Der Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz Mainz, den 30. November 2012
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Winfried Kretschmann
Sehr geehrter Herr Präsident,
das Land Rheinland-Pfalz möchte zur verzögerten Einführung lärmabhängiger Trassenpreise im Schienengüterverkehr die anliegenden Fragen an die Bundesregierung stellen.
Namens der Landesregierung bitte ich Sie, diese Fragen gemäß § 19 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates an die Bundesregierung weiterzuleiten und auf die Tagesordnung der 904. Sitzung des Bundesrates am 14. Dezember 2012 zu setzen.
Mit freundlichen Grüßen
Kurt Beck
Fragen an die Bundesregierung zur Einführung lärmabhängiger Trassenpreise
Mit dem Ziel einer Halbierung des Bahnlärms bis 2020 haben Bundesverkehrsminister Dr. Peter Ramsauer und der Vorstandsvorsitzende der DB AG am 5. Juli 2011 eine Eckpunktevereinbarung zur Einführung lärmabhängiger Trassenpreise ab dem Fahrplanwechsel im Dezember 2012 abgeschlossen. Der von Rheinland-Pfalz und Hessen initiierte Beschluss des Bundesrates vom 24. September 2010 (BR-Drs 553/10(B) ) zur Einführung lärmabhängiger Trassenpreise durch eine entsprechende Änderung der Eisenbahninfrastruktur-Benutzungsverordnung (EIBV), der dies bereits für Dezember 2011 vorsah, blieb hingegen unbeachtet.
Jetzt bleibt festzustellen, dass die Absicht des Bundes wegen beihilferechtlicher Bedenken der EU-Wettbewerbskommission nicht wie ursprünglich geplant umgesetzt werden kann. Es drohen weitere Verzögerungen, die den vom Bahnlärm betroffenen Menschen nicht mehr vermittelbar sind. Sie addieren sich zu den Befürchtungen, die bisher schon u.a. seitens eines Teils des Bahnsektors hinsichtlich der Rechtssicherheit und der Wirksamkeit des von Bund und Bahn geplanten Vorgehens bestanden. Auch der Antrag der Koalitionsfraktionen im Deutschen Bundestag (BT-Drs 17/10780) ist mindestens betreffend lärmabhängiger Trassenpreise nun nicht mehr auf einem aktuellen Stand.
Der Bundesrat hat die Problematik erkannt und in der 903. Sitzung am 23. November 2012 im Rahmen seiner Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuordnung der Regulierung im Eisenbahnbereich erneut konkrete Vorschläge unterbreitet, die zu einem wirksamen lärmabhängigen Trassenpreissystem führen können (BR-Drs 559/12(B) ).
Vor diesem Hintergrund wird die Bundesregierung gefragt:
- 1. Wann ist angesichts der erforderlichen staatlichen Zulassungsprozesse für einen uneingeschränkten Einsatz der sogenannten LL-Bremssohlen und der Produktionsvorbereitungen bei den Herstellern mit einer breiten Verfügbarkeit und einem Einbau dieser zu rechnen?
- 2. Warum sieht die Bundesregierung eine Umrüstung der Güterwagen auf bereits zugelassene K-Bremssohlen anders als die Schweiz und trotz der vergleichsweise höheren Kostensteigerungen im Straßengüterverkehr und trotz staatlicher Unterstützung als finanziell und wettbewerblich nicht verkraftbar für den Güterverkehr der Eisenbahnen an?
- 3. Ist die Bundesregierung der Auffassung, und wenn ja aus welchen Gründen, dass eine wie ursprünglich vorgesehene lärmabhängige Differenzierung der Trassenpreise, angesichts der in der Richtlinie 2001/14/EG bzw. 2007/48/EG gegebenen speziellen Rechtsgrundlage dafür, eine Beihilfe darstellt und einer Notifizierung bedarf?
- 4. Warum hat die Bundesregierung ihre bisherigen Planungen zu einem lärmabhängigen Trassenpreissystem unter Distanzierung der Länder betrieben und den Beschluss des Bundesrates unbeachtet gelassen?
- 5. Warum will die Bundesregierung nicht - entsprechend der gegebenen Rechtsgrundlage zur Trassenpreisbildung - jeden leisen Güterwagen solange er auf dem deutschen Netz fährt, gleichberechtigt von der lärmabhängigen Differenzierung profitieren lassen?
- 6. Warum führt die Bundesregierung die von ihr zur Stützung eines lärmabhängigen Trassenpreissystems vorgesehenen Finanzmittel nicht z.B. im Rahmen eines Zusatzbeitrages zur bestehenden Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zur besonderen Förderung der Güterstrecken der DB Netz AG zu?
- 7. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fachwelt, dass die Lärmverminderung an der Quelle, insbesondere die Umrüstung auf Verbundstoffbremssohlen, auch dann die wirtschaftlichste Möglichkeit zur Erreichung des Minderungsziels ist, wenn die Kosten der Umrüstung auf K-Sohlen zugrunde gelegt werden, und damit eine netzweite Lärmminderung zu den geringsten Kosten für den Bundeshaushalt und letztlich auch für den gesamten Bahnsektor erreicht werden kann?
- 8. Beabsichtigt die Bundesregierung weiter eine Einschränkung der Streckennutzung für laute Güterwagen ab 2020 und wann wird sie dazu eigene Vorschläge vorlegen?
- 9. Welchen Stellenwert hat für die Bundesregierung das in Artikel 3 der Europäischen Grundrechtecharta verankerte Recht jeder Person auf Schutz der körperlichen und geistigen Unversehrtheit im Verhältnis zum freien Verkehren alter und lauter Güterwagen zu jeder Tages- und Nachtzeit mit einhergehenden Gesundheitsschäden der betroffenen Menschen?
- 10. Ist der Bundesregierung bewusst, dass mit der Umrüstung der Bestandsgüterwagen auf Verbundstoffbremssohlen angesichts eines Minderungsbedarfs an vielen Stellen im Mittelrheintal und anderen stark befahrenen Strecken um rund 30 Dezibel das Ziel noch lange nicht erreicht ist und weiter Lärm mindernde Maßnahmen entsprechend dem Stand der Technik an Wagen und Lokomotiven sowie auch an den Strecken notwendig sind und wie werden die nächsten Schritte dazu aussehen?