Der Bundesrat hat in seiner 914. Sitzung am 20. September 2013 die aus der Anlage ersichtliche Entschließung gefasst.
Anlage
Entschließung des Bundesrates "Rentenzahlungen für Beschäftigungen in einem Ghetto rückwirkend ab 1997 ermöglichen"
Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, umgehend einen Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag einzubringen, der sicherstellt, dass ehemalige Ghettobeschäftigte bei fristgerecht gestellten, aber zunächst bestandskräftig abgelehnten und erst nach 2009 bewilligten Rentenanträgen nach dem ZRBG eine rückwirkende Auszahlung der Rente ab dem 1. Juli 1997 erhalten, wenn dies günstiger ist als die Zuschläge wegen verspäteter Inanspruchnahme der Rente und die Betroffenen dies wünschen.
Alternativ ist eine Änderung der "Richtlinie der Bundesregierung über eine Anerkennungsleistung an Verfolgte für Arbeit in einem Ghetto, die keine Zwangsarbeit war (Anerkennungsrichtlinie)" vom 20. Dezember 2011 vorzunehmen, so dass der Betrag, der sich aus der Summe der monatlichen Rentenzahlungen bei einem Rentenbeginn ab dem Jahr 1997 ergeben hätte, als Kapitalzahlung geleistet würde.
Begründung:
Der Bundesgesetzgeber hat im Jahr 2002 das "Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto und zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch" (ZRBG) beschlossen, um Menschen, die in einem Ghetto abhängig beschäftigt gewesen sind, das sich in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war, einen Anspruch auf eine gesetzliche Rente zu eröffnen. Hierzu sollte - bei Vorliegen der Voraussetzungen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses - bei bis zum 30. Juni 2003 gestellten Anträgen eine rückwirkende Zahlung ab dem 1. Juli 1997 erfolgen (§ 3 Absatz 1 ZRBG).
Das ZRBG hat in seiner praktischen Anwendung lange nicht zu den vom Gesetzgeber gewünschten Ergebnissen geführt. Von den etwa 70 000 Anträgen war der übergroße Anteil zunächst negativ beschieden worden. Diese Tatsache erklärt sich auch damit, dass bei der Anwendung dieses Gesetzes bei den Trägern der Rentenversicherung Unklarheit bestand, wie die Bedingungen der "Freiwilligkeit" und "Entgeltlichkeit", die zwingende Voraussetzungen für die Anerkennung als Beitragszeit nach deutschem Rentenrecht sind, unter den Lebens- und Arbeitsbedingungen in einem Ghetto zu interpretieren sind. Erst nach den Urteilen des Bundessozialgerichts vom 2. und 3. Juni 2009, mit denen das Bundessozialgericht seine bisherige restriktive Auslegung grundlegend geändert hat, haben die Träger der Deutschen Rentenversicherung sämtliche bis dahin bestandskräftig abgelehnten Fälle erneut überprüft. Von 49 560 durch die Rentenversicherungsträger überprüften Fälle mit ZRBG-Bezug konnten 25 153 positiv beschieden werden.
Der Bundesrat hält es für untragbar, dass diejenigen ehemaligen Ghettobeschäftigten, deren Rentenansprüche erst nachträglich bewilligt wurden, ihre Rente jedoch nicht rückwirkend zum Jahr 1997, sondern nur rückwirkend ab dem Jahr 2005 erhalten. Dieser Umstand beruht auf § 44 Absatz 4 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X - Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes), wonach eine Rückwirkung von maximal vier Jahren gilt.
Das Bundessozialgericht in Kassel hat in Einzelfallentscheidungen am 7. und 8. Februar 2012 die Rechtsauffassung der Deutschen Rentenversicherung und der Bundesregierung bestätigt, dass bei Anträgen, die zwar rechtswidrig, aber trotzdem bestandskräftig abgewiesen worden sind, Renten nur rückwirkend bis 2005 gezahlt werden müssen. Von dieser Entscheidung sind etwa 22 000 noch lebende NS-Opfer betroffen.
Der Bundesrat betont, dass dieser Rechtszustand weder den historischen Willen des Gesetzgebers spiegelt, noch einer notwendigen Gleichbehandlung aller ehemaligen Ghettobeschäftigten gerecht wird. Auch die - zum Ausgleich der in den genannten Fällen auf den Zeitraum ab 2005 beschränkten Rückwirkung der Gewährung von Rentenzahlungen - vorgesehenen Zuschläge vermögen diese Ungleichbehandlung nicht zu heilen, da der finanzielle Ausgleichseffekt dieser Zuschläge von der Lebenserwartung der Opfer abhängt. Angesichts des hohen Alters der ehemaligen Ghettobeschäftigten ist damit zu rechnen, dass sich dieser Ausgleichseffekt in der übergroßen Zahl der Fälle nicht materialisieren wird. Demgegenüber entstünden durch eine Rechtsänderung zur Aufhebung dieser Ungleichbehandlung geschätzte Mehrkosten von etwa 200 Millionen Euro.