Zugeleitet mit Schreiben des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments - 0456 - vom 3. Februar 2006.
Das Europäische Parlament hat die Entschließung in der Sitzung am 15. Dezember 2005 angenommen.
Entschließung des Europäischen Parlaments zu Menschenrechten in Russland und den neuen NGO-Gesetzen
Das Europäische Parlament,
- - unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu Russland, insbesondere die vom 26. Mai 2005 zu den Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Russland1,
- - in Kenntnis des Ziels Russlands und der Europäischen Union, für die beim Gipfeltreffen EU-Russland im Mai 2005 angenommenen vier Pläne für die Schaffung von gemeinsamen Räumen,
- - in Kenntnis des Ergebnisses der Gipfeltreffen EU-Russland, insbesondere den beim Gipfel EU-Russland 2004 in Den Haag am 25. November 2004 gefassten Beschluss, weiterhin einen regelmäßigen Dialog über Menschenrechtsanliegen zu führen,
- - in Kenntnis der Ziele, politische Freiheiten und Demokratie in der Russischen Föderation zu konsolidieren, wie sie im Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit EG-Russland2, das am 1. Dezember 1997 in Kraft trat, vorgegeben sind
- - in Kenntnis der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und ihrer Protokolle,
- - in Kenntnis der vorläufigen Stellungnahme des Europarats zu Änderungen von Gesetzen der Russischen Föderation in Bezug auf gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verbände,
- - in Kenntnis der Bemerkungen und Vorschläge des russischen Präsidenten Wladimir Putin, die dem Präsidenten der Staatsduma, Boris Gryzlow, am 9. Dezember 2005 übermittelt wurden,
- - gestützt auf Artikel 115 Absatz 5 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass unabhängige nichtstaatliche Organisationen (NGOs) und gemeinnützige Organisationen (NPOs) der Schlüssel sind, um eine starke und wirksam funktionierende Zivilgesellschaft zu entwickeln, und dass nichtstaatliche Organisationen heutzutage in großer Zahl in Russland existieren, die von Wohlfahrtseinrichtungen für Kinder bis zu Nachbarschaftsvereinigungen und von Obdachlosenheimen bis zu Verbrauchergruppen reichen,
B. in der Erwägung, dass die Vereinigungsfreiheit ein grundlegendes Menschenrecht und von großer Bedeutung für eine demokratische Gesellschaft ist,
C. in der Erwägung, dass die russische Staatsduma am 23. November 2005 in erster Lesung den Gesetzentwurf mit dem Titel "Über das Einbringen von Änderungen in bestimmte Gesetze der Russischen Föderation" mit überwältigender Mehrheit gebilligt hat wodurch die geltenden Gesetze über die Registrierung von NGOs und insbesondere die Gesetze "Über Organisationen der Zivilgesellschaft", "Über nicht kommerzielle Organisationen" und "Über geschlossene administrativterritoriale Einrichtungen" geändert werden; in der Erwägung, dass die zweite Lesung dieses Gesetzes am 16. Dezember 2005 stattfinden soll,
D. in der Erwägung, dass nach Aussagen des russischen Menschenrechtsbeauftragten Wladimir Lukin der Entwurf gegen die russische Verfassung und das Völkerrecht verstößt und in der Erwägung, dass die Gesellschaftskammer der Russischen Föderation eine neu gebildete Behörde, die die Interessen zwischen Bürgern, Nichtregierungsorganisationen und staatlichen Behörden koordinieren soll, die Duma gebeten hat, die Abstimmung über das Gesetz zu vertagen, bis seine Folgen im Einzelnen geprüft werden können,
E. in der Erwägung, dass sowohl in Russland als auch auf internationaler Ebene schwerwiegende Bedenken der Öffentlichkeit zu diesen Änderungen geäußert wurden, die die Vereinigungsfreiheit in der Russischen Föderation möglicherweise beschränken
F. in der Erwägung, dass der Europarat auf Ersuchen der Russischen Föderation eine Stellungnahme zu der Vereinbarkeit des Gesetzesentwurfs mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vorbereitet hat,
G. in der Erwägung, dass Terry Davis, Generalsekretär des Europarats, in einer Erklärung anlässlich der Erläuterung der Stellungnahme äußerte, dass die vorgeschlagenen Änderungen der Gesetze der Russischen Föderation zur Regelung der Versammlungsfreiheit legitime Ziele der Bekämpfung des Terrorismus und der Geldwäsche verfolgen, dass es aber dem Europarat erscheint, als ob einige Aspekte dieser Änderungen, die administrative und steuerrechtliche Anforderungen für die Registrierung von nichtstaatlichen und gemeinnützigen Organisationen, die Teilnahme von Ausländern und Minderjährigen und die Kontrollbefugnis der Behörden über die Tätigkeiten von NOGs und über die Gründe für ihre Auflösung betreffen, zu restriktiv seien H. unter Hinweis auf die Erfahrungen der EU-Mitgliedstaaten, die es informellen Gruppen erlauben frei zu existieren, ohne irgend eine Bekanntmachung oder Registrierung bei der Regierung zu beantragen, die ausländischen Bürgern und Staatenlosen, die legal in ihrem Hoheitsgebiet ansässig sind, alle wesentlichen Rechte wie den eigenen Staatsangehörigen in Bezug auf die Gründung von und den Beitritt zu Vereinen einräumen und die es ausländischen Organisationen gestatten, Vertretungen und Filialen zu eröffnen, um ihren Tätigkeiten nachzugehen,
I. in der Erwägung, dass die Demokratie in Russland in jüngster Zeit erheblich geschwächt wurde, besonders durch den Umstand, dass alle größeren Fernsehsender und die meisten Radiosender unter Regierungskontrolle gebracht wurden, durch die zunehmende Selbstzensur in den Printmedien, die Schließung unabhängiger Medien, Einschränkungen des Rechts, öffentliche Kundgebungen zu veranstalten, ein sich verschlechterndes Klima für NGOs mit Fällen von Verfolgung von Menschenrechtsaktivisten, die Abschaffung der Direktwahl der Regionalgouverneure und eine verstärkte politische Kontrolle der Judikative, wofür der Fall Yukos und die Gerichtsverfahren gegen Herrn Chodorkowskij und Herrn Lebedew als Beispiel dienen
- 1. unterstreicht die Bedeutung von NGOs für eine stabile und demokratische Zivilgesellschaft, die nicht allein auf Prinzipien wie der Rechtsstaatlichkeit und der Redefreiheit aufgebaut ist, sondern auch auf der Möglichkeit für die Bürger, sich frei zusammenzuschließen
- 2. zeigt sich daher ernsthaft besorgt über den Gesetzesentwurf für Änderungen der Gesetze der Russischen Föderation für NPOs und öffentliche Verbände und verlangt, dass das neue Gesetz mit den Normen und Standards des Europarats im Einklang steht;
- 3. begrüßt das Ersuchen der Russischen Föderation um Stellungnahme des Europarats zu den vorgeschlagenen Änderungen; unterstützt voll und ganz die vom Europarat in seiner vorläufigen Stellungnahme gemachten Empfehlungen und fordert die Russische Föderation auf, sie in vollem Umfang zu berücksichtigen;
- 4. nimmt Kenntnis von den neuesten Vorschlägen des russischen Präsidenten Wladimir Putin, der anregt, die Entwürfe zur Änderung der Gesetze grundlegend zu überarbeiten;
- 5. hofft, dass die Gesetzgeber in Russland Folgendes tun werden:
- a) eine eindeutige Definition für unannehmbare politische Tätigkeiten liefern, die nicht aus ausländischen Quellen finanziert werden dürfen,
- b) festlegen, dass allein ein Gerichtsbeschluss und nicht der Beschluss einer Kontrollbehörde zu der Auflösung von NGOs und NPOs führen kann,
- c) sich entscheiden, die Voraussetzung eines ständigen Wohnsitzes für Ausländer sowie die Altersbestimmung nicht einzuführen,
- d) das Recht für Ausländer gewährleisten, NGOs in Russland zu gründen und an ihrer Arbeit mitzuwirken,
- e) die vorgeschlagenen Kontrollbefugnisse von Behörden über NGOs abzuschwächen, insbesondere in Bezug auf das Erfordernis der finanziellen Rechenschaftspflicht für Ressourcen, die von ausländischen Sponsoren zur Verfügung gestellt werden;
- 6. fordert die russische Duma auf, sich die erforderliche Zeit zu nehmen, um die Änderungen im Licht der der vorläufigen Stellungnahme des Europarats und in dieser Entschließung unterbreitet wurden zu überarbeiten und zu verbessern;
- 7. fordert die Staatsduma auf, einen breiten Konsultationsprozess unter Einbeziehung aller demokratischen Elemente der russischen Zivilgesellschaft in Gang zu setzen, um Wege zu finden, wie die Gründung von NGOs wirklich gefördert, unterstützt und gefestigt werden kann;
- 8. fordert die künftige österreichische und finnische Präsidentschaft auf, die Themen Achtung der Demokratie und der Menschenrechte bei den nächsten Gipfeltreffen EU-Russland anzusprechen dem Menschenrechtsdialog EU-Russland eine herausgehobenere Rolle zuzuweisen und das Europäische Parlament stärker in diesen Prozess einzubinden;
- 9. ist diesbezüglich der Auffassung, dass die Pläne für die Schaffung der vier gemeinsamen Räume mit konkreten Fortschritten im Bereich Demokratie und Menschenrechte verknüpft werden sollte;
- 10. fordert die russischen Behörden auf, die politisch motivierte Verfolgung von NGOs einzustellen insbesondere derjenigen, die die Lage in Tschetschenien beobachten, wie die Gesellschaft für russischtschetschenische Freundschaft;
- 11. fordert die Russische Föderation als Mitglied des Europarats nachdrücklich auf, Vertragsstaat des Europäischen Übereinkommens über die Anerkennung der Rechtspersönlichkeit internationaler nichtstaatlicher Organisationen zu werden;
- 12. zeigt sich besorgt über die allgemeinen Haftbedingungen für Häftlinge und die Schwierigkeit einiger Häftlinge, Zugang zu Rechtsanwälten zu bekommen; weist darauf hin, dass laut dem russischen Strafgesetzbuch Häftlinge in Gefängnissen entweder nahe ihrem Wohnort oder nahe dem Ort, wo das Gerichtsverfahren stattgefunden hat, untergebracht werden sollen;
- 13. fordert den Rat und die Kommission auf, ihre Unterstützung für die Zivilgesellschaft in Russland zu verstärken und die Mittel zur Förderung der Menschenrechte aufzustocken
- 14. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten, dem Generalsekretär des Europarats, dem OSZE-Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, der russischen Staatsduma und der Regierung der Russischen Föderation zu übermitteln.
1 Angenommene Texte, P6_TA(2005)0207.
2 ABl. L 327 vom 28.11.1997, S. 1.