Der Bayerische Ministerpräsident München, 4. Juli 2018
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Regierenden Bürgermeister
Michael Müller
Sehr geehrter Herr Präsident,
gemäß dem Beschluss der Bayerischen Staatsregierung wird die als Anlage beigefügte Entschließung des Bundesrates zur Absenkung des gesetzlichen Zinssatzes nach § 238 Abgabenordnung (AO) mit dem Antrag übermittelt, dass der Bundesrat diese fassen möge.
Es wird gebeten, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 GO BR auf die Tagesordnung der 969. Sitzung am 6. Juli 2018 zu setzen und anschließend den zuständigen Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Markus Söder
Entschließung des Bundesrates zur Absenkung des gesetzlichen Zinssatzes nach § 238 Abgabenordnung (AO)
Der Bundesrat möge beschließen:
- 1. Im Rahmen des Steuerreformgesetzes 1990 (BGBI. 11988, 1093) hat der Gesetzgeber mit § 233a Abgabenordnung (AO) für ausgewählte Steuerarten die sog. "Vollverzinsung" eingeführt. Diese Regelung ergänzte die bis dahin bereits geltenden Zinsregelungen, wie Stundungszinsen, Hinterziehungszinsen, Prozesszinsen und Aussetzungszinsen.
- 2. Der für alle Zinsen nach der Abgabenordnung einheitlich geltende Zinssatz von 0,5 Prozent für jeden vollen Monat nach § 238 Abs. 1 Satz 1 AO wurde seit seiner Einführung im Jahr 1961 nicht geändert. Das Zinsniveau hat sich seither allerdings grundlegend verändert. Die Zinsen in der Eurozone sind auf ein historisches Tief gesunken. Seit März 2016 gilt ein EZB-Leitzins von 0 Prozent. Der deutsche Basiszins nach § 247 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist seit 2013 negativ. Eine wesentliche Umkehr ist nicht in Sicht. Aufgrund der strukturellen und nachhaltigen Verfestigung des Niedrig- bzw. Negativzinsniveaus ist es dringend geboten, den gesetzlichen Zinssatz nach § 238 Abs. 1 Satz 1 AO anzupassen. Die bestehende Regelung mit einer Verzinsung von sechs Prozent pro Jahr ist den Bürgerinnen und Bürgern kaum noch vermittelbar.
- 3. Mit seiner Entscheidung vom 25. April 2018 hat der Bundesfinanzhof (IX B 21 /18) erstmals verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe der Nachzahlungszinsen jedenfalls für Verzinsungszeiträume ab 1. April 2015 geäußert. Daneben sind derzeit auch beim Bundesverfassungsgericht zwei Verfassungsbeschwerden (1 BvIR 2237/14, 1 BvIR 2422/17) in der Zinsproblematik betreffend Zinszeiträume ab 2010 anhängig. Ein Zuwarten auf die Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes ist aufgrund des nunmehr verfestigten, extrem niedrigen Marktzinses nicht mehr vertretbar.
- 4. Die Zinsregelung in der Abgabenordnung soll lediglich einen Ausgleich dafür schaffen, dass Steuern bei einzelnen Steuerpflichtigen - aus welchen Gründen auch immer - zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig werden. Zinsen sind somit weder Sanktions- noch Druckmittel oder Strafe, sondern eine verschuldensunabhängige, rein laufzeitbezogene Gegenleistung für eine mögliche Kapitalnutzung. Unabhängig von der Frage, ob ein Zinssatz von sechs Prozent pro Jahr (weiterhin) verfassungsgemäß ist, schießt ein Ausgleich in entsprechender Höhe jedenfalls deutlich über das mit der gesetzlichen Regelung verfolgte Ziel hinaus.
- 5. Vor diesem Hintergrund spricht sich der Bundesrat dafür aus, den für jeden Monat geltenden Zins nach § 238 Abs. 1 Satz 1 AO von ein halb Prozent auf ein maßvolles ein viertel Prozent abzusenken. Er fordert die Bundesregierung auf, hierzu schnellstmöglich einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen.