943. Sitzung des Bundesrates am 18. März 2016
A
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU) und der Rechtsausschuss (R) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Bemühungen der Kommission, die Strafregisterinformationen über Drittstaatsangehörige, die keine EU-Bürger sind, in einem praktikablen und effizienten Verfahren allen anderen Mitgliedstaaten zur Verfügung zu stellen.
- 2. Im Gegensatz zum Rahmenbeschluss 2009/315/JI sieht der Richtlinienvorschlag eine Pflicht des Urteilsmitgliedstaats für das Speichern von Informationen in dem jeweiligen Zentralregister vor, die nicht allein die Staatsangehörigkeit der verurteilten Person betreffen, sondern auch weitere Kategorien von Daten, die mit der Staatsangehörigkeit nicht in Zusammenhang stehen (Artikel 1 Absatz 1 und 4 des Richtlinienvorschlags). Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die sich hierauf beziehende Speicherpflicht nicht mehr von der im Richtlinienvorschlag zitierten Rechtsgrundlage des Artikels 82 Absatz 1 Buchstabe d AEUV (Strafrechtliche Zusammenarbeit) gedeckt ist, sondern eine unzulässige Harmonisierung des nationalen Registerrechts in Bezug auf Drittstaatsangehörige darstellt.
- 3. Der Bundesrat hält die in der Regel zwingende Erhebung und Übermittlung des Namens der Eltern der verurteilten Person, des Ortes der Tatbegehung, der Identitätsnummer oder der Art und Nummer des Identitätsdokuments sowie der Fingerabdrücke eines jeden verurteilten Drittstaatsangehörigen zu dem Zweck, den Austausch der vorhandenen Strafregisterinformationen zu verbessern, auch in der Sache weder für erforderlich noch für verhältnismäßig. Die Angaben zu den Eltern widersprechen in aller Regel dem Aspekt der Datensparsamkeit und sind in vielen Fällen kaum zu verifizieren. Die Speicherung des Tatortes, der keinen Eingang in den anonymisierten Indexfilter finden soll und unter anderem bei Delikten, bei denen Handlungs- und Erfolgsort auseinanderfallen, eine willkürliche Auswahl bedingt, bleibt für die Suche nach weiteren Strafregisterinformationen ohne Relevanz. Die Feststellung einer Identitätsnummer oder eines Identitätsdokuments - soweit dies überhaupt möglich ist - wird keinen Gewinn für die Suche nach weiteren Strafregistereinträgen bringen. Es ist keineswegs gesichert, dass entsprechende Daten in einem neuen Verfahren bekannt werden oder wegen der Verwendung von gefälschten oder neueren Dokumenten mit den zuvor festgestellten Daten übereinstimmen. Die nachträgliche Feststellung oder Überprüfung der vorgenannten Informationskategorien nach rechtskräftiger Verurteilung durch die Justizbehörden würde zu einem unangemessenen Verwaltungsaufwand führen. Gegen eine Ausweitung der festzustellenden Personendaten spricht aber auch, dass die daraus für den Indexfilter zu erstellenden Schlüssel geschwächt werden. Jeder Schreibfehler allein im Namen eines Elternteils oder ein Zahlendreher bei der Ausweisnummer würde entweder einen Treffer verhindern oder bei Ausweitung der Ähnlichkeitssuche zu einer Erhöhung von Fehltreffern führen.
- 4. Nach Auffassung des Bundesrates dürfte der Aufwand für die Erhebung, die Speicherung und vor allem den Abgleich von Fingerabdrücken auch angesichts der bereits vorhandenen und ausbaubaren Möglichkeiten der Feststellung der relevanten Personendaten durch die betroffenen Behörden der Mitgliedstaaten in keinem Verhältnis zu dem beabsichtigten Zweck stehen. Es ist daher erforderlich, dass in den weiteren Beratungen eingehend geprüft wird, ob eine Nutzung des bereits heute bei den Behörden der Mitgliedstaaten vorhandenen Fachwissens und ihrer Fähigkeiten zur Feststellung der Personalien unter anderem anhand von Fingerabdrücken und unter Erweiterung der vorhandenen und technisch anspruchsvollen Identitätsdateien für die hier erforderlichen Zwecke anstelle eigenständiger justizieller Dateien zur hinreichenden Feststellung der Personendaten von Drittstaatsangehörigen einschließlich der Feststellung ehemaliger Personendaten und Aliasdaten ausreichend ist.
- 5. Der Bundesrat hält zudem eine generelle Verpflichtung, Fingerabdruckdaten von Drittstaatsangehörigen im Zentralregister zu speichern, für einen unverhältnismäßigen Eingriff in das allgemeine informationelle Selbstbestimmungsrecht sowie für einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot im Sinne von Artikel 21 der Charta der Grundrechte und Artikel 3 des Grundgesetzes. Die Verhältnismäßigkeit des damit verbundenen Eingriffs und die damit verbundene Ungleichbehandlung können nur dann gerechtfertigt sein, wenn bei prognostischer Betrachtung zum Zeitpunkt der Verurteilung die Gefahr fehlender anderer Identifikationsmöglichkeiten bei künftigen Straftaten besteht oder die Schwere der begangenen Tat dagegenstehende, grundrechtlich geschützte Interessen der betroffenen Person zurückstehen lässt. Dabei sollte primär auf bestehende Fingerabdruckdaten zurückgegriffen werden und nur in Ausnahmefällen eine erneute Erhebung zum Zwecke der Speicherung im Zentralregister in Betracht kommen.
- 6. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.
Begründung (nur gegenüber dem Plenum):
Zu Ziffer 1:
Ein effizienter Austausch von Strafregistereinträgen ist - wie von der Kommission in der Begründung des Vorschlages für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung des Rahmenbeschlusses 2009/315/JI des Rates im Hinblick auf den Austausch von Informationen über Drittstaatsangehörige und das Europäische Strafregisterinformationssystem (ECRIS) und zur Ersetzung des Beschlusses 2009/316/JI des Rates zutreffend ausgeführt - ein wesentlicher Faktor für einen ordnungsgemäß funktionierenden gemeinsamen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts und stellt sicher, dass strafrechtliche Vorverurteilungen bei einer neuen strafrechtlichen Entscheidung gewürdigt werden können. In Bezug auf Drittstaatsangehörige findet dies bislang nicht hinreichend statt.
Zu Ziffer 2:
Der Rahmenbeschluss 2009/315/JI vom 26. Februar 2009 über die Durchführung und den Inhalt des Austauschs von Informationen aus dem Strafregister zwischen den Mitgliedstaaten sieht in Artikel 4 lediglich vor, dass die Mitgliedstaaten auch Informationen über die Staatsangehörigkeit der verurteilten Person in ihren Zentralregistern speichern. Diese Information ist auch notwendig, um das mit dem Rahmenbeschluss verfolgte Ziel der Verbesserung der grenzüberschreitenden strafrechtlichen Zusammenarbeit durch eine Konzentration aller in der EU eingetragenen strafrechtlichen Urteile im Heimatstaat der betroffenen Person zu erreichen. Der vorliegende Richtlinienvorschlag dagegen geht weiter und listet detailliert Kategorien von Daten auf, die künftig in den Registern zu speichern sind, soweit es sich um Drittstaatsangehörige handelt. Anstatt den Umfang der zu speichernden Daten - wie bisher - dem nationalen Registerrecht zu überlassen, wird hier eine EU-weite Vereinheitlichung angestrebt. Dies würde dazu führen, dass die nationalen Register künftig Daten in unterschiedlichem Umfang zu betroffenen Personen vorhalten, je nachdem ob es sich um einen EU-Bürger oder einen Drittstaatsangehörigen handelt. Auch die Vollstreckungsbehörden müssten in unterschiedlichem Umfang Daten an die Registerbehörden übermitteln und dabei sorgfältig beachten, welche Staatsangehörigkeit die verurteilte Person hat.
Gründe für diese erweiterte Speicherungspflicht zur Erreichung des mit dem Richtlinienvorschlag angestrebten Zwecks werden jedoch weder in den Erwägungsgründen noch in der Begründung genannt. Für eine Verbesserung der grenzüberschreitenden strafrechtlichen Zusammenarbeit im Hinblick auf ein effizientes Verfahren zum Austausch von strafrechtlichen Verurteilungen von Drittstaatsangehörigen ist der in Artikel 4a Absatz 1 des Richtlinienvorschlags genannte Katalog jedenfalls nicht erforderlich.
Zu Ziffern 3 und 4:
Die hinreichende Feststellung von Personendaten einschließlich ehemaliger Namen sowie von Aliasnamen einer Person gehört zur Kernkompetenz der Polizei und es sind vornehmlich im Polizeibereich bereits heute zentrale
Dateien auf EU-Ebene oder Plattformen zum Informationsaustauch zwischen den Mitgliedstaaten vorhanden, in denen zur Identifizierung eines Drittstaatsangehörigen unter anderem auch Fingerabdrücke gespeichert werden können. Insoweit sei - abgesehen von Eurodac - lediglich als Beispiel verwiesen auf Artikel 20 Absatz 2 Buchstabe f der Verordnung (EG) Nr. 1987/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS II) . Zwar werden die vorhandenen Dateien zur hinreichenden Personalienfeststellung aller in der EU verurteilten Drittstaatsangehörigen noch nicht ausreichend sein. Es ist jedoch vorzugswürdiger, diese Dateien weiter zu entwickeln und die bisherige Zweckbindung auf die hinreichende Feststellung relevanter Personendaten von verurteilten Drittstaatsangehörigen zu erweitern als ein technisch überaus anspruchsvolles System neu zu entwickeln und im Ergebnis für die meisten Fälle doppelt vorzuhalten.
Auch unter dem Aspekt der Datensparsamkeit dürften Lösungen, die statt einer Errichtung neuer Dateien an die Dateien anderer Behörden bei Bedarf anknüpfen, eher dem Datenschutz Rechnung tragen.
Zu Ziffer 5:
Artikel 4a Absatz 1 Buchstabe j des Richtlinienvorschlags verpflichtet die Mitgliedstaaten, künftig Fingerabdruckdaten in ihren Registern vorzuhalten, soweit es sich um Drittstaatsangehörige handelt. Zwar ist es anzuerkennen, dass gerade bei Drittstaatsangehörigen eine eindeutige Identifizierung anhand von Personaldaten wie Namen, Geburtsdatum und -ort schwerfällt oder ausgeschlossen sein kann. Wie in Erwägungsgrund 10 des Richtlinienvorschlags ausgeführt, kann daher der Abgleich von Fingerabdruckdaten ein hilfreiches Mittel sein, um eine Personenidentität herzustellen. Die Speicherung von Fingerabdrücken stellt jedoch auf der anderen Seite einen erheblichen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Person dar und führt zugleich zu einer Ungleichbehandlung wegen ihrer Staatsangehörigkeit. Dies bedarf daher nicht nur eines legitimen Zwecks, sondern muss darüber hinaus auch erforderlich, um diesen Zweck zu erreichen, und verhältnismäßig im Hinblick auf die damit einhergehende Ungleichbehandlung und die Beeinträchtigung der Grundrechte der betroffenen Personen sein. Zwar stellt der mit der Speicherung der Fingerabdrücke angestrebte Zweck, die Identität einer Person, die in verschiedenen Mitgliedstaaten Straftaten begangen hat, zu ermöglichen, einen legitimen Zweck dar. Jedoch ist die Speicherung nur dann erforderlich, wenn eine eindeutige Identifizierung nicht auf die bisherige Weise erreicht werden kann. Dies gilt insbesondere für Drittstaatsangehörige, die über einen langen Zeitraum in einem Mitgliedstaat leben und dort eindeutig identifizier- und lokalisierbar sind. Für diesen Personenkreis wird auch mit Hilfe der sonstigen in Artikel 1 Absatz 4 des Richtlinienvorschlags genannten Datenkategorien, mit denen der Indexwert zum grenzüberschreitenden Datenabgleich erstellt werden soll, eine Zuordnung zu Einträgen in den nationalen Registern erfolgen können.
Um auch den grundrechtlich geschützten Rechten der verurteilten Person gerecht zu werden, ist daher für eine Erhebung und Speicherung eine prognostische Betrachtung im Einzelfall erforderlich, ob durch sie weitere Straftaten zu erwarten sind, bei denen eine eindeutige Zuordnung zu bereits begangenen Verurteilungen in anderen Mitgliedstaaten zweifelhaft sein könnte. Dabei ist das grundrechtlich geschützte Interesse auf Datensparsamkeit und auf Gleichbehandlung gegenüber Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten umso geringer zu bewerten, je schwerer die von der verurteilten Person begangene Straftat ist. Um den Eingriff so grundrechtsschonend wie möglich zu gestalten, ist dabei auf bereits bestehende Datensätze, die beispielsweise im Rahmen des Ermittlungsverfahrens erhoben wurden, zurückzugreifen und nur ausnahmsweise die Erhebung von Fingerabdruckdaten nach Verurteilung vorzusehen.
B
- 7. Der Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfiehlt dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.