Der Niedersächsische Ministerpräsident
Hannover, 9. September 2015
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Volker Bouffier
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierungen von Niedersachsen, Baden-Württemberg, Brandenburg, Rheinland-Pfalz und Thüringen haben beschlossen, dem Bundesrat die als Anlage beigefügte Entschließung des Bundesrates für Maßnahmen zur rechtlich erleichterten Schaffung von Unterbringungsmöglichkeiten für Flüchtlinge und Asylbegehrende zuzuleiten.
Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der 936. Sitzung des Bundesrates am 25. September 2015 aufzunehmen und eine sofortige Sachentscheidung herbeizuführen.
Mit freundlichen Grüßen
Stephan Weil
Entschließung des Bundesrates für Maßnahmen zur rechtlich erleichterten Schaffung von Unterbringungsmöglichkeiten für Flüchtlinge und Asylbegehrende
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, die Anwendbarkeit bestimmter Vorschriften des Bauplanungsrechts und des Umweltrechts für einen befristeten Zeitraum für Einrichtungen der Flüchtlingsunterbringung auszusetzen (Moratorium) sowie Gespräche mit der EU-Kommission zu führen, um kurzfristig Erleichterungen im Vergaberecht zu erreichen.
Die Lage im Bereich der Unterbringung von Flüchtlingen hat sich in den letzten Monaten - insbesondere aber den letzten Wochen - massiv verschärft. Bereits im ersten Halbjahr des Jahres 2015 sind beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) 179.037 Asylanträge eingegangen. Dies entspricht nahezu der Anzahl der Anträge im gesamten Jahr 2014 (202.834 Asylanträge). Sowohl die derzeit eingerichteten Aufnahmeeinrichtungen der Länder als auch die dezentralen Unterbringungsmöglichkeiten der Kommunen sind diesem unerwartet starkem Zugang nicht gewachsen. Die vorhandenen Einrichtungen befinden sich oft jenseits ihrer Kapazitätsgrenzen, so dass der dringende Bedarf besteht, schnell und effizient neue Unterbringungsmöglichkeiten zu schaffen.
Der schnellen Einrichtung neuer Unterkünfte stehen jedoch in der Praxis häufig die folgenden Vorschriften entgegen:
1. Vergaberecht
Im Bereich der Vergaben oberhalb der Schwellenwerte müssen die der Richtlinie 2004/18/EG zugrundeliegenden Vorschriften (§§ 97 ff. GWB, 4 ff. VgV, VOF, VOL/A, VOB/A) berücksichtigt werden. Die damit verbundenen sehr formellen und langwierigen Verfahren stellen große Hürden bei der Beschaffung der vielfältigen Leistungen dar, die im Zusammenhang mit der Einrichtung einer Flüchtlingsunterkunft beschafft werden müssen (Bauleistungen, Container, Zelte, Verpflegung, Sicherheitsdienst, Wäschereidienst, Gesundheitsdienste, Einrichtungsgegenstände). Ausnahmen zur Durchführung einfacherer Verfahren (freihändige Vergaben bzw. Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb) sind kaum vorhanden und werden zusätzlich sehr restriktiv ausgelegt.
Die Bundesregierung wird daher gebeten, Gespräche mit der EU-Kommission zu führen, um kurzfristig Erleichterungen in diesem Bereich zu erreichen.
2. Bauplanungsrecht
Sonderregelungen für Erleichterungen im Bauplanungsrecht zur Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden sind bereits Ende 2014 im Baugesetzbuch (BauGB) umgesetzt worden und betreffen insbesondere die Zulässigkeit im Außenbereich und in den Gewerbegebieten ( § 246 Abs. 10 BauGB). Da es sich bei den Flüchtlingsunterkünften je nach Ausstattung entweder um "Wohnnutzung" oder um (wohnähnliche) "Anlagen für soziale Zwecke" handelt, bedarf es weiterer Erleichterungen, die sich auf Wohngebiete beziehen. In reinen Wohngebieten sind Flüchtlingsunterkünfte als Anlagen für soziale Zwecke derzeit nur ausnahmsweise zulässig (§ 3 Abs. 3 Nr. 2 Baunutzungsverordnung). Um hier für einen befristeten Zeitraum Erleichterungen zu schaffen, sollten die Unterkünfte für Flüchtlinge und Asylbegehrende in reinen Wohngebieten über eine mit dem § 246 Abs. 10 BauGB vergleichbare Regelung erleichtert zugelassen werden können. Die Befristung sollte entsprechend dem § 246 Abs. 10 BauGB bis zum 31. Dezember 2019 gelten. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, schnellstmöglich das Verfahren zur entsprechenden Änderung des BauGB einzuleiten.
3. Umweltrecht
Das Gesetz zur Förderung Erneuerbarer Energien im Wärmebereich (EEWärmeG) stellt hohe Anforderungen an den Einsatz erneuerbarer Energien an Neubauten und an Gebäude der öffentlichen Hand.
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, das EEWärmeG dahin gehend zu ändern, dass Flüchtlingswohnheime zunächst für drei Jahre nicht mehr den Vorgaben des EEWärmeG unterliegen.
Die Energiereinsparverordnung regelt die energetischen Anforderungen an Gebäude.
Die darin geforderten weitgehenden Anforderungen führen zu derart hohen Investitionskosten, die die Nutzung von Altgebäuden stark erschweren.
Da es sich um eine Rechtsverordnung der Bundesregierung handelt, ist hier eine Änderung möglich.
Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, die energetischen Anforderungen an "Unterbringungseinrichtungen für Flüchtlinge und Asylbegehrende in Altgebäuden" in geeigneter Weise - zunächst für drei Jahre - zu reduzieren.