Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung des Europäischen Parlaments vom 24. April 2009 mit einem Vorschlag für eine Empfehlung des Europäischen Parlaments an den Rat zu dem Problem der Erstellung von Personenprofilen bei Terrorismusbekämpfung, Strafverfolgung, Einwanderung, Zoll und Grenzkontrolle, insbesondere auf der Grundlage ethnischer Merkmale und der Rasse (2008/2020(INI))

Zugeleitet mit Schreiben des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments - 307653 - vom 14. Mai 2009.

Das Europäische Parlament hat die Entschließung in der Sitzung am 24. April 2009 angenommen.

Das Europäische Parlament,

Erstellung von Personenprofilen und "Datenschürfung" (Data Mining)

A. in der Erwägung, dass die Mitgliedstaaten durch den Einsatz von Programmen und Systemen, die mit der Erhebung, der Verwertung, der Speicherung und dem Austausch von Informationen über Personen als Mittel der Terrorismusbekämpfung und zur Abwehr anderer Bedrohungen im Bereich der Bekämpfung der Kriminalität einhergehen, zunehmend von neuen Technologien Gebrauch machen,

B. in der Überzeugung, dass auf europäischer Ebene eine eindeutige Definition dessen erfolgen muss, was unter "Praxis der Erstellung von Personenprofilen" zu verstehen ist, wobei das konkrete Ziel berücksichtigt werden muss, das erreicht werden soll; in der Erwägung, dass die Praxis der Erstellung von Personenprofilen eine Ermittlungsmethode ist, die durch neue Technologien ermöglicht wurde, die oft in der Wirtschaft eingesetzt werden, die aber zunehmend als Mittel der Strafverfolgung genutzt wird, insbesondere zur Aufdeckung und Verhütung von Straftaten sowie im Bereich der Grenzkontrollen,

C. in der Erwägung, dass die Praxis der Erstellung von Personenprofilen, die oft mithilfe des automatisierten "Mining" von computergespeicherten Daten praktiziert wird, untersucht werden und Gegenstand einer politischen Diskussion sein sollte, weil sie von der allgemeinen Regel abweicht, dass Entscheidungen über die Strafverfolgung aufgrund des individuellen Verhaltens des Einzelnen getroffen werden sollten, und deshalb umstritten ist; ferner in der Erwägung, dass die Erstellung von Personenprofilen eine Ermittlungsmethode ist, bei der aus verschiedenen Quellen Informationen über Personen gesammelt werden, darunter gegebenenfalls Informationen über ihre ethnische Zugehörigkeit, Rasse, Staatsangehörigkeit und Religion, um diejenigen unter diesen Personen zu ermitteln und unter Umständen restriktive Maßnahmen gegen sie zu verhängen, die einer Straftat oder terroristischen Tat verdächtig sein könnten, und die wie folgt definiert werden kann: die systematische Assoziierung von Gruppen von körperlichen und psychologischen Eigenschaften oder von Verhaltensmerkmalen mit bestimmten Straftaten und ihre Verwendung als Grundlage für Entscheidungen über die Strafverfolgung1,

D. in der Erwägung, dass die Erstellung von ethnischen Personenprofilen, die auf einer spezifisch rassischen oder ethnischen Grundlage erfolgt und bei der deshalb große Bedenken bestehen, ob sie im Widerspruch zu Regeln über die Nichtdiskriminierung steht, wie folgt definiert werden kann:

E. in der Erwägung, dass die Erstellung von Personenprofilen unabhängig davon, ob sie durch Data Mining oder im Rahmen der Tätigkeit der Polizei und anderer Stellen erfolgt, in steigendem Maße als ein Mittel für Strafverfolgung und Grenzkontrollen eingesetzt wird und dass der Bewertung ihrer Wirksamkeit und der Entwicklung und Anwendung rechtlicher Garantien zum Schutz der Privatsphäre und zur Verhinderung von Diskriminierung zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird,

F. in der Erwägung, dass Personenprofile

G. in der Erwägung, dass durch Data Mining und die Erstellung von Personenprofilen die Grenzen zwischen zulässiger zielgerichteter Überwachung und problematischer Massenüberwachung, bei der Daten nicht für festgelegte Zwecke gesammelt werden, sondern weil sie nützlich sind, verwischt werden, was potenziell zu einem rechtswidrigen Eingriff in die Privatsphäre führt,

H. in der Erwägung, dass ungerechtfertigte Reisebeschränkungen und einschneidende Kontrollmethoden den wichtigen wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Austausch mit Drittländern negativ beeinflussen könnten; hält es daher für ausgesprochen wichtig, zu gewährleisten, dass bestimmte Gruppen, Gemeinschaften oder Staatsangehörigkeiten so wenig wie möglich diskriminierenden Methoden oder Maßnahmen ausgesetzt werden, die nicht objektiv begründet werden können,

I. in der Erwägung der Gefahr, dass unschuldige Menschen willkürlich vorläufig festgenommen und verhört werden, gegen sie Reisebeschränkungen verhängt werden oder bei ihnen Kontroll- oder Alarmmeldungen zur Gefahrenabwehr ausgelöst werden, weil ihrem Profil staatlicherseits Informationen hinzugefügt wurden, und dass dies, wenn die Information nicht schnell gelöscht wird, durch den Austausch von Daten und die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen dazu führen könnte, dass Visa oder Genehmigungen von Reisen oder Grenzübertritten verweigert werden, Einträge in Listen von zu überwachenden Personen oder Datenbanken erfolgen, die Arbeitsaufnahme oder Bankgeschäfte verboten werden, oder es zu einer Festnahme, zu Freiheitsentzug oder sonstigen rechtlich einschneidenden Maßnahmen kommt, wobei gegen sämtliche derartige Maßnahmen unter Umständen rechtliche Abhilfemöglichkeiten nicht bestehen,

Rechtliche Verpflichtungen

J. in der Erwägung, dass bei der Strafverfolgung immer die Grundrechte beachtet werden müssen, darunter das Recht auf ein Privat- und Familienleben, auf den Schutz persönlicher Daten und auf Nichtdiskriminierung; in der Erwägung, dass eine enge internationale Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Terrorismus und der schweren Kriminalität zwar unerlässlich ist, bei einer solchen Zusammenarbeit jedoch stets sowohl das Völkerrecht als auch die europäischen Normen und Werte der Gleichbehandlung und des angemessenen Rechtsschutzes zu beachten sind, nicht zuletzt, damit die Europäische Union nicht ihre Glaubwürdigkeit als Förderer der Menschenrechte innerhalb ihrer eigenen Grenzen sowie auf internationaler Ebene aufs Spiel setzt,

K. in der Erwägung, dass die Europäische Union von Ermittlungsmethoden Abstand nehmen sollte, die die diplomatischen Beziehungen unnötigerweise beeinträchtigen, diese internationale Zusammenarbeit behindern oder ihr Bild in der Welt und ihre Glaubwürdigkeit als Vertreter und Verteidiger des Völkerrechts beschädigen könnten; in der Erwägung, dass die europäischen Normen in Bezug auf Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und Rechtsschutz nach wie vor als Vorbild dienen sollten,

L. in der Erwägung, dass die Erstellung sowohl deskriptiver als auch prädiktiver Personenprofile ein legitimes Ermittlungsinstrument sein kann, wenn sie nicht auf ungeprüften, von Stereotypen ausgehenden Verallgemeinerungen, sondern auf konkreten, verlässlichen und rechtzeitig vorhandenen Informationen aufbaut und wenn die Maßnahmen, die aufgrund derartiger Profile ergriffen werden, den Grundsätzen der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit genügen; jedoch in der Erwägung der ernst zu nehmenden Gefahr, dass die Erstellung von Personenprofilen zu Diskriminierungen führt, wenn es keine angemessenen rechtlichen Einschränkungen und Schutzbestimmungen in Bezug auf die Verwertung von Daten über ethnische Zugehörigkeit, Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit und politische Überzeugung gibt,

M. in der Erwägung, dass nach den Vorgaben des Europäischen Kodex der Polizeiethik polizeiliche Ermittlungen [] zumindest auf dem begründeten Verdacht der tatsächlichen oder möglichen Begehung einer Straftat bzw. eines Verbrechens beruhen müssen, und in der Erwägung, dass geltend gemacht wird, beim Fehlen eines solchen begründeten Verdachts werden Menschenrechtsverletzungen zum Nachteil Einzelner und der gesamten Gesellschaft wahrscheinlich1, wenn die Erstellung von Personenprofilen aufgrund von Stereotypen und Vorurteilen erfolgt,

N. in der Erwägung, dass die Erstellung breit gefasster "prädiktiver" Personenprofile, die durch Datenabgleich zwischen Datenbanken erstellt werden und nicht überprüfte Verallgemeinerungen oder Verhaltensmuster widerspiegeln, von denen man annimmt, dass sie wahrscheinlich auf das Begehen einer zukünftigen oder noch nicht aufgedeckten Straftat oder terroristischen Handlung hindeuten, gravierende Datenschutzprobleme verursacht und eine Verletzung des Rechts auf Achtung des Privatlebens gemäß Artikel 8 der EMRK und Artikel 7 der Charta2 darstellen kann,

O. in der Erwägung, dass die Rechtsprechung des EGMR deutlich macht, dass Ausnahmen von Artikel 8 Absatz 2 der EMRK nur zulässig sind, wenn sie rechtlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft unerlässlich sind3, wie durch das oben genannte, kürzlich ergangene Urteil in der Rechtssache S. und Marper gegen Vereinigtes Königreich bestätigt wird, in dem festgestellt wird, umfassende und unterschiedslose Befugnisse zur Vorratsspeicherung der Fingerabdrücke, Zellproben und DNA-Profile von Personen, die einer Straftat verdächtigt, jedoch nicht überführt wurden, stellen einen Verstoß gegen Artikel 8 der EMRK dar,

P. in der Erwägung der oben angeführten, des EGMR in seinem Urteil in der Rechtssache S. und Marper gegen Vereinigtes Königreich, enthaltenen Feststellung der Gefahr der Stigmatisierung aufgrund des Umstandes, dass nicht wegen einer Straftat verurteilte Personen in der DNA-Datenbank des Vereinigten Königreichs genauso behandelt werden wie verurteilte Straftäter, womit auch Fragen zur Rechtmäßigkeit der Erstellung von Personenprofilen auf der Grundlage der Verarbeitung personenbezogener Daten von solchen Personen aufzuwerfen sind, die nicht gerichtlich verurteilt sind4,

Q. in der Erwägung, dass das Rasterfahndungsprogramm, in dessen Rahmen die deutschen Polizeibehörden personenbezogene Daten von männlichen Studenten bzw. ehemaligen Studenten im Alter von 18 bis 40 Jahren, von denen man annahm, dass sie muslimischen Glaubens waren, aus öffentlichen und privaten Datenbanken gesammelt haben und das einen (erfolglosen) Versuch darstellte, Personen zu ermitteln, bei denen der Verdacht bestand, dass sie Terroristen sind, vom deutschen Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig befunden wurde, wobei das Gericht in seiner erwähnten diesbezüglichen Entscheidung festgestellt hat, dass Data Mining einen rechtswidrigen Zugriff auf personenbezogene Daten und ein illegales Eindringen in die Privatsphäre darstelle, wofür eine allgemeine Bedrohungslage, wie sie im Hinblick auf terroristische Anschläge seit dem 9. September 2001 durchgehend bestanden habe, nicht ausreiche, sondern vielmehr eine "konkrete Gefahr" vorauszusetzen sei, etwa die Vorbereitung oder Durchführung terroristischer Anschläge,

Wirksamkeit

R. in der Erwägung, dass in verschiedenen amerikanischen Studien Zweifel am Nutzen des Data Mining und der Erstellung von Personenprofilen aufgeworden wurden, darunter

S. in der Erwägung, dass die Wirksamkeit des Data Mining durch das Problem der "Nadel im Heuhaufen" eingeschränkt wird, weil die Analytiker eine immense Menge an Daten durchgehen müssen, dass die Menge an "digitalen Spuren", die rechtschaffene Bürger hinterlassen, noch größer ist als die von Kriminellen und Terroristen, die beträchtliche Anstrengungen unternehmen, um ihre Identität zu verschleiern, und dass es eine erhebliche Anzahl "irrtümlich positiver" Treffer gibt, wodurch nicht nur vollkommen unschuldige Menschen in Verdacht geraten, was zu einem Eindringen in ihre Privatsphäre führen kann, sondern auch tatsächliche Verdächtige unerkannt bleiben,

T. in der Erwägung, dass umgekehrt das Problem besteht, dass Straftäter, auf die das Profil nicht zutrifft, unter Umständen nicht gefunden werden, wie z. B. der Drahtzieher der Londoner Bombenanschläge vom 7. Juli 2005, der "den Geheimdiensten als eine Person aufgefallen war, die Kontakt zu anderen Männern hatte, die unter Verdacht standen, in einen Plan für einen terroristischen Bombenanschlag verwickelt zu sein [], aber [] nicht verfolgt wurde, weil auf ihn nicht ausreichend viele Merkmale des vor dem Juli 2005 verwendeten Profils eines Terrorismusverdächtigen zutrafen"1,

U. in der Erwägung, dass die Erstellung von Personenprofilen, durch die die guten nachbarschaftlichen Beziehungen beeinträchtigt und bestimmte Gemeinschaften von der Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden abgehalten werden, kontraproduktiv wäre, weil sie das Sammeln von Informationen und wirkungsvolle Maßnahmen gegen Kriminalität und Terrorismus behindert2,

V. in der Erwägung, dass das effiziente Sammeln von Informationen über einzelne Verdächtige und das Verfolgen konkreter Anhaltspunkte die beste Methode ist, um Pläne für Terroranschläge aufzudecken und die Durchführung dieser Pläne zu verhindern, und dass ergänzend dazu durchgeführte Stichprobenkontrollen, von denen jeder in gleichem Maße betroffen ist und die von Terroristen nicht umgangen werden können, im Rahmen der vorbeugenden Terrorismusbekämpfung wirksamer sein können als die Erstellung von Personenprofilen3,

Erstellung von Personenprofilen auf der Grundlage ethnischer Merkmale

W. in der Erwägung, dass die Heranziehung der ethnischen oder nationalen Herkunft oder der Religion als Kriterien bei strafrechtlichen Ermittlungen solange nicht ausgeschlossen ist, als dies gemäß den Nichtdiskriminierungsvorschriften, einschließlich Artikel 14 der EMRK geschieht, wobei jedoch die Kriterien der Angemessenheit, Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit für eine zulässige Ungleichbehandlung, die keine Diskriminierung darstellt, erfüllt sein müssen,

X. in der Erwägung, dass die Erstellung von Personenprofilen aufgrund von Annahmen, die auf Stereotypen beruhen, ablehnenden und fremdenfeindlichen Empfindungen gegenüber Personen mit bestimmtem ethnischen, nationalen oder religiösen Hintergrund in der Öffentlichkeit Vorschub leisten kann4,

Y. in der Erwägung, dass der EGMR in seiner Rechtsprechung erkannt hat, dass eine verbotene Diskriminierung vorliegt, wenn ausschließlich aufgrund der Rasse Strafverfolgungsmaßnahmen eingeleitet werden1; in der Erwägung, dass es in der Praxis nicht immer eindeutig ist, ob die Rasse oder die ethnische Zugehörigkeit die einzige oder entscheidende Grundlage solcher Maßnahmen waren, und dass das entscheidende Gewicht dieser Faktoren oft erst bei der Analyse von Strafverfolgungsmaßnahmen deutlich zutage tritt,

Z. in der Erwägung, dass es zwar keine internationalen oder europäischen Vorschriften gibt, die die "Erstellung von Personenprofilen auf der Grundlage ethnischer Merkmale" ausdrücklich verbieten, dass jedoch die Rechtsprechung des EGMR diese Schlussfolgerung nahelegt und sowohl durch das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung als auch durch die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz klargestellt worden ist, dass derartige Maßnahmen gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen2,

AA. in der Erwägung, dass die Staaten in dem auf der Weltkonferenz gegen Rassismus im Jahre 2001 angenommenen Aktionsprogramm dringend aufgefordert werden, "wirksame Maßnahmen zu konzipieren, anzuwenden und durchzusetzen, um das Phänomen der Erstellung von Personenprofilen auf der Basis der Rasse zu beseitigen"3, dass die Regierungen in der erwähnten Empfehlung Nr. 8 der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz über den Kampf gegen den Rassismus bei der Terrorismusabwehr ersucht werden sicherzustellen, dass die Rechtsvorschriften und Verordnungen im Bereich der Strafverfolgung oder ihre Umsetzung nicht zu Diskriminierung führen, und dass das EU-Netzwerk unabhängiger Grundrechtsexperten der Ansicht ist, dass Personenprofile von Terroristen auf der Grundlage von Merkmalen wie Nationalität, Alter oder Geburtsort "eine schwerwiegende Gefahr der Diskriminierung darstellen"4,

AB. in der Erwägung, dass die Ermittlungsmethoden und die Datenverarbeitungssysteme in der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten, bei denen Techniken der Erstellung von Personenprofilen angewandt werden bzw. die die Grundlage für derartige Techniken bilden, umfassend bewertet werden müssen, um die uneingeschränkte Einhaltung nationaler, europäischer und internationaler rechtlicher Verpflichtungen sicherzustellen und ungerechtfertigte diskriminierende oder die Privatsphäre verletzende Auswirkungen zu verhindern,

AC. in der Erwägung, dass die folgenden Leitlinien auf die betreffenden Maßnahmen angewandt werden sollten, und in der Erwägung, dass eine Kombination all dieser Schutzmaßnahmen notwendig ist, um einen umfassenden und wirksamen Schutz zu gewährleisten,