Europäische Kommission Brüssel, den 1. Juli 2009
Vizepräsidentin
An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Peter Müller
Sehr geehrter Herr Präsident,
für den Beitrag des Bundesrates vom 6. März 2009 zum Kommissionsvorschlag für eine Richtlinie über Rechte der Verbraucher (KOM (2008) 614)* möchte ich Ihnen herzlich danken.
Die Kommission möchte die nationalen Parlamente darin bestärken, zu ihren Vorschlägen Stellung zu nehmen, um den politischen Willensbildungsprozess zu verbessern, und nimmt daher gerne die Gelegenheit wahr, Ihnen auf Ihre Bemerkungen zu antworten. In der Anlage finden Sie die Antwort der Kommission auf diese Stellungnahme, die, wie ich hoffe, eine wertvolle Ergänzung zu Ihren eigenen Beratungen darstellt.
Ich freue mich darauf, unseren politischen Dialog in Zukunft noch vertiefen zu können und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Margot Wallström
Europäische Kommission
Brüssel, Juni 2009
Bemerkungen der Europäischen Kommission zu einer Stellungnahme des Deutschen Bundesrates KOM (2008) 614 - Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments des Rates über Rechte der Verbraucher
Die Kommission begrüßt die Stellungnahme des Bundesrates zum Vorschlag für eine Richtlinie über Rechte der Verbraucher und dankt ihm für die sehr ausführlichen und wertvollen Bemerkungen. Die Kommission dankt dem Bundesrat für die Unterstützung ihrer Bemühungen zur Verwirklichung eines echten Binnenmarkts für Geschäfte zwischen Unternehmern und Verbrauchern mit einem möglichst ausgewogenen Verhältnis zwischen einem hohen Verbraucherschutzniveau und wettbewerbsfähigen Unternehmen.
Der Bundesrat betont, dass zur Erreichung des angestrebten Ziels der Vereinheitlichung des Verbraucherrechts auf der europäischen Ebene weitere Richtlinien in den neuen Vorschlag hätten einbezogen werden müssen, und dass wegen des eingeschränkten Anwendungsbereichs die Rechtszersplitterung im Verbraucherrecht bestehen bleibe.
Die Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstands im Verbraucherschutz, dessen wichtigstes Ergebnis dieser Vorschlag darstellt, erstreckte sich auf acht Richtlinien: Richtlinie 85/577/EWG über Haustürgeschäfte, Richtlinie 90/314/EWG über Pauschalreisen, Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, Richtlinie 94/47/EG über den Erwerb von Teilzeitnutzungsrechten an Immobilien, Richtlinie 97/7/EWG über Fernabsatz, Richtlinie 98/6/EWG über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise, Richtlinie 98/27/EG über Unterlassungsklagen, und die Richtlinie 1999/44/EG zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs. Entsprechend dem Ansatz einer politischen Willensbildung "von unten nach oben" wurde der Vorschlag jedoch auf jene Regelungen beschränkt, die für die Öffnung des Einzelhandelsmarktes in der EU von wesentlicher Bedeutung sind und in der Anhörungsphase in der Öffentlichkeit breite Unterstützung erfahren hatten. Deswegen enthält er alle für das Zustandekommen eines Vertrags und seine Ausführung bei grenzüberschreitenden Verkäufen von Unternehmen an Verbraucher wesentlichen Punkte. Die Kommission hat die möglichen Folgen der Regelungen für die Verbraucher und ihre Relevanz für den Einzelhandels-Binnenmarkt in der EU sorgfältig abgewogen. Dabei hat die Auswertung der Reaktionen auf das Grünbuch eine wichtige Rolle gespielt.
Deswegen wurden vier Richtlinien, in denen bereichsübergreifende Sachverhalte geregelt werden, in den Vorschlag einbezogen, nämlich die Richtlinien über Haustürgeschäfte, über missbräuchliche Klauseln, über Fernabsatz und über Verbrauchsgüterkauf. Die Commission européenne, B-1049 Bruxelles / Europese Commissie, B-1049 Brussel - Belgium. Telephone: (32-2) 299 11 11.
Richtlinien über den Erwerb von Teilzeitnutzungsrechten an Immobilien und über Pauschalreisen behandeln einzelne Produkte und erfordern eine spezifische vertikale Regulierung (z.B. über Informationspflichten) und werden deswegen nicht in dieses bereichsübergreifende (horizontale) Instrument einbezogen. Die Richtlinien über Preisangaben und Unterlassungsklagen fallen nicht unter das Vertragsrecht, sondern regeln vertriebs- bzw. verfahrensrechtliche Aspekte. Da der Vorschlag die Vertragsbeziehungen bei Geschäften zwischen Unternehmen und Verbrauchern zum Gegenstand hat, erstreckt sich der Vorschlag auch nicht auf diese beiden Richtlinien. Auch wenn sich der Vorschlag somit auf vier bestehende Richtlinien beschränkt, trägt er zu einer besseren Rechtsetzung bei und wird die Zersplitterung des europäischen und nationalen Verbraucherrechts verringern.
Der Bundesrat steht ferner dem Konzept einer vollständigen Harmonisierung skeptisch gegenüber, bezweifelt die entsprechende Zuständigkeit der Europäischen Gemeinschaft und führt aus, dass eine Vollharmonisierung nicht mit den Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit in Einklang stehe. Er spricht sich für die Beibehaltung des gegenwärtigen Ansatzes der Mindestharmonisierung aus, der es den Mitgliedstaaten erlaubt, strengere Verbraucherschutzvorschriften beizubehalten oder einzuführen.
In der Begründung zum Vorschlag (KOM (2008) 614, S. 6-7) und in der Folgenabschätzung (SEK(2008) 2544, S. 14-15, und SEK (2008) 2547) wird dargelegt, dass die Vorschriften des EG-Vertrags und die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit uneingeschränkt respektiert werden:
Der Vorschlag regelt nur bestimmte Aspekte des Verbraucherschutzrechts in Verträgen zwischen Unternehmen und Verbrauchern, nämlich vorvertragliche Informationspflichten des Händlers gegenüber dem Verbraucher, das Widerrufsrecht bei Verträgen, die im Fernabsatz oder außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossen werden, Rechte und Garantien beim Abschluss von Kaufverträgen sowie missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen. Der Richtlinienentwurf bezweckt weder die Vereinheitlichung des allgemeinen Vertragsrechts der Mitgliedstaaten noch die Harmonisierung sämtlicher Aspekte des Verbraucherschutzes. Der Abschluss (Angebot und Annahme) und die Nichtigkeit von Verträgen oder der Schadenersatz bei verspäteter Lieferung oder Lieferung beschädigter Ware fallen beispielsweise weiterhin unter einzelstaatliches Recht. Die mit dem Richtlinienvorschlag angestrebte Vollharmonisierung richtet sich folglich nur auf bestimmte Einzelaspekte.
In den Beziehungen zwischen Unternehmen und Verbrauchern bleibt der Binnenmarkt an nationalen Grenzen entlang gespalten. Die Folgenabschätzung und die umfassende Konsultation der Beteiligten haben ergeben, dass die oben aufgeführten Aspekte entscheidend zum besseren Funktionieren des Binnenmarktes im Interesse von Verbrauchern und Unternehmen beitragen. Ihre positiven Auswirkungen auf den Einzelhandel wären erheblich. Mit der vorgeschlagenen Richtlinie über Verbraucherrechte soll diese Spaltung des Binnenmarktes aufgeweicht und die Skepsis von Verbrauchern und Unternehmen gegenüber grenzüberschreitenden Geschäften verringert werden. Wie der Folgenabschätzungsbericht zeigt, würden Unternehmen, die ihre Waren grenzüberschreitend verkaufen wollen, in erheblichem Maße Verwaltungskosten einsparen.
Aus den oben erläuterten Gründen bildet Artikel 95 EGV die angemessene Rechtsgrundlage für den Vorschlag.
Eine Vollharmonisierung stellt die einzige gesetzgeberische Option dar, mit der beide Ziele der Überprüfung verwirklicht werden können, das Vertrauen der Verbraucher bei Einkäufen im Ausland zu stärken und die Kosten der im grenzüberschreitenden Handel tätigen Unternehmen für die Einhaltung unterschiedlicher Vorschriften zu senken. Die Beibehaltung des Ansatzes der Mindestharmonisierung in Verbindung mit dem einschlägigen internationalen Privatrecht (Artikel 90 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I)) mit dem Gedanken eines - positiven - Systemwettbewerbs der Vorschriften unter den Mitgliedstaaten mag auf den ersten Blick für die Verbraucher günstiger sein. Die Folgenabschätzung hat aber gezeigt, dass die Rechtszersplitterung Unternehmen am grenzüberschreitenden Handel hindert oder seine Kosten beträchtlich erhöht und damit die Entwicklung wettbewerbsfähiger Unternehmen mit europaweiter Geschäftstätigkeit einschränkt. Davon betroffen ist insbesondere der Mittelstand, das Rückgrat der europäischen Wirtschaft. Den Verbrauchern blieben die Vorteile vorenthalten, die ihnen der Binnenmarkt mit einem breiter gefächerten und preisgünstigeren Angebot bieten kann.
Das Problem der Rechtszersplitterung kann von den einzelnen Mitgliedstaaten nicht gelöst werden, da gerade der unkoordinierte Rückgriff auf die Mindestharmonisierungsbestimmungen der geltenden Richtlinien die Ursache des Problems ist.
Was die Wahl des Rechtsinstruments anbelangt, hat die Kommission eine Richtlinie der Verordnung vorgezogen, da sie eine reibungslosere Umsetzung des Gemeinschaftsrechts in geltendes nationales Vertragsrecht ermöglicht und den Mitgliedstaaten den notwendigen Ermessensspielraum hinsichtlich der Beibehaltung nationaler Rechtskonzepte und Grundprinzipien des nationalen Vertragsrechts lässt, der die befürchteten Ausstrahlungseffekte auf die Zivilrechtsordnungen der Mitgliedstaaten vermeiden helfen sollte.
Der Vorschlag gewährleistet ein hohes, im Vergleich zu den bestehenden Richtlinien deutlich verbessertes Verbraucherschutzniveau. Diese Verbesserung wird insgesamt auch in Mitgliedstaaten wie Deutschland eintreten, die bereits über ein hohes Verbraucherschutzniveau verfügen. Auch die deutschen Verbraucher werden nämlich von der breiteren Definition des Begriffs der "außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Verträgen" und vom europaweiten Verbot der Online-Geschäftsangebote mit vorab angekreuzten Feldern profitieren.
Wie die Kommission feststellt, erhebt der Bundesrat keine Einwände dagegen, dass der Vorschlag sich sowohl auf inländische wie grenzüberschreitende Verträge erstreckt. Mit der Einbeziehung inländischer Rechtsgeschäfte in den Geltungsbereich soll vermieden werden, dass es zwei verschiedene Regelungen gibt, die eine weitere Rechtszersplitterung und Wettbewerbsverzerrungen zwischen nur im Inland tätigen Unternehmen und solchen, die sich nicht auf das Inland beschränken, zur Folge gehabt hätten.
Der Kommission ist an einem weiterhin konstruktiven und offenen Gespräch über diesen Vorschlag gelegen. Die zuständigen Dienststellen sind in Begriff, ein Papier zu erarbeiten, in dem die Folgen des Vorschlags für das bestehende Verbraucherschutzniveau in der EU dargelegt werden. Die Kommission bleibt in enger Abstimmung mit dem Europäischen Parlament und dem Rat.