Der Bundesrat hat in seiner 926. Sitzung am 10. Oktober 2014 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt es, dass die Kommission die Themen Kreislaufwirtschaft und Ressourceneffizienz im Zusammenhang sieht und auf die Tagesordnung setzt.
Er begrüßt insbesondere das Bestreben der Kommission, einer Kreislaufwirtschaft und "Recycling-Gesellschaft" näher zu kommen, indem sie deutliche politische Signale setzt und damit insbesondere Sicherheit für Investitionen und Innovationen schafft. Das gilt vorrangig für das Ziel, die Deponierung von recyclingfähigen Abfällen erheblich zu begrenzen und insbesondere durch eine Kombination von hohen Verwertungszielen und Deponiebeschränkungen die Ablagerung von Siedlungsabfällen praktisch zu beenden.
- 2. Der Bundesrat merkt an, dass aus der Kommissionsmitteilung resultierende Vorhaben sowie darin enthaltene Ideen hinsichtlich ihrer Umsetzbarkeit noch geprüft und intensiv mit den Mitgliedstaaten diskutiert werden müssen. Die vorgelegte Mitteilung, so sie denn konsequent in EU-Recht umgesetzt werden würde, läuft Gefahr, dass der zweite Schritt vor dem ersten getan wird, denn die konsequente, EU-weite Umsetzung des schon derzeit geltenden Rechts bietet immer noch ein breites Aktionsfeld mit beachtlichen Herausforderungen.
- 3. Er erkennt an, dass in Abfällen noch ein erhebliches Ressourcenpotenzial vorhanden ist, insbesondere dort, wo die schon geltenden Vorgaben noch nicht erfüllt werden. Dennoch suggeriert die Mitteilung der Kommission aus der Sicht des Bundesrates zu großen Optimismus, wonach die EU-weiten Energie- und Rohstoffprobleme mit Hilfe der Abfallwirtschaft gelöst werden und zusätzlich zwei Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden könnten. Der Bundesrat ist vielmehr der Auffassung, dass mit Ausgewogenheit und Realitätssinn an die Herausforderungen der Zukunft heranzugehen ist.
- 4. Der Bundesrat warnt daher davor, Ziele zu formulieren, deren Erreichung unrealistisch ist ("null Abfälle", "praktische Abschaffung der Deponierung") oder bei denen Fehlsteuerungen drohen. Bislang ist es nur sechs Mitgliedstaaten in den letzten 20 Jahren gelungen, ihre Deponierung auf 5 Prozent zu reduzieren. In 18 Mitgliedstaaten enden hingegen mehr als 50 Prozent auf Deponien. In einigen Mitgliedstaaten werden sogar über 90 Prozent der Abfälle deponiert und nur 5 Prozent stofflich verwertet. Ob dieses Verhältnis in den nächsten 16 Jahren wirklich EU-weit umkehrbar ist, sollte sehr kritisch überprüft werden.
- 5. Der Bundesrat sieht es als absolut vordringlich an, dass zunächst alle Mitgliedstaaten die geltenden Ziele erreichen, bevor neue, noch anspruchsvollere Ziele gesetzt werden.
- 6. Er gibt ferner zu bedenken, dass die Zeithorizonte für die Erreichung der geplanten Ziele bei einer unionsweiten einheitlichen Umsetzung zu ehrgeizig sein könnten.
- 7. Der Bundesrat hält es außerdem für erforderlich, Ziele und Quotenvorgaben nur auf der Basis fundierter Folgenabschätzungen festzulegen. Sie müssen technisch erreichbar, ökologisch vorteilhaft, wirtschaftlich darstellbar und mit vertretbarem Aufwand nachprüfbar sein. Bei quantitativen Quoten drohen mit zunehmender Spezifität (zum Beispiel Material, Stoff) auch in ökologischer Hinsicht Fehlsteuerungen ("Masse statt Klasse"); zudem können Innovationen behindert werden. Recycling und die Reduzierung der Deponierung dürfen kein Selbstzweck sein. Insbesondere ist sicherzustellen, dass nicht nur irgendwelche Materialien zurückgewonnen werden, sondern dass diese letztendlich auch tatsächlich primäre Rohstoffe substituieren. Die Abfallhierarchie fordert die Wahl der ökologisch vorteilhaftesten Option auf der Grundlage einer ganzheitlichen Betrachtung der gesamten Wertschöpfungskette und aller Lebensphasen. Dabei sind auch Fragen der technischen Durchführbarkeit oder wirtschaftlichen Vertretbarkeit gleichrangig zu berücksichtigen.
Der Bundesrat sieht es daher kritisch, wenn quantitative Recyclingquoten, ohne die Verwertung in qualitativer Hinsicht auf den Prüfstand zu stellen, durchgesetzt werden sollen. Unreflektierte Pauschalquoten bergen die Gefahr des "Downcyclings".
Er bezweifelt, dass alle im "Null-Abfallprogramm" gewählten Ziele in einer fundierten Folgenabschätzung diesen Vorgaben genügen würden.
- 8. Der Bundesrat begrüßt - wie bereits oben dargelegt - die Zielsetzung, den positiven Erfahrungen in einigen Mitgliedstaaten wie Deutschland folgend, auf dem Weg "hin zu einer Kreislaufwirtschaft" durch eine Kombination von hohen Verwertungszielen und Deponiebeschränkungen die Ablagerung von Siedlungsabfällen praktisch zu beenden.
- 9. Nach Auffassung des Bundesrates folgt daraus dagegen nicht, dass damit die Deponierung insgesamt abgeschafft werden könne. Vielmehr entspricht es den Erfahrungen in den Mitgliedstaaten mit bereits heute weitgehenden Deponieverboten, dass als Alternative zu der gesicherten Ablagerung von belasteten mineralischen Abfällen, zum Beispiel aus der Bauwirtschaft, der Altlastensanierung und bestimmten Industrien, keine geeigneten Verfahren zur Verfügung stehen, als diese Abfälle aus der Umwelt auszuschleusen und zu deponieren.
- 10. Um zu verhindern, dass es durch die irreführenden Formulierungen betreffend einer vollständigen Abschaffung der Deponien zu Fehlsteuerungen in den Mitgliedstaaten kommt, bittet der Bundesrat die Bundesregierung, sich im weiteren Verfahren - zum Beispiel betreffend den Richtlinienvorschlag COM (2014) 397 final vom 9. Juli 2014 (BR-Drucksache 308/14 (PDF) ) - für einen klarstellenden Wortlaut einzusetzen, der den genannten Voraussetzungen Rechnung trägt und eine großräumige Verteilung von Schadstoffen in der Umwelt verhindert.
- 11. Der Bundesrat vertritt die Auffassung, dass das Deponierungsverbot nicht realistisch erscheint und der Notwendigkeit zur Ausschleusung von Schadstoffen aus den Wertstoffkreisläufen nicht Rechnung trägt. Außerdem sind weiterhin für Abfälle, die einer Verwertung nicht zugänglich sind, Beseitigungsoptionen vorzuhalten.
- 12. Er ist der Überzeugung, dass ein Ressourceneffizienzziel auf EU-Ebene hilfreich sein kann, um die Sichtbarkeit des Themas Ressourceneffizienz zu erhöhen und damit auch die Bemühungen zur Steigerung der Ressourceneffizienz in Europa zu verstärken. Ob der vorgeschlagene Ressourceneffizienzindikator (Tonnen verbrauchtes Material pro erwirtschaftetem Euro aus dem Bruttoinlandsprodukt) dafür tatsächlich geeignet ist, sollte im Rahmen einer Novelle der Europa-2020-Strategie nochmals diskutiert werden.
- 13. Der Bundesrat erkennt zwar an, dass die vorgeschlagenen Berechnungsvorschriften für die Recyclingquoten die tatsächlichen Verhältnisse realitätsnaher abbilden können. Jedoch sieht er es außerordentlich kritisch, dass hierdurch bei den Statistischen Diensten der Mitgliedstaaten ein unverhältnismäßiger Verwaltungsaufwand entstehen wird. Konsequenterweise wären Vorgaben für Recyclingquoten im Lichte der neuen Methode zu überprüfen.
- 14. Der Bundesrat sieht auch die geplante Umstellung der Quotenberechnung auf Outputmengen äußerst kritisch. Sie führt zu einer Verschärfung der Quotenvorgaben und erheblichen Mehrbelastungen bei der Datenerhebung. Sie setzt detaillierte Kenntnisse der meist mehrstufigen Behandlungsketten verschiedener Entsorgungsanlagen und zum letztendlichen Verbleib der Abfälle voraus. Eine Nachverfolgung der Abfallströme bzw. der daraus gewonnenen Fraktionen zwischen einzelnen Anlagen ist mit vertretbarem Aufwand nicht möglich. Die dafür erforderlichen umfassenden Detailinformationen liegen den Unternehmen nicht vor. Hinzu kommt, dass sich im Laufe der Verfahren die Abfallschlüssel der jeweils vorliegenden Materialien ändern und in Sortieranlagen und anderen mechanischen Behandlungsanlagen Abfälle verschiedener Herkunft behandelt werden, der Output aber nicht getrennt nach Inputkriterien ausgewiesen wird. Das angedachte "Outputmodell" ist nach alledem nicht praxistauglich nachprüfbar.
- 15. Er vermisst den dringend erforderlichen Vorbehalt, dass mit Abfallverwertung und Kreislaufführung eine Anreicherung oder diffuse Rückverteilung von Schadstoffen einhergehen kann und Qualitätsansprüche mindestens gleichberechtigt mit quantitativen Recyclingquoten zu bewerten sind.
- 16. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.