964. Sitzung des Bundesrates am 2. Februar 2018
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union und der Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß Artikel 12 Buchstabe b EUV wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat bekennt sich zu der im Bevölkerungsschutz notwendigen europäischen Solidarität. Er ist jedoch der Auffassung, dass der Beschlussvorschlag die EU-Kompetenzen überschreitet, erheblich in die nationalen Hoheitsrechte der Mitgliedstaaten eingreift und mit dem Grundsatz der Subsidiarität nicht im Einklang steht.
- 2. Der Vorschlag der Kommission entspricht nicht dem Regelungsgehalt des Artikels 196 AEUV. Nach Artikel 196 AEUV hat sich die EU im Bereich des Katastrophenschutzes auf Maßnahmen zur Unterstützung, Koordinierung oder Ergänzung der Maßnahmen der Mitgliedstaaten zu beschränken. Auch wird durch Artikel 196 Absatz 2 AEUV jegliche Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet ausgeschlossen. Etwaige Maßnahmen der EU zur Unterstützung, Koordinierung und Ergänzung dürfen ferner gemäß Artikel 2 Absatz 5 AEUV nicht an die Stelle der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten treten. Der Vorschlag der Kommission sieht im Wesentlichen erneut die Einrichtung eines Europäischen Katastrophenschutz-Systems vor, in dem die Kommission über eigene Ressourcen auf EU-Ebene (rescEU) verfügt sowie wesentliche Einsatz- und Finanzierungsentscheidungen trifft. Die damit vorgesehene Übertragung von Entscheidungs-, Durchführungs- und Finanzierungskompetenzen für gemeinsame Einsätze auf die Kommission geht über die Kompetenzen der EU hinaus. Artikel 196 AEUV bewirkt bereits dem Wortlaut nach eine Eingrenzung des Tätigkeitsfelds der EU. Damit ist es der EU verwehrt, einen eigenständigen Katastrophenschutz zu betreiben. Sie hat sich vielmehr auf akzessorische Maßnahmen zu beschränken, die die Mitgliedstaaten nicht aus ihrer primär verantwortlichen Rolle herausdrängen. Normzweck und rechtspolitische Intention des Artikels 196 AEUV als "Unterstützungskompetenz" beschränken die EU mithin darauf, den Mitgliedstaaten bei der Wahrnehmung ihrer Schutzverantwortung an der Seite zu stehen.
- 3. Auch mit Blick auf das Subsidiaritätsprinzip sind aus Sicht des Bundesrates europäische Regelungen abzulehnen, die die Verantwortung für den Katastrophenschutz von den Mitgliedstaaten auf die EU verlagern. Die Verantwortung für den Schutz der Bevölkerung möglichst nah bei den Betroffenen anzusiedeln, nämlich in erster Linie auf der lokalen Ebene, hat sich im Katastrophenschutz in besonderer Weise bewährt. Jeder Mitgliedstaat muss primär selbst für die Katastrophenvorsorge und die für den Katastrophenschutz erforderlichen Ressourcen (Personal und Gerätschaft) sorgen. Im Hinblick auf die in den Mitgliedstaaten bereits vorhandenen Katastrophenschutzressourcen ist der Aufbau von EU-eigenen Kapazitäten weder erforderlich noch angemessen. Es ist nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar, dass die EU eigene Katastrophenschutz-Einheiten aufstellt.
- 4. Dessen ungeachtet erachtet der Bundesrat die solidarische Hilfeleistung der Mitgliedstaaten untereinander als selbstverständlich; sie ist eine tragende Säule der Gemeinschaft, kann jedoch nationale Anstrengungen nicht ersetzen, sondern diese im Bedarfsfall lediglich wirksam ergänzen. Diesem Ziel dient das geltende EU-Katastrophenschutzverfahren gemäß dem Beschluss Nr. 1313/2013/EU über ein Katastrophenschutzverfahren der Union vom 17. Dezember 2013. Der Bundesrat befürwortet eine weitere Verbesserung dieser gegenseitigen Unterstützung. Die Verantwortung der Mitgliedstaaten zur Verhütung und Bewältigung von Katastrophen sowie das Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzip müssen aber strikt beachtet werden.