COM (2015) 635 final; Ratsdok. 15252/15
Der Bundesrat hat in seiner 968. Sitzung am 8. Juni 2018 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat hat zu der Vorlage bereits mit Beschluss vom 22. April 2016 (BR-Drucksache 169/16(B) ) Stellung genommen. Am 31. Oktober 2017 hat die Kommission jedoch einen geänderten Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenhandels, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 2009/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (COM (2017) 637 final) vorgelegt. Dieser neue Richtlinienvorschlag gibt Anlass zu einer erneuten Stellungnahme des Bundesrates:
Zur Vorlage allgemein
- 2. Der Bundesrat begrüßt die Bestrebungen der Kommission, den grenzüberschreitenden Handel zu fördern und vertragsrechtliche Unsicherheiten sowohl zum Nutzen der Verbraucherinnen und Verbraucher als auch der Unternehmen zu beseitigen.
- 3. Er begrüßt weiter die Bemühungen der Kommission, mit dem geänderten Vorschlag nunmehr einheitliche Regelungen für alle zwischen einem Verkäufer und einer Verbraucherin oder einem Verbraucher geschlossenen Kaufverträge - unabhängig von dem diesen zugrundeliegenden Vertriebsweg - zu schaffen und damit der durch den ursprünglich vorgelegten, lediglich auf den Online-Warenhandel bezogenen Richtlinienvorschlag zu erwartenden Fragmentierung vertragsrechtlicher Regelungen entgegenzuwirken.
Die Kommission hat dadurch einem Kritikpunkt der Stellungnahme des Bundesrates vom 22. April 2016 (BR-Drucksache 169/16(B) ) Rechnung getragen.
- 4. Der Bundesrat bezweifelt jedoch weiterhin grundsätzlich die Notwendigkeit der beabsichtigten weiteren Harmonisierung der vertragsrechtlichen Vorschriften zum Warenhandel und sieht insbesondere die Notwendigkeit einer Vollharmonisierung in einzelnen Bereichen nicht als belegt an.
Nach den Ergebnissen der von der Kommission vorgenommenen Überprüfung der verbraucherrechtlichen Regelungen im Rahmen des REFIT wurde festgestellt, dass die Richtlinie für die von ihr verfolgten Ziele nach wie vor geeignet ("still fit for purpose") sei, so dass ein dringender Handlungsbedarf für eine neue, zum Teil vollharmonisierende Richtlinie zum Warenhandel nicht ersichtlich ist.
Auch wenn die Kommission in ihrer Begründung darauf hinweist, dass weder bei Verbraucherinnen und Verbrauchern noch bei Unternehmen eine Verbesserung im Vertrauen in den grenzüberschreitenden Handel zu verzeichnen sei, belegen auch die aus den jüngsten Erhebungen gewonnenen und angeführten Zahlen nicht, dass die unterschiedlichen Verbraucherschutz- und Vertragsvorschriften den wesentlichen Grund für die Zurückhaltung beider Vertragsparteien im Bereich des internationalen Warenhandels darstellen. Nach wie vor sind hier zahlreiche Gründe, wie etwa Sprachbarrieren, geringere Erwartungen an ein kulantes Verhalten des Verkäufers oder Zweifel an der praktischen Durchsetzbarkeit zivilrechtlicher Ansprüche, neben der Unkenntnis des fremden Rechts denkbar.
Zum Richtlinienvorschlag im Einzelnen
- 5. Hinsichtlich des abgesehen vom Anwendungsbereich unveränderten Richtlinienvorschlags weist der Bundesrat insbesondere auf folgende, bereits in seiner Stellungnahme vom 22. April 2016 (BR-Drucksache 169/16(B) ) vorgetragenen Bedenken hin.
- 6. Er regt auch für den geänderten Richtlinienvorschlag an, dessen Artikel 8 Absatz 2 Satz 2 zu streichen. Die vorgeschlagene Regelung verlegt bei Waren, die zur Montage oder Installierung durch die Verbraucherinnen und Verbraucher bestimmt sind, den für die Vertragsmäßigkeit maßgeblichen Zeitpunkt nach hinten. Obwohl dem Verkäufer in aller Regel jeglicher Zugriff auf die Ware verwehrt ist, soll er für jede Verschlechterung haftbar gemacht werden können, soweit nicht die Verbraucherin oder der Verbraucher selbst gemäß Artikel 9 Absatz 5 des Richtlinienvorschlags hierzu beigetragen hat.
Hierbei handelt es sich um eine Abweichung vom Grundsatz, dass die Gefahr des zufälligen Untergangs und der zufälligen Verschlechterung mit der Übergabe der Ware auf den Käufer übergeht, der zu einer nicht gerechtfertigten Verlagerung des Risikos führt. Die Verbraucherinnen und Verbraucher sind durch die Regelungen in Artikel 5 Buchstabe b und Artikel 6 Buchstabe b des Richtlinienvorschlags bereits hinreichend geschützt. Danach liegt eine Vertragswidrigkeit auch dann vor, wenn die Ware ohne oder mit mangelhafter Montageanleitung geliefert wird bzw. eine unsachgemäße Montage oder Installierung durch die Verbraucherinnen oder Verbraucher auf einen Mangel der Anleitung zurückzuführen ist.
- 7. Der Bundesrat bittet auch nach der Erweiterung des Regelungsbereichs auf den gesamten Warenhandel, den in Artikel 8 Absatz 3 des Richtlinienvorschlags festgelegten Zeitraum von zwei Jahren für die Vermutung, dass Vertragswidrigkeiten bereits bei Gefahrübergang auf die Verbraucherin oder den Verbraucher (bzw. zu dem in Artikel 8 Absatz 2 Satz 2 des Richtlinienvorschlags bestimmten Zeitpunkt) vorlagen, zu überprüfen. Inzwischen hat sich auch das Europäische Parlament dafür ausgesprochen, die für die Mitgliedstaaten zwingende Frist für die Beweislastumkehr auf ein Jahr zu verkürzen. Der Bundesrat begrüßt dies im Ansatz, regt aber darüber hinaus an, eine Vollharmonisierung nur bis zu einer Frist von sechs Monaten festzulegen. Dies entspricht dem Zeitraum, der in der überwiegenden Zahl (25 von 28) der Mitgliedstaaten (siehe dazu Tabelle zum "Legal status quo" Situation as of July 2016 aus: Commission Staff Working Document - SWD (2017) 354 final - Anmerkung 1.1.4.), so auch in der Bundesrepublik Deutschland, hierfür bisher vorgesehen ist.
Nach Ansicht des Bundesrates nimmt die Wahrscheinlichkeit, dass ein erst nach Gefahrübergang offenkundig gewordener Mangel bereits bei Gefahrübergang vorlag, und nicht auf zum Beispiel Verschleiß oder Fehlgebrauch zurückzuführen ist, mit zunehmender Zeitdauer ab. Nach Ablauf von bis zu zwei Jahren entspricht daher die in Artikel 8 Absatz 3 des Richtlinienvorschlags formulierte Annahme nicht mehr einer realistischen Vermutung sondern vielmehr einer reinen Fiktion, so dass die Regelung faktisch einer Haltbarkeitsgarantie nahekommt. Eine solche Haltbarkeitsgarantie werden aber die Verbraucherinnen und Verbraucher letztlich durch entsprechend höhere Preise vergüten müssen.
- 8. Der Bundesrat begrüßt weiterhin, dass in Artikel 14 Satz 2 des Richtlinienvorschlags lediglich eine Mindestverjährungsfrist von zwei Jahren festgelegt und den Mitgliedstaaten damit die Möglichkeit eröffnet worden ist, im Interesse des Verbraucherschutzes längere Gewährleistungsfristen (etwa für langlebige Wirtschaftsgüter) zu normieren. In der Zusammenschau mit der Regelung in Artikel 14 Satz 1 des Richtlinienvorschlags, wonach sich ein Sachmangel spätestens zwei Jahre nach dem für die Feststellung der Vertragsmäßigkeit maßgebenden Zeitpunkt offenbart haben muss, könnte sich aus Verbrauchersicht aber faktisch eine auf zwei Jahre verkürzte Gewährleistungsfrist ergeben. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung daher erneut, im Rahmen der Verhandlungen über diesen Richtlinienvorschlag weiter darauf hinzuwirken, dass auch Artikel 14 Satz 1 des Richtlinienvorschlags entsprechend der bislang geltenden Regelung der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie als Mindeststandard ausgestaltet wird.
- 9. Er bittet nochmals zu prüfen, ob der in Artikel 14 des Richtlinienvorschlags ohne Einschränkungen bestimmte Gewährleistungszeitraum von zwei Jahren, der bei gebrauchten Sachen - anders als nach Artikel 7 Absatz 1 Satz 2 und 3 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie - nicht auf ein Jahr herabgesetzt werden kann, ausgewogen ist. Die Erwartungshaltung des Käufers einer gebrauchten Sache unterscheidet sich in Abhängigkeit von Alter und Preis des Kaufgegenstands häufig erheblich von der Erwartungshaltung beim Kauf eines neuen Gegenstands. Ein uneingeschränkter Gewährleistungszeitraum von zwei Jahren könnte zur Folge haben, dass bestimmte Arten von älteren, aber noch funktionsfähigen Gebrauchtgütern dem unternehmerischen Wiederverkauf auf Dauer vollständig entzogen werden. Dies würde zum einen einem durchaus bestehenden Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher, gebrauchte Gegenstände nicht nur im C2C-Bereich, sondern auch bei professionellen Wiederverkäufern zu erwerben, ebenso zuwiderlaufen wie zum anderen auch ihrem Interesse, gebrauchte Wirtschaftsgüter bei dem Erwerb neuer Kaufgüter durch Inzahlunggabe wirtschaftlich zu verwerten. Die Folge dürfte sein, dass gebrauchte Wirtschaftsgüter in weit größerem Maße als bisher vorzeitig entsorgt werden müssten, was - gerade bei hochwertigen Konsumgütern - dem Gebot der Nachhaltigkeit widerspricht.
*) Erster Beschluss des Bundesrates vom 22. April 2016, BR-Drucksache 169/16(B)