wie umgesetzt werden. Abgesehen davon räumen die Lehrpläne der Länder dem Fremdsprachenerwerb in allen Schularten bereits jetzt und schon seit langem einen bedeutenden Stellenwert ein.
- 5. Der Bundesrat weist ferner darauf hin, dass das Niveau zur selbständigen Sprachverwendung (B1 - B2) bereits als sehr hoch einzustufen und beispielsweise zur Studierfähigkeit in Deutschland ausreichend ist. Vor diesem Hintergrund gibt er zu bedenken, dass, trotz der grundsätzlichen Befürwortung der verstärkten Förderung des Sprachenlernens, das konkrete von der Kommission formulierte Ziel, dass alle Schülerinnen und Schüler vor dem Ende der Sekundarstufe II in zwei Fremdsprachen mindestens dieses Niveau und in der ersten darüber hinaus das Niveau einer kompetenten Sprachverwendung (C1) erreichen sollen, sehr ambitioniert erscheint und mit realistischem Ressourceneinsatz nicht erreichbar ist.
- 6. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission die Tatsache, dass an vielen Schulen aufgrund der Zuwanderung und internationalen Mobilität der Menschen unterschiedliche Muttersprachen gesprochen werden, berücksichtigt und daher die Unterrichtssprache als relevante Bezugssprache gewählt hat.
- 7. Er gibt zu bedenken, dass die angeregte "Schwerpunktverlagerung auf Lernergebnisse" (unter anderem Seite 3) eine Begrifflichkeit von Lernzielen und Lernzielüberprüfung hervorruft, die mit einer Kompetenzorientierung bzw. dem Gedanken eines "Überdenken der Bewertung von Sprachkompetenzen" (Seite 8) konkurriert.
- 8. Der Bundesrat verweist auf den Umstand, dass die Kommission bereits im Jahr 2014 einen europäischen Benchmark für Fremdsprachenkompetenz vorschlug, der Vorschlag allerdings später seitens des Rates der EU abgelehnt wurde. Er erinnert an Ziffer 9 seiner Stellungnahme vom 1. Februar 2013 (BR-Drucksache 725/12(B) ) und lehnt in diesem Zusammenhang weiterhin die Einführung eines europäischen Benchmarks für das Erlernen von Fremdsprachen durch die EU ab. Angesichts der sehr unterschiedlichen Ausgangslagen in den einzelnen Mitgliedstaaten (so variiert beispielsweise die Anzahl der Amtssprachen zwischen den Mitgliedstaaten) sind sowohl die Aussagekraft als auch der Nutzen eines europaweit einheitlichen Benchmarks für das Lehren und Lernen von Sprachen als fragwürdig anzusehen. Im Gegensatz zur Kommission hält es der Bundesrat weder für sinnvoll noch für erforderlich, über Benchmarks Anreizstrukturen zu schaffen und regelmäßig weitere Daten zu erheben, da dies zu erhöhten administrativen und finanziellen Lasten der Mitgliedstaaten führen würde. Dies gilt ebenso für die im Empfehlungsvorschlag erwähnten und zu entwickelnden Methoden und Instrumente zur Unterstützung des Monitorings zu fremdsprachlichen Kompetenzen bzw. der Berichterstattung hierzu. Vielmehr weist der Bundesrat darauf hin, dass die im Rahmen der Ländervergleiche des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen zur zentralen Überprüfung der Erreichung der Bildungsstandards erhobenen Daten zweckmäßig zur Qualitätssicherung und im Einklang mit den bestehenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen verwendet wurden bzw. werden.
- 9. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die in den Dokumenten verwendete Begrifflichkeit "europäische Sprachen" unklar bleibt. Dieser Begriff kann sich sowohl auf die Amtssprachen der EU-Mitglieder beziehen als auch auf das geographische Gebiet Europas. Da es im Rahmen des zweiten Bildungspakets der Kommission um die Schaffung eines europäischen Bildungsraums und einen verbesserten Zugang zum europäischen Arbeitsmarkt geht, bittet der Bundesrat hier um eine Klarstellung.
- 10. Zudem ist nach seiner Auffassung nicht klar, inwiefern hier klassische Sprachen im Rahmen des altsprachlichen Unterrichts beim Fremdsprachenlernen miteinbezogen sind. Der Bundesrat betont in diesem Kontext, dass nicht nur die Sprachkompetenzförderung in modernen Fremdsprachen, sondern auch in klassischen Sprachen integrative Bestandteile des schulischen Fremdsprachenunterrichts sind. Gerade auch das Erlernen klassischer Sprachen kann überdies das spätere Erlernen davon abgeleiteter aktiver Sprachen (wie etwa der romanischen Sprachen, die auf dem Lateinischen basieren) erheblich erleichtern und leistet auch einen wichtigen Beitrag bei der Vermittlung der gemeinsamen europäischen Geschichte und Kultur. Klassische Sprachen sollten in der Empfehlung deshalb neben die übrigen Sprachen gestellt werden.
- 11. Der Bundesrat weist darauf hin, dass der Fremdsprachenerwerb nicht nur über die formale Bildung, sondern insbesondere auch über nonformale und informelle Bildung aktiv erfolgt. Aus diesem Grund ist die weitere Förderung von (internationaler) "Youth Work" und (internationalen) Freiwilligentätigkeiten ein wichtiger Aspekt für einen umfassenden aktiven und modernen Fremdsprachenerwerb, der auch die Förderung interkultureller Kompetenzen beinhaltet. Vom Bundesrat wird deshalb begrüßt, dass auch weiterhin ein eigenständiges Jugendkapitel in Erasmus besteht und das Europäische Solidaritätskorps weiterentwickelt wird.
- 12. Er stellt fest, dass der Schwerpunkt des Empfehlungsvorschlags innerstaatlich in die ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis der Länder auf dem Gebiet der schulischen Bildung (einschließlich der Lehrerausbildung und der Organisationshoheit für das Bildungssystem) fällt. Die in dem Kommissionsvorschlag adressierte Förderung des Erlernens von Fremdsprachen bezieht sich ausschließlich auf die allgemeine und berufliche Pflichtschulbildung sowie die Lehrerbildung und betrifft somit ausschließliche Gesetzgebungs- und Organisationskompetenzen der Länder. Die Stellungnahme des Bundesrates ist gemäß § 5 Absatz 2 EUZBLG von der Bundesregierung maßgeblich zu berücksichtigen. Die Verhandlungsführung im Rat "Bildung, Jugend, Kultur und Sport" der EU sowie in den Beratungsgremien des Rates ist gemäß § 6 Absatz 2 EUZBLG auf die Länder zu übertragen.
- 13. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.