Der Bundesrat hat in seiner 798. Sitzung am 2. April 2004 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt das umfassende Konsultationsverfahren der Kommission, das allen Betroffenen die Gelegenheit zu Anmerkungen und Vorschlägen für eine etwaige Änderung der Richtlinie 93/104/EG bietet, und würdigt die Absicht der Kommission, in diesem Zusammenhang auch die Opt-out-Regelung zu überprüfen.
- 2. In Deutschland überwiegen während des Bereitschaftsdienstes die Zeiten ohne Arbeitsleistung (Inanspruchnahme nicht mehr als 49 %). Der Arbeitnehmer hat somit während des Bereitschaftsdienstes ausreichend Zeit, sich zu regenerieren.
Dies erfordert eine differenzierte Bewertung der Zeit des Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne.
- 3. Der Bundesrat hält es für erforderlich, bei der Überarbeitung der Richtlinie 93/104/EG das Verhältnis zu der Richtlinie 89/391/EWG dahin gehend klarzustellen, dass die Einsatzdienste in den Bereichen Polizei, staatlich angeordnete öffentliche Feuerwehren und staatlich angeordnete Werksfeuerwehren einschließlich Flughafenfeuerwehren, staatlich angeordnete oder beauftragte Rettungsdienste und Katastrophenschutzdienste nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 93/104/EG fallen. Diese Klarstellung des Anwendungsbereichs der Arbeitszeitrichtlinie ist im Hinblick auf die Verweisung auf den Ausnahmetatbestand des Artikels 2 Abs. 2 der Grund-/Arbeitsschutzrichtlinie geboten um künftige Zweifelsfragen zu vermeiden. Dies gilt sowohl hinsichtlich der von der Ausnahmeregelung nicht abschließend genannten Tätigkeitsbereiche im öffentlichen Dienst (z.B. Feuerwehr) als auch hinsichtlich der Auslegungsgrenzen des Ausnahmetatbestands. Der Klarstellungsbedarf wird auch an dem aktuellen Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Dezember 2003 (vgl. BVerwG 6 P 7.03) an den EuGH zur Vorabentscheidung über den Anwendungsbereich der Arbeitszeitrichtlinie hinsichtlich von Beamten des Einsatzdienstes der Feuerwehr deutlich.
Nach höchstrichterlicher deutscher Rechtsprechung (vgl. Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 29. Mai 2002 - 5 AZR 370/01) erstreckt sich die Ausnahmeregelung des Artikels 2 Abs. 2 der Arbeitsschutzrichtlinie auch auf den Bereich der Feuerwehr. Nach dieser Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass die Spezifika des Feuerwehr-Berufsbildes den in Artikel 2 Abs. 2 der Arbeitsschutzrichtlinie genannten Tätigkeiten gleichstehen. Zur Begründung hat sich das BAG auf die Entscheidung des EuGH vom 3. Oktober 2000 -SIMAP berufen, nach dem die Ausnahmen vom Anwendungsbereich der Grundrichtlinie eng auszulegen sind und sich auf bestimmte spezifische Tätigkeiten im öffentlichen Dienst beziehen, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung gewährleisten sollen und für ein geordnetes Gemeinwesen unentbehrlich sind Rdn. 35 f.). Wollte man die Feuerwehr nicht als Katastrophenschutzdienst ansehen, bliebe keine Ausnahme mehr übrig. Die Ausübung von Tätigkeiten im feuerwehrtechnischen Dienst betrifft gerade auch den spezifischen Katastrophenschutzeinsatz.
Tätigkeiten aus dem Bereich der für ein geordnetes Gemeinwesen unentbehrlichen Gefahrenabwehr stehen nicht schon ohne weiteres einer Anwendung der europäischen Arbeitsschutzvorschriften zwingend entgegen sondern sie rechtfertigen dann eine Ausnahme, wenn sie mit einer Gewährleistungsfunktion verbunden sind. Ob das der Fall ist, ist normativ und typisierend zu beurteilen. Dabei gibt ein Vergleich einer Tätigkeit bei der Feuerwehr mit den in Artikel 2 Abs. 2 der Grundrichtlinie beispielhaft aufgezählten Ausnahmen, bei denen es sich um "klassische" Bereiche der öffentlichen Gefahrenabwehr handelt (Streitkräfte, Polizei, Katastrophenschutzdienste), rechtssystematisch weiteren Aufschluss. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe wird der feuerwehrtechnische Dienst in einer Berufsfeuerwehr von der Ausnahmevorschrift des Artikels 2 Abs. 2 der Arbeitsschutzrichtlinie erfasst vgl. Verwaltungsgericht Bremen, Urteil vom 29. April 2003 - 6 K 1470/02).
Den genannten Tätigkeiten ist gemeinsam, dass es sich dabei um nicht umfassend planbare Tätigkeiten handelt. Bei ihnen ist weder vorhersehbar, wann ein Tätigwerden im Einzelfall erforderlich wird (Tätigkeitsbeginn), noch über welchen Zeitraum die Tätigkeit ausgeübt werden muss (Tätigkeitsdauer). Auf Grund der Unaufschiebbarkeit der gebotenen Maßnahmen sind in solchen Tätigkeitsbereichen höhere Anforderungen an eine möglichst flexible Arbeitszeitgestaltung zu stellen. Darüber hinaus sind die aufgeführten Tätigkeiten dadurch gekennzeichnet, dass sie im Einzelfall zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit ein Einschreiten verlangen, obwohl dabei eine nicht unerhebliche Eigengefährdung typischerweise nicht ausgeschlossen werden kann.
- 4. Gleichwohl wird im Bereich der Berufsfeuerwehren, Katastrophenschutz- und Rettungsdienste dem mit der Arbeitsschutzrichtlinie verfolgten Ziel, eine größtmögliche Sicherheit und einen größtmöglichen Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer zu gewährleisten, auch hinsichtlich der Arbeitszeiten entsprochen.
Diese sind in Verwaltungsvorschriften und Betriebsvereinbarungen festgelegt die umfangreiche tägliche Ruhezeiten in Form von Bereitschaftszeiten sowie mindestens ein- bis viertägige dienstfreie Tage im Anschluss an einen Tag im Feuerwehrdienst vorsehen.
Im Rahmen der in den Ländern existierenden unterschiedlichen wöchentlichen Arbeitszeiten für Feuerwehren, Rettungs- und Katastrophenschutzdienste, die je nach Land bis 56 Stunden reichen, ist der Anteil der reinen Arbeitszeit (tatsächlich geleistete Arbeit) erheblich geringer als der ruhefähige Bereitschaftsdienst.
- 5. Da Tätigkeiten bei den genannten Diensten in Artikel 2 Abs. 2 der Arbeitsschutzrichtlinie keine ausdrückliche Erwähnung finden, den dort aufgeführten Tätigkeiten aber gleichstehen, sollten sie als Ausnahmetatbestand in Artikel 1 Abs. 3 der Arbeitszeitrichtlinie (Anwendungsbereich) aufgenommen und die Begriffe "Feuerwehr- und Katastrophenschutzdienste" in Artikel 17 (2) 2.1 Buchstabe c Nr. iii gestrichen werden.
- 6. Der im erwähnten Artikel 17 auch enthaltene Begriff "Ambulanzdienste" sollte durch den Begriff "private Ambulanzdienste" ersetzt werden, um klarzustellen, dass staatlich angeordnete oder beauftragte Rettungsdienste der Ausnahmeregelung unterfallen.
Zu den Einsatzdiensten im Bereich Katastrophenschutz zählen auch bestimmte Tätigkeiten von privaten Hilfsorganisationen (z.B. Arbeiter-Samariter-Bund, Deutsches Rotes Kreuz, Johanniter-Unfallhilfe, Malteser Hilfsdienst, Deutsche Lebensrettungsgesellschaft). In Betracht kommen hier solche Tätigkeiten, die zur Abwehr von Gefahren von den privaten Hilfsorganisationen auf der Grundlage einer gesetzlichen Mitwirkungsverpflichtung für den öffentlichen Aufgabenträger erbracht werden. In diesen Fällen sind die Tätigkeiten integraler Bestandteil der Gefahrenabwehr und insoweit für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung unverzichtbar.
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, auf eine entsprechende Klarstellung hinzuwirken.
- 7. Für den Fall, dass es nicht zu einer Herausnahme der Bereiche Feuerwehr, Katastrophenschutz und Rettungsdienste aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie kommt, bittet der Bundesrat die Bundesregierung, sich für eine Überarbeitung der Richtlinie 93/104/EG einzusetzen und insbesondere die Belange öffentlicher Verwaltungen stärker zu berücksichtigen.
- 8. Der Begriff der "Arbeitszeit" sollte konkretisiert werden, wobei unter anderem die Bedingungen bei der Arbeitsbereitschaft und dem Bereitschaftsdienst wie Aufenthaltsort, Dauer und Häufigkeit der Inanspruchnahme usw. festgelegt werden müssen, und es sollten Möglichkeiten der Differenzierung in Betracht gezogen werden.
Die spezifischen Bedürfnisse der Feuerwehren und Katastrophenschutzdienste sollten dabei in die Abwägung einfließen. In diesen Bereichen wird in erheblichem Umfang Bereitschaftsdienst geleistet. Dabei treten häufig Phasen ohne Arbeitsleistung auf. Diese Ruhephasen mindern das Schutzbedürfnis der Mitarbeiter.
Dabei muss den Besonderheiten von Feuerwehren, Wach- und Sicherheitsdiensten sowie ähnlicher Tätigkeiten, bei denen die Phasen der Nichtinanspruchnahme die Regel sind, vor allem auch im Hinblick auf die Überschreitung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit, Rechnung getragen werden.
Die Zuordnung des Bereitschaftsdienstes zur Arbeitszeit sollte nicht unter dem Aspekt des Aufenthaltsortes während dieses Dienstes, sondern vorrangig unter dem Aspekt der Dauer und der Häufigkeit der Inanspruchnahme beurteilt werden.
- 9. Für den Fall, dass eine Konkretisierung des Begriffs der "Arbeitszeit" in dem oben dargestellten Sinn nicht durchsetzbar sein sollte oder nicht weiterverfolgt wird bittet der Bundesrat die Bundesregierung, sich für eine Ausnahmeregelung von der Obergrenze der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 48 Stunden gemäß Artikel 6 Ziffer 2 der Richtlinie 93/104/EG für den Bereitschaftsdienst der Feuerwehren und der Katastrophenschutzdienste einzusetzen.
Es sollte eine Regelung gefunden werden, die es erlaubt, nach den bisherigen Dienstplänen weiterzuverfahren. Dies würde gleichermaßen den Bedürfnissen vieler Feuerwehrangehöriger wie der betroffenen Kommunen als Träger der Feuerwehren entsprechen.
- 10. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung außerdem, sich dafür einzusetzen, dass Arbeitszeiten, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sich der Beschäftigte während wesentlicher Anteile der Arbeitsperiode - unabhängig von seinem Aufenthaltsort - bereithalten muss, um gegebenenfalls seine Arbeitsleistung zu erbringen (z.B. Bereitschaftsdienst), bei der Festlegung der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit nach Artikel 6 der Richtlinie in angemessener Weise berücksichtigt werden.
- 11. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung ferner, sich dafür einzusetzen, dass die Bestimmungen in den Artikeln 16 und 17 der Richtlinie zu den Bezugszeiträumen flexibler gestaltet werden und dass die Regelung über die Möglichkeit der Nichtanwendung des Artikels 6 der Richtlinie durch die Mitgliedstaaten nicht eingeschränkt wird.
- 12. Der Bedarf an flexiblen Arbeitszeiten erfordert eine Verlängerung des Bezugszeitraums für die wöchentliche Höchstarbeitszeit. Der Bezugszeitraum sollte generell 12 Monate betragen. Den Sozialpartnern sollte ermöglicht werden, auch einen über 12 Monate hinausgehenden Bezugszeitraum festzulegen, soweit dies für eine sachlich begründete erhöhte Flexibilisierungsmöglichkeit erforderlich ist.
- 13. Arbeitszeitflexibilisierung ist auch unter dem Gesichtspunkt der besseren Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben von großer Bedeutung. Ein Mehr an Flexibilität kann durch eine Verlängerung des Bezugszeitraums für die wöchentliche Höchstarbeitszeit erreicht werden.
- 14. Möglichkeiten zur flexibleren Arbeitszeitgestaltung sind ein wesentlicher Faktor für die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und damit für die Verbesserung der Beschäftigungslage. Das Arbeitszeitrecht in Europa sollte dieser für den Arbeitsmarkt dringend benötigten Flexibilität Rechnung tragen.
Auch die Kommission betont in der vorliegenden Mitteilung unter anderem den Aspekt, den Unternehmen und den Mitgliedstaaten mehr Flexibilität in der Arbeitszeitgestaltung einzuräumen. Vor diesem Hintergrund würde insbesondere eine Einschränkung der bestehenden Opt-out-Klausel in Artikel 18 Abs. 1 Buchstabe b Nr. i der Richtlinie einen Rückschritt bedeuten.
- 15. Erfahrungen zur Opt-out-Regelung liegen derzeit nur für Großbritannien vor.
Vor einer Überprüfung oder Änderung dieser Regelung sollten die Erfahrungen weiterer Mitgliedstaaten, insbesondere der Staaten, die wie Deutschland die Opt-out-Regelung erst kürzlich eingeführt haben, abgewartet werden.
- 16. Bei einer Lösung der angesprochenen Fragen sollten die Hauptziele der Richtlinie im Vordergrund stehen. Dies ist auf der einen Seite der Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer. Andererseits ist den Verwaltungen und Betrieben die Möglichkeit offen zu halten, in der Arbeitszeitgestaltung Flexibilität in Anspruch nehmen zu können. Die Arbeitszeitregelung soll nur Eckpunkte festlegen und ansonsten nationalen Regelungen den Vorrang geben.