947. Sitzung des Bundesrates am 8. Juli 2016
A
Der Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz (AV), der Rechtsausschuss (R) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
Zur Vorlage insgesamt
- 1. Der Bundesrat teilt die Auffassung der Kommission, dass [die Förderung des grenzüberschreitenden Absatzes von Waren und Dienstleistungen insbesondere im digitalen Binnenmarkt] effektive Mechanismen zur Durchsetzung der Verbraucherrechte bei grenzüberschreitenden Vertragsbeziehungen erfordert. [Er begrüßt daher grundsätzlich die von der Kommission vorgeschlagene Stärkung des Amtshilfemechanismus bei Rechtsverstößen im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Vertragsbeziehungen.]
- 2. Der Bundesrat erkennt die Vorteile einer stärkeren unionsweiten Koordinierung von Marktüberwachungsmaßnahmen im Verbraucherschutz, sieht aber zugleich den mit der Koordinierung von Ermittlungs- und Durchsetzungsmaßnahmen verbundenen Aufwand, der ein rasches Vorgehen der mitgliedstaatlichen Behörden und Stellen erschweren kann. Er spricht sich daher dafür aus, die Einführung koordinierter Maßnahmen auf solche Verstöße gegen Verbraucherschutzgesetze zu beschränken, bei denen ein erhebliches Schädigungspotenzial besteht. Außerdem sollte der Tatbestand der "weitverbreiteten Verstöße" in Artikel 3 Buchstabe c Absatz 2 näher eingegrenzt und ein engerer Zusammenhang zwischen den rechtswidrigen Verhaltensweisen in den betroffenen Mitgliedstaaten verlangt werden.
- 3. Der Bundesrat sieht jedoch kein Bedürfnis dafür, in diesem Zusammenhang in dem Maß in die unterschiedlichen nationalen Systeme zur Durchsetzung von Verbraucherschutzgesetzen einzugreifen, wie dies der Verordnungsvorschlag der Kommission vorsieht. Auch wenn die vorgeschlagene Verordnung gemäß Artikel 2 Absatz 1 unmittelbar nur für - grenzüberschreitende - Verstöße innerhalb der Europäischen Union und weitverbreitete Verstöße im Sinne des Artikels 3 Buchstaben b und c gelten soll, würde die Umsetzung der in Artikel 8 und 9 enthaltenen Vorschriften zu den Mindestbefugnissen der zuständigen Behörden und deren Ausübung einen grundlegenden Systemwechsel in zentralen Bereichen des in Deutschland geltenden Verbraucherschutzrechts erforderlich machen:
In Deutschland erfolgt die Durchsetzung zahlreicher im Anhang zu dem Verordnungsvorschlag (vergleiche Drucksache zu286/16) aufgeführter Vorschriften nicht durch Verwaltungsbehörden, sondern in erster Linie mit den Mitteln des Zivilrechts, wobei neben der Möglichkeit der individuellen Rechtsdurchsetzung durch die betroffenen Verbraucherinnen und Verbraucher oder die verletzten Mitbewerberinnen und -bewerber eine besondere Klagebefugnis von Wirtschafts-, Wettbewerbs- und Verbraucherverbänden sowie Kammern bestehen kann. Als Beispiele seien die Vorschriften genannt, die die Richtlinien über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (Nummer 1 des Anhangs), den Verbrauchsgüterkauf (Nummer 3 des Anhangs), unlautere Geschäftspraktiken (Nummer 9 des Anhangs) sowie irreführende und vergleichende Werbung (Nummer 11 des Anhangs) umsetzen. Bei schwerwiegenden Verstößen greift ergänzend das Strafrecht ein.
Dieses System hat sich im Grundsatz, gerade auch im Bereich des Lauterkeitsrechts, über Jahrzehnte bewährt.
Der Verordnungsvorschlag sieht dagegen eine umfassende behördliche Durchsetzungsbefugnis auch für individuelle Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher mit weitgehenden Eingriffs- und Sanktionsmöglichkeiten vor, die dem deutschen Recht fremd ist. So soll die zuständige Behörde etwa nach Artikel 8 Absatz 2 Buchstabe n befugt sein, den für den Verstoß verantwortlichen Händler anzuweisen, Verbraucherinnen und Verbraucher zu entschädigen oder ihnen ein Angebot zu unterbreiten, den Vertrag zu beenden. Soweit nach Artikel 9 vorgesehen werden kann, dass die zuständigen Behörden ihre Befugnisse nach Artikel 8 nicht unmittelbar in eigener Verantwortung, sondern im Wege eines Antrags an die Gerichte ausüben, wäre eine entsprechende Antragsbefugnis zum einen - gerade im Hinblick auf die Durchsetzung individueller Verbraucherrechte - ebenfalls ein Fremdkörper im bisherigen deutschen System. Zum anderen lässt sich die Vorgabe in Artikel 9 Absatz 2, wonach in diesem Fall die Gerichte die Befugnis haben müssen, im Rahmen der Verordnung zu handeln, das heißt alle Ermittlungsund Durchsetzungsmaßnahmen nach Artikel 8 Absatz 2 zu treffen, nicht mit den für das geltende Verfahrensrecht maßgeblichen Grundsätzen in Einklang bringen.
Schließlich sind die in Artikel 8 Absatz 2 definierten "Mindestbefugnisse" mit so weitgehenden Eingriffen in die Rechte der Betroffenen verbunden, dass eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, diese Befugnisse den zuständigen Behörden für jedweden Verstoß im Sinne des Artikels 2 Absatz 1 gegen eine der im Anhang aufgeführten Vorschriften einzuräumen, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eindeutig widerspricht.
Der Bundesrat hält eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Umsetzung der in dem Verordnungsvorschlag vorgeschlagenen umfassenden bürokratischen Lösung somit weder für erforderlich noch für verhältnismäßig und lehnt sie daher ab.
- 4. Der Bundesrat stimmt der Kommission darin zu, dass die Handlungsmöglichkeiten der für die Rechtsdurchsetzung zuständigen Stellen gestärkt werden sollten. Dies gilt insbesondere für die Instrumente zur Ermittlung von Verstößen gegen Verbraucherschutzgesetze. Allerdings hält es der Bundesrat für geboten, einzelne Durchsetzungsbefugnisse in Artikel 8 des Verordnungsvorschlags - wie beispielsweise die vorgesehene Abschaltung der Webseite des Unternehmers - darauf hin zu prüfen, ob sie mit höherrangigen Rechtssätzen und Prinzipien vereinbar sind.
- 5. Der Bundesrat weist darauf hin, dass es sich laut der Begründung der vorgeschlagenen Verordnung bei den allermeisten Verbraucherschutzverstößen um Sachverhalte wie Nichtlieferung von Waren bzw. fehlerhafte oder falsche Produkte handelt. Solche Verstöße können zum einen bereits heute europaweit geahndet werden. Derartige Verstöße können nicht so weit gehende Befugnisse wie etwa die Durchsuchung von Geschäftsräumen oder den Zugang und die Speicherung aller Dokumente eines Unternehmens bis hin zur zwangsweisen Sperrung von Internetseiten rechtfertigen. Auch die nach Artikel 4 vorgesehene Verjährungsfrist von bis zu fünf Jahren statt den bisherigen sechs Monaten im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) erscheint für Ordnungswidrigkeiten überzogen.
- 6. Aus Sicht des Bundesrates ist darauf zu achten, dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich weiterhin frei entscheiden können, in welchem institutionellen Rahmen sie die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze sicherstellen. Daher sollte die Möglichkeit, die Durchführung von Ermittlungs- und Durchsetzungsmaßnahmen auf benannte Stellen zu übertragen, nicht durch ein Ablehnungsrecht eines anderen Mitgliedstaates eingeschränkt werden.
- 7. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die Einigung der zuständigen Behörden mehrerer Mitgliedstaaten auf einen gemeinsamen Standpunkt mit Schwierigkeiten behaftet sein kann, da die rechtliche Bewertung eines bestimmten Sachverhalts allein auf Grund der unterschiedlichen Umsetzung einzelner Verbraucherschutzregelungen im Anwendungsbereich der Verordnung nicht immer einheitlich ausfallen wird. Hinzu kommt, dass im Falle des Artikels 3 Buchstabe c Absatz 2 offenbar auch lediglich vergleichbare, jedoch nicht identische Verhaltensweisen eines oder mehrerer Unternehmer Gegenstand der Prüfung sein können.
- 8. Der Bundesrat regt an, die rechtliche Qualität der in Artikel 18 und 24 angesprochenen Verpflichtungserklärung des Unternehmers, den Rechtsverstoß und seine Folgen zu beseitigen, näher zu regeln. Insbesondere sollte geklärt werden, ob und wie die Inhalte der eingegangenen Verpflichtung erforderlichenfalls vollstreckt werden können.
- 9. Der Bundesrat hält es für erforderlich klarzustellen, dass die Durchführung von koordinierten Aktionen, die in ihrer Folge abgegebenen Verpflichtungserklärungen der Unternehmer und die von den zuständigen Stellen ergriffenen Durchsetzungsmaßnahmen das Recht der betroffenen Verbraucherinnen und Verbraucher unberührt lassen, ihre Ansprüche auf anderem Wege durchzusetzen.
- 10. Der Vorschlag der Kommission würde zum Aufbau neuer bürokratischer und kostenträchtiger Behördenstrukturen führen. Mitgliedstaaten wie Deutschland, die über eine nach dem Verordnungsvorschlag dann notwendige Behördenstruktur bislang nicht verfügen, würden für deren Einrichtung nach den komplexen und ausdifferenzierten Vorgaben der vorgeschlagenen Verordnung hohe Kosten entstehen. Diesen Kosten steht auch angesichts der bereits bestehenden Sanktionsmöglichkeiten für Verstöße gegen Verbraucherschutzvorschriften nur ein geringer oder gar kein Nutzen für die Verbraucherinnen und Verbraucher gegenüber. Die von der Kommission zur Begründung angeführte Zahl von europaweit 37 000 Verbraucherbeschwerden ist bei einer Unionsbevölkerung von über 500 Millionen im Verhältnis gering.
- 11. Der Bundesrat stellt fest, dass eine weitere Bürokratisierung der Rechtsdurchsetzung auch aus grundsätzlichen Erwägungen (schlanker Staat) vermieden werden sollte.
- 12. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich bei den weiteren Verhandlungen über den Verordnungsvorschlag für eine Lösung einzusetzen, die die bewährten Strukturen des zivilrechtlichen Verbraucherschutzes in Deutschland erhält und mit höherrangigen Rechtssätzen und Prinzipien, insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, im Einklang steht.
- 13. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung außerdem darauf zu achten, dass es im Zuge der Verordnung und ihrer Umsetzung nicht zu einer unangemessenen Benachteiligung der Verbraucherinnen und Verbraucher bei rein innerstaatlichen Sachverhalten kommt.
B
- 14. Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union empfiehlt dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.