Der Bundesrat hat in seiner 964. Sitzung am 2. Februar 2018 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat gibt zu bedenken, dass eine nahezu vollständige Freigabe der Kabotage im Linienverkehr (Artikel 1 Absatz 4) zu Wettbewerbsverzerrungen im Marktgeschehen führen kann, wenn nicht zuvor eine wirksame Harmonisierung insbesondere der Arbeits- und Sozialbedingungen innerhalb des Binnenmarktes erfolgt ist.
- 2. In der Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 werden umfangreiche Anforderungen an die Personenkraftverkehrsunternehmer gestellt. Insbesondere muss in der Niederlassung ein Verkehrsleiter tatsächlich und dauerhaft die Verkehrstätigkeiten des Unternehmens leiten, um so ein Höchstmaß an Professionalität und Zuverlässigkeit in der Geschäftstätigkeit zu gewährleisten. Mit den im Verordnungsentwurf vorgesehenen, sehr weitreichenden Möglichkeiten zur Erbringung von Linienverkehrsdiensten außerhalb des Niederlassungsmitgliedstaates ist eine tatsächliche und dauerhafte Leitung der Verkehrstätigkeiten durch den nur im Niederlassungsmitgliedstaat ansässigen Verkehrsleiter nicht mehr gewährleistet. Die Bundesregierung wird gebeten, in den Verhandlungen darauf hinzuwirken, dass Unternehmen nur dann dauerhaft innerstaatliche Linienverkehrsdienste versehen dürfen, wenn sie über eine Niederlassung im Sinne des Artikels 5 der Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 verfügen.
- 3. Der Bundesrat hat erhebliche grundsätzliche Zweifel, ob innerhalb einer Verordnung, die den Berufszugang für den grenzüberschreitenden Personenkraftverkehrsmarkt regelt, eine Berechtigung zur Regelung von Genehmigungsverfahren für den innerstaatlichen Linienverkehr geschaffen werden kann. Er bittet daher die Bundesregierung um eine europarechtliche Prüfung der beabsichtigten Regelungserweiterung. Aus Sicht des Bundesrates sollte die im Rahmen der deutschen Fernbusliberalisierung festgelegte Möglichkeit der zuständigen Behörden bestehen bleiben, nach den Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen im ÖPNV "ausschließliche Rechte" zu gewähren.
- 4. Er begrüßt die mit dem Verordnungsentwurf verbundene Zielsetzung, allen Unternehmen einen transparenten und diskriminierungsfreien Zugang zum grenzüberschreitenden Personenverkehrsmarkt zu gewährleisten. Die im Verordnungsentwurf vorgesehenen Verfahrensvorschriften (Artikel 8 fortfolgende) sollten sich auf das Notwendige beschränken und den Gestaltungsrahmen der Genehmigungsbehörden der Aufnahmemitgliedstaaten weiterhin gewährleisten. Die Einschränkungen der bisherigen Mitwirkungsmöglichkeiten der Aufnahmemitgliedstaaten in Artikel 8a sowie die Verfahrensvorschriften in Artikel 8b gehen über diesen Rahmen hinaus und werden von Seiten des Bundesrates abgelehnt.
- 5. Er lehnt unbeschadet seiner grundsätzlichen Kritik die vorgesehenen Verkürzungen der Bearbeitungsfristen für Genehmigungsverfahren nach Artikel 8a und 8b des Kommissionsvorschlags ab, da bereits die bestehenden Bearbeitungsfristen zu knapp bemessen sind. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung sich dafür einzusetzen, dass von den verkürzten Bearbeitungsfristen Abstand genommen wird.
- 6. Er sieht die in Artikel 8b genannten Kilometervorgaben von 100 km bzw. 120 km Luftlinie für den innerstaatlichen Linienverkehr kritisch, da sie deutlich von den deutschen Vorschriften nach § 42a PBefG bzw. § 2 RegG abweichen. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung sich dafür einzusetzen, dass im EU-Recht die deutschen gesetzlichen Vorgaben im Sinne des § 42a PBefG bzw. § 2 RegG hinsichtlich der Kilometer- und der Reisezeitvorgaben verankert werden. Die in diesen Vorschriften genannten Kriterien von einer Reiseweite von 50 Kilometer oder einer Reisezeit bis zu einer Stunde gewährleisten im deutschen Recht die Abgrenzung von öffentlichem Personennahverkehr und Fernverkehr.
- 7. Er bittet die Bundesregierung ferner, sich bei der Kommission dafür einzusetzen, dass die Betreiber der Busbahnhöfe weiterhin die Möglichkeit haben, die Nutzung der Busbahnhöfe auch wegen Sicherheitsbedenken und Verstößen gegen die Hausordnung abzulehnen. Die Entscheidungen der Busbahnhofsbetreiber sollten weiterhin dem nationalen Rechtsweg unterworfen werden und keiner zentralen Regulierungsbehörde. Die Schaffung einer nationalen Regulierungsbehörde für den Zugang zu Busbahnhöfen ist nicht verhältnismäßig. In einzelnen Fällen sind nicht nur die Kapazität des Busbahnhofes, sondern auch individuelle Gründe (eklatantes Fehlverhalten, offene Benutzungsgebühren) Ursache für einen Ausschluss von der Haltestellennutzung. Bei privaten Busbahnhofsbetreibern stellt die geplante Neuregelung einen Eingriff in die Grundrechte der Artikel 12 und 14 Grundgesetz dar, dessen Rechtfertigung zweifelhaft ist. Bei kommunalen Busbahnhöfen liegt ein Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung vor. Die Verweisung auf den jeweiligen nationalen Rechtsweg und die Sicherstellung der Möglichkeit eines Rechtsschutzes genügen.
- 8. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung darüber hinaus, sich bei der Kommission dafür einzusetzen, dass auch die rein nationalen Verkehre von in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Verkehrsunternehmen sowie die Regelungen für den ÖPNV weiterhin der Regelungskompetenz der einzelnen Mitgliedstaaten vorbehalten bleiben und nicht in den Geltungsbereich der Verordnung aufgenommen werden. Die Bundesregierung wird zudem gebeten, sich bei der Kommission dafür einzusetzen, dass neben den Verkehren im ÖPNV, die Gegenstand eines öffentlichen Dienstleistungsauftrages nach Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 sind, auch eigenwirtschaftliche Verkehre im ÖPNV nicht durch die Regelungen der beabsichtigten Verordnung in ihrem Bestand gefährdet werden. Die Einschränkung des Schutzes von Verkehren außerhalb von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen, insbesondere des eigenwirtschaftlichen Verkehrs, im Personenbeförderungsgesetz im ÖPNV hätte weitreichende Auswirkungen auf den heimischen Verkehrsmarkt und dürfte zu einer Inländerdiskriminierung führen. Auch darf der Schutz des ÖPNV auf der Basis öffentlicher Dienstleistungsaufträge nicht durch eine Beweislastumkehr zu Lasten der Aufgabenträger und eine Entwertung der im Einklang mit der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 vergebenen ausschließlichen Rechte unterlaufen werden. Die Organisation des nationalen ÖPNV und der entsprechende Rechtsrahmen sollten weiterhin in diesem Bereich den einzelnen Mitgliedstaaten unterliegen.
- 9. Die Bundesregierung wird gebeten, bei den weiteren Verhandlungen darauf hinzuwirken, dass die Regelungen zu den Kontrollpapieren für die Kabotage nicht gestrichen werden (Nummer 16 des Verordnungsvorschlags zu Artikel 17 der Verordnung (EG) Nr. 1073/2009 ), weil es anderenfalls für die Kontrollorgane nicht mehr möglich ist, genehmigungspflichtige Linienverkehre von genehmigungsfreien Gelegenheitsverkehren zu unterscheiden.