Der Bundesrat hat in seiner 865. Sitzung am 18. Dezember 2009 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der globale Klimawandel ist eine ökologische, ökonomische und gesellschaftliche Herausforderung und eines der überragenden Themen zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Hierzu findet seit einigen Jahren eine verstärkte breite Diskussion auf allen politischen Ebenen und in der Öffentlichkeit statt. Im Fokus dieser Diskussion steht neben anderen erheblichen Emissionsquellen auch der Straßenverkehr.
- 2. Der Bundesrat sieht im nachhaltigen Schutz des Klimas eine zentrale Aufgabe. Ein wichtiges Etappenziel der CO₂-Pkw-Strategie der EU wurde bereits mit der Ende 2008 verabschiedeten Regelung zur Reduktion der CO₂-Emissionen von neuen Pkw erreicht. Der Bundesrat teilt die Auffassung der Kommission, dass weitere nachhaltige Anstrengungen zur stärkeren Energieeinsparung und damit auch zur Reduzierung von CO₂-Emissionen von Kraftfahrzeugen erforderlich sind, um dem Ziel eines effektiven Klimaschutzes gerecht zu werden.
- 3. Der Bundesrat begrüßt den Vorschlag der Kommission für eine Verordnung zur Festsetzung von Emissionsnormen für neue leichte Nutzfahrzeuge und sieht hierin einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele und der Ressourcenschonung.
- 4. Der Bundesrat weist aber nachdrücklich darauf hin, dass die Belange des Klimaschutzes in Einklang mit anderen gewichtigen und berechtigten Interessen stehen müssen. Hierzu zählen neben der dauerhaften Mobilität unserer Bürger und Bürgerinnen und der deutschen Wirtschaft auch die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Automobilindustrie einschließlich der damit verbundenen Arbeitsplätze sowie ein verantwortungsbewusster Umgang mit privaten und öffentlichen finanziellen Ressourcen.
- 5. Der Bundesrat begrüßt in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Vorschläge der Kommission zur Bewältigung der Krise in der europäischen Automobilindustrie vom 25. Februar 2009. Um sie ihrer Wirkung allerdings nicht zu berauben, muss konsequenterweise gelten, dass alle Vorschläge der Kommission, die dazu beitragen können, die Automobilindustrie Europas über die aus der Krise erwachsenen Probleme hinaus zu schwächen, vor dem Hintergrund der aktuellen Wirtschaftslage auf ihre Belastungen für den Automobilmarkt, die Fahrzeughersteller und ihre Zulieferer überprüft und entsprechend angepasst oder sogar verschoben werden müssen.
- 6. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die künftigen Regelungen den vielfältigen Nutzungsarten dieser Fahrzeugklasse, den system- und nutzungsbedingten Unterschieden zu den Personenkraftwagen und den technischen Entwicklungspotenzialen Rechnung tragen müssen.
- 7. Dabei ist eine enge Anlehnung an die Regelungen für Personenkraftwagen, die den CO₂-Ausstoß auf das Leergewicht der Fahrzeuge beziehen, für leichte Nutzfahrzeuge nicht in jedem Fall zielführend. Sie könnten in einigen Fällen im Hinblick auf die Klimaschutzziele sogar kontraproduktiv sein, da u. U. größere CO₂-effizientere Transporter benachteiligt würden. Insofern sollten neben dem Bezug auf das Leergewicht auf der Basis einer Folgenabschätzung durch die Kommission geeignete Kriterien entwickelt werden.
- 8. Der Bundesrat bittet deshalb die Bundesregierung, sich für die Entwicklung von Vorgaben und Bezugsgrößen einzusetzen, um Anreize zu schaffen, den Transport von Gütern durch leichte Nutzfahrzeuge möglichst CO₂-effizient zu gestalten.
- 9. Der Bundesrat gibt weiter zu bedenken, dass die Automobilindustrie einen erheblichen Forschungs- und Entwicklungsaufwand betreibt, um bereits beschlossene Klimaschutzziele zu erfüllen. In der EU verzeichnen laut aktuellem Forschungsbericht der Kommission die Automobilindustrie und ihre Zulieferer die höchsten FuE-Ausgaben. In Deutschland machten 2008 die FuE-Ausgaben der Automobilbranche mehr als die Hälfte der FuE-Gesamtausgaben von 42,3 Mrd. Euro aus. Ein Großteil davon verfolgt das Ziel schadstoff- und verbrauchsarmer Produkte, eines verbesserten Ressourceneinsatzes und verbesserter umweltschonender Fertigungsprozesse und dient damit letztendlich der Erfüllung von Klimaschutzzielen. Weitere erhebliche Forschungsressourcen und Finanzmittel werden benötigt für die marktfähige Elektrifizierung von Fahrzeugen.
- 10. Nach Auffassung des Bundesrates findet der nunmehr vorliegende Verordnungsvorschlag der Kommission in einem Marktsegment, das für nicht einmal 2 Prozent der gesamten verkehrsbedingten CO₂-Emissionen verantwortlich ist, nicht die Balance zwischen ökologischer Verantwortung und wirtschaftlicher Tragfähigkeit. Auch berücksichtigt er den im Rahmen der Initiative "CARS 21" abgestimmten integrierten Ansatz unzureichend.
- 11. Die Bundesregierung wird außerdem gebeten, sich dafür einzusetzen, dass die Einführungsphase für die Grenzwerte im leichten Nutzfahrzeugbereich den Entwicklungszeiten und Produktionszyklen der Hersteller Rechnung trägt.
- 12. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass insbesondere folgende Vorschläge abzulehnen sind bzw. einer Überarbeitung bedürfen:
- - Der Bundesrat bekräftigt mit Blick auf die anstehende EU-Finanzreform seine erheblichen Zweifel an einer EU-Kompetenz zur Einführung einer umweltschutzbezogenen und steuerähnlichen Abgabe zugunsten des Haushalts der EU.
Die EU hat keine Kompetenz zur Erhebung von Steuern oder steuerähnlichen Abgaben. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Regelung der Angleichung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten dient. Denn es handelt sich um eine europäische und nicht um eine vom nationalen Recht auferlegte Überschreitungsabgabe. Insofern kann es auch nicht um eine Angleichung oder Harmonisierung nationalen Rechts gehen.
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich dafür einzusetzen, dass im Falle der Realisierung der Verordnung statt eines Zuflusses an den allgemeinen EU-Haushalt eine Vereinnahmung in den nationalen Haushalten erfolgt.
- - Strafzahlungen von 120 Euro pro Gramm bei mehr als 3 Gramm CO₂-Überschreitung übersteigen - auch im Vergleich zu Pkw mit 95 Euro - die Strafzahlungen anderer Industrien ferner bei weitem und sind daher unakzeptabel. Sie schwächen die Investitionsfähigkeit und -stärke der Automobilindustrie und verkennen, dass Nutzfahrzeuge Arbeitsmittel und somit kein Konsumgut sind. Die Effizienz eines Nutzfahrzeuges ist daher auch ohne Regulierung das entscheidende Verkaufsargument. Die festzusetzenden Werte sollten sich an den CO₂-Vermeidungskosten des Emissionshandels in anderen Industriesektoren orientieren.
- - Super Credits Der Bundesrat sieht in der Anrechenbarkeit von Fahrzeugen mit besonders niedrigen CO₂-Emissionen oder Elektrofahrzeugen (so genannte Super Credits) ein wichtiges Instrument, um die Entwicklung besonders kraftstoffsparender Nutzfahrzeuge voranzutreiben. Er hält das vorgesehene Auslaufen der Begünstigung für Fahrzeuge mit besonders niedrigen CO₂-Emissionen zum Jahr 2016 in Anbetracht der noch laufenden Entwicklung und der bis dahin absetzbaren Fahrzeuge für keine geeignete Motivation zur wirtschaftlichen Entwicklung solcher Fahrzeuge. Vielmehr sollte ein echter Anreiz geschaffen werden, damit neue Technologien im Transporterbereich schnell in den Markt kommen. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, sich dafür einzusetzen, dass die Anrechenbarkeit der Super Credits bis zum Jahr 2020 verlängert wird und höher ausfällt als von der Kommission vorgeschlagen.
- - Alternative Kraftstoffe So genannte "flex fuel vehicle", also an den Kraftstoff anpassungsfähige Fahrzeuge, sind zur Anrechnung, anders als bei den Pkw, nicht vorgesehen. Diese Anrechnung sollte auch für leichte Nutzfahrzeuge möglich sein.
- - Der Bundesrat bekräftigt mit Blick auf die anstehende EU-Finanzreform seine erheblichen Zweifel an einer EU-Kompetenz zur Einführung einer umweltschutzbezogenen und steuerähnlichen Abgabe zugunsten des Haushalts der EU.
- 13. Der Bundesrat stellt fest, dass leichte Nutzfahrzeuge in den Ballungsräumen erheblich zu den CO₂-, Partikel- und Stickstoffoxidemissionen beitragen. In diesen bestehen derzeit gravierende Luftqualitätsprobleme. Insbesondere im Hinblick auf den ab dem 1. Januar 2010 gültigen NO₂-Grenzwert ist festzustellen, dass vor allem veraltete Dieselfahrzeuge mit ihren hohen NOx-Emissionen eine relevante Verursachergruppe für die hohen NO₂-Belastungen darstellen. Im Segment der leichten Nutzfahrzeuge, die zum großen Teil von Handwerkern und Gewerbetreibenden gefahren werden, sind derzeit noch ca. 60 Prozent der Fahrzeuge älter als neun Jahre und 30 Prozent der Fahrzeuge sogar älter als 13 Jahre. Diese Fahrzeuge entsprechen weder hinsichtlich des Kraftstoffverbrauchs und damit der CO₂-Emissionen noch hinsichtlich der Partikel- und NOx-Emissionen dem Stand der Technik.
- 14. Neben einer Minderung der CO₂-Emissionen bei Fahrzeugen sieht der Bundesrat weiteren Handlungsbedarf im Bereich der Luftschadstoffe. Insbesondere sind zusätzliche Maßnahmen erforderlich, um die ab dem 1. Januar 2010 EU-weit gültigen Stickstoffdioxidgrenzwerte sowie die seit 1. Januar 2005 ebenfalls EU-weit gültigen Grenzwerte für Feinstaub (PM10) in Ballungsräumen und an verkehrsreichen Straßen einzuhalten. Der Bundesrat hält daher zusätzliche Impulse zur beschleunigten Flottenmodernisierung hin zu stickstoffdioxid- und feinstaubarmen Euro 6/VI-Fahrzeugen für erforderlich und bittet die Bundesregierung, auch weiterhin die Entwicklung dieser Fahrzeuge (z.B. im Rahmen von Wirtschaftsförderungsprogrammen) zu unterstützen, damit derartige Fahrzeuge deutlich vor Inkrafttreten der Abgasnorm in 2014/2015 in ausreichendem Maße angeboten werden. Zur kurzfristigen Minderung der Feinstaubbelastung bittet der Bundesrat die Bundesregierung, die Förderung von Partikelminderungssystemen für PKW zu verlängern und auf leichte Nutzfahrzeuge zu erweitern.
- 15. Dabei muss sichergestellt werden, dass nur Partikelminderungssysteme gefördert werden, die möglichst zu keiner Erhöhung der Stickstoffdioxidemissionen führen.
- 16. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, die Position des Bundesrates in den nunmehr anstehenden Verhandlungen mit den anderen europäischen Partnern und der Kommission nachdrücklich zu vertreten. Nach seiner Auffassung ist sich die europäische Automobilindustrie ihrer Verantwortung für den Klimaschutz bewusst und hat dank ihrer Innovationskraft bereits erheblich zur raschen Verminderung der CO₂-Emissionen im Straßenverkehr beigetragen. Um weitere große Schritte bei der Emissionsreduzierung zu erreichen, müssen in Anbetracht der aktuellen wirtschaftlichen Situation der Automobilbranche weitere regulatorische Maßnahmen mit Augenmaß vorangetrieben werden. Nur so lassen sich die ehrgeizigen Klimaschutzziele bei gleichzeitiger Wahrung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der europäischen Automobilindustrie und ihrer Bedeutung für Exportstärke und Wohlstand in Europa erreichen.