858. Sitzung des Bundesrates am 15. Mai 2009
A.
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union und der Rechtsausschuss empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat unterstützt das Anliegen des Vorschlags, sexuellen Missbrauch und sexuelle Ausbeutung von Kindern sowie Kinderpornografie in ihren verschiedenen Erscheinungsformen zu verhindern und zu verfolgen. Er ist der Auffassung, dass es sich bei diesen Straftaten um eine besonders schwere Form der Kriminalität handelt, die sich gegen Opfer richtet, die besonderen Schutzes und der Fürsorge bedürfen.
- 2. Zu einzelnen Regelungen des vorgeschlagenen Rahmenbeschlusses weist der Bundesrat allerdings auf Folgendes hin:
- - Mit der Definition des Begriffs "Kind" in Artikel 1 Buchstabe a als jede Person unter achtzehn Jahren werden sowohl Personen, die nach deutschem Recht "Kinder" (unter vierzehn Jahren) sind, als auch solche erfasst, die nach deutschem Recht "Jugendliche" (vierzehn bis achtzehn Jahre) sind. Durch die vorgesehene Ausweitung des Begriffs und der hieran anknüpfenden Strafvorschriften würde der Bereich der Straftaten gegen die sexuelle Ausbeutung (dreizehnter Abschnitt des StGB) ganz erheblich ausgeweitet. Der Bundesrat weist darauf hin, dass erst am 5. November 2008 das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie in Kraft getreten ist (BGBl. I, S. 2149). Die im deutschen Strafrecht zuletzt mit diesen Neuregelungen (zum Beispiel § 184c StGB) erst wieder bestätigte Differenzierung zwischen Kindern und Jugendlichen wäre damit obsolet.
- - Der Differenzierung zwischen Altersgrenzen im dreizehnten Abschnitt des StGB hinsichtlich Kindern und Jugendlichen sowie von Personen unter sechzehn Jahren (§ 180 StGB) liegt die Erwägung zugrunde, dass junge Menschen bis zur Vollendung ihres 18. Lebensjahres eine Entwicklung auch im Hinblick auf ihre sexuelle Reife durchlaufen, der gerade das Sexualstrafrecht Rechnung tragen muss. Die Schutzwürdigkeit ist bei Personen im Alter von unter vierzehn Jahren anders zu beurteilen als bei einer beinahe achtzehn Jahre alten Person. Diesem Umstand trägt der Rahmenbeschlussvorschlag durch die einheitliche Festlegung auf den Begriff der "Person unter achtzehn Jahren" und die nur gelegentliche und nicht durchweg konsequente Einschränkung auf das Alter der sexuellen Mündigkeit (Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe a und d, Artikel 5) nur unzureichend Rechnung.
- - Vorschriften zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Ausbeutung, sexuellem Missbrauch und Pornografie sind - abgesehen von der neuen Strafbestimmung der Kontaktaufnahme zum Zweck des sexuellen Missbrauchs (Artikel 5 des Rahmenbeschlussvorschlags) bereits im StGB ...
- - Im deutschen Recht gibt es hinsichtlich der aufgrund des Rahmenbeschlusses zu sanktionierenden Verhaltensweisen bereits ein ausgewogenes, an der Schwere der jeweiligen Rechtsgutverletzung orientiertes System von Strafrahmen. Das derzeitige Sanktionssystem ermöglicht differenzierte, am Unrechtsgehalt orientierte Strafen. Artikel 7 des vorgeschlagenen Rahmenbeschlusses sieht hingegen generell eine (Mindest-)Höchststrafe von sechs Jahren vor. Durch die Verpflichtung zur undifferenzierten Übernahme von im Mindestmaß bestimmten Höchststrafen bestünde die Gefahr, dass die Kohärenz dieser Systematik empfindlich gestört würde, zumal das deutsche Strafrecht Höchststrafen von sechs oder zwölf Jahren bislang nicht kennt. Eine Umsetzung des Rahmenbeschlussvorschlags würde zudem dazu führen, dass die am Unrechtsgehalt orientierten und differenzierten Höchststrafen des StGB von zum Beispiel zwei oder fünf Jahren nicht beibehalten werden könnten.
- - Auch hinsichtlich der Voraussetzungen der Strafbarkeit erscheint der vorgeschlagene Rahmenbeschluss teilweise zu wenig differenziert, etwa was die Strafbarkeit des Versuchs anbetrifft.
- - Das deutsche Strafrecht ist, was den Regelungsbereich des Rahmenbeschlusses angeht, bereits sehr weitgehend auch auf extraterritoriale Sachverhalte anwendbar. So sind der Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung und die Verbreitung von Kinderpornografie nach dem Weltrechtsprinzip auch in Deutschland verfolgbar.
- - Nicht nachgewiesen ist bislang ein Bedürfnis für die Begründung einer hierüber hinausgehenden Verfolgungszuständigkeit des Mitgliedstaats, in dem der Täter allein seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hat, wenn dieser in einem anderen Staat eine entsprechende Straftat begangen haben soll. Gleiches gilt für die Anknüpfung der Verfolgungszuständigkeit an den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Tatopfers.
- - Die Stärkung der Rechte der Opfer ist zu begrüßen. Allerdings ist dies kein absolutes Ziel. Es wird begrenzt unter anderen durch die nach rechtsstaatlichen Grundsätzen einem Tatverdächtigen zustehenden Rechte und durch den staatlichen Anspruch an der Verfolgung und Aufklärung von - auch von einem Opfer begangenen - Straftaten. Mithin darf nicht allein die behauptete Opfereigenschaft zwangsläufig zu einem Freibrief für begangene Straftaten führen. Die privilegierungswürdige Opfereigenschaft ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls durch das Tatgericht festzustellen, das im Weiteren darüber zu entscheiden hat, ob die Opfereigenschaft eine Strafbefreiung oder etwa nur eine Strafmilderung rechtfertigt.
- - Es erscheint daher geboten, die Voraussetzungen, unter denen eine Privilegierung des Opfers erfolgen kann oder zu erfolgen hat, zu konkretisieren.
B.
- 3. Der Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik, der Ausschuss für Frauen und Jugend und der Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.