Der Regierende Bürgermeister von Berlin Berlin, 28. Februar 2020
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Dr. Dietmar Woidke
Sehr geehrter Herr Präsident,
der Senat von Berlin hat beschlossen, dem Bundesrat die als Anlage beigefügte Entschließung des Bundesrates - Die Situation in allen Bereichen der Pflege spürbar verbessern - Kein Ersatz von festangestellten Pflegekräften durch Leiharbeitskräfte zuzuleiten.
Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf die Tagesordnung der 986. Sitzung des Bundesrates am 13. März 2020 zu setzen und sie anschließend den zuständigen Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Michael Müller
Entschließung des Bundesrates - Die Situation in allen Bereichen der Pflege spürbar verbessern - Kein Ersatz von festangestellten Pflegekräften durch Leiharbeitskräfte
Der Bundesrat möge folgende Entschließung fassen:
- 1. Der Bundesrat stellt fest, dass zur Verbesserung der Arbeitssituation in der Pflege spürbare Veränderungen zugunsten der Beschäftigten erforderlich sind. Die Konzertierte Aktion Pflege (KAP) und verschiedene Initiativen der Länder haben bereits umfangreiche Veränderungen angestoßen. Ziel ist es, sowohl die Vergütung als auch die Arbeitsbedingungen attraktiver zu machen. Diese Aktivitäten auf Bundesebene reichen aber offensichtlich nicht aus. Denn der Anteil der Zeitarbeitnehmer und Zeitarbeitnehmerinnen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen steigt weiter an. Zunehmend entscheiden sich Pflegekräfte für einen Wechsel von der Festanstellung in die Zeitarbeit. In der Pflege finden dort - im Gegensatz zu anderen Branchen - Fachkräfte häufig bessere Arbeitsbedingungen vor: sie werden besser bezahlt und können sich ihre Arbeitszeiten weitgehend selbst aussuchen. Allerdings geht dies zulasten der festangestellten Pflegekräfte und zulasten der auf Pflege angewiesenen Menschen. Ziel ist es, sowohl die Vergütung als auch die Arbeitsbedingungen attraktiver zu machen.
- 2. Zur Verhinderung der negativen Auswirkungen der Arbeitnehmerüberlassung auf die Patientensicherheit und die Pflegequalität sowie auf die Arbeitsbedingungen der in den Einrichtungen festangestellten Pflegefachkräfte besteht dringender Handlungsbedarf.
- 3. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, effektive Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege zu ergreifen, damit eine Abwanderung festangestellter Pflegefachkräfte in Zeitarbeitsfirmen obsolet wird. Im Sinne der Menschen, die auf Pflege angewiesen sind, und im Sinne der Beschäftigten ist es das Ziel, die Festanstellung auch in der Pflege wieder attraktiver werden zu lassen als die Zeitarbeit. Daran sollen alle Akteure der Selbstverwaltung mitwirken und auch innovative Modelle, wie z.B. die Finanzierung von Beschäftigtenpools in Einrichtungen, prüfen.
- 4. Der Bundesrat hält im ersten Schritt eine spürbare Beschränkung und im zweiten Schritt ein generelles Unterbinden der Zeitarbeit in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern für erforderlich und hält dafür eine Änderung des Gesetzes zur Regelung der Arbeitnehmerüberlassung (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz - AÜG) für geboten. Hält die Bundesregierung aufgrund der Patientensicherheit und der Pflegequalität gesetzliche Regelungen über das Sozialgesetzbuch (SGB) V und SGB XI für zielführender, um ein generelles Unterbinden der Zeitarbeit in der Pflege zu erreichen, ist der Bundesrat auch hierzu gesprächsbereit.
- 5. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, die entsprechenden Änderungen zeitnah zu initiieren und weiter die Erhöhung der Attraktivität der Beschäftigung in einer Festanstellung zu forcieren.
Begründung:
Zur Verbesserung der Arbeitssituation in der Pflege sind spürbare Veränderungen zugunsten der Beschäftigten erforderlich. Die Konzertierte Aktion Pflege (KAP) und verschiedene Initiativen der Länder haben bereits umfangreiche Veränderungen angestoßen. So verpflichten sich im Berliner Pakt für die Pflege die Unterzeichnenden zu Maßnahmen zur Erhöhung der Ausbildungskapazitäten und zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte. Sie sagen auch zu, sich für eine weitere Verbesserung der Vergütung einzusetzen.
Trotz dieser Maßnahmen entscheiden sich immer mehr Pflegefachkräfte für die Anstellung bei einem Leiharbeitsunternehmen und gegen eine Festanstellung in einem Krankenhaus oder in einer Pflegeeinrichtung. Die Zeitarbeitsunternehmen bieten höhere Gehälter und Arbeitszeiten, die nach den individuellen Bedürfnissen bestimmt werden können (Anzahl der Stunden, Auswahl der Schichten). Die Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen beklagen, dass Pflegepersonal von den Leiharbeitsunternehmen gezielt abgeworben wird. Dabei wird der ursprüngliche Sinn von Leiharbeit, erwerbslose Menschen in ein Normalarbeitsverhältnis zu integrieren, ins Gegenteil verkehrt.
Als Folge verschlechtern sich die Arbeitsbedingungen für festangestellte Pflegefachkräfte (mehr ungünstige Schichten, weniger eingearbeitetes Personal) und ihre Belastung nimmt zu. Es zeigt sich ein völlig ungewohntes Bild der Arbeitnehmerüberlassung, die nicht mehr als "Sprungbrett" für Menschen mit geringen Arbeitsmarktchancen in ein Normalarbeitsverhältnis genutzt wird, sondern als Arbeit zu verbesserten Bedingungen. Hinzu kommen erheblich höhere Kosten für den Einsatz von Leiharbeitskräften. Diese problematische Veränderung wird vor allem in Ballungsräumen beobachtet.
Aus gesundheits- und pflegepolitischer Sicht stehen insbesondere die Auswirkungen auf Patientensicherheit und Pflegequalität im Fokus. Leiharbeitskräften kann die einrichtungsspezifische Vorgehensweise in medizinischen Notfällen oftmals ebenso wenig vertraut sein wie Evakuierungs- und Alarmierungspläne bei Schadenslagen, Hygienepläne, IT-Systeme etc. Die notwendige Bezugspflege, d.h. eine längerfristige Bindung und Vertrautheit der Pflegekraft zum Pflegebedürftigen, ist nicht gewährleistet. Dies ist gerade für Demenzpatienten und Demenzpatientinnen unabdingbar. Die festangestellten Pflegekräfte werden deswegen oft nicht - wie gehofft - durch die Leiharbeitskräfte entlastet, sondern durch ihren systematischen Einsatz sogar zusätzlich belastet.
Ziel dieser Bundesratsinitiative ist es, Pflegekräfte in der Pflege zu halten oder sie in die Pflege zurück zu holen. Deshalb setzt sie an den Ursachen für Abwanderung in die Zeitarbeit an und will die Arbeitsbedingungen für festangestellte Pflegekräfte nachhaltig verbessern. Hierzu sollen alle beteiligten Akteure Konzepte entwickeln, wie die Personalplanung und -finanzierung dem tatsächlichen Bedarf angepasst werden kann und auch bspw. Personalpools in Einrichtungen vorgehalten und auskömmlich finanziert werden können. Die Festanstellung soll auch in der Pflegebranche wieder die attraktivere Variante der Beschäftigung werden.
In den Ergebnissen der Konzertierten Aktion Pflege wird auf die Leiharbeit im Abschnitt "Stammbelegschaften im Betrieb halten und Leiharbeit reduzieren" eingegangen. Dort heißt es u.a.:
"Die Partner der Arbeitsgruppe 2 der Konzertierten Aktion Pflege 2 erkennen an, dass die Entscheidung von Pflegefachpersonen, für Verleihunternehmen zu arbeiten, auch ein Ergebnis der aktuellen Arbeitsbedingungen in der Pflege ist. Gleichzeitig führt die Nutzung von Arbeitnehmerüberlassung zu weiteren Belastungen für die Stammbelegschaften, die zum Beispiel verstärkt Wochenend- und Nachtdienste übernehmen müssen. Arbeitnehmerüberlassung von beruflich Pflegenden, die zuvor in einer Stammbelegschaft gearbeitet haben, belastet jedoch nicht nur die Stammbelegschaften. Auch die Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer verlieren die dauerhafte Einbindung in ein Pflegeteam und die Möglichkeit, zu den Pflegebedürftigen eine langfristige Beziehung aufzubauen. [...]
Die Partner der Arbeitsgruppe 2 der Konzertierten Aktion Pflege setzen sich daher zum Ziel, den Anteil an Leiharbeitskräften in der Pflege und Betreuung nachhaltig zu reduzieren."
Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es neben Maßnahmen zur spürbaren Verbesserung der Arbeitsbedingungen der im Pflege- und Krankenhausbereich Beschäftigten auch begleitender gesetzgeberischer Maßnahmen im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Die Bundesregierung ist deshalb gefordert, hier im Austausch mit den Ländern und den Sozialpartnern zeitnah geeignete und rechtlich zulässige Regelungen zur Unterbindung der Leiharbeit im Pflegebereich zu verifizieren und gesetzlich umzusetzen. Neben dem AÜG kommen dafür auch Regelungen im SGB V und im SGB XI in Betracht.