Der Hessische Ministerpräsident Wiesbaden, den 2. September 2005
An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Matthias Platzeck
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Hessische Landesregierung hat beschlossen, dem Bundesrat die anliegende
- Entschließung des Bundesrates zum Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt zuzuleiten
Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der Bundesratssitzung am 23. September 2005 aufzunehmen und eine sofortige Sachentscheidung herbeizuführen.
Mit freundlichen Grüßen
Roland Koch
Entschließung des Bundesrates zum Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt
Der Bundesrat möge beschließen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt weiterhin grundsätzlich die Absicht der Europäischen Kommission, einen einheitlichen Binnenmarkt für Dienstleistungen durch den Abbau bestehender Hindernisse rechtlicher, administrativer und praktischer Art zu verwirklichen. Der Bundesrat ist allerdings der Auffassung, dass einige der in dem Richtlinienentwurf gewählten Ansätze nicht dazu führen werden, dass dieses Ziel in geeigneter Weise erreicht wird.
- 2. Vor dem Hintergrund der Befassung des Europäischen Parlaments mit diesem Thema fasst der Bundesrat im Folgenden noch einmal seine Bedenken zu dem Richtlinienvorschlag zusammen.
- 3. Dabei weist er erneut besonders darauf hin, dass die Bereiche audiovisuelle Dienstleistungen und hier insbesondere der Rundfunk und die Filmförderung, das Glückspiel, der Steuerbereich und die Tätigkeit von Rechtsanwälten und Notaren aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie herausgenommen werden sollten, da für diese Bereiche besondere Bedingungen bestehen. Zur weiteren Begründung weist er auf seine ausführlichen Darlegungen zu diesen Bereichen in der Stellungnahme vom 02. April 2004 hin (BR-Drucksache 128/04(B) ).
- 4. Der Bundesrat bekräftigt erneut seine Ablehnung der Einbeziehung der sozialen Dienste, der Gesundheitsdienste und der Pflege in den Anwendungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie. Diese Dienste unterliegen aus Gründen des Gemeinwohls in den Mitgliedstaaten unterschiedlichen in sich geschlossenen und aufeinander abgestimmten Regulierungen. Die im Richtlinienvorschlag vorgesehenen Änderungen werden den besonderen Gegebenheiten in diesen Tätigkeitsfeldern nicht gerecht. Im Einzelnen verweist der Bundesrat hierzu auf seine ausführliche Stellungnahme zu diesem Bereich vom 9. Juli 2004 (BR-Drucksache 128/04(B) (2)).
- 5. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das Bauwesen kostenträchtige und langlebige Wirtschaftsgüter betrifft und deshalb ein besonders komplexer Bereich der Dienstleistungen ist, der nicht mit anderen Dienstleistungen gleichgesetzt werden kann, bittet der Bundesrat die Bundesregierung erneut zu prüfen, ob es sinnvoller erscheint, für diesen Bereich eine gesonderte Richtlinie zu erarbeiten. Der Bundesrat erinnert hierzu noch einmal an seine ausführliche Stellungnahme zum Bauwesen vom 24. September 2004 (BR-Drucksache 128/04(B) (3)).
- 6. Der Bundesrat weist erneut darauf hin, dass er das Herkunftslandprinzip, wie es in Artikel 16 des Richtlinienentwurfs vorgesehen ist, in dieser Form ablehnt, da dies dazu führen würde, dass in dem jeweiligen Mitgliedstaat kein einheitliches Recht gelten würde, mit der Folge, dass das rechtstaatliche Prinzip der Rechtssicherheit beeinträchtigt würde. Die in den Artikeln 17 bis 19 vorgesehenen zahlreichen Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip belegen, dass das Prinzip auch von der Kommission als nicht unproblematisch angesehen wird.
Bei der Ausgestaltung des Herkunftslandprinzips muss gewährleistet werden, dass es sich nur auf den Marktzugang bezieht. Die Ausübungsmodalitäten, insbesondere die bei der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen zu beachtenden Normen, technischen und sozialen Standards richten sich ausschließlich nach den geltenden Bestimmungen des Aufnahmestaates.
- 7. Besonders problematisch erscheint in diesem Zusammenhang auch die Forderung, dass das Herkunftsland für die Überwachung des Dienstleisters auch im Entsendestaat zuständig sein sol1. Die von der Kommission vorgesehene gegenseitige Unterstützung der Mitgliedstaaten dürfte sich in der Realität nur schwer durchsetzen lassen, da allein aufgrund von Sprachproblemen und unterschiedlichen Rechtssystemen eine Zusammenarbeit nicht einfach ist. Es steht zu befürchten, dass durch diese angedachte Regelung eine wirkungsvolle Überwachung der Dienstleistungsunternehmen nicht mehr möglich sein wird.
- 8. Insbesondere sollte daher mit Blick auf Artikel 1 des Richtlinienentwurfs, der sich sowohl auf die Dienstleistungs- als auch auf die Niederlassungsfreiheit bezieht, in Artikel 2 umfassend klargestellt werden, dass die Richtlinie keine Anwendung auf die verabschiedete Berufsanerkennungsrichtlinie KOM (2002) 119 findet. Ferner sollte klargestellt werden, dass die Richtlinie keine Auswirkungen auf die Arbeitnehmerentsenderichtlinie 96/71/EG sowie auf die Regelungen des internationalen Privatrechts hat.
- 9. Der Bundesrat bekräftigt erneut seine Bedenken hinsichtlich der verwaltungstechnischen, kostenintensiven und sehr engen zeitlichen Vorgaben für die Umsetzung des Richtlinienvorschlags in nationales Recht. Er weist dabei insbesondere erneut auf die folgenden Punkte hin:
Artikel 45 des Richtlinienvorschlags sieht eine Umsetzung des Richtlinienvorschlags innerhalb von zwei Jahren nach der Verabschiedung vor Bei dem weiten Umfang der horizontalen Regelung wird bezweifelt, dass die Vorgabe von den Mitgliedstaaten eingehalten werden kann.
Auch die Vorgabe, den Richtlinienvorschlag in einem Schritt umzusetzen, erscheint angesichts des gewählten horizontalen Ansatzes und der Kompliziertheit der Materie nicht angemessen Der Bundesrat fordert deshalb eine Umsetzung in zwei besser noch drei Stufen.
Bei den vorgesehenen umfangreichen Regelungen über die Informationspflichten der Mitgliedstaaten gegenüber den Dienstleistungserbringern und -empfängern ist sorgfältig zu prüfen, ob jede dieser Regelungen für die Schaffung eines einheitlichen Binnenmarktes unbedingt erforderlich ist
Problematisch erscheint auch weiterhin, die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, ihre gesamten Rechtsvorschriften daraufhin zu überprüfen, ob diese diskriminierungsfrei, erforderlich und verhältnismäßig sind; gegebenenfalls müssen diese Vorschriften angepasst werden Spätestens am Tag der Umsetzung der vorgeschlagenen Richtlinien müssen die Mitgliedstaaten der Kommission hierüber Bericht erstatten. Dies erscheint aufgrund des restriktiven Zeitrahmens kaum machbar zu sein.
Darüber hinaus ist die Pflicht zur Erstellung eines Berichts über die zu prüfenden Anforderungen für die Aufnahme und Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit äußerst aufwändig und läuft dem Ziel einer effektiven und sparsamen Verwaltung entgegen
- 10. Der Bundesrat appelliert an das Europäische Parlament, die in dieser Entschließung geäußerten Bedenken bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen.
- 11. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, sich in den anstehenden Beratungen für die hier geäußerten Positionen einzusetzen.